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Von Elefantenduellen, Poker- und Schachspielern

Iran und die arabischen Nachbarn

Von Heinz-Dieter Winter *

In der arabischen Welt schaut man auf den Konflikt zwischen den USA und der regionalen Großmacht Iran wie auf zwei Elefanten. Ob sie miteinander kämpfen oder ob sie sich lieben -- das Gras unter ihnen wird zertrampelt. Viel für den Frieden in der Region hängt jedoch davon ab, ob das Verhältnis der arabischen Nachbarstaaten und auch der Türkei zu Iran gutnachbarschaftlich ist. Diese Beziehungen sind seit Jahrhunderten spannungsreich. Großmachtambitionen und Hegemoniestreben, durchsetzt von ethnischen und religiösen Konflikten, stoßen aufeinander. Dennoch war die Grenze Irans zum Osmanischen Reich, 1639 durch den Vertrag von Qasr-e-Shirin festgelegt, nach dem Ersten Weltkrieg zur Türkei stabil, während mit der Entstehung unabhängiger arabischer Staaten die Grenzen zu Irak und arabischen Golfmonarchien strittig blieben. Um den Grenzverlauf im Schatt el-Arab zu ändern und die von arabischstämmigen Iranern bewohnte erdölreiche Provinz Khusistan zu erobern, hatte Iraks Diktator Saddam Hussein 1980 einen achtjährigen Krieg gegen Iran begonnen. Iran seinerseits besetzte in den 70er Jahren drei Inseln im Persischen Golf, die von den Vereinigten Arabischen Emiraten beansprucht werden.

Ein eingebildeter »schiitischer Bogen«

Schon seit den Zeiten des Schahs sehen sich arabische Staaten durch iranische Hegemoniebestrebungen in der Region bedroht, die damals von den USA unterstützt wurden. Seit der islamischen Revolution 1979 kamen neue Sorgen hinzu. Die arabischen Monarchien am Golf mit ihren schiitischen Bevölkerungsanteilen - von etwa 15 Prozent in Saudi-Arabien bis 60 Prozent in Bahrain - fürchten um die Stabilität ihrer Regimes, zumal die iranische Führung anfangs den »Export der islamischen Revolution« propagiert hatte. Die arabischen Staaten - mit Ausnahme Syriens - unterstützten daher den Krieg Iraks gegen Iran.

Der von den USA und ihren Verbündeten gegen Irak geführte Krieg und seine Folgen haben das regionale Kräfteverhältnis wesentlich zu Gunsten Irans verändert. Ob es zum Zerfall des Staates Irak und der Bildung eines Teilstaats schiitischer Prägung kommt oder eine föderative Einheit Iraks ermöglicht werden kann -- die mit Iran symphatisierenden irakischen Schiiten, jahrhundertelang nicht an der Macht beteiligt, haben jetzt eine dominierende Position.



Ein weiterer Aspekt, der indirekt Iran stärkte: Der israelische Libanonkrieg im Sommer 2006 endete nicht mit der geplanten Vernichtung der von Iran unterstützten Hizbollah, sondern mit einem hohen Zuwachs ihres Ansehens. Angesichts dieser Entwicklungen warnte der jordanische König Abdullah II. vor einem von Iran dominierten »schiitischen Bogen«, zu dem auch Syrien mit seiner alawitischen Führungsschicht und die Hizbollah in Libanon gehören. Dazu gezählt wird auch die palästinensische Organisation Hamas, obwohl sie sunnitisch ist.

Abdullahs Sorge wird von den sunnitischen Herrscherhäusern am Golf und vom ägyptischen Regime geteilt. Doch geht es hier weniger um eine »iranische« oder »schiitische Gefahr« als vielmehr darum, dass die Massen auf den arabischen Straßen zutiefst unzufrieden sind mit der proamerikanischen Politik ihrer Regierungen und der mangelnden Solidarität mit dem palästinensischen Volk. Der Hizbollah-Führer Nasrallah gilt im gesamten Nahen und Mittleren Osten als der personifizierte erfolgreiche Widerstand gegen Israel und die USA. Obwohl die Bedrohung durch einen »schiitischen Bogen« eher in der Rezeption arabischer Regimes als in der realen Politik Irans existiert, war das für die USA in den letzten Jahren die willkommene Gelegenheit, gegenüber den sogenannten moderaten arabischen Staaten intensive Anstrengungen zu unternehmen, um mit ihnen unter Einschluss Israels »eine Koalition zu schaffen, die der aggressiven Politik Irans entgegentritt, insbesondere seinem Nuklearprogramm«.



So hatte es Außenministerin Condoleezza Rice in einer Rede vor dem Budgetausschuss des USA-Kongresses im Februar 2006 formuliert, bevor sie eine Reise nach Saudi-Arabien, in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Ägypten antrat. Sie erklärte, dass der Nahe Osten von einem »Netz« aus Iran, Syrien und Hizbollah bedroht würde. Diese Strategie steht im vollen Einklang mit der Politik der israelischen Regierung, die in Iran ihren Hauptgegner sieht. Die Reisen von Präsident George W. Bush, Vizepräsident Richard Cheney, Außenministerin Condoleezza Rice und Verteidigungsminister Robert Gates in die Region sollten diese Koalition schaffen. Im Juli 2007 kündigten die USA für Israel, Ägypten und die Golfstaaten Rüstungsgüter für 63 Milliarden Dollar in den nächsten zehn Jahren an. Israel sollte 30 Milliarden, Ägypten 13 Milliarden, Saudi-Arabien und die Golfstaaten sollten etwa 20 Milliarden erhalten.

Bei allem Wohlverhalten, zu dem sich arabische Staaten gegenüber den USA verpflichtet sehen, haben sie es jedoch vermieden, sich in einen Konfrontationskurs gegen Iran einbinden zu lassen. Die großzügigen Militärhilfen nehmen sie gern an, doch die Kriegsdrohungen der USA und Israels lehnen sie ab. Die Elefanten würden wohl das Gras nicht nur unter ihren Füßen zerstören. Der Iran-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik Johannes Reißner meint, dass die mit den USA verbündeten arabischen Staaten »die unkalkulierbaren Folgen einer militärischen Option mindestens ebenso fürchten wie die Aussicht auf eine nuklear gerüstete regionale Großmacht Iran.« Zwar hätten die arabischen Staaten mit Blick auf Irans Atomprogramm sowie die Lage in Palästina und Libanon zu einer gewissen, mit anti-schiitischen Untertönen durchsetzten Einheit gegenüber Iran gefunden, doch sei sie für US-amerikanische Politik nur begrenzt nutzbar.

Im Januar 2006 warnte, wie die Kairoer Presse berichtete, Präsident Hosni Mubarak USA-Vizepräsident Cheney vor einem Militärschlag gegen Iran. Diplomatie und friedliches Herangehen zur Konfliktlösung sollten sich durchsetzen, meinte der Kronprinz von Abu Dhabi und stellvertretende Oberkommandierende der Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate, Zayed al-Nahayan Ende Juli gegenüber Rice, die während einer Tagung des Golfkooperationsrates über die US-Haltung zum Atomkonflikt mit Iran informierte.

Es gelang den USA bisher nicht, arabische Staaten zu einer gemeinsamen offiziellen Stellungnahme gegen das iranische Atomprogramm zu bewegen. Diese sprechen sich generell gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen in der Golfregion aus und treten angesichts der israelischen Atomwaffen für eine kernwaffenfreie Region im Nahen und Mittleren Osten ein. Das dürfte auch der Weg sein, um Iran davon abzuhalten, atomare Waffen zu erlangen. Rivalität um die palästinensische Karte

Die arabischen Staaten sehen in der nahezu bedingungslosen Unterstützung der USA für Israel einen wichtigen Grund, nicht noch enger mit den USA zusammenzurücken. So will Saudi-Arabien dem wachsenden Einfluss Irans in der Region dadurch entgegenwirken, dass es ihm nicht die »palästinensische Karte« überlässt. Deshalb hatte Riad 2007 den arabischen Friedensplan reaktiviert und vermittelte die Bildung einer nationalen palästinensischen Koalitionsregierung aus Fatah und Hamas, die vor allem am Widerstand von USA und Israel scheiterte. Teheran will keinen kurdischen Staat

Militärisch eingekreist von USA-Streitkräften mit ihrem Oberkommando in Katar und umgeben von atomar bewaffneten Staaten, zu denen auch Israel gehört, ständigen Kriegsdrohungen ausgesetzt, sieht Iran seine Sicherheit ernsthaft bedroht.

In seinem Verhalten zu den Nachbarstaaten lässt sich Iran in erster Linie von seinen nationalen Interessen leiten. Religiöse Affinitäten wie die zum schiitischen Islam würden nur eine Rolle spielen, wenn es ohnehin passen würde, urteilt Reißner. Die heutige iranische Unterstützung für die Schiiten in Irak gehe zuallererst von der Überlegung aus, dass sie die Bevölkerungsmehrheit des Landes bilden und zusammen mit den Kurden das entscheidende Gegengewicht zur anti-iranischen Haltung der sunnitischen Iraker darstellen. An einem Zerfall des Staates Irak ist Teheran nicht interessiert. Die mögliche Entstehung eines eigenen Staates der irakischen Kurden könnte außerdem bei den Kurden in Iran, aber auch in Syrien und der Türkei, Anschlussbestrebungen auslösen. Chaotische Verhältnisse im Nachbarland will Iran vermeiden, was durchaus ein gemeinsames Interesse mit den USA bedeutet. Im Mai 2007 kam es zum Gespräch Iran/USA auf Botschafterebene. Das nährte hin und wieder auftretende Befürchtungen auf arabischer Seite, dass sich eine mögliche Annäherung Irans an die USA gegen Interessen arabischer Staaten vollziehen könnte, »die Elefanten sich lieben könnten«.

Während die martialischen Drohungen des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad gegen Israel dem Streben seines Landes nach Sicherheit nicht dienlich sind und vor allem wohl innenpolitische Zwecke erfüllen sollen, hat Iran es doch verstanden, mit den arabischen Nachbarstaaten und der Türkei ein Netz von politischen Kontakten sowie wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen aufzubauen, das der regionalen Instabilität entgegenwirkt.

So nahm der iranische Präsident an der letzten Gipfelkonferenz des Golfkooperationsrates teil und schlug einen Sicherheitspakt im Golf »ohne äußere Einmischung« vor. Selbst zu Saudi-Arabien und Ägypten, die traditionell die größten Widersacher Irans sind, unterhält Iran politische Kontakte, die noch vor zehn Jahren undenkbar waren. Nach einem Treffen zwischen dem saudischen Außenminister Prinz Saud al-Faisal und dem obersten Religionsführer Irans, Ayatollah Khamenei, im Juni 2006 wollen Iran und Saudi-Arabien in den bilateralen Beziehungen ein neues Kapitel aufschlagen. Zwischen Iran und der Türkei wurden im Dezember ein Stromverbund und der Bau von Kraftwerken vereinbart.

Britische Experten gelangten in einer Studie des Forschungszentrums Chatham House »Iran, seine Nachbarn und die Krise der Region« zu der Einschätzung, dass der Einfluss Irans im Nahen Osten durch Washingtons sogenannten Krieg gegen den Terror gestärkt worden sei. Trotz aller Bemühungen der USA, Iran entgegenzutreten, habe Teheran »erfolgreich seine Beziehungen mit den Nachbarn kultiviert, sogar mit jenen arabischen und anderen sunnitischen Staaten, die seinen Einfluss fürchten«. In Irak, von Teheran längst als »eigener Vorgarten« angesehen, habe »Iran inzwischen die USA als einflussreichste Macht abgelöst«. Iran sehe sich inzwischen in einer »Position beachtlicher Stärke«. Treffend heißt es in der Studie: »Während die USA Poker in der Region gespielt haben, hat Iran Schach gespielt.

Syrien bester Verbündeter

Iran hat seine Kandidatur für einen Sitz im Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) zurückgezogen. Dies kündigte ein iranischer Regierungsvertreter an. »Die Islamische Republik Iran hat offiziell auf ihre Kandidatur für einen Sitz im IAEA-Gouverneursrat verzichtet, um die Kandidatur Syriens zu unterstützen«, sagte Ali Asghar Soltanieh dem Sender Al-Alam in Wien. Die Behörde hatte am Montag (29. Sept.) ihre jährliche Generalversammlung begonnen. Im Laufe der Sitzung soll die Versammlung den Nachfolger Pakistans im Gouverneursrat bestimmen. Die Ernennung erfolgt traditionell per Konsens innerhalb regionaler Gruppen, Syrien und Iran gehören derselben Gruppe an wie Pakistan. Sollte der Konsens nicht zustandekommen, müsste zum ersten Mal in der Geschichte der Behörde abgestimmt werden. Die Kandidatur der beiden Staaten hatte westliche Staaten verwundert, da Iran wegen seines Atomprogramms im Streit mit der internationalen Gemeinschaft liegt. AFP



* Aus: Neues Deutschland, 4. Oktober 2008


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