Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

April 2004

Friedensbewegung in den Medien

Am 29. April zog die "junge Welt" mit einem Artikel über den möglicherweise geplatzten Hanau-Deal nach. Es heißt in dem Artikel von Reimar Paul u.a.:

Vor den Toren der Hanauer Brennelementefabrik knallten am Mittwoch die Sektkorken. Die Umweltorganisation Greenpeace feierte das wahrscheinliche Aus für den seit Monaten heftig umstrittenen Verkauf der Atomschmiede nach China. Gleichzeitig forderten die Umweltschützer den Siemens-Konzern auf, die Anlage jetzt zu verschrotten.
(...)
Aus Protest gegen den geplanten Export hatte die atomkritische Ärzteinitiative IPPNW die Aktion »Hanau selber kaufen« gestartet. Im Rahmen der auch bei Atomgegnern nicht unumstrittenen Aktion sollen zunächst Bereitschaftserklärungen mindestens 50 Millionen und ein Euro gesammelt werden, um Siemens ein Angebot zu unterbreiten. Bei IPPNW hieß es gestern, die Aktion werde zunächst fortgesetzt. »So lange die Bundesregierung nicht erklärt, daß die Anlage nicht exportfähig ist, machen wir weiter«, sagte ein IPPNW-Sprecher. Nach seinen Angaben ist bislang mehr als eine Million Euro gesammelt worden.

Aus: junge Welt, 29.04.2004

Im Hessen-Teil der Frankfurter Rundschau wird die Siegesfeier in Hanau breit geschildert: "Mehr als ein Dutzend Greenpeace-Aktivisten haben nach dem geplatzten Atomfabrik-Geschäft gestern vor dem Siemens-Werktor in Hanau die Sektkorken knallen lassen." Außerdem gab es ein Interview mit IPPNW-Sprecher Frank Uhe, aus dem wir im Folgenden zitieren:

Frankfurter Rundschau: Auf Ihrer Homepage ist zu lesen: "Die Aktion ,Hanau selber kaufen' hat gewirkt". Verbuchen Sie den gescheiterten Verkauf der Anlage als Erfolg Ihrer Aktion?
Frank Uhe: Wir rechnen es uns als Erfolg an, das Geschäft mit China auf die Tagesordnung gesetzt und zu einem politischen Thema gemacht zu haben. Das hat den Druck entfaltet, den es brauchte, um das Geschäft politisch nicht mehr durchsetzbar zu machen.
Wie ist die Aktion verlaufen?
Mehr als 8.000 Menschen haben Kaufoptionen unterzeichnet, insgesamt ist etwa eine Million Euro zusammengekommen. Besonders zu Anfang gab es eine unglaubliche Unterstützung; mehrere hundert Faxe sind täglich bei uns eingegangen. Resonanz kam aus vielen Bevölkerungsgruppen: Jugendliche und Schulklassen haben sich ganz ernsthaft mit fünf bis zehn Euro Einsatz beteiligt, es kam aber auch Unterstützung aus Wirtschaft und Politik und von ganz normalen Bürgern. Besonders dankbar sind wir für die Beteiligung prominenter Künstler wie der Schauspieler Peter Sodann oder das Comedy-Duo Badesalz.
(...)
Die Bundesregierung lässt eine Exportgenehmigung prüfen, das Projekt gilt aber als auf Eis gelegt. Ist das Thema für sie vom Tisch? Die Kaufoptionen galten ja nur für den Fall, dass 50 Millionen zusammenkommen.
Das Thema ist überhaupt nicht vom Tisch, bisher ist es ein Teilerfolg. Die Anlage darf überhaupt nicht verkauft werden. Weder nach China, noch in ein anderes Land. Wir schlagen Siemens vor, die Anlage in zivile Technologie umzuwandeln. Erst, wenn der Verkauf definitiv verhindert wird, wäre die Aktion wirklich beendet.
Wie geht es für Sie weiter?
Bei unserer Aktion wurde deutlich, dass wirklich große Kreise der Bevölkerung gegen den Verkauf der Anlage sind. Deshalb ist es jetzt Sache der Bundesregierung, Klarheit zu schaffen und dem Antrag von Siemens nicht zu entsprechen. Wir werden weiter Druck auf die Politik ausüben, um eine Inbetriebnahme der Anlage endgültig zu verhindern.

Aus: Frankfurter Rundschau, 29.04.2004

Das vermutliche Ende des Hanauer Atomdeals mit China beherrschte die Berichterstattung in der Presse am 28. April 2004 (siehe: "Hanau-Deal endgültig gescheitert?"). Der Einfluss der Friedensbewegung, insbesondere der IPPNW auf die Entscheidung der Bundesregierung wurde indessen nur am Rande und indirekt (über den Druck der "grünen Basis") thematisiert.
In der Frankfurter Rundschau hieß es in einem Hintergrundartikel (Vera Graserow) z.B.:


(...) Befeuert von Protesten der Umweltverbände ballte sich vor allem an der grünen Basis wachsender Widerstand zusammen. Kreisverbände drohten mit Sonderparteitagen. Irgendwann muss dann die Grünen-Führungsspitze mittels ihres Frontmanns Joschka Fischer dem Kanzler klar gemacht haben: ein Ja zum Atomdeal würde die Koalition sprengen. "Aussitzen" hieß seitdem die Parole hinter der Standardformel: "Wir prüfen noch." (...)
>br> Aus: Frankfurter Rundschau, 28.0402004

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Ende April findet in New York die Vorbereitungskonferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages statt. Die Friedensbewegung ist mit einer Delegation dabei. Sie möchte mit Teilnehmern der UN-Sitzungen sprechen und eigene Stellungnahmen abgeben. Die "junge Welt" veröffentlichte ein Interview mit einem der deutschen Teilnehmer: Wolfgang Schlupp-Hauck, Mitglied im Vorstand der Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen und Projektmanager "60 Jahre Hiroshima". Das Gespräch führte Thomas Klein. Auszüge:

(...) Frage: Welche Organisationen stellen die Delegation?
(...) Wichtig ist, daß von den Nichtregierungsorganisationen "Mayers for Peace" beteiligt ist, eine Organisation bestehend aus den Bürgermeistern von Hiroshima und Nagasaki sowie anderer Großstädte. Ferner hat ein Parlamentarier aus Belgien sein Kommen angekündigt, der über seine Teilnahme an zivilen Inspektionen berichten will. Er war zusammen mit anderen Aktivisten in ein Atomwaffenlager in Belgien eingedrungen, da er als Parlamentarier keine Auskünfte zur Frage des Umfangs der Atomwaffenbestände erhalten hatte.
F: Welche Forderungen stellen Sie?
Abrüstung aller Atomwaffen! Den fünf offiziellen Atommächten USA, Rußland, vormals UdSSR, Frankreich, Großbritannien und China wurde zwar vorübergehend gestattet, Atomwaffen zu besitzen. Sie haben sich per Atomwaffensperrvertrag aber verpflichtet, Verhandlungen mit dem Ziel "vollständige Abrüstung aller Atomwaffen" aufzunehmen. Das war vor mehr als 30 Jahren. Die bisherigen Abrüstungsschritte waren jedoch nur minimal.
F: Heute besteht die Gefahr, daß zu den fünf offiziellen Atomwaffenmächten sowie den drei de facto über Atomwaffen verfügenden Ländern, Indien, Pakistan und Israel, noch weitere hinzukommen?
Es gibt sogar zwei große Gefahren: Daß die Atomwaffenmächte ihrer Abrüstungsverpflichtung weiterhin nicht nachkommen oder gar aus aus dem Sperrvertrag aussteigen. Und die, daß Atomwaffen mit dem Ziel weiterentwickelt werden, sie auch einzusetzen. Dem halten wir einen Vorschlag entgegen, den der Bürgermeister von Hiroshima entwickelt hat: eine atomwaffenfreie Welt bis zum Jahr 2020. Er stützt sich dabei auf den Entwurf einer Nuklearwaffenkonvention, die als UN-Dokument anerkannt ist. In diesem wird das Szenario einer vollständigen atomaren Abrüstung entwickelt.
F: Ist die Umsetzung des UN-Entwurfs mit Blick auf die aktuellen Atommächte nicht faktisch ausgeschlossen?
Zunächst einmal sind vor allem Nichtregierungsorganisationen von dieser Idee begeistert. Und tatsächlich wollen sich Mitglieder der US-Regierung keinesfalls auf so etwas einlassen. Umso wichtiger ist es, daß der öffentliche Druck in dieser Frage erheblich größer wird.

Aus: junge Welt, 23. April 2004

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Die Lebensdauer der Ostermärsche in den Medien kann durch Leserbriefe verlängert werden. Beispiel: Der Leserbrief von Manfred Kirsch in der Frankfurter Rundschau vom 16. April - an hervorgehobener Stelle auf der Seite "Standpunkte":

OSTERMÄRSCHE
Rüstung mit Sozialabbau
Lesermeinung zu den Ostermärschen 2004:

Die Tatsache, dass Friedensbewegung und Gewerkschaften erstmals auch das Thema Sozialabbau ins Motto der Ostermärsche gerückt haben, ist nur konsequent. Denn wer viel Geld für Waffen, Aufrüstung und Krieg ausgibt, der versündigt sich an denjenigen Menschen, die weltweit unter Hunger und hier zu Lande zumindest unter Armut leiden müssen. Es scheint eine Verbindung zu geben zwischen dem globalen Wettstreit um ökonomische Ressourcen und der Militarisierung der Außenpolitik, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Das Recht des Stärkeren wird offensichtlich sowohl in der internationalen Politik wie im Abbau sozialer Bürgerrechte dieser Republik zur neuen Leitlinie politischen Handelns. Verwertbarkeit und die Frage nach der ökonomischen Nützlichkeit (für wen?) begleiten diesen Prozess.

Vor zehn Jahren wäre es noch undenkbar gewesen: Die Sicherheit der Bundesrepublik wird am Hindukusch verteidigt, wie der Verteidigungsminister behauptet. Doch die Bundeswehr hat sich längst von einer Armee der Landesverteidigung zu einer Eingreiftruppe für weltweite Operationen gewandelt. Gleichzeitig erleben wir den schärfsten Angriff auf die sozialen Errungenschaften seit Bestehen dieser Republik. Dieser Wandel geht nicht einher mit Säbelrasseln, sondern leise, unter den Vorzeichen von "gesteigerter Effizienz" und "sicherheitspolitischen Notwendigkeiten".

Frieden und Sicherheit lassen sich jedoch nicht durch militärische Effizienz erreichen. Das zeigt das Debakel der US-Besatzung in Irak. Angesichts des breiten Angriffs auf die sozialen Sicherheitssysteme und zunehmender Militarisierung ist es umso wichtiger, dass die Friedensbewegung, wie bei den diesjährigen Ostermärschen, der Logik der Militärstrategen die Logik praktischer Friedensarbeit und sozialer Gerechtigkeit entgegensetzt.

Manfred Kirsch, Neuwied

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Sowohl ZDF als auch ARD (Tagesschau) berichteten am 12. April abends relativ ausführlich über die Ostermärsche. Die Ostermärsche 2004 beherrschen nicht die Titelseiten der überregionalen Zeitungen am Dienstag, den 13. April, werden häufig aber schon auf Seite 1 angekündigt - in der Frankfurter Rundschau sogar mit großem Foto. In den politischen Teilen finden sich aber überall mehr oder weniger lange zusammenfassende Berichte. So z.B. im "Neuen Deutschland" mit Artikeln über den Ostermarsch Ruhr, die Ostermärsche in Baden-Württemberg und natürlich die Demonstration zum "Bombodrom". Der umfassendere Teil der Berichterstattung findet in den Lokalausgaben statt. Hier werden in der Regel Zitate aus den Reden sowie die politischen Botschaften der Veranstalter transportiert. Nicht selten sind die Artikel auch bebildert.

Beginnen wir den Reigen der Pressestimmen mit einem Übersichtsartikel in der "jungen Welt":


(...) Während die Teilnehmerzahl nach Ansicht des Ostermarschbüros in Frankfurt/Main den Erwartungen der Veranstalter entsprochen hat, erklärte Peter Strutynski für den Bundesausschuß Friedensratschlag, man könne mit der Beteiligung angesichts der dramatischen Lage im Irak und anderer Herausforderungen »nicht rundum zufrieden sein«. Die Demonstranten hätten sich aber als »Sprachrohr der Bevölkerungsmehrheit« betätigt, die den Irak-Krieg immer abgelehnt habe und auch keine Kriegseinsätze der Bundeswehr in aller Welt wünsche. Die Ostermarschierer seien stellvertretend für alle Menschen auf die Straße gegangen, die vor einem Jahr gegen den Irak-Krieg protestiert hätten.

Beim größten Ostermarsch protestierten am Sonntag etwa 8000 Demonstranten gegen das geplante »Bombodrom« der Bundeswehr in der Kyritz-Ruppiner Heide in Brandenburg. Bei der Abschlußkundgebung erklärte Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), er wolle sich bei der Bundesregierung gegen die Wiederinbetriebnahme des ehemals sowjetischen Truppenübungsplatzes einsetzen. Keine andere Region in Deutschland habe in der Vergangenheit eine so hohe Belastung durch Militärübungen ertragen müssen. Auch die stellvertretenden Regierungschefs von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, Harald Wolf und Wolfgang Methling (beide PDS), sprachen sich gegen das »Bombodrom« aus.

Die Pläne für die Wiederinbetriebnahme des ehemaligen Truppenübungsplatzes zeigten, wie weit sich auch Europa und Deutschland von einer friedlichen Welt wegbewegt hätten, erklärte Ute Watermann von den Internationalen Ärzten gegen den Atomkrieg. Die jährlich geplanten 1700 Flüge zum Training von Bombenabwürfen dienten nicht der Landesverteidigung, sondern zur Intervention in anderen Ländern. Bundesregierung und Europäische Union verfolgten mittlerweile eine ähnliche »militärische Offensivstrategie« wie die USA, so Watermann.

(...) Auch in der Colbitz-Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt verlangten die Demonstranten die zivile Nutzung des von der Bundeswehr zum Training von Auslandseinsätzen genutzten Gebietes. Prominentester Redner war hier der »Tatort«-Kommissar und Intendant des Neuen Theaters in Halle, Peter Sodann.

In Dortmund ging gestern ein dreitägiger Ostermarsch durch das Ruhrgebiet zu Ende; hier wie auch anderenorts waren viele Teilnehmer mit Fahrrädern unterwegs. Größere Demonstrationen mit bis zu 1000 Teilnehmern gab es auch in Berlin – dort fanden am Montag nachmittag unter Beteiligung mehrerer hundert Menschen eine Kundgebung und eine Podiumsdiskussion über die europäische Verfassung und die zunehmende Militarisierung Europas statt –, Frankfurt/Main, Karlsruhe, München und zahlreichen weiteren Orten. Neben regionalen Fragen stand die Forderung nach einem Ende der Besetzung des Irak im Mittelpunkt der Veranstaltungen. Die Warnungen der Friedensbewegung vor Beginn des Irak-Feldzugs hätten sich als zutreffend erwiesen, betonten viele Redner bei den Kundgebungen. Einmal mehr habe sich gezeigt, daß mit militärischer Gewalt weder Frieden noch Demokratie erzwungen werden könnten. Die Besatzungstruppen müßten das Land umgehend verlassen.

Die von den USA angeführten Kriege gegen Irak und Afghanistan hätten nur weiteren Haß hervorgerufen und den islamistischen Terror gestärkt, sagte Manfred Stenner vom Netzwerk Friedenskooperative. Die weltweite terroristische Bedrohung sei zum großen Teil das Resultat einer »falschen Globalpolitik des Westens«. So rekrutierten sich die gefährlichsten Terrorbanden aus vor Jahren von den USA in Afghanistan gegen die sowjetische Besatzungsmacht aufgestellten islamistischen Guerillaverbänden. In vielen Orten protestierten die Ostermarschierer zudem gegen den Sozialabbau. (...)

Aus: junge Welt, 13.04.2004

Die taz liebt es kürzer:

Tausende von Demonstranten kamen am vergangenen Wochenende in mehreren Städten zu den traditionellen Ostermärschen zusammen. In Frankfurt am Main versammelten sich gestern mehr als 1.000 Menschen. Außerdem waren Veranstaltungen unter anderem in Berlin, Dortmund, München, Hamburg, Kassel, und Nürnberg angesetzt.
Die größte Demonstration war schon am Sonntag in Brandenburg über die Bühne gegangen, wo 8.000 Teilnehmer gegen die erneute Nutzung des Bombenabwurfplatzes Wittstocker Heide durch die Bundeswehr protestierten. Auch in der Colbitz-Letzinger Heide forderten Friedensinitiativen, dass die Heide durch ökologische Arbeitsplätze umgestaltet wird.
Im Ruhrgebiet machten die Ostermarschierer am Sonntag auf ihrem Weg von Essen nach Bochum unter dem Motto: "Ja zu einem sozialen Europa, Nein zur EU-Militärverfassung" Zwischenstation in Gelsenkirchen, Wattenscheid und Herne.
In der KZ-Gedenkstätte Buchenwald in Thüringen gedachten die Demonstranten der Opfer des Naziregimes.
Im Mittelpunkt der meisten Ostermärsche stand die Forderung nach einem Ende der Besatzung in Irak, baldigem Frieden und freien Wahlen dort. Bereits seit Karfreitag hatten nach Angaben der Veranstalter mehrere tausend Kriegsgegner vor einer Militarisierung Europas gewarnt, die sich im Entwurf einer europäischen Verfassung ausdrücke, und stattdessen mehr soziale Gerechtigkeit gefordert.
Die Tradition der Ostermärsche geht auf Friedensinitiativen in den Sechzigerjahren zurück, mitbegründet durch den Philosophen Bertrand Russell. Beim ersten Ostermarsch in Deutschland im Jahre 1960 hatten nur 1.000 Leute demonstriert. 1968 hatten 300.000 Menschen an dem Friedensmarsch teilgenommen. In diesem Jahr entsprach die Zahl der Teilnehmer den Erwartungen der Veranstalter, hieß es. Erst am vorvergangenen Wochenende waren 500.000 Leute gegen Sozialabbau auf die Straße gegangen.

Aus: taz, 13.04.2004

Bruchstückhaft auch der Übersichtsartikel in der Frankfurter Rundschau:

Mehrere tausend Menschen haben mit Ostermärschen in über 50 deutschen Städten für weltweite Abrüstung und gegen soziale Kürzungen in der Bundesrepublik demonstriert. Zum Abschluss der Proteste stand am Ostermontag die Forderung nach einem sofortigen Stopp des Irak-Kriegs und der Organisation freier Wahlen unter UN-Aufsicht im Mittelpunkt. (...) Am Montag wurden unter anderem Märsche aus Hamburg, Dortmund, Frankfurt am Main, Kassel, Nürnberg, Landshut und Ulm gemeldet.
Die größte Veranstaltung fand am Sonntag in Fretzdorf im Norden Brandenburgs statt. Dort demonstrierten 7000 Menschen gegen die geplante militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide, darunter auch Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), der stellvertretende Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Wolfgang Methling (PDS) und der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS). Auf Transparenten war zu lesen "Bundeswehr abschaffen!" und "Schröder - Friedenskanzler?". (...)
In Nordrhein-Westfalen ging am Montag der "Ostermarsch Ruhr 2004" mit der Etappe von Bochum nach Dortmund zu Ende. Die Veranstalter berichteten von 500 Teilnehmern. Ein rund 35 Kilometer langer Fahrradcorso hatte am Sonntag von Essen nach Bochum geführt. Bereits am Samstag hatten 600 Menschen in Karlsruhe gegen den Irak-Krieg und für ein Europa des Friedens demonstriert. In der Colbitz-Letzlinger Heide bei Magedeburg trafen sich rund 250 Ostermarschierer.

Aus: FR, 13.04.2004

Und im lokalen Konkurrenzblatt war über die Ostermärsche folgendes zu lesen:

Mehrere tausend Menschen haben am Ostermontag in Frankfurt und Kassel zum Abschluss der Ostermärsche friedlich gegen den Irak-Krieg protestiert. In Frankfurt gingen nach Angaben der Polizei etwa 1100 Menschen auf die Straße, die Veranstalter sprachen von 3000 Teilnehmern. Nach einem Sternmarsch trafen sich die Demonstranten zur Abschlusskundgebung vor dem Römer. In Kassel demonstrierten laut Polizei etwa 600 Menschen, nach Veranstalterangaben waren es 1000 Ostermarschierer.
Von Karfreitag bis Ostermontag hatten bundesweit mehrere tausend Menschen an den Aktionen teilgenommen. Im Mittelpunkt des Protests stand der Irak-Krieg. "Angesichts der dramatischen Lage im Irak kann man mit der Beteiligung nicht rundum zufrieden sein", sagte am Montag einer der Organisatoren, der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag Peter Strutynski. Die Ostermarschierer hatten vor allem den Abzug der Besatzungstruppen aus dem Irak und die Vorbereitung von Wahlen unter Aufsicht der Vereinten Nationen gefordert. Laut Strutynski wurde in vielen Reden darauf hingewiesen, dass "die desaströse Lage im Irak einzig und allein die Folge des völkerrechtswidrigen und auf Lügen aufgebauten Krieges" sei. Den Besatzungsmächten sei es nicht gelungen, die Situation im Land zu stabilisieren.

Aus: Frankfurter Neue Presse, 13.04.2004

Die Süddeutsche Zeitung kommentierte die Friedensbewegung wieder einmal ins Museum. Es hat fast den Anschein, als sei der Text aus dem SZ-Archiv herausgekramt worden: Solche Kommentare gab es in den 90er Jahren nämlich haufenweise. Und dann kam der Massenprotest gegen Bush und gegen den Irakkrieg! Der Bericht über den Münchener Ostermarsch im Lokalteil thematisierte die angeblich geringe Resonanz und die Unzeitgemäßheit der Demonstration. Doch zitieren wir aus dem SZ-Kommentar (Autor: Joachim Käppner):

(...) Als die Friedensbewegung noch eine Macht im Lande war, liebte sie ein Brecht-Zitat, das millionenfach auf Parkas und Schultaschen prangte: Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin. Wer an Ostern das Häuflein der letzten Aufrechten heranziehen sah, war eher versucht zu denken: Stell dir vor, es ist Frieden, und keiner geht hin, zum Ostermarsch nämlich.
Ein wenig wirkten die Mini-Märsche, als seien ihre Teilnehmer direkt aus dem Museum für die Geschichte der Bundesrepublik gekommen. Nur der Protest gegen den Brandenburger Luftwaffen-Übungsplatz brachte eine größere Demonstration zustande – wobei die Sorge vor dem Fluglärm insgesamt intensiver war als die um den Weltfrieden.
Die Zeit ist über die Friedensbewegung hinweggegangen – jedenfalls über jene, die in den achtziger Jahren Hunderttausende gegen die atomare Nachrüstung auf die Straßen brachte, und die zwar in einem Netzwerk von Organisationen und Gruppen fortlebt, deren Anspruch aber, „Sprachrohr der Mehrheit“ zu sein, milde gesagt den Realitätsverlust der Bewegung treffend widerspiegelt.
Diese hatte nämlich auf die Konflikte seit dem Kalten Krieg keine rechte Antwort gewusst: wie das Morden auf dem Balkan zu beenden oder den islamistischen Terroristen in Afghanistan beizukommen sei, wenn nicht durch den massiven Einsatz bewaffneter Macht. (...)

Aus: SZ, 13.04.2004

Brigitte Fehrle setzt in der "Berliner Zeitung" noch eins drauf: Es sei gut, wenn an Ostern die Leute zu Hause blieben, denn für den Frieden setzte man sich anders und an anderen Stellen ein. Bei der Gelegenheit wurde gleich auch noch der 1. Mai entsorgt:

(...) Wer immer jetzt beklagen möchte, angesichts der Größe der Probleme in der Welt seien zu wenig Menschen auf die Straße gegangen, wer mangelnde Friedensliebe oder gar Gleichgültigkeit gegen das Elend in der Welt unter den Deutschen vermutet, liegt ganz falsch. Es ist gut, oder jedenfalls ganz und gar in Ordnung, dass die Leute an Ostern zu Hause bleiben, in der Sonne sitzen, das Osterfeuer anzünden, mit ihren Kindern Osternester basteln und suchen, was der Hase versteckt hat. Friedensliebe und Friedenswillen, soziales und politisches Interesse haben nichts, aber auch gar nichts mit den ritualisierten Märschen an immergleichen Tagen im Jahr zu tun. Ostern taugt so wenig zu politischen Manifestationen wie der 1. Mai, egal ob ihn die Nachfolger der Arbeiterbewegung für sich reklamieren oder in historisch jüngster Zeit die selbst ernannten Revolutionäre aus Kreuzberg. (...)

Politische Anteilnahme und menschliches Mitgefühl zeigen sich anders. Sie brauchen kein Datum. Sie sind stets da, wo sie gebraucht werden, wo sie nötig scheinen. Eltern bringen sie auf, wenn sie mit viel Energie und Geduld ihre Kinder lehren, wie man streiten kann, ohne zerstritten zu sein. (...)

Mitgefühl, Anteilnahme zeigt sich auch dann, wenn - wie nach dem Anschlägen in Madrid - Menschen spontan Blumen vor der Botschaft in Berlin niederlegen. Auch die hunderttausend, die nach dem 11. September in New York und Washington in Berlin demonstriert haben, bewiesen, dass sie wach sind.

Das sind die "Ostermärsche", die wir brauchen. (...)

Aus: Berliner Zeitung, 13.04.2003

Tissy Bruns sieht das in ihrem Kommentar im Berliner "Tagesspiegel" ("Höfliches Halbinteresse") anders. Sie verteidigt die Demonstrationen als Mittel der Politik - räumt ihnen indessen nur einen geringen Einfluss auf das politische Handeln der Regierenden ein.

(...) Mit den Mitteln der grundgesetzlich garantierten Versammlungsfreiheit, mit Demonstrationen, Kundgebungen, Aktionen, dürfen und sollen die Bürger Einfluss nehmen auf Politik. Ob und wie die repräsentativ gewählten Politiker darauf reagieren oder nicht, darin drückt sich aus, wie eine liberale Demokratie sich ausbalanciert, die beides braucht: Führung und einen selbstbewussten Bürgerwillen.

Als Zeichen von Stärke erweist sich das höfliche Halbinteresse der Politik bei näherem Hinsehen nicht, nur als eins einer neuen Schwäche. Wenn die diesjährigen Kundgebungen die rot-grüne Bundesregierung relativ kalt lassen, dann nur, weil sie sich bereits empfindlich unter Druck sieht: Mehr als alle Demonstrationen lassen sich Politiker vom Stimmungsbarometer Umfrage bewegen, und zwar in allwöchentlicher Penetranz.

Theoretisch könnte man es für einen demokratischen Zugewinn halten, wenn als wirksamste Drohung des Bürgers beim Politiker ankommt: „Wir wählen euch nicht mehr.“ Praktisch nicht. Starke Demonstrationen verlangen von Politikern Bürgernähe. Mit Umfragen spricht man nicht. Demokratisch führen kann nur, wer überzeugt und sich deshalb durchsetzt. Je ungewohnter politische Prozesse sind, desto weniger leuchten sie sofort ein, desto mehr sind sie angewiesen auf die öffentliche Auseinandersetzung. Die rot-grüne Regierung hat drastisch erlebt, dass mediale Kommunikation die vielen Formen der direkten nicht ersetzen kann. Zeit, dass sie daraus lernt.

Aus: Tagesspiegel, 13.04.2004

Einen guten Überblick über die Ostermärsche in Baden-Württemberg brachten die Stuttgarter Nachrichten:

Zum Abschluss der bundesweiten Ostermärsche haben am Montag mehrere hundert Menschen auch in Baden-Württemberg gegen den Irak-Krieg protestiert. In Ulm setzten sie sich unter dem Motto «Nie wieder Krieg - Leben ohne Rüstung» für ein friedliches Europa ein. Auf dem künftigen «Sophie und Hans Scholl»- Platz in Ulm verlas der Grüne Stadtrat Markus Kienle ein Grußwort von Elisabeth Hartnagel-Scholl, der Schwester der beiden Nazi-Opfer. Die Veranstalter forderten eine «Entmilitarisierung» der geplanten EU- Verfassung. Präventivkriege sollten verboten, Geld aus Abrüstung für soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und Bildung eingesetzt werden.

In Müllheim (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) trafen sich die Ostermarschierer zur Demonstration «Frieden ist das Mindeste» vor der Robert-Schuman-Kaserne und zur Kundgebung auf dem Marktplatz. Der 13. Internationale Bodensee Ostermarsch in Rorschach stand unter dem Motto «Frieden ist möglich!».

Bereits am Samstag hatten 1000 Menschen in Karlsruhe und Ellwangen (Ostalbkreis) gegen den Krieg im Irak und für ein Europa des Friedens demonstriert. Nach Polizeischätzungen kamen über 600 Menschen zum landesweiten Ostermarsch nach Karlsruhe. Die Demonstranten forderten auf dem Marktplatz, die EU solle sich Kriegen verweigern und diese ächten. Europa müsse militärische Interventionen als Mittel der Politik ausschließen und stattdessen für soziale Gerechtigkeit in aller Welt eintreten.

Kein Tag in der jüngeren Geschichte habe regierende Politiker so blamiert wie der 15. Februar 2003, als in europäischen Hauptstädten Menschen gegen den bevorstehenden Krieg im Irak demonstriert hatten. Damals habe sich gezeigt, dass die Menschen in Europa und auf der ganzen Welt Frieden wollten, nicht Krieg. Die geplante EU-Verfassung lehnten Sprecher der Friedensverbände ab, da sie die Mitgliedstaaten zu einer ständigen Steigerung ihrer Rüstungsausgaben verpflichte und zudem ein neoliberales Wirtschaftsmodell statt sozialstaatlicher Verpflichtungen festschreibe. Zu der Demonstration hatten Vertreter von Kirchen, Gewerkschaften und Friedensinitiativen aufgerufen.

In Ellwangen beteiligten sich laut Polizei etwa 300 Menschen am Ostermarsch. Unter dem Motto «Frieden braucht Gerechtigkeit» wandten sich mehrere Redner auf der Abschlusskundgebung gegen Rüstungsprojekte und Sozialabbau.

Aus: Stuttgarter Nachrichten (Online-Ausgabe), 12.04.2003

Am 11. April, berichteten die wenigen auch am Sonntag erscheinenden Zeitungen in kleineren Meldungen. Die Sonntagszeitung der Frankfurter Allgemeinen immerhin auf der Titelseite:

Bei Ostermärschen in mehr als 30 deutschen Städte haben am Samstag nach Angaben der Veranstalter mehrere tausend Menschen für Frieden demonstriert. Schwerpunkt der Demonstrationen war die Verurteilung des Irak-Kriegs. Die Teilnehmer protestierten aber auch gegen Sozialabbau, für ein friedliches Europa und für Abrüstung. "Wir sind mit der Beteiligung zufrieden", sagte ein Sprecher des zentralen Ostermarschbüros in Frankfurt. Die Zahl der Teilnehmer sei vergleichbar mit 2002. Im vergangenen Jahr seien es wegen des Irak-Krieges mehr Demonstranten gewesen. Die größte Demonstration gab es mit 600 Teilnehmern in München; auch in Karlsruhe, Kiel, Hannover, Bremen, Braunschweig und Düsseldorf gingen Menschen auf die Straße.

Aus: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 11.04.2004

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Am Samstag, den 10. April brachten viele Zeitungen noch die Ankündigungen der Ostermärsche. Hörfunk und Fernsehsender - insbesondere die Regionalnachrichten der dritten Programme - berichteten in Ton und Bild von den Aktionen, die an diesem Tag in vielen Städten stattfanden. Hinzu kamen Interviews mit Demonstrationsteilnehmern sowie Hintergrundsendungen (z.B. eine Dreiviertelstunde am 11. April im Hessischen Rundfunk). In der Frankfurter Rundschau befand sich schon ein erster Zwischenbericht über die Ostermärsche:

Mit Forderungen nach Abrüstung und mehr sozialer Gerechtigkeit haben am Freitag in mehreren deutschen Städten die diesjährigen Ostermärsche begonnen. Im Zentrum der Aktionen, die von Demonstrationen über Kundgebungen und Fahrradtouren bis hin zu Friedensgottesdienste reichen, stehen neben der Kritik am Sozialabbau und dem Umbau der Bundeswehr zur Einsatzarmee auch die Forderung nach einer Ächtung des Irak-Krieges.
(...) In Berlin machten sich am Morgen bei nasskaltem Wetter rund 20 Kriegsgegner in Richtung des Truppenübungsplatzes "Bombodrom" im Norden Brandenburgs auf. Zuvor hatten die Demonstranten vor der Neuen Wache am Boulevard Unter den Linden einen Kranz niedergelegt, dessen Schleife die Aufschrift "Im Gedenken an die Deserteure - weltweit" trug. Weitere Aktionen waren am Freitag unter anderem in Chemnitz, Dortmund, Leipzig sowie im hessischen Bruchköbel geplant.
(...) Der katholische Militärbischof Walter Mixa kritisierte das Motto der Ostermärsche als "verfehlt". Im Südwestrundfunk (SWR) sagte Mixa am Donnerstag, wer gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr sei, verkenne die Aufgaben und Leistungen der Soldaten. Die Bundeswehr helfe an ihren Einsatzorten, etwa auf dem Balkan oder in Afghanistan, den Menschen und arbeite für den Frieden. Der Einsatz von Waffengewalt als letzte Möglichkeit sei dann angemessen, wenn es darum gehe, Schlimmeres zu verhindern, sagte Mixa. Er sagte weiter, dass er sich Bundeswehreinsätze im Inland vorstellen könne, etwa zur Verstärkung der Polizei bei der Abwehr von Terror.

Aus: Frankfurter Rundschau, 10. April 2004

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Die Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag zu den bevorstehenden Ostermärschen fand recht gute Beachtung in den überregionalen Medien. Gewohnt gut platziert in der alternativen Internetzeitung www.ngo-online.de.

Die Kunde drang auch bis zur "Berliner Zeitung", die sich am 6. April noch so despektierlich über die Friedensbewegung in Berlin geäußert hatte (siehe das Interview in der "jungen Welt" vom 7. April weiter unten). Die "BZ" berichtete am 7. April:

KASSEL. Die Friedensbewegung hat zu ihren traditionellen Ostermärschen aufgerufen. In diesem Jahr seien zwar nicht annähernd so viele Demonstranten zu erwarten wie 2003, als die Empörung über den Irak-Krieg groß war, erklärte der Bundesausschuss Friedensratschlag. Aber die Friedensbewegung sehe neue Herausforderungen, etwa die negativen Folgen der Terrorismusbekämpfung. In mehr als 60 Städten und Regionen werden den Angaben zufolge Demonstrationen erwartet. (epd)

Aus: BZ, 7. April 2004

Das "Neuen Deutschland" berichtete in einem größeren Artikel ("Friedensradeln in die Heide", Autor: Strohschneider) über die vielfältigen Osteraktionen:

Im Mittelpunkt der diesjährigen Osteraktionen der Friedensbewegung stehen Proteste gegen Kürzungen von Sozialleistungen; die Besetzung Iraks und die militärische Aufrüstung der EU.

Berlin (ND-Strohschneider). Wie in den vergangenen Jahren mobilisiert die Friedensbewegung von Karfreitag bis Ostermontag zu Protestaktionen. In mehr als 60 Städten sind Veranstaltungen geplant. Schwerpunkte sind nach Angaben des zentralen Ostermarschbüros das Ruhrgebiet, München, Berlin und die militärischen Übungsgelände in der Kyritz-Ruppiner Heide (Brandenburg) und der Colbitz-Letzlinger Heide.

Die Aktion im Norden Sachsen-Anhalts beginnt bereits am Karfreitag viele Kilometer südöstlich mit dem Start einer Radtour Leipziger Ostermarschierer in Richtung Heide; am Ostersonntag machen sich eine weitere Radtour und ein Autocorso aus Magdeburg auf den Weg. Die Friedensbewegung kritisiert unter anderem, dass durch die militärische Nutzung von Teilen der Heide die Trinkwasserversorgung für rund 600.000 Menschen gefährdet sei. Darüber hinaus trainiert auf dem Gelände die Bundeswehr für Auslandseinsätze – ein weiterer Schritt von der zivilen zur militärischen Gesellschaft, heißt es in einem Aufruf zu den Aktionen.

In Berlin wollen sich Ostermarschierer vor allem gegen die Aufrüstung der Europäischen Union wenden und auf »die militärischen Aspekte im Entwurf der Europäischen Verfassung aufmerksam machen«, so Laura von Wimmersperg von der Friedenskoordination Berlin. Im Mittelpunkt des Berliner Ostermarsches steht eine Podiumsdiskussion zur EU-Verfassung und ein von einem umfangreichen Kulturprogramm begleitete Kundgebung.

Die Aktionen in der Hauptstadt fallen allerdings bescheidener aus als in den Vorjahren. Grund dafür seien vor allem die bereits in den letzten Wochen durchgeführten zahlreichen Veranstaltungen. Eine geringe Beteiligung bundesweit erwartet auch der Bundesausschuss Friedensratschlag. Allerdings gingen die Ostermarschierer »stellvertretend für all die Menschen auf die Straße, die vor einem Jahr gegen den Irak-Krieg waren und es heute immer noch sind«, so der Sprecher des Friedensratschlags, Peter Strutynski.

Blinklichter des Friedens sollen am Ostersamstag an der Ostsee leuchten – organisiert unter anderem vom Rostocker Friedensbündnis. Wie in Flensburg, Kiel, Lübeck, Sassnitz und anderen Städten entlang der Küste wollen die Ostermarschierer dabei auch auf den Zusammenhang zwischen Rüstung und Sozialabbau in der Bundesrepublik eingehen. Die Friedensbewegung fordert, statt an den vermeintlich notwendigen Sozial-»Reformen« festzuhalten, die Aufwendungen für Rüstung und die fortschreitende Militarisierung der deutschen Außenpolitik zurückzufahren. Zahlreiche Gruppen der Friedensbewegung hatten auch die sozialpolitischen Protestdemonstrationen am 3. April unterstützt.

Aus: Neues Deutschland, 7. April 2004

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In der "jungen Welt" vom 7. April wurde eine Terminübersicht über zahlreiche Ostermärsche veröffentlicht. Außerdem wurde Laura von Wimmersperg von der Berliner Friedenskoordination befragt, warum es in Berlin diesmal statt des traditionellen Ostermarsches "nur" eine Kundgebung und ein Fest gebe. Auszüge aus dem Interview:

Frage: Die Berliner Zeitung mokierte sich am Dienstag unter der Überschrift »Gelangweilt vom Marschieren« über die geplanten Aktionen der Ostermarschbewegung in Berlin. Was ist vorgesehen?
Laura v. Wimmersperg: Es ist richtig, daß wir diesmal keinen Marsch durch die Stadt machen, weil wir in den letzten Wochen vier verhältnismäßig große und einen ganz großen Demonstrationszug hatten. Wir denken, daß eine festliche Ostermarschkundgebung in diesem Fall mehr anspricht und haben daher zwischen Neptunbrunnen und Marienkirche ein Fest vorgesehen, eine Kundgebung mit festlichem Charakter.
F: Was sagen Sie, wenn es dazu heißt »Gelangweilt vom Marschieren«?
Das ist unerfreulich. Ich denke, wenn Journalisten nicht mit uns gesprochen haben, dann saugen sie sich irgend etwas aus den Fingern. Vielleicht glauben sie, einer Tendenz folgen zu müssen, die vor allem eins will: Das Publikum von diesen politischen Aktivitäten ablenken. Dazu gehört, daß wir immer wieder gefragt werden, ob der Ostermarsch überhaupt noch aktuell ist. Die nächste Frage ist dann bei entsprechender Gelegenheit: Wo ist die Friedensbewegung? Man möchte uns gern als Feigenblatt der Nation benutzen und fordert uns auch auf, es zu sein. Wir sind es aber nicht. Es gibt in dieser Stadt viele friedenspolitisch bewußte Menschen, die nehmen an den Aktivitäten der Friedensbewegung teil. Sie werden sich auch nicht von solchem Schwachsinn wie in der Berliner Zeitung ablenken lassen.

Aus: jW, 7. April 2004

Die taz berichtete ebenfalls über die Entscheidung, in Berlin keine Oster-Demo zu machen. Es heißt dort u.a.:

(...) Dieses Jahr wird am Ostermontag alles an einem Ort stattfinden: zwischen Neptunbrunnen und Marienkirche vor dem Roten Rathaus.
Die Friedenskoordination Berlin (Friko), für die Organisation zuständig, nennt es "Festliche Osterkundgebung". "Es gab in den letzten Wochen sehr viele Demonstrationen, und wir haben uns im Rahmen des Sozialbündnisses an deren Organisation beteiligt", sagt Laura von Wimmersperg von der Friko. Deshalb sei die Entscheidung für eine Kundgebung an einem Ort gefallen.
Von Wimmersperg erklärt das Motto der montäglichen Demo: "Wir wehren uns gegen die geplante Europäische Verfassung, die Rüstungsforschung vorsieht." Die gleichen Kräfte, die die Militarisierung von Europa betrieben, zerstörten auch das soziale Netz durch Kürzungen in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit und Soziales, sagt die Aktivistin. Dies sei eine Umverteilung von unten nach oben. "Und wir wollen sehen, was die Menschen außerhalb Europas von der Militarisierung halten." Deshalb sollen in der geplanten Podiumsdiskussion auch Menschen aus Lateinamerika, Polen, Italien und dem Iran zu Wort kommen, die zurzeit alle in Berlin wohnen.
Bei dem Programm sollen sich Diskutieren und Musikmachen explizit nicht ausschließen, betonen die MacherInnen. Jutta Kausch leitet das Kulturprogramm: "Wir wollen die Künstler nicht nur als schmückendes Beiwerk, sondern zeigen, dass sie auch etwas zu sagen haben."
Kausch selbst ist Schauspielerin und engagiert sich in der Initiative "KünstlerInnen gegen den Krieg". Man müsse weg, von herkömmlichen "Kundgebungen", bei denen nur Reden gehalten würden, findet sie. Die Veranstaltung am Ostermontag bezeichnet sie deshalb auch als "Gesamtkomposition": eine Mischung aus Lesung, Musik und Diskussion.

Aus: taz, 6. April 2004

Unter der Überschrift "Gelangweilt vom Marschieren" berichtete über den Nicht-Ostermarsch die Berliner Zeitung (Elmar Schütze) u.a.:

Da hatte jemand Angst vor seiner eigenen Courage. "Der traditionelle Ostermarsch", meldete gestern die Nachrichtenagentur ddp, "fällt in diesem Jahr in Berlin bescheiden aus." Das ist falsch. Richtig wäre gewesen: "Der traditionelle Ostermarsch fällt aus." Am Montag findet nur eine "festliche Kundgebung" in Mitte (14-18 Uhr, Spandauer Straße zwischen Neptunbrunnen und Marienkirche) statt. Das sagte Laura von Wimmersperg, Sprecherin der Berliner Friedenskoordination, gestern.
Dem Kollegen von der Agentur sei verziehen, dass ihm bei der Formulierung das Herz in die Tastatur gerutscht ist. Immerhin erleben wir das Ende einer Ära. Ostern wurde marschiert, zumindest im Westen. In den Fünfzigern gegen die Wiederbewaffnung. In den Achtzigern gegen Nato-Doppelbeschluss, Helmut Schmidt, die USA, aber irgendwie auch gegen Atomkraftwerke und Kapitalismus.
Jetzt, sagt Laura von Wimmersperg, sei die Bewegung müde. Von der Bewegung quasi, oder wie es Wimmersperg begründet: von der Vielzahl vorangegangener Demos, an denen sich die Friedenskoordination beteiligt habe.
Kann schon sein, ist ja auch eine elende Hetzerei. Zuletzt am Sonnabend bei der "Sozial Parade". 250 000 hatten gegen Agenda 2010, den Kanzler, die USA, aber irgendwie auch gegen Globalisierung und Kapitalismus demonstriert. (...)

Aus: Berliner Zeitung, 6. April 2004

Im "Neuen Deutschland" (Andreas Heinz) liest sich derselbe Sachverhalt etwas freundlicher:

Die Friedenskoordination ist sich der Problematik bewusst, doch die Verantwortlichen entschieden sich dafür, den traditionellen Ostermarsch diesmal ausfallen zu lassen: "Bevor wir in dem riesigen Demonstrationspaket verschwinden, verzichten wir lieber auf den Marsch." Stattdessen werde es am Ostermontag zwischen 14 und 18 Uhr eine "festliche Kundgebung" auf dem Alexanderplatz zwischen Neptunbrunnen und Marienkirche geben, teilte Sprecherin Laura von Wimmersperg bei der Vorstellung des Programms gestern mit.
Zu der bescheideneren Lösung "Diskutieren statt marschieren" habe man sich entschlossen, um die Menschen nicht mit noch einer Demonstration zu überfrachten und damit zu überfordern, machte Wimmersperg deutlich. Ganz weglassen wollte man die Veranstaltung aber auch nicht, "obwohl wir wissen, dass die Berliner Ostern die Stadt verlassen". Mehr könne sich die Friedenskoordination auch finanziell nicht mehr leisten, da "unser Geld für die Teilnahme an anderen Demonstrationen verbraucht wurde". (...)

Aus: ND 06.04.2004

***

Am 5. April erschien in der Frankfurter Rundschau ein erster kleinerer Artikel über die bevorstehenden Ostermärsche aufgrund einer Pressemitteilung des bundesweiten Ostermarschbüros:

Ostermarschierer planen Protest gegen Sozialabbau
Frankfurt a. M. · 5. April · dpa · Proteste gegen Kürzungen der Sozialleistungen stehen im Mittelpunkt der diesjährigen Ostermärsche in Deutschland. Gespart werden sollte stattdessen durch Abrüstung, das wollen die Teilnehmer in rund 60 Veranstaltungen fordern. Wie in den vergangenen Jahren sind von Karfreitag bis Ostermontag zahlreiche Fahrraddemonstrationen und Sternmärsche geplant. Als Schwerpunkte der Demonstrationen nannte das zentrale Ostermarschbüro am Montag in Frankfurt das Ruhrgebiet, München, Berlin und die Kyritz-Ruppiner Heide in Brandenburg.
Im vergangenen Jahr hatten Zehntausende während der Osterfeiertage vor allem gegen den Krieg in Irak demonstriert.

Aus: Frankfurter Rundschau, 6. April 2004


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