Im Fadenkreuz der Geopolitik Washingtons
Anatomie einer Konfrontation
Von Otfried Nassauer *
Leichtes Spiel hatte Washington mit Teheran selten. Bedeutsam war Iran wegen seiner großen Ölund
Gasvorkommen, aber auch aufgrund seiner Rolle als Regionalmacht für die USA jedoch immer.
Grund genug um einige unterbelichtete Faktoren zu untersuchen, die die US-amerikanische
Iranpolitik unter George W. Bush beeinflusst haben. Die These: Washingtons Iran-Politik steht im
Kontext geopolitischer Zielsetzungen, bei denen es nicht nur um Iran, sondern auch um den Einfluss
und die Handlungsmöglichkeiten der USA in ganz Asien geht.
George W. Bush war gerade ein Jahr Präsident. Die Terroranschläge auf New York und Washington
lagen vier Monate zurück. Bush hielt seine erste Rede an die Nation. Darin bezeichnete er Iran, Irak
und Nordkorea als »Achse des Bösen«. Allen drei Ländern unterstellte er, sie unterstützten den
internationalen Terrorismus und seien eine Gefahr für den Weltfrieden, weil sie nach
Massenvernichtungswaffen strebten.
Hier finden Sie alle Beiträge der ND-Serie "Konflikt um Iran":
Der Begriff »Achse des Bösen« konnte programmatisch gedeutet werden. Er kombinierte Winston
Churchills Bild der Achse(nmächte) mit Ronald Reagans Beschreibung der Sowjetunion als »Reich
des Bösen«. Damit benannte Bush zugleich ein Spektrum von Handlungsoptionen, das er für den
Umgang mit diesen Ländern sah: Es reichte von der Eindämmung, Einkreisung, Isolation und
Sanktionierung bis hin zum Krieg.
Spieltheoretische Ideengeber
Schon zwei Monate später zeigte sich, dass bei der Wahl zwischen diesen Mitteln durchaus mit
zweierlei Maß gemessen und nach Opportunität entschieden werden konnte. George W. Bush
befahl wegen des vorgeblichen Besitzes von Massenvernichtungswaffen Krieg gegen Irak.
Nordkorea, das viel wahrscheinlicher über Nuklearwaffen verfügte, wurde dagegen nicht ernsthaft
mit einem Waffengang gedroht. Viele vermuten, letztlich gehe es Bush und seinem Stellvertreter
Dick Cheney nur darum, die Kontrolle über die Öl- und Gasvorräte des Mittleren Ostens zu
gewinnen. Doch eine monokausale Interpretation greift zu kurz. Das gilt auch im Blick auf die oft
geäußerte Vermutung, George W. Bush werde während seiner Amtszeit einen weiteren Krieg gegen
Iran führen, das als ungewollte Nebenwirkung des Irak-Krieges zur wichtigsten Regionalmacht
wurde. Dieser Krieg sei bislang nur deshalb nicht geführt worden, weil das US-Militär noch immer in
Irak und Afghanistan gebunden sei. Die Wirklichkeit scheint diffiziler. Es lohnt, auf die größeren
Zusammenhänge zu schauen, wenn man verstehen will, warum George Bush bislang auch mit der
Isolation Teherans gut leben kann.
Andrew Marshall gilt als einflussreicher Vordenker der US-Sicherheitspolitik – vor allem in Zeiten
republikanischer Präsidenten. 1999 ließ er Asiens Zukunft bis 2025 untersuchen. Seine
Grundannahme: In Asien werde in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts unweigerlich eine
umfassende Neuverteilung globaler Macht stattfinden. Das gelte für Ost-, Süd-, Zentral- und
natürlich vor allem für Südwestasien. In weiten Teilen Asiens seien die USA für eine solche
Entwicklung schlecht gerüstet. Politisch und militärisch. Effiziente Bündnisstrukturen oder
umfassende Stationierungsrechte gebe es nicht. Verlässliche handlungsfähige Partner seien selten.
Die Waffen des Kalten Krieges seien für die großen Entfernungen in Asien kaum geeignet. Der
Schwerpunkt der US-Präsenz liege einseitig in Ost- und Nordostasien. Washington könne bei
krisenhaften Entwicklungen in Asien auf dem falschen Fuß erwischt werden. Marshalls Studie legte
der Politik in Washington nahe, Strategien zu entwickeln, mit denen die USA die bevorstehende
Umgestaltung in Asien aktiv betreiben könnten, statt lediglich auf Veränderungen zu reagieren.
Zwei einflussreiche Machtgruppen in der Administration George W. Bushs griffen diese Anregungen
nur zu gerne auf. Sie zogen den naheliegenden Schluss, die Umgestaltung Asiens im
energiereichen Südwestasien zu beginnen. Dessen Ressourcen seien auch für alle anderen
asiatischen Staaten und deren künftige Entwicklung von größter Bedeutung und deshalb ein
einflussreiches Instrument bei der Neuordnung des Kontinents.
Die Terroranschläge vom 11. September boten den willkommenen Anlass; der Krieg gegen Irak
versprach einen ersten wichtigen Brückenkopf in der Region. Die neokonservative Machtgruppe
präsentierte diesen Krieg als Teil ihres Projektes einer Neuordnung des gesamten Nahen und
Mittleren Ostens. Es gelte, die islamische Welt umfassend zu modernisieren, zu demokratisieren
und zu liberalisieren. Dazu bedürfe es des politischen Willens, auf eine Strategie des dauerhaften
Drucks und der permanenten Offensive zu setzen.
Ultrakonservative Machtpolitiker um Vizepräsident Cheney bildeten die zweite Gruppe. Aus ihrer
Sicht versprach der Krieg einen ersten Zugriff auf die Verwertung der Energiereserven der
Golfregion und damit auf die Entwicklungsmöglichkeiten der Länder Asiens. Zudem erlaubte er hohe
Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben und bediente damit die traditionelle Klientel der
Republikaner. Beide Gruppen gerieten innenpolitisch unter Druck, als sich weder in Irak noch
Afghanistan schnelle, nachhaltige Erfolge einstellten. Es gelang ihnen aber dennoch immer wieder,
Mehrheiten dafür zu organisieren, an der begonnenen Umgestaltung festzuhalten. Die
Neokonservativen scheiterten dagegen bislang mit Vorschlägen, die Konflikte rasch geographisch
auszuweiten und militärisch gegen Iran und Syrien vorzugehen.
Erkennbaren Einfluss auf die Politik der USA im Nahen und Mittleren Osten hat Israel. Es ist der
wichtigste Bündnispartner Washingtons in der Region und sieht sich seit seiner Gründung in seiner
Existenz bedroht. Eine Nuklearwaffe sei genug, um die Existenz Israels zu gefährden, so ein
gängiges Argument. Zugleich ist das Gefühl existentieller äußerer Bedrohung eines der wichtigsten
Elemente, die unter der heterogenen Bevölkerung Israels identitätsbildend wirken.
Israel hilft Washington bei der Durchsetzung seiner Interessen, fordert aber auch oft bedingungslose
Unterstützung von Washington, wenn es um die eigenen Interessen geht. In Israel fanden die
Neokonservativen einen bis heute aktiven Verbündeten für den Vorschlag, militärisch gegen Iran
vorzugehen, denn Israel sieht Iran als wichtigste Existenzgefährdung.
Der Israel-Faktor in der US-Strategie
Deshalb warnt Israel regelmäßig, dass sich das Zeitfenster für eine präventive Militäraktion gegen
die iranischen Atomanlagen in Kürze schließen könnte. Wiederholt drohte es mit einer nationalen
Militäraktion gegen Teherans Atomanlagen.
Soll das verhindert werden, muss Washington Iran selbst mit einer militärischen Option drohen und
Israel überzeugend die Bereitschaft demonstrieren, das es einen solchen Angriff nicht nur
durchführen könnte, sondern auch würde. Dies gilt unabhängig davon, ob Washington einen solchen
Angriff wirklich beabsichtigt oder gerade für opportun hält. Nur so können die USA an dem Vorhaben
festhalten, die Entwicklung in Asien aktiv, kontrolliert und auf Basis der eigenen Agenda zu
gestalten.
Diese Faktoren erklären, warum sich die USA unter George W. Bush bislang darauf beschränkten,
Iran einzudämmen, zu isolieren und mit Sanktionen zu belegen, ohne die Drohung mit einem Krieg
wahr zu machen. Die Konfrontation mit Iran muss auf hohem Niveau aufrecht erhalten werden,
damit Israel keinen Alleingang unternimmt. Zugleich hält dieses Vorgehen den USA für die Zukunft
alle Optionen offen. Washington kann selbst entscheiden, ob und wann es ein militärisches
Vorgehen gegen Iran für sinnvoll hält. Auch Irak wurde zwischen den Golfkriegen mit einer Strategie
der Spannung konfrontiert, aus der es nicht ausbrechen konnte.
Ist es das übergeordnete Ziel der USA, die künftige Machtordnung Asiens gestaltend zu
beeinflussen, dann kann eine verfrühte militärische Konfrontation mit Iran nicht nur zu einer
Überdehnung der eigenen militärischen Kräfte führen, sondern auch dazu, dass das übergeordnete
Ziel aufgegeben werden muss. Da Irak bislang weder zur Ruhe gekommen, noch für die USA zu
einem bereits gesicherten Brückenkopf geworden ist und die Auseinandersetzungen um Afghanistan
zunehmend auch zu einem Konflikt um die Zukunft Pakistans werden, käme eine militärische
Eskalation des Konfliktes mit Iran einem Vabanquespiel gleich. Weder Iran noch ein künftiger US-Präsident
können dieser Konstellation kurzfristig durch politische Kompromisse entkommen.
* Aus: Neues Deutschland, 17. Oktober 2008
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