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Über allem steht die Islamische Republik

Macht und Religion

Von Behrouz Khosrozodeh *

Der Sieg der iranischen Revolution vom Februar 1979 war die Geburtsstunde eines Regimes, das man als Unikat in der Weltpolitik bezeichnen kann. Es war das erste Mal in der Geschichte der islamischen Welt, dass der (schiitische) Klerus die Staatsführung übernahm. Die Revolution veränderte das Gesicht Irans, des Nahen Ostens und der Weltpolitik. Iran unter dem Schah war nach Israel der engste und zuverlässigste Verbündete Amerikas in der Region. Der Schah sorgte als »Gendarm« am Persischen Golf für Ruhe und Ordnung und sicherte die freie Energiezufuhr im Sinne des Westens. Mit seinen langen Grenzen zur Sowjetunion diente er ebenfalls als Bollwerk gegen Moskau. So gesehen hat der Sturz der Monarchie die gesamte Machtkonstellation im Nahen Osten durcheinandergewirbelt und ein Regime hervorgebracht, das ideologisch und sicherheitspolitisch zu Amerikas weltweit ernstestem Kontrahenten mutierte. In diesem Kontext ist die Verärgerung der USA gegenüber den Ayatollahs zu verstehen.

Das Herrschaftssystem der Islamischen Republik

Die Islamische Republik basiert auf dem Prinzip der Velayat-e Faqih (Herrschaft des Rechtsgelehrten). Dies ist ein Novum in der schiitischen Geschichte, das Ayatollah Khomeini einführte. Denn nach der schiitischen Doktrin ist jede Herrschaft in der Abwesenheit des erwarteten 12. Imam Mahdi, der seit 941 in Verborgenheit lebt, illegitim. Die verfassungsmäßig verankerte Velayat-e Faqih verleiht dem Religionsführer uneingeschränkte Machtbefugnisse, die ihn de facto über die Verfassung stellen.




Struktur und Zentrum der Macht

Laut Verfassung kann der Revolutionsführer den vom Volk direkt gewählten Präsidenten ablehnen, hat das Oberkommando über Armee und Revolutionswächter (Sepah) inne und ernennt ihre Kommandeure, vom Chef des Generalstabs bis zu den Kommandeuren aller drei Waffengattungen. Der Religionsführer bestimmt selbst den Oberbefehlshaber der Polizei- und Ordnungskräfte, der in allen anderen Staaten der Welt vom Innenminister ernannt wird. Er selbst wird durch den vom Volk gewählten Expertenrat gewählt und kann nur von ihm abgewählt werden.

Doch das komplizierte Wahlsystem Irans macht den Expertenrat zu seinem Werkzeug. Denn die Kandidaten zu allen Wahlämtern bedürfen einer Zulassung durch den Wächterrat. Der zwölfköpfige Wächterrat besteht zur Hälfte aus Geistlichen, die vom Religionsführer berufen werden. Die übrigen sechs sind nicht-geistliche Juristen, die vom Leiter der Judikative, der selbst vom Religionsführer ernannt wird, dem Parlament zur Wahl vorgeschlagen werden.

Der Religionsführer ist de jure allmächtig, und selbst eine Verfassungsänderung kann ohne seine Billigung nicht durchgeführt werden. Als ob all das nicht genügte, deklarierte Khomeini im Januar 1987 das Prinzip der »absoluten Herrschaft des Rechtsgelehrten«. Demzufolge stünden die im Interesse des islamischen Staates getroffenen Entscheidungen des Revolutionsführers über den Geboten der Religion, sogar über solch fundamentalen Geboten wie dem Gebet, dem Fasten und der Pilgerfahrt nach Mekka. Der Wächterrat überprüft die vom Parlament erlassenen Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundprinzipien des Islam. In der Regel filtert der Wächterrat vor Wahlen alle nicht hundertprozentig systemkonformen Bewerber heraus. Nur bei den Präsidentschaftswahlen 1997 hat sich das mächtige konservative Establishment einen groben Schnitzer erlaubt, wodurch der Reformpräsident Mohammad Khatami wider Erwarten gewählt werden konnte. Diese Wahl und ihre Folgen markierten einen Meilenstein in der Geschichte der Islamischen Republik. Ansonsten lässt die Verfassung – wie in einem Teufelskreis – kaum Spielraum für Reformen zu.

Um Ayatollah Khamenei scharen sich Konservative diverser Schattierungen, die das Zentrum der Macht im Staat darstellen. Seit Jahren liegt die Macht bei 200 bis 300 Geistlichen und Nicht-Geistlichen, die wechselnde Ämter bekleiden. Die meisten Vertreter der ersten Garde der Revolution sitzen immer noch an den Schalthebeln der Macht. Die Reformisten um Ex-Präsident Khatami und Pragmatiker um Ali Akbar Haschimi Rafsandschani (Staatspräsident 1989-97) sind seit dem Amtsantritt von Präsident Mahmud Ahmadinedschad an den Rand gedrängt worden. Die Konservativen haben Regierung und Parlament unter ihrer Kontrolle. Nächstes Jahr könnten sie auch die Justiz erobern, da die Amtszeit des moderaten Ayatollah Schahrudi als Chef der Judikative endet. Die Newcomer der Macht sind die Revolutionswächter, die zusammen mit der Bassidsch-Miliz die eigentliche Basis des Regimes darstellen. Die Sepah hat längst neben militärischer eine gewaltige wirtschaftliche Macht angehäuft, deren Firmen teilweise ohne Ausschreibung staatliche Mammutaufträge erhalten. Etliche ehemalige Sepah-Kommandeure sitzen im Kabinett, sind Vizeminister, Gouverneure und Bezirksverwalter. Die Hauptaufgabe von Sepah und Bassidsch besteht eigentlich im Schutz des Regimes vor Umsturzversuchen, die sich nun im Hinblick auf einen eventuellen US-Angriff umfassend reorganisiert haben. Man fürchtet innere Unruhen, sobald ein externer Angriff beginnt. Die Sepah hat sich auch gegen eine externe Bedrohung mit modernsten Waffen ausgerüstet.

Trotz aller Meinungsverschiedenheiten bei den Konservativen kann man davon ausgehen, dass sie das Regime bis zur letzen Stunde verteidigen werden, sollte es in Gefahr geraten. Die Angehörigen von Sepah und Bassidsch werden einschließlich ihrer Familien auf ca. acht Prozent der Bevölkerung geschätzt. Jedenfalls hat das bisher gereicht, um dem Regime drei Jahrzehnte Existenz zu gewährleisten. Die rasante politisch-ökonomische und militärische Entwicklung der Sepah könnte langfristig die Allmacht der Geistlichkeit bedrohen. Die Basarmillionäre zählen weiterhin zur traditionellen Basis der Geistlichkeit.

Die Opposition

Die Stärksten unter den Reformern und Pragmatikern sind die »Partizipationsfront« und die »Organisation der Mudschaheddin der Islamischen Revolution«. Hinzu kommen die »Partei des Nationalen Vertrauens« von Ex-Parlamentspräsident Mehdi Karubi und die um Rafsandschani vereinigte »Partei der Diener des Aufbaus«. Die meisten Mitglieder der drei Parteien sind ehemalige ranghohe Funktionäre des Landes, die sich, das Scheitern der Revolutionsziele einräumend, zur Reformbedürftigkeit des Systems bekennen. Zur Opposition gehört auch die illegale, jedoch geduldete »Freiheitsbewegung Irans« des verstorbenen ersten Premiers des Gottesstaates, Mehdi Bazargan. Alle diese Parteien bekennen sich zur Verfassung des Staates, halten dennoch eine Verfassungsänderung und einen Systemwandel angesichts der verfahrenen Lage für notwendig.

Sehr stark auf zivilgesellschaftlicher Ebene agieren Studentenorganisationen und Frauenbewegung, die dem Regime mit ihren legitimen Forderungen mehr Probleme bereiten als die parlamentarische Opposition. Besonders die Frauenbewegung mit ihren konkreten und nicht auf einen Umsturz zielenden Forderungen hat sich zu einem Vorbild für die gesamte iranische Zivilgesellschaft entwickelt. Konzertierte und durchorganisierte Aktionen lässt das Regime jedoch nicht zu, da diese sehr gefährlich werden könnten.

Die allgemeine Stimmung in Iran ist wegen zweier Entwicklungen sehr gereizt. Auf der innenpolitischen Ebene drückt die wirtschaftliche Not erheblich. Etwa 40 Prozent der Iraner leben unter der Armutsgrenze. Die Regierung hat sich innenpolitisch durch ökonomische Inkompetenz dramatisch diskreditiert. Die Lage ist für die Iraner, deren Land in astronomischen Erdöleinnahmen schwimmt, deprimierend. Selbst prominente Konservative bezeichneten Ahmadinedschads Wirtschaftspolitik als »Schiff ohne Kompass«. Hinzu kommen die gesellschaftspolitischen Repressalien, die sich in willkürlichen Verhaftungen, Hinrichtungen und drakonischen Strafen ausdrücken. Die Iraner haben die alltägliche Überwachung bis ins Schlafzimmer satt. Gemäßigte Konservativen denken bereits an eine Ablösung Ahmadinedschads bei den nächsten Wahlen.

Außenpolitisch beunruhigt die Iraner der Atomstreit und ein immer wahrscheinlicher gewordener Krieg. Sie empfinden die Forderungen des Westens, das Atomprogramm als Voraussetzung für Verhandlungen zu stoppen, als demütigend. Die Beherrschung der Kernenergie sei doch verbrieftes Recht eines jedes Mitglieds der Internationalen Atomenergieorganisation. Man versteht es auch nicht, warum Israel, selbst mit 200 nuklearen Sprengköpfen bestückt, sehr viel Unterstützung erfährt.

Die Iraner kritisieren andererseits ihre Regierung, weil sie sich mehr mit diesem außenpolitischen Streit beschäftigt als mit den Bedürfnissen der verarmten Bevölkerung. Die Pragmatiker und Reformer weisen die westlichen Forderungen zurück. Sie halten es aber angesichts der außenpolitischen Isolierung Irans und der Gefahr eines Krieges, der dem Land immens schaden würde, für vernünftig, das Angebotspaket des Westens anzunehmen.

Irans Einlenken hängt jedoch von der Entscheidung des Religionsführers ab, der qua Verfassung in letzter Instanz die Richtlinien der Innen- und Außenpolitik bestimmt. Die Entscheidungsträger in Iran scheinen weiterhin auf Zeit spielen und den Einzug Barack Obamas ins Weiße Haus abwarten zu wollen. Die Kriegstreiber in den USA und Israel wollen das verhindern – ein Interessenkonflikt, der zu einem Desaster führen könnte. Irans Ex-Präsident Rafsandschani warnt vor den USA: »Man muss die Kuh fürchten. Sie hat Hörner, und sie hat keinen Verstand.«

Allah, Iran und die Finanzen

Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad sieht den Auslöser für die weltweite Finanzkrise in fehlender Hinwendung zur Religion. Die zusammenbrechenden Bankensysteme bewiesen, dass nun »Gottes Vorhersage eintrifft, dass Tyrannen und Korrupte gehen und durch die Frommen und Gläubigen ersetzt werden müssen«, sagte Ahmadinedschad am Mittwoch im Fernsehen. Die Vorherrschaft der »internationalen Diebe« sei nun vorüber. Die Ursache für ihre Niederlage sei die Abkehr von »Gottesglauben und Frömmigkeit«, sagte der als Kritiker der USA bekannte iranische Staatschef. Wenn Gott es so wolle, werde nun eine »weltweite Regierung der Gerechtigkeit« eingesetzt – mit dem iranischen Volk an der Spitze. AFP

Kritik aus Frankreich

Verletzung der Menschenrechte in Iran gerügt

Frankreich hat den iranischen Botschafter einbestellt und die Verletzung von Menschenrechten in Iran kritisiert. Die französische Regierung, die derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, habe »die einstimmige Besorgnis« der EU-Mitgliedstaaten über »die schlechter werdende Menschenrechtslage« in der islamischen Republik verdeutlichen wollen, teilte das Außenministerium am Mittwoch in Paris mit.

Weil die iranischen Behörden sich einem Gespräch mit dem französischen Botschafter in Teheran verweigert hätten, habe Frankreich den iranischen Botschafter am Montag in Paris einbestellt. Das Außenamt habe vor allem auf die vielen Hinrichtungen von minderjährigen Straftätern in Iran hingewiesen sowie auf die Benachteiligung von Minderheiten.



* Aus: Neues Deutschland, 11. Oktober 2008


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