Peter Strutynski

14.5.1945 - 26.9.2015




Ein Nachruf von Werner Ruf

Peter Strutynski wurde im Mai 1945 in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Salzburg geboren. Seine Familie stammte aus Czernowitz in der Bukowina in der westlichen Ukraine. Er studierte und promovierte in Politikwissenschaft an der Universität München. Seit 1977 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand vor fünf Jahren war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kassel.

Peter war Wissenschaftler, zugleich war er ein durch und durch politischer Mensch. In diesem Sinne war für ihn die Politikwissenschaft ein normativer Auftrag, sie hatte einen Beitrag zu leisten für eine gute, d. h. demokratische und friedliche Gesellschaft. Diesem Auftrag fühlte er sich verpflichtet. Wissenschaft fand für ihn nicht im Elfenbeinturm statt, sie hatte ihren Platz in der Gesellschaft, bei den Menschen. Ihnen und ihren Interessen hatte sie zu dienen. So fielen für ihn Forschung, Lehre und gesellschaftspolitisches Engagement zusammen und kristallisierten sich im Kampf für den Frieden. Seiner Initiative war die Gründung der Arbeitsgemeinschaft Friedensforschung an der Universität Kassel zu verdanken, in der wir mit einigen engagierten Kolleginnen und Kollegen über viele Jahre zusammen arbeiteten. Unter dem Dach dieser AG entstand das Projekt der homepage (http://www.ag-friedensforschung.de), die Peter mit großer Energie und enormem Zeitaufwand pflegte. Diese homepage mit ihren bis zu über 100.000 Zugriffen/Monat entwickelte sich zu einer zentralen Dokumentationsstelle der Friedens- und Konfliktforschung, die sowohl von Studierenden wie auch von Forscherinnen und Forschern wie von unterschiedlichsten Organisationen weltweit genutzt wird.

Getreu seinem Verständnis von Friedensforschung mobilisierte Peter Strutynski auch in der Stadt Kassel, wo er Jahrzehnte lang führend im Friedensforum tätig war, Studien zur Rüstungskonversion in der stark von der Rüstungsindustrie geprägten Stadt Kassel betrieb. In Zusammenarbeit mit dem Bundesausschuss Friedensforschung war Peter Veranstalter des seit 1994 an der Universität Kassel durchgeführten „Friedensratschlags“, einer der Großveranstaltungen der Friedensbewegung, auf der sich jährlich bis zu 400 Friedenswissenschaftlerinnen und Friedenswissenschaftler mit Friedensinitiativen und –gruppen aus ganz Deutschland zum Informationsaustauch treffen. Peter war Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Friedensforschung (AFK), jener Organisation, in der die akademische Friedensforschung interdisziplinär zusammenarbeitet wie auch des Gesprächskreises Friedens- und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Auch international war seine Kompetenz immer wieder gefragt: Viele Jahre war Peter einer der Eckpfeiler der Sommerakademien und der state-of-peace-Konferenzen des Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung.

Neben seiner publizistischen Tätigkeit – verwiesen sei hier nur auf die beiden im vergangenen Jahr erschienen Bände zum Ukraine-Konflikt und zur Drohnenproblematik – ließ Peter es sich nicht nehmen, auch nach seinem Eintritt in den Ruhestand weiterhin einen Lehrauftrag an der Universität wahrzunehmen, um die Kasseler Tradition der Friedensforschung fortzuführen und diese Disziplin den Studierenden näher zu bringen. Mit Erfolg konnten wir die 1998 begonnene, jedes zweite Semester durchgeführte „Friedensvorlesung“ fortsetzen, die als universitäre Veranstaltung auch dem interessierten Kasseler Publikum offen stand.

In der Nacht vom 26. zum 27. September 2015 hat Peter Strutynski seinen Kampf gegen den Krebs verloren. Er verkörperte in einzigartiger Weise den Brückenschlag zwischen Wissenschaft und sozialem und politischem Engagement. Sein Tod reißt eine Lücke in die friedenspolitische Landschaft Deutschlands. Sein Wirken aber hat zur Schaffung von Strukturen beigetragen, die weiterhin Bestand haben werden.


Ein Nachruf von Erhard Crome

Als der Gesprächskreis Frieden der Rosa-Luxemburg-Stiftung 2012 darüber zu diskutieren begann, was eine kritische Friedensforschung ausmachen sollte, hatte Peter Strutynski Thesen vorbereitet. »Kritische Friedensforschung«, hieß es darin, »findet nicht im Elfenbeinturm statt und wird nicht um ihrer selbst willen betrieben. Vielmehr entwickelt sie ihre Thesen und Projekte aus den Diskussionen und Anforderungen der deutschen und internationalen Friedensbewegung. Mit ihren Ergebnissen will sie die Friedensbewegung in ihrem wertvollen Ringen um Abrüstung und Gewaltfreiheit unterstützen.« Für ihn war Friedenswissenschaft immer eingreifend, und zugleich war er ein wichtiger Anreger der Friedensbewegung, indem er seine hohe wissenschaftliche Sachkenntnis stets selbstlos in den Dienst der Bewegung für den Frieden stellte.

Geboren wurde Peter Strutynski nur wenige Tage nach Kriegsende, am 14. Mai 1945 in einem Flüchtlingslager nahe Salzburg. Die Familie stammte aus Czernowitz in der Bukowina (Westukraine). In München studierte und promovierte er in Politikwissenschaft. Schon in dieser Zeit war er politisch aktiv, zunächst im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), später im Marxistischen Studentenbund (MSB) Spartakus, der der DKP nahestand, und in der Gewerkschaft; wurde dann Mitglied der DKP und Mitherausgeber der Zeitschrift »Marxistische Blätter«. Anfang der 1980er Jahre wurde er zum Aktivisten der Friedensbewegung, die zu jener Zeit ihre wichtigste Aufgabe in der Verhinderung der Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen der USA auf dem Boden der BRD sah und Hunderttausende Menschen für den Frieden mobilisierte.

In Kassel arbeitete Peter Strutynski an der Gesamthochschule (später Universität) und gründete dort 1981 das Friedensforum mit. Die Gründung der Arbeitsgemeinschaft Friedensforschung an der Universität Kassel verdankte sich seiner Initiative; mehrere Kolleginnen und Kollegen arbeiteten dort jahrelang engagiert zusammen. Große Bedeutung erlangte ihre Homepage www.agfriedensforschung.de, die Peter Strutynski mit großer Umsicht pflegte und die bis zu 100 000 Zugriffe monatlich erreichte.

Mitte der 1990er Jahre, nach deutscher Vereinigung und den ersten »neuen Kriegen«, stand auch die Friedensbewegung in Deutschland vor neuen Herausforderungen. Am 7. und 8. Mai 1994 trafen sich in Gräfenroda (Thüringen) etwa 30 friedenspolitisch Engagierte, darunter Aktivisten, die zuvor in der Deutschen Friedensunion (DFU) sowie in der Ostermarschbewegung der BRD aktiv waren, und einige, die schon in der DDR für den Frieden gekämpft hatten. Sie vereinbarten, sich für eine neue, aktive gesamtdeutsche Friedensbewegung einzusetzen. Auf einer nächsten Beratung im August wurde beschlossen, in Kassel am 19. und 20. November 1994 den ersten bundesweiten »Friedensratschlag« zu veranstalten. Die Wahl fiel auf diese Stadt vor allem, weil das Kasseler Friedensforum um Peter Strutynski sich als Gastgeber anbot. Der »Bundesausschuss Friedensratschlag« wurde zu einer zentralen Adresse der deutschen Friedensbewegung und Peter Strutynski war sein Gesicht, sein Sprecher.

Der Friedensratschlag, der dann immer am ersten DezemberWochenende an der Universität Kassel stattfand, wurde zu einer Großveranstaltung der Friedensbewegung. An ihr nahmen regelmäßig etwa 400 Menschen teil, WissenschaftlerInnen und AktivistInnen aus ganz Deutschland, die sich zum Meinungsund Erfahrungsaustausch trafen. Zugleich wurde der Friedensratschlag zu einem Ort der Weiterbildung, an dem die aktuellen internationalen Konflikte und die neuen Kriegsgefahren analysiert und debattiert werden. Eingeladen waren auch internationale Gäste, um über die Konflikte in ihren Ländern aus erster Hand zu berichten. Das Eingangsreferat von Peter Strutynski bot stets eine Zusammenfassung der internationalen Lage und der Konfliktkonstellationen, die sich im Laufe des vergangenen Jahres herausgebildet hatten, aber auch friedenspolitische Ausblicke und Anregungen für die Friedensarbeit vor Ort.

Der diesjährige Kasseler Friedensratschlag wird der erste sein, an dem Peter Strutynski nicht mehr teilnehmen kann. Fast drei Jahre hat er gegen den Krebs gekämpft und immer wieder gehofft, ihn zu besiegen.

In der Nacht zum 27. September hat er diesen Kampf verloren. Erhard Crome ist Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Bundesausschuss Friedensratschlag - Germaniastr. 14 - 34119 Kassel - eMail: bundesausschuss@friedensratschlag.de