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"Die deutsche Rüstungsindustrie ist mittlerweile wieder sehr schlagkräftig"

Rede von Lühr Henken auf der Gedenkveranstaltung "Blumen für Stukenbrock" *


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

vielen herzlichen Dank für die Einladung. Es ist mir eine Ehre hier heute zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ich freue mich über die zahlreiche Teilnahme, insbesondere über die jungen Menschen, die sich im Antifa-Workcamp mit der Geschichte des Kriegsgefangenenlagers Stalag 326 auseinandersetzen. Ich möchte mich bedanken bei den Veranstaltern, dem Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“. Er hat seit mehr als vier Jahrzehnten, genau seit 1967, unermüdlich an die unsäglichen Gräuel, die hier in der Zeit von 1941 bis 1945 begangen wurden, erinnert. Der Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“ erinnert nicht nur, um die Opfer vor allem aus der Sowjetunion, aber auch aus Polen, Italien, Frankreich, Serbien und Italien zu ehren, sondern die an ihnen begangenen Untaten als Mahnung für Gegenwart und Zukunft zu werten, um damit einer Wiederholung vorzubeugen. Die Veranstaltungen sollen der Versöhnung zwischen den Völkern Europas dienen.

Ich bin gebeten worden, über das Thema Rüstungsexport und aktuelle friedenspolitische Aufgaben zu Ihnen zu sprechen. Ausgehend von der Zeit des Hitlerfaschismus will ich Kontinuitätslinien des Militarismus aufzeigen, die bis heute eine prägende Rolle spielen.

Hunderttausende gingen durch dieses Lager, wurden entrechtet, gedemütigt, gequält. 65.000 von ihnen überlebten die Torturen von Zwangsarbeit und Hunger nicht. Sie wurden Opfer einer Menschen verachtenden, rassistischen Ideologie. Sie wurden Opfer eines von langer Hand vorbereiteten Verbrechens, das das Ziel verfolgte, die Völker Europas im deutschen Namen zu unterjochen und auszubeuten sowie das Judentum zu vernichten.

Hauptziel des Hitlerfaschismus war es, eine angebliche jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung auszurotten, dessen Zentrale sie in Moskau vermuteten. Mit sehr hohem Aufwand bauten die Nazis eine schlagkräftige Armee auf. Die Kampfpanzer dafür kamen von MAN, Daimler-Benz und Henschel, Wegmann & Co. produzierte die Panzertürme. Maschinengewehre, Feldkanonen und Eisenbahngeschütze kamen von Rheinmetall Borsig. Die August-Thyssen-Hütte, dessen Chef Fritz Thyssen, schon in den 20er Jahren maßgeblich an der Finanzierung Hitlers beteiligt war („I paid Hitler“), lieferte den Stahl, Krupp Lokomotiven, LKWs, Artillerie und Geschütze. Die Friedrich Krupp AG trug den furchteinflößenden Beinamen „Waffenschmiede des Deutschen Reiches“. Die Howaldtswerke sowie Blohm-Voss, beide heute im Besitz von Thyssen-Krupp, rüsteten die Nazi-Marine auf. Lürssen in Bremen verdiente am Schnellbootbau. Messerschmidt, Heinkel, Junkers, Focke-Wulff und Dornier stellten Bomber und Kampfflugzeuge her.

Am 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus, lag Europa in Trümmern. Von den 45 Millionen Toten in Europa hatten die Völker der Sowjetunion 26 Millionen zu beklagen. Die Sowjetunion trug mit Abstand die Hauptlast an der Befreiung vom Hitlerfaschismus. Die deutsche Wehrmacht und die Waffen-SS zerstörten in ihrem verbrecherischen Angriffskrieg allein 1.700 Städte, 70.000 Dörfer und 32.000 Industriebetriebe sowie nahezu die gesamte Verkehrsinfrastruktur im europäischen Teil der Sowjetunion. Die Anti-Hitler-Koalition hatte die Nazi-Bestie besiegt. Die Hauptkoalitionäre Sowjetunion, USA und Großbritannien verständigten sich in Potsdam am 2. August 1945 auf eine gesamtdeutsche Nachkriegsordnung. Die wesentliche Bestimmung des Potsdamer Abkommens lautete:
„Der deutsche Militarismus und Nazismus werden ausgerottet (…) jeder nazistischen und militaristischen Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen (…). Die Ziele der Besetzung Deutschlands (…) sind: Völlige Entwaffnung und Entmilitarisierung Deutschlands und die Beseitigung der gesamten deutschen Industrie, welche für Kriegsproduktion benutzt werden kann.“

In der Tat wurden die Rüstungsbetriebe nach 1945 demontiert. Jedoch schon während der Konferenz von Potsdam begannen die USA und Großbritannien von ihrem Koalitionär Sowjetunion nicht nur abzurücken, sondern geheime Angriffspläne gegen ihn auszuarbeiten. Die USA wollten ihr Atombombenmonopol nutzen. Unter der bewusst falschen Unterstellung, die Sowjetunion schmiede Angriffspläne gegen den Westen, denen präventiv zuvorgekommen werden müsse, entwarfen sie bereits im November 1945 den Plan mit dem Titel „Atombombenziel Sowjetunion“, der die 20 wichtigsten sowjetischen Städte ins Visier nahm. Dabei war die Sowjetunion kriegsbedingt noch so geschwächt, dass sie bestenfalls ihren Sicherheitsgürtel festigen konnte, niemals jedoch Aggressionspläne schmiedete. 1949 umfassten die US-Aggressionspläne bereits 100 Zentren in der Sowjetunion. Bomben und Flugzeuge wurden entsprechend produziert. Die NATO wurde im April 1949 gegründet. Die Gründung der Bundesrepublik im Mai 49 manifestierte die deutsche Teilung. Der Satz ihres ersten Kanzlers Adenauer, „lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb“ brachte prägnant das westliche Vorgehen gegen ein entmilitarisiertes, neutrales Gesamtdeutschland zum Ausdruck, wie es das Potsdamer Abkommen vorsah. Die Regierung der Bundesrepublik vertrat einen

Alleinvertretungsanspruch gegenüber der DDR und verfolgte brutal Gegner der Remilitarisierung. Gleichzeitig betrieb die Adenauer-Regierung die NATO-Mitgliedschaft. 1955 wurde die BRD erst Mitglied der NATO, dann wurde die Bundeswehr gegründet. Ab Mitte der Fünfziger Jahre nahmen die Rüstungsfirmen, die schon Hitlerdeutschland zur Kriegsfähigkeit aufgerüstet hatten, wieder ihre Waffenproduktion auf. Rheinmetall fertigte wieder Maschinengewehre, bei Blohm + Voss entstanden Anfang der 60er Jahre die ersten Kriegsschiffe, bei HDW in Kiel die ersten U-Boote für die Bundesmarine. Henschel war ab Mitte der 50er Jahre an der Herstellung von Späh- und Schützenpanzern beteiligt. Messerschmidt und Dornier begannen 1959 mit dem Lizenzbau von Kampfflugzeugen. Im selben Jahr umfassten die Ziele der strategischen Bomberstaffel der USA bereits 20.000 Ziele in der Sowjetunion.

US-Think-Tanks erfanden Jahrzehnte lang wahlweise Lücken bei eigenen Bombern, Raketen oder Verteidigungsausgaben, die es angeblich zu schließen galt. In Wahrheit führten die USA sämtliche neuen Raketen und Atomsprengkopfarten als erste ein. Damit bedrohten sie mehr und mehr das Leben in Europa. Der 1956 gegründete Warschauer Pakt wurde in einen Teufelskreis von Nachrüstung hineingezogen. Die Bundeswehr wurde zu einer 500.000 Mann-Armee aufgerüstet, die insbesondere durch starke Panzerverbände aus dem Hause Krauss Maffei und Rheinmetall, durch eine große Luftwaffe und eine schlagkräftige U-Boot-Flotte die NATO-Ambitionen stärkte. Die US-Raketenstationierung in Europa bei Androhung der Errichtung des Raketenabwehrschilds SDI stellte den Höhepunkt des von den NATO-Staaten systematisch angeheizten Wettrüstens dar, das 1991 maßgeblich zum Zusammenbruch der Sowjetunion beitrug. Der Warschauer Pakt war praktisch totgerüstet worden. Das nun unter kapitalistischen Vorzeichen entstandene Gesamtdeutschland schickte sich ab Anfang der 90er Jahre an, die Bundeswehr zu einem aktiven Instrument der Außenpolitik zu entwickeln und sogenannte Krisenreaktionskräfte aufzustellen. Auslandseinsätze nahmen zu und wurden immer gewaltiger. Selbst vor völkerrechtswidrigen Angriffskriegen wie gegen Jugoslawien wurde nicht zurückgeschreckt. Aktuell wird der Schwerpunkt der Aufrüstung der Bundeswehr auf die Stärkung von schnell verlegbaren Infanteriekräften gelegt. Der Plan besteht darin, mit Military Airbussen sowohl Fallschirmjäger als auch Panzer und Kampfhubschrauber an jeden Punkt der Erde bringen zu können.

Die deutsche Rüstungsindustrie ist mittlerweile wieder sehr schlagkräftig. Das zeigt sich allein daran, dass die vier größten deutschen Rüstungsfirmen Rheinmetall, ThyssenKrupp, Krauss-Maffei Wegmann und Diehl im Jahr 2011 zusammengenommen ein Umsatzplus von 20 Prozent gegenüber 2010 verzeichneten. Das war gegen den weltweiten Trend. Denn der Rüstungsumsatz der 100 größten Rüstungsbetriebe nahm um fünf Prozent ab. Rheinmetall und ThyssenKrupp weisen zurzeit einen so hohen Auftragsbestand im Militärbereich auf wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Zwei Drittel ihres Umsatzes machen die deutschen Rüstungsfirmen im Ausland. Deutschland exportiert soviel Rüstungsgüter wie kein anderes Land der EU und belegt weltweit Platz 3. Dabei fällt auf, dass insbesondere die Ausfuhr in Länder außerhalb von EU und NATO, in die sogenannten Drittländer, im Vergleich der letzten beiden Jahrfünfte um drei Viertel angestiegen ist. Dabei steht ausdrücklich in den politischen Grundsätzen zum Export von Kriegswaffen in diese „Drittländer“, dass er „restriktiv gehandhabt“ werden soll. Die Regierung verstößt klar gegen ihre Grundsätze. Die höchsten Zuwächse für Genehmigungen erteilte die schwarz-gelbe Bundesregierung in den letzten Jahren für Waffenlieferungen in die Golfregion. Repressiv regierte Staaten wie Saudi-Arabien, Katar und die Emirate stehen hier an der Spitze der Kundenliste, obwohl die Richtlinien fordern, dass bei Genehmigungen die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle spielen soll.

Auf breite Empörung stießen in den letzten Jahren Meldungen, wonach die Regierung Merkel bereit wäre, schwere Waffen auch in Spannungsgebiete zu liefern. So möchte das absolutistisch regierte Saudi-Arabien 270 spezielle Leopard 2-Kampfpanzer von Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall, die so ausgerüstet sind, dass sie zur Niederschlagung von Demokratiebewegungen und Aufständen dienen. Der Auftragswert wird auf 5 Milliarden Euro geschätzt. Aber es kommt noch dicker. Bekannt wurde, dass Saudi-Arabien zudem sogar bis zu 800 Kampfpanzer des Typs Leopard 2 kaufen will. Saudi-Arabien will auch Patrouillenboote von Lürssen kaufen. Das ebenfalls absolutistisch regierte Emirat Katar will 200 dieser speziellen Leopard-Kampfpanzer kaufen, die zum Krieg in der Stadt hergestellt werden, um Aufstände niederschlagen zu können. 62 davon hat die Bundesregierung im April schon genehmigt. Israel wird seit Jahren mit U-Booten von HDW beliefert. U-Boote, die atomar bestückt werden können. Dabei sind jene der Dolphin-II-Klasse besonders brisant, weil sie wochenlang getaucht fahren können, so dass diese U-Boote praktisch nicht zu orten sind. Das dritte U-Boot der Dolphin-II-Klasse wurde letztes Jahr genehmigt. Nach Ägypten wurde die Ausfuhr von zwei allerdings etwas weniger leistungsfähigen U-Booten genehmigt. Ihr Bau geht auch nach dem Putsch des Militärs in Ägypten weiter. Es gibt Verhandlungen zwischen der Bremer Lürssenwerft und Angola über die Lieferung von Patrouillenbooten. Zusammen dürften die noch nicht genehmigten Ausfuhren einen Wert von 20 Milliarden Euro haben. Entschieden darüber wird nach der Bundestagswahl.

Auch der Export von sogenannten Kleinwaffen aus Deutschland boomt. 2010 belegte Deutschland Platz 2 in der Welt und letztes Jahr wurde soviel genehmigt wie nie zuvor. Der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan geißelte Kleinwaffen als „Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts.“ Über 1.300 Menschen sterben durch sie jeden Tag. Exporte von Waffen jeder Art „Made in Germany“ fördern Kriege! Unser Land macht sich dadurch mitschuldig, selbst dann, wenn keine deutschen Soldaten beteiligt sind. Die bundesweite Kampagne „Aktion Aufschrei! Stoppt den Waffenhandel!“ sammelt Unterschriften für eine Grundgesetzänderung, die den Waffenexport grundsätzlich verbietet.

Zu allem Überfluss setzen sich vor allem die CDU/CSU und ihr Wehrminister de Maiziere für die Anschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr ein. Ein Angebot über vier REAPER (zu deutsch Sensenmann) liegt aus den USA vor. Entschieden werden soll nach der Wahl. Eine bundesweite Anti-Drohnen-Kampagne sammelt Unterschriften, mit dem Ziel, Kampfdrohnen zu ächten.

Hoch gefährlich sind aktuell die völkerrechtswidrigen Angriffsdrohungen der US-Regierung, Frankeichs und einiger Golfstaaten gegen Syrien. Ein Krieg würde das Leiden der syrischen Bevölkerung noch vergrößern und könnte einen Flächenbrand in der Region hervorrufen. Deshalb sagt die Friedensbewegung und nicht nur die: Nein zum Krieg gegen Syrien!

* Lühr Henken, Berlin, Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.
Die Rede am 7. September 2013 konnte nur verlesen werden, da der Referent wegen unerwarteter Verkehrsprobleme nicht rechtzeitig den Veranstaltungsort erreichte.



Frühere Beiträge von Vertretern des Bundesausschusses Friedensratschlags in Stukenbrock


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