Hanau-Deal gescheitert?
China angeblich nicht mehr interessiert - Siemens hält sich bedeckt - Friedensbewegung fühlt sich bestätigt
Am 27. April kam die Kunde, dass es mit dem Verkauf der Hanauer Atomfabrik an China nun doch nichts würde. China habe offenbar das Interesse verloren. Im Folgenden dokumentieren wir eine Reihe von Agenturmeldungen vom selben Tag sowie weitere Stellungnahmen und Kommentare aus der Tagespresse.
Die Nachrichtenagentur AP fasst die Ereignisse vom 27. April folgendermaßen zusammen:
Die Verhandlungen über den Verkauf der Hanauer Atomfabrik an China sind vorerst gescheitert. Das chinesische Außenministerium erklärte am Dienstag (27. April) in Peking, entsprechende Firmenkontakte seien eingestellt worden. Ministerpräsident Wen Jiabao werde das Thema bei seinem bevorstehenden Deutschland-Besuch vermutlich nicht ansprechen, erklärte Außenamts-Sprecher Kong Quan. Dessen ungeachtet will die Bundesregierung die Exportanfrage des Siemens-Konzerns weiter prüfen.
Siemens möchte die in den 90er Jahren fast fertig gestellte aber nie in Betrieb genommene Brennelementefabrik exportieren und hat dazu eine Voranfrage bei der Bundesregierung gestellt. In Regierungskreisen hieß es, die Prüfung der Anfrage laufe weiter. Bis jetzt habe Siemens die Voranfrage nicht zurückgezogen. Außenminister Joschka Fischer erklärte, er habe die Erklärung der chinesischen Seite mit Interesse zur Kenntnis genommen, könne sie aber nicht kommentieren.
Ein Siemens-Sprecher wollte auf AP-Anfrage nicht sagen, ob die Anfrage zurückgezogen werde. Die Diskussion laufe "auf politischer Ebene", betonte der Sprecher lediglich. Konzernchef Heinrich von Pierer werde kommende Woche in Berlin mit Ministerpräsident Wen zusammenkommen. Laut ARD will Siemens die Exportanfrage zunächst nicht zurückziehen.
Der Konzern hatte den Wert der Anlage im hessischen Hanau zuletzt mit rund 50 Millionen Euro beziffert. Anfang der 90er Jahre hatte Siemens rund 1,1 Milliarden Mark (560 Millionen Euro) in die Fabrik investiert.
Die Grünen-Parteiführung begrüßte nun die Entscheidung Pekings, die man mit Freuden zur Kenntnis nehme. Die stellvertretenden Fraktionschefs Winfried Nachtwei und Reinhard Loske sprachen von einem "Gewinn für die Glaubwürdigkeit der rot-grünen Koalition" und sahen den beharrlichen Widerstand der eigenen Partei bestätigt. Siemens forderten sie auf, ihre Voranfrage zurückzuziehen und die Anlage "endlich zu verschrotten". Die Grünen hatten geltend gemacht, dass die Brennelementefabrik auch im Rahmen des chinesischen Atomwaffenprogramms eingesetzt werden könnte. China hatte dies zurückgewiesen.
Auch die von der Organisation Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) gegründete Initiative "Hanau selber kaufen" begrüßte die chinesische Entscheidung. Die Aktion, mit der eine Million Euro zum Kauf der Anlage aufgebracht wurden, habe gewirkt, erklärte der IPPNW-Vorsitzende Stephan Kolb. Jetzt müsse die Bundesregierung mit einem grundsätzlichen Nein alle Spekulationen über den zukünftigen Export beenden. Noch existiere der Verdacht, dass mit der chinesischen Erklärung nur der Staatsbesuch von Ministerpräsident Wen von diesem Konflikt entlastet werden solle.
Der Export muss vom Ausfuhrausschuss der Bundesregierung genehmigt werden, weil es sich um ein so genanntes Dual-Use-Gut mit unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten handelt. In dem Ausschuss sind das Bundeswirtschaftsministerium und das ihm nachgeordnete Bundesausfuhramt sowie das Auswärtige Amt und der Bundesnachrichtendienst vertreten.
In einer weiteren Meldung von ddp hieß es:
Der SPD-Politiker Hermann Scheer glaubt angesichts des Verzichts Chinas nicht an eine glückliche Fügung. "Ich vermute, das fällt nicht einfach so vom Himmel", sagte Scheer am Rande einer Fraktionssitzung in Berlin. Vielmehr sei da "hinter den Kulissen irgendwas gelaufen".
Der SPD-Politiker ist sich sicher, dass China auf diplomatischen Wege von der deutschen Regierung dazu gebracht wurde, auf die Anlage zu verzichten, so dass es so aussieht, als wenn die Volksrepublik selbst nicht wolle. Der Bundesregierung sei schon im Dezember klar gewesen, dass sie das Projekt in der rot-grünen Koalition nicht durchbekomme, sagte der SPD-Politiker, der ebenfalls ein entschiedener Gegner des Exports der MOXX-Brennelementefabrik ist. (Weitere Quellen: Sager in Berlin; Siemens-Sprecher auf ddp-Anfrage)
Ergänzend hieß es in einer Meldung von dpa:
Beobachter in Berlin gingen davon aus, dass der monatelange Streit in der rot-grünen Koalition über das Atomgeschäft mit China damit beendet ist. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Krista Sager reagierte "mit großer Freude" auf das vorläufige Aus für den umstrittenen Export. Sie forderte die Firma Siemens auf, ihren Antrag auf eine Exportgenehmigung zurückzuziehen. Solange dieser noch vorliegt, müsse sich das Auswärtige Amt weiter mit der Voranfrage beschäftigen. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder auf, den Export nun offiziell abzulehnen. Ein Siemens- Sprecher sagte dazu lediglich: "Das Thema wird auf politischer Ebene diskutiert, das kommentieren wir nicht."
(...)
Trotz des Endes der Verhandlungen mit China geht die Kampagne gegen das umstrittene Atomgeschäft weiter. "So lange die Bundesregierung nicht erklärt, dass die Anlage nicht exportfähig ist, machen wir weiter", sagte der Sprecher der Vereinigung Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), Jens-Peter Steffen, am Dienstag der dpa in Berlin. Die Aktion
"Hanau selber kaufen" hat nach seinen Angaben bisher über eine Million Euro zusammen getragen. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, den angeblichen Kaufpreis von 50 Millionen Euro aufzubringen.
Nicht einverstanden mit dieser Entwicklung ist der Bundesverband der Deutschen Industrie. AP meldet hierzu:
Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) übt wegen des von China auf Eis gelegten Exportes der Hanauer Atomanlage heftige Kritik an der Bundesregierung. Einerseits starte Bundeskanzler Gerhard Schröder die Initiative "Partner für Innovation", andererseits behandele die Bundesregierung aber die Verkaufsoption der Brennelementfabrik schleppend, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg dem "Handelsblatt" (Ausgabe vom 28. April). "Das wirft kein gutes Licht auf den Innovationsstandort Deutschland. Wir müssen aber die Frage beantworten, ob Deutschland mit Hochtechnologie Geld verdienen will oder nicht."
In der Frankfurter Rundschau (online-Ausgabe vom 27. April) heißt es u.a.:
Beobachter in Berlin gingen davon aus, dass der monatelange Streit in der rot-grünen Koalition über das Atomgeschäft mit China damit beendet ist. Die Grünen begrüßten, dass sich die Regierung in Peking entschieden habe, auf den Kauf der Plutoniumanlage zu verzichten. "Das Projekt ist damit vom Tisch", sagte die Grünen- Umweltexpertin Michaele Hustedt.
Die Süddeutsche sieht den Deal noch nicht ganz beendet. Aus der Siemens-Zentrale in München kamen jedenfalls dunkle Andeutungen:
(...) Aus der Firmenzentrale in München hieß es, die Ausgangslage habe sich nicht verändert. Der Konzern habe die Ausfuhrgenehmigung für die Atomfabrik beantragt und warte auf die Entscheidung. „Wir wollen die Fabrik verkaufen und sehen nach Berlin“, sagte ein Siemens-Sprecher der Süddeutschen Zeitung. Die politischen Diskussionen zu dem Vorgang in Deutschland und in China wolle das Unternehmen nicht kommentieren.
Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums hatte in Peking weiter gesagt, dass es „anfängliche“ Gespräche zwischen chinesischen und deutschen Firmen über die Lieferung der Hanauer Anlage gegeben habe. Die Kontakte seien jetzt beendet. Er schloss allerdings nicht aus, dass sie wieder aufgenommen werden könnten. Das sei eine Angelegenheit der beteiligten Firmen.
SPD-Chef Franz Müntefering kommentierte die Absage der Chinesen mit den Worten: „Wenn sie nicht wollen, dann wollen sie nicht.“ Seiner Einschätzung nach hätte die Bundesregierung die Genehmigung zum Export erteilt. Die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Winfried Nachtwei und Reinhard Loske, nannten die Verzichtserklärung aus Peking „eine Bestätigung der Beharrlichkeit“ der Grünen. Sie forderten die chinesische Regierung auf, generell auf die Schnelle-Brüter-Technologie zu verzichten.
Aus: Süddeutsche Zeitung, 28. April 2004
Presse-Kommentare
Das Aus im Hanau-Poker wird Außenminister Fischer zugeschrieben - meint jedenfalls Richard Meng in der Frankfurter Rundschau (Kommentar: "Sankt Nimmerlein").
Sie sind eben Profis, die Außenpolitiker aller Länder. In der Causa Export der Hanauer Plutoniumfabrik wurde jetzt nach allen Regeln der diplomatischen Kunst eine Form der Beerdigung zweiter Klasse gefunden, die eleganter kaum ausfallen konnte.
Die eigentlich kaufwilligen Chinesen erklären die Gespräche für - zunächst - beendet. Der eigentlich exportunwillige deutsche Außenminister gibt sich unbeteiligt und prüft munter weiter, schon um seinen eigentlich exportwilligen Kanzler nicht unnötig bloßzustellen. Und alle gemeinsam freuen sich nächste Woche auf einen entspannten deutsch-chinesischen Gipfel, weil die Hanauer Anlage frühestens an Sankt Nimmerlein zum Export steht. Es sei denn, es gibt einen Regierungswechsel in Berlin (...)
Der Sieger im fein gestrickten Spiel heißt Joschka Fischer. Er hat das vom Kanzler voreilig zugesagte Projekt nach dem Prinzip "Totprüfen" de facto einstweilen beendet. Über den politischen Preis, den die Grünen zahlen, etwa beim Klimaschutz, muss man nicht lange spekulieren. Es gibt ihn, ohne dass er exakt zuzuordnen wäre. (...) Rot-Grün ist haarscharf an der Glaubwürdigkeitsfalle vorbeigetappt, die dem Kanzler kein Problem zu sein schien.
Aus: Frankfurter Rundschau, 28.04.2004
Die taz ist sich noch nicht ganz sicher, ob es beim Aus bleibt. Sicherheit wird es erst geben, meint Nick Reimer in seinem Kommentar ("Nur Schrott
ist sicher"), wenn das Ding verschrottet ist.
(...) Ein gehöriges Maß an Optimismus ist allerdings berechtigt, wenn sich die Insider jetzt in ihren Stellungnahmen zum laufenden Verfahren zwar zurückhalten, aber dennoch ihre Freude zeigen. Damit ist ihnen immerhin ein deutliches politisches Signal gelungen, weil nach einer Umfrage die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung das Geschäft ablehnt.
Solange allerdings Siemens seine Voranfrage nicht zurückzieht, so lange besteht Gefahr. Denn selbst wenn China einen Sinneswandel vollzogen haben sollte, könnten andere Interessenten dem chinesischen Beispiel folgen. Dass die Hanauer Brennelemente-Fabrik tatsächlich nicht exportiert wird, kann erst als sicher gelten, wenn sie verschrottet ist.
taz, 28.04.2004
In der Süddeutschen Zeitung heißt der Sieger im Hanau-Streit die Basis der Grünen. Und China, das den Deutschen einen Gefallen getan hat, hat nun noch etwas gut, meintReymer Klüver ("Geschenk aus China"):
(...) Chinas politische Führung hat nun etwas gut beim Kanzler. Noch zieren sich zwar die Beteiligten, den Vollzug zu bestätigen. Aber die Sache dürfte klar sein: Die Plutonium-Fabrik von Hanau wird nicht nach China exportiert. Ganz still soll eine Angelegenheit bereinigt werden, die das Zeug hatte, die rot-grüne Koalition in Berlin zu sprengen. Die Chinesen haben offensichtlich erkannt, dass ein innenpolitischer Streit in Deutschland von solcher Tragweite ihre Atompläne auch nicht befördert hätte.
(...)
Eine Öko-Partei, die zu Hause den Atomausstieg durchgesetzt hat, kann nicht gleichzeitig zur Proliferation der Technik beitragen, die sie im Inland gerade abmontiert. Eine Export-Genehmigung hätte unweigerlich zu einem Sonderparteitag der Grünen und wahrscheinlich zum Ende der Koalition geführt. Insofern hat Glaubwürdigkeit die Oberhand bewahrt.
Zugleich aber hat sich blanker Pragmatismus durchgesetzt. Und das macht die ganze Angelegenheit einfach fragwürdig. Denn die Spitzenleute bei den Grünen hatten zunächst gar nicht erkannt, wie tiefgreifend die Sache ihre Partei aufwühlte. Doch sie reagierten: Der grüne Außenminister überzeugte den Kanzler, gemeinsam beschlossen sie, das Thema auszusitzen – in der Hoffnung, dass einer der Beteiligten die Lust verliert. Jetzt tun die Chinesen ihnen den Gefallen.
Aus: Süddeutsche Zeitung, 28.04.2004
Auch im Berliner "Tagesspiegel" ("Drum prüfe ewig") ist der Kommentator der Meinung, dass ein zustande gekommener Atomdeal die rot-grüne Koalition hätte sprengen können. Im Übrigen wird sichtlich bedauert, dass es nicht zu dem Geschäft gekommen ist.
(...) Doch was innenpolitisch noch verständlich sein mag, ist außen- und umweltpolitisch wahrscheinlich eine groteske Fehlentscheidung. An der Tatsache, dass China Atommacht ist, ändern deutsche Skrupel im Auslandsgeschäft nichts. Aber die Frage, wie ein Fünftel der Weltbevölkerung ohne weitere Umweltbelastung seine Energieversorgung sichert, interessierte nicht. So wenig wie die, ob es nicht besser ist, wenn vergleichsweise sensible deutsche Firmen in diesem Markt mitmischen. Doch eine strategische Debatte über Hanau hat in der Koalition nie stattgefunden. Es ging, wie meistens, um das deutsche Selbstbefinden. Da ist der Hanauer Ortsverband der Grünen dann doch wichtiger als Berlins Einflussmöglichkeiten in einem Land mit 1,2 Milliarden Einwohnern und globalem Gewicht. hmt
Aus: Tagesspiegel, 28.04.2004
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