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Schamlos: Saudi-Arabien will noch mehr Panzer

Ein 10-Milliarden-Geschäft: Bundesregierung abgetaucht / Protest aus Kassel

Die Meldung:

Saudi-Arabien will einem Pressebericht zufolge von Deutschland weitaus mehr Kampfpanzer kaufen als bisher bekannt. Das Königreich habe großes Interesse an 600 bis 800 Leopard 2, heißt es unter Berufung auf Regierungskreise. Bisher war nur von knapp 300 die Rede. Wegen der repressiven Menschenrechtspolitik des ultrakonservativen Golfstaats war dieses Geschäft bei der Opposition auf heftige Kritik gestoßen. Während sich im Wirtschaftsministerium auch Befürworter fänden, signalisierten Bundeskanzleramt sowie Außen- und Verteidigungsministerium ihre Ablehnung. Eine Sitzung des Bundessicherheitsrat sei nun kurzfristig verschoben worden.


Die Kommentare:



Volkspanzer für den Golf

Von Rüdiger Göbel *

Egal, wo er ist, um »Freiheit« geht’s spätestens im zweiten Absatz. Bundespräsident Joachim Gauck hat während einer Preisverleihungsrede im Kieler Institut für Weltwirtschaft am Sonntag an die Proteste in der DDR vor 59 Jahren erinnert. Am 17. Juni 1953 seien an mehr als 700 Orten in der DDR die »Menschen in den Aufstand gezogen«, sagte Gauck. Sie hätten gerufen: »Wir wollen freie Menschen sein.« Der damals vom Westen beförderte Protest war mit Hilfe von Panzern der Sowjet­armee beendet worden. Aber, so der Bundespräsident: »Die Niedergeschlagenen haben am Ende Mauern zum Einstürzen gebracht, und die Freiheit hat sich Raum geschaffen.«

Just am Tag, da Gauck an den Einsatz gegen demonstrierende Arbeiter erinnerte, machte ein Boulevardblatt bekannt, daß der BRD-Verbündete Saudi-Arabien, erfolgreich im Niederkartätschen von Protestierenden, weitaus mehr deutsche Kampfpanzer kaufen will als bisher bekannt. Das Königreich habe großes Interesse am Erwerb von 600 bis 800 neuen »Leopard 2«. Das berichtete Bild am Sonntag unter Berufung auf Regierungskreise. Bisher war »nur« von bis zu 300 Panzern dieses Typs für den reaktionären Scheichstaat die Rede. Unklar ist, ob der Megadeal beim Riad-Besuch von Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) mit einer Unternehmerdelegation vor zwei Wochen eingefädelt wurde. Der Gesamtwert des »Leopard«-Auftrages wird in Industriekreisen laut BamS mit rund zehn Milliarden Euro beziffert, »abhängig von der Ausstattung, dem Umfang der zusätzlich georderten Technikausbildung, der Logistik sowie Ersatzteillieferungen«. Es wäre »einer der größten Rüstungsaufträge der bundesdeutschen Geschichte«.

Der »Leo« habe sich nach hartem Konkurrenzkampf gegen den US-Panzer M1 »Abrams« durchgesetzt, müßte für den Einsatz in der Wüste allerdings umgebaut werden. Bundestagsabgeordnete bestätigten dem Springer-Blatt, daß in Saudi-Arabien bereits Langzeittests mit dem »Leopard 2« laufen.

In der Bundesregierung gibt es dem Bericht zufolge »erhebliche Widerstände« gegen den Panzerdeal. Das Bundeskanzleramt sowie das Außen- und Wehrministerium signalisierten demnach Ablehnung. Befürwortet werde es im Wirtschaftsressort Röslers. Schließlich könne der Auftrag die Zukunft der Panzerbauer »Krauss Maffei Wegmann« und Rheinmetall sichern, die wegen der Umstrukturierung der Bundeswehr »neue Absatzmärkte brauchen«. Beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) heißt es, Saudi-Arabien sei der wichtigste Handelspartner am Golf, ein »riskantes, aber auch lukratives Pflaster«.

Zur Erinnerung: Die Panzer sollen an einen Staat geliefert werden, dessen Truppen im März 2011 ins Nachbarland Bahrain einmarschiert waren und dort den Volksaufstand gegen König Hamad bin Isa Al-Chalifa blutig niedergeschlagen haben. An diesem Mittwoch wird einem elfjährigen Jungen in der Hauptstadt Manama der Prozeß gemacht. Er war am 14. Mai bei Protesten gegen die Herrscherfamilie des Golfstaats verhaftet worden. Mit Freunden hatte er eine Straße mit Müllcontainern und Holzteilen blockiert und gefordert: Freiheit für Bahrain.

* Aus: junge Welt, Montag, 18. Juni 2012


Schmutzige Geschäftige

Von Olaf Standke **

Vor zehn Tagen war Philipp Rösler mit einer riesigen Wirtschaftsdelegation in Saudi-Arabien unterwegs. An diesem Wochenende wurde öffentlich, dass das autoritär geführte, streng islamische Königreich noch viel mehr moderne Kampfpanzer aus der Waffenschmiede Krauss-Maffei Wegmann haben wolle als bisher bekannt. Ein Schelm, der Arges dabei denkt. Angeblich soll der deutsche Rüstungsschlager Leopard 2 in Riad gar kein Thema gewesen sein, aber wie gut unterrichtete Kreise in Berlin durchsickern lassen, sei es Röslers Ministerium, das Druck mache. Schließlich geht es um bis zu 800 Panzer, der Vertrag über eine erste Tranche von rund 300 sei inzwischen unterschriftsreif. Bei einem Schätzwert von zehn Milliarden Euro wäre es das größte Waffengeschäft in der Geschichte der Bundesrepublik.

Schon für viel kleinere Beträge hat die Bundesregierung ihre eigenen Kontrollrichtlinien für Rüstungsexporte zu Makulatur verkommen lassen. Die verbieten zwar Waffenlieferungen in Spannungsgebiete und Staaten, in denen die Menschenrechte massiv verletzt werden, und saudi-arabische Truppen etwa haben im März 2011 einen schiitischen Volksaufstand im benachbarten Bahrain blutig niedergeschlagen. Am Ende aber diktieren auch in Berlin immer wieder wirtschaftliche und geostrategische Interessen die hochgeheimen Entscheidungen hinter den Türen des sogenannten Bundessicherheitsrates, egal in welchen Farben die Regierung daherkommt.

** Aus: neues deutschland, Montag, 18. Juni 2012 (Kommentar)


Der Protest


Saudi-Arabien will 600 Leo-2 aus Deutschland
Bundesregierung hüllt sich in Schweigen
Kassel protestiert

Pressemitteilung des Kasseler Friedensforums

Kassel, 18. Juni - Den deutschen Panzerbauern steht ein 10-Mrd-EUR-Projekt ins Haus. Nach einem Bericht der Bild am Sonntag soll Saudi-Arabien nicht nur, wie im letzten Jahr bekannt geworden, Interesse an 270, sondern an 600 bis 800 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2A-7+ bekundet haben. Vor einer Woche befand sich eine Wirtschaftsdelegation des Wirtschaftsministers Rösler in Riad - im Schlepptau eine Reihe deutscher Formenvertreter. Von Krauss-Maffei Wegmann soll niemand dabei gewesen sei, hieß es beschwichtigend aus dem Ministerium. Dennoch dürfte es kein Zufall sein, dass "Bild" gerade jetzt über diese gigantische Erweiterung des saudischen Begehrens berichtete. Vermutlich ist eben doch über diesen Deal gesprochen worden.

Aus Berlin ist nun zwar zu hören, dass sowohl die Kanzlerin als auch ihr Außenminister von dem erweiterten Lieferumfang nicht begeistert seien. Dennoch dürfen sich jene, die den Rüstungsexporten kritisch gegenüber stehen, nicht sicher sein. Vor einem Jahr hat nämlich der Bundessicherheitsrat eine Voranfrage aus Riad über 270 Panzer positiv beschieden. Und für die Friedensbewegung war bereits diese skandalöse Genehmigung nicht hinnehmbar. In der Regel werden Waffenexporte nach einer positiven Voranfrage auch in letzter Instanz genehmigt. Die Friedensbewegung wird sowohl von Kassel aus als auch bundesweit den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, dem schamlosen Exportauftrag nicht mehr zuzustimmen. Deutschland darf nicht zum Komplizen eines der schlimmsten Regime der Welt werden.

Am Sonntag (17. Juni) haben Rüstungsgegner mit einer kreativen Aktion darauf aufmerksam gemacht, dass Kassel mit der documenta sich nicht nur als Weltstadt der Kunst beweist, sondern auch eine bedeutende Rüstungsstadt ist. Die Proteste gegen den Panzerdeal gehen auch in dieser Woche weiter. Das Kasseler Friedensforum wird am Donnerstag (16-18 Uhr am Unteren Friedrichsplatz, hinter dem Ottoneum) mit einer Konversions-Aktion zeigen, dass es möglich ist, sich ohne Arbeitsplatzeinbußen von der Rüstung zu verabschieden; man muss nur rechtzeitig ein Programm zur Umstellung auf sinnvolle zivile Produkte beginnen. Für so ein Programm wirbt das Friedensforum mit einem Appell, der bereits die Stadtverordnetenversammlung beschäftigt hat. Unter diesen Appell an die Stadt, der von der Politik entsprechende Initiativen fordert, sammelt das Friedensforum weiterhin Unterschriften. Der Appell kann hier heruntergeladen werden:
Appell an die Stadt Kassel

Für das Kasseler Friedensforum:
Dr. Peter Strutynski (Sprecher)


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