Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Für Krieg gegen Terror gibt es keine Rechtsgrundlage

Eine aufschlussreiche Analyse aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Während selbst in den USA die Kritik am unbedingten Kriegskurs der Bush-Administration wächst und immer mehr konservative Politiker (z.B. Scowcroft, Brzezinski, Kissinger, Eagleburger, Baker) ihre Bedenken äußern, finden die kritischen Stimmen auch hier zu Lande immer mehr Eingang in die seriöse konservative Presse. Das jüngste Beispiel lieferte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 28. August 2002 ab, als sie einen Beitrag von Jörg Fisch veröffentlichte, der sich grundsätzlich mit völkerrechtlichen Fragen des Krieges befasst und dabei auf sehr hilfreiche Art klar voneinander unterscheidbare Definitionen von "Krieg" und "Terrorismus" versucht ("Unmögliche Begegnung. Für Krieg gegen Terror gibt es keine Rechtsgrundlage").

Die Parole des US-Präsidenten vom 11. September 2001, die den "Krieg gegen den Terror" proklamierte, suggerierte, dass es nun um das Aufspüren, die Ergreifung und die Unschädlichmachung von Terroristen und ihrer Helfershelfer ginge. Jörg Fisch stellt die Frage, ob die Bush-Parole "diesen Sachverhalt auch zum Ausdruck (bringt), wenn man von der normalen Bedeutung der in ihr enthaltenen Begriffe ausgeht". So entwickelt er zunächst seine Kriegsdefinition und unterscheidet dabei einen "weiten und einen engen Begriff". Der weite Kriegsbegriff bedeutet seiner Meinung nach die "Bekämpfung von irgend etwas oder irgend jemandem, wobei es um Sachen, Lebewesen, Personen, einzelne, Gruppen oder Institutionen und selbst um Zustände gehen kann." Krieg, so verstanden, wird also nicht nur gegen Staaten und Völker geführt, "sondern auch gegen die Maul- und Klauenseuche, gegen den Hunger und den Mangel ganz allgemein (´war on want`), gegen Heuschrecken ebenso wie gegen Verbrecher oder den Analphabetismus." Nun ist der Alltag noch reicher an "Kriegsbegriffen", als Fisch sich das vorstellt. Denken wir etwa an den "Zickenkrieg", der unlängst zwischen zwei deutschen Eisschnelläuferinnen vor der Weltöffentlichkeit ausgetragen wurde, oder denken wir an den - wesentlich ernsthafteren - "Wirtschafts"- oder "Weltwirtschaftskrieg", der zwischen transnationalen Konzernen um Märkte, billige Rohstoffe und Stndortvorteile geführt wird und vor einigen Jahren für einen internationalen Bestseller den Buchtitel beisteuerte (Edward N. Luttwak: Weltwirtschaftskrieg. Export als Waffe - aus Partnern werden Gegner, 1994; die amerikanische Originalausgabe hatte übrigens den Krieg nicht im Titel, sondern nur den "struggle" im Untertitel). Für diese alltägliche Form des "Krieges" schlägt Fisch in der FAZ daher den Ausdruck "Kampf" vor.

Was ist "Krieg"?

Der engere und präzisere Begriff von "Krieg" bezieht sich nach Fisch auf den "bewaffneten Kampf zwischen Staaten oder staatsähnlichen Gebilden". Für diesen Fall gelten auch andere Gesetze als in Friedenszeiten. "Insbesondere sind bestimmte Akte, die normalerweise als Verbrechen gelten, nämlich die Verletzung, Verstümmelung und Tötung von Menschen sowie die Wegnahme, Beschädigung und Zerstörung von Eigentum, zwischen den Kriegsparteien erlaubt." Ein Freibrief für Mord, Totschlag, Plünderungen und Vergewaltigungen ist dies indessen nicht. Denn zur Eingrenzung der Schrecken des Krieges gibt es das humanitäre Kriegsvölkerrecht. In ihm (den Haager und Genfer Konventionen) werden Regeln gesetzt, an die sich die Kombattanten halten müssen. Grobe Regelverstöße gelten als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit und können nach dem römischen Statut für den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) neuerdings geahndet werden.

Wichtig ist weiter, dass zum Krieg nur bestimmte Akteure fähig (soll man sagen: berchtigt?) sind, und zwar Staaten und ihnen gleichgestellte Kriegsparteien, also etwa als Kombattanten anerkannte Bürgerkriegsparteien, Rebellenarmeen usw. Sie seien "imstande .., die Verantwortung für die Einhaltung des im Kriege geltenden Rechts zu übernehmen", schreibt Fisch. Diese Verantwortung ist aber eine rein hypothetische. Die Erfahrung zeigt, dass sich weder Staaten noch Rebellenorganisationen und schon gar nicht die heutzutage häufig anzutreffenden "Privatarmeen" an das humanitäre Kriegsrecht halten. Jugoslawien ist ein Musterbeispiel dafür: Gegen das Kriegsrecht haben nicht nur serbische Truppen, sondern auch die separatistische UCK und - mit ihren Luftangriffen - die NATO verstoßen.

Fisch macht nun darauf aufmerksam, dass sein Kriegsbegriff, der immer auch (mindestens) zwei Kriegsgegner umfasst, eigentlich aus der altertümlichen Auffassung vom Krieg als einem "Duell" entspringt. Krieg ist also "reziprok". Diese Auffassung unterstellt implizit ein "freies Kriegsführungsrecht der Staaten". Das allerdings gibt es seit der Gründung des Völkerbundes "und erst recht der Vereinten Nationen" nicht mehr. Wir verweisen darüber hinaus auch auf den Briand-Kellogg-Pakt von 1928, in dem sich die vertragschließenden Parteien, darunter auch Deutschland, verpflichtet hatten, "den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle (zu) verurteilen und auf ihn als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen (zu) verzichten." (Art. 1 des Vertrags über die Ächtung des Krieges.)

Dieses Kriegsverbot heißt nun aber nicht, dass es nicht auch Regeln im und für den Krieg gibt, an die sich die Kombattanten zu halten haben. Anders gesagt: Selbst ein an sich illegaler Krieg kann im Rahmen des internationalen Kriegsrechts geführt werden. Ein Angreifer verstößt durch den Angriff gegen das Völkerrecht, die Art und Weise der Kriegführung kann aber im Rahmen des humanitären Kriegsvölkerrecht geschehen, also insoweit "legal" sein. Das macht freilich den Krieg als solchen nicht legal.) Umgekehrt kann der Angegriffene in Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts Art. 51 der UN-Charta) einen legalen Verteidigungskrieg führen, in der Anwendung seiner Mittel aber gegen das Kriegsrecht verstoßen. Fisch: "Akte, die die Gesetze und Gebräuche des Krieges verletzen, sind Kriegsverbrechen unabhängig davon, ob die Täter dem Angreifer oder dem Angegriffenen angehören. Die Tatsache, daß eine Seite im Recht ist, verleiht ihr im Kriege selber keine Rechte, die der Gegner nicht ebenfalls hätte."

Was ist "Terrorismus"?

Fisch definiert Terrorismus folgendermaßen:
"Terrorismus läßt sich als Gewaltverbrechen mit dem Zweck, Angst und Schrecken zu verbreiten, verstehen. Seine Adressaten sind häufig Staaten. Verübt aber wird er von Individuen oder Gruppen, die gerade keinen Staat bilden und dadurch auch keinen Krieg führen können. Ebenso fehlen ihm die übrigen entscheidenden Merkmale des Krieges. Er ist nicht reziprok, sondern wird von der einen Seite verübt und von der anderen bekämpft, erlitten oder abgewehrt. ... Ein Staat, der von einem anderen mit Krieg überzogen wird, führt selber Krieg, ein Staat, der Terroristen bekämpft, ist selbst kein Terrorist, sondern er bekämpft Verbrecher. In der Verbrechensbekämpfung aber werden die beiden Seiten einander rechtlich nicht gleichgestellt. Ebensowenig gilt anderes Recht als in Friedenszeiten. Nur bei einer Häufung von Terroranschlägen wäre denkbar, daß der betreffende Staat den Notstand ausrufen, das geltende Recht also verschärfen würde, wodurch aber lediglich die Rechte der Terroristen weiter eingeschränkt würden."

Aus dieser Definition ergeben sich für Jörg Fisch "eigentümliche" Folgerungen. Wenn vom "Krieg gegen den Terror(ismus)" gesprochen wird, wie es Bush ja getan hat, so bedeutet das, dass "beide Seiten", also etwa die USA und Ossama bin Ladens Al-Qaida "gegeneinander Krieg führen". Die Anschläge vom 11. September müssten demzufolge als "kriegsauslösender Akt einer zur Kriegführung befugten Partei betrachtet werden". Die Rechtsfolgen für Ossama bin Laden bestünden darin, dass ihm "zwar der Prozeß wegen widerrechtlicher Auslösung eines Krieges" gemacht werden könnte. Die Anschläge selber aber wären Kriegsakte.
"Der Schlag gegen das Pentagon wäre als ein - im Kriege keineswegs verbotener - Angriff auf eine gegnerische Kommandozentrale zu betrachten, während die Zerstörung des World Trade Center als Attacke auf das Zentrum der gegnerischen Wirtschaft erschiene. Daß bei solchen Schlägen hohe Verluste der Zivilbevölkerung eintreten, ist, historisch betrachtet, keine Seltenheit, und entsprechende Akte sind bislang nicht als Kriegsverbrechen geahndet worden. Personen, die jetzt als Terroristen gelten, müßten als Soldaten betrachtet werden. Sie könnten, wie alle anderen am Kriege Beteiligten, für Kriegsverbrechen strafrechtlich belangt werden, aber nicht für Handlungen, die mit den Gesetzen und Gebräuchen des Kriegs vereinbar sind." In dieser Argumentation von Fisch ist nur eines nicht richtig: Der Anschlag auf das WTC ist auch unter "normalen" Kriegsvoraussetzungen ein Kriegsverbrechen. Das Haager Abkommen untersagt in Art. 25, "unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, mit welchen Mitteln es auch sei, anzugreifen oder zu beschießen." Und das 1. Zusatzprotokoll verbietet in den Art. 51 ff Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Einrichtungen, wozu das WTC doch eindeutig gehört. Angriffe dürfen nur gegen eindeutige militärische Ziele gerichtet sein, heißt es in Art. 52, Abs. 2, und als militärische Ziele gelten "nur solche Objekte, die aufgrund ihrer Beschaffenheit, ihres Standorts, ihrer Zweckbestimmung oder ihrer Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beitragen..." Doch abgesehen davon hat Fisch natürlich Recht, wenn er folgende Schlussfolgerung aus der Gleichsetzung von Krieg und Terrorismus zieht:
"Der Krieg gegen den Terrorismus läßt den Terrorismus verschwinden, gerade indem er aus ihm einen Krieg macht; aus den Terroristen werden Soldaten und aus ihren Verbrechen zu einem erheblichen Teil erlaubte Kriegsakte. In Wirklichkeit ist Terrorismus gerade kein Krieg, sondern Verbrechen. Die Terroristen können infolgedessen auch nicht die Geltung des Kriegsrechts für sich in Anspruch nehmen. Umgekehrt muß der Staat, der sie bekämpft, nach normalem Recht vorgehen, er kann sich nicht auf Kriegsrecht berufen. So sind etwa Flächenbombardierungen oder die Zerstörung ganzer Städte durch Bodentruppen zumindest bis jetzt keine anerkannten Mittel der Verbrechensbekämpfung."
Auch hier wäre -ergänzend - an die gewundenen Erklärungen der US-Administration zu erinnern, wonach die auf Guantánamo festgehaltenen Gefangenen einen ganz eigenen Rechtsstatus haben, nämlich gar keinen. Sie werden nicht als Kombattanten anerkannt - sonst müsste ihnen ja Kriegsgefangenenstatuts eingeräumt werden. Sie werden auch nicht als Verbrecher eingestuft - müssten sie in dem Fall doch vor ordentliche US-Gerichte gestellt werden. Stattdessen gelten sie als "unrechtmäßige Kämpfer", für die keinerlei Recht existiere.

In dem Augenblick aber, wo ein Staat einem anderen Staat Beihilfe zum Terrorismus vorwirft oder ihn sogar direkt des Terrorismus beschuldigt und ihn aus diesem Grund angreift (was auch nicht völkerrechtskonform ist), haben wir es mit einem regelrechten Krieg zu tun. Die des Terrorismus Beschuldigten müssen demnach auch als Soldaten betrachtet werden. Und der angreifende Staat, d.h. der sich gegen den Terror des anderen Staates "verteidigende" Staat unterliegt demselben Kriegsrecht, das auch für die "Terroristen gilt. Davon abgesehen ist der Angreifer auch nur solange im Recht, wie seine kriegerische Maßnahme als Akt der "Selbstverteidigung" angesehen werden kann. Selbstverteidigung liegt aber nur vor, wenn man vom vermeintlichen Terrorstaat tatsächlich angegriffen wurde und wenn dieser "Terrorstaat" auch "zweifelsfrei als eigentlicher Urheber der von ihm unterstützten Terrorakte überführt" worden ist. Außerdem gelte dies nur so lange, bis die Vereinten Nationen bzw. ihr Sicherheitsrat einschlägige Maßnahmen" ergriffen haben. Fisch: "Man kann einen Staat nicht für jeden von seinem Territorium aus erfolgenden oder auch nur vorbereiteten Akt so umfassend verantwortlich machen, daß er deswegen mit Krieg überzogen werden darf."

Abschließend stellt Fisch noch die interessante Frage, weshalb "die Welt die in sich widersprüchliche Formel vom Krieg gegen den Terrorismus ohne viel Widerspruch aufgegriffen" habe. Sehen wir davon ab, dass "die Welt" das mitnichten getan hat, sondern dass es doch auch viele kritische Stimmen aus Wissenschaft, Friedensbewegung und Politik gegeben hat, welche die Gleichsetzung von Terror und Krieg bezweifelt haben und insbesondere davor gewarnt haben, auf den Terror vom 11. September mit Krieg zu antworten. Fisch sieht einen wichtigen Grund für die angeblich widerspruchslose Akzeptanz der Formel vom "Krieg gegen den Terror" in den "globalen Machtverhältnissen". Ein Krieg wirkt wie eine Art "Gottesurteil" (Immanuel Kant), wenn sein Ausgang unsicher ist. Dass der Angegriffene letztlich als Sieger aus dem ihm aufgezwungen Krieg hervorgeht, ist reiner Zufall. Anders bei einer "Polzeiaktion". In einer Polzeiaktion wird das Recht zwangsweise druchgesetzt. Oder andersherum:
"Die Ächtung des Krieges, also sein sukzessives Verbot im zwanzigsten Jahrhundert, beruhte auf der Hoffnung, daß es gelingen würde, aus dem gegenseitigen Kräftemessen, das der Krieg traditionellerweise war, eine Polizeiaktion der in einer weltweiten Sicherheitsorganisation (zuerst dem Völkerbund, später der Vereinten Nationen) zusammengefaßten Staaten zu machen. Darin wäre die ganze Welt dem einen Friedensbrecher uneinholbar überlegen."

Des Weiteren argumentiert Fisch, dass die "Umwandlung des Krieges in eine Polizeiaktion" eine rechtliche, und eine "machtmäßige" Grundlage habe. Die rechtliche Grundlage ist die Charta der Vereinten Nationen und das sich daraus ableitende Völkerrecht. Schwieriger ist es mit der "Macht", dieses Recht auch durchzusetzen. Die Vereinten Nationen jedenfalls haben zur Zeit diese Macht nicht. Über eine vergleichbare Macht verfügten heute nur die USA mit ihrer gewaltigen Militärmacht. "Sie ist der Macht nicht nur jedes anderen Staates, sondern auch jeder nur denkbaren Staatenkombination so sehr überlegen, daß kein vernünftiger Zweifel an ihrem Sieg in jeder beliebigen Auseinandersetzung bestehen kann." Der Haken daran: Diese Macht einzusetzen, fehlt den USA jede rechtliche Grundlage. Es sei denn, die Vereinte Nationen würden den USA die Macht übertragen. Hierfür fehlt aber der politische Wille. Es wäre auch nicht besonders nachvollziehbar, dass ein Staat, in dem nicht einmal fünf Prozent der Weltbevölkerung leben, für den "Weltfrieden", das heißt für den Frieden der restlichen 95 Prozent der Menschheit allein zuständig wäre. "Der Rest der Menschheit wäre dann lediglich Objekt der einmal geschaffenen Polizeigewalt."

Fischs etwas überraschendes Fazit aus der Argumentation:
"Die Unterscheidung zwischen Krieg und Terror sollte erst dann aufgegeben werden, wenn ein funktionierendes und allgemein akzeptiertes weltweites kollektives Sicherheitssystem geschaffen ist."
Ein überzeugenderes Fazit läge darin, bei der Unterscheidung zwischen Krieg und Terror zu bleiben und den Terror mit den vorhandenen rechtsstaatlichen zivilen Mitteln zu bekämpfen - ob auf staatlicher Ebene durch die jeweiligen Justiz- und Polizeiorgane oder auf Weltebene durch eine dann zu schaffende weltweite Interpolbehörde einschließlich der juristischen Handhabe durch ein Weltstrafgericht.

Quellen:

Peter Strutynski


Zurück zur Seite "Völkerrecht"

Zur Seite "Terrorismus"

Zurück zur Homepage