Für Krieg gegen Terror gibt es keine Rechtsgrundlage
Eine aufschlussreiche Analyse aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Während selbst in den USA die Kritik am unbedingten Kriegskurs der
Bush-Administration wächst und immer mehr konservative Politiker (z.B.
Scowcroft, Brzezinski, Kissinger, Eagleburger, Baker) ihre Bedenken
äußern, finden die kritischen Stimmen auch hier zu Lande immer mehr
Eingang in die seriöse konservative Presse. Das jüngste Beispiel
lieferte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 28. August 2002 ab,
als sie einen Beitrag von Jörg Fisch veröffentlichte, der sich
grundsätzlich mit völkerrechtlichen Fragen des Krieges befasst und dabei
auf sehr hilfreiche Art klar voneinander unterscheidbare Definitionen
von "Krieg" und "Terrorismus" versucht ("Unmögliche Begegnung. Für Krieg
gegen Terror gibt es keine Rechtsgrundlage").
Die Parole des US-Präsidenten vom 11. September 2001, die den "Krieg
gegen den Terror" proklamierte, suggerierte, dass es nun um das
Aufspüren, die Ergreifung und die Unschädlichmachung von Terroristen und
ihrer Helfershelfer ginge. Jörg Fisch stellt die Frage, ob die
Bush-Parole "diesen Sachverhalt auch zum Ausdruck (bringt), wenn man von
der normalen Bedeutung der in ihr enthaltenen Begriffe ausgeht". So
entwickelt er zunächst seine Kriegsdefinition und unterscheidet dabei
einen "weiten und einen engen Begriff". Der weite Kriegsbegriff bedeutet
seiner Meinung nach die "Bekämpfung von irgend
etwas oder irgend jemandem, wobei es um Sachen, Lebewesen, Personen,
einzelne, Gruppen oder Institutionen und selbst um Zustände gehen kann."
Krieg, so verstanden, wird also nicht nur gegen Staaten und Völker
geführt, "sondern auch gegen die Maul- und Klauenseuche, gegen den
Hunger und den Mangel ganz allgemein (´war on want`), gegen Heuschrecken
ebenso wie gegen Verbrecher oder den Analphabetismus." Nun ist der
Alltag noch reicher an "Kriegsbegriffen", als Fisch sich das vorstellt.
Denken wir etwa an den "Zickenkrieg", der unlängst zwischen zwei
deutschen Eisschnelläuferinnen vor der Weltöffentlichkeit ausgetragen
wurde, oder denken wir an den - wesentlich ernsthafteren -
"Wirtschafts"- oder "Weltwirtschaftskrieg", der zwischen transnationalen
Konzernen um Märkte, billige Rohstoffe und Stndortvorteile geführt wird
und vor einigen Jahren für einen internationalen Bestseller den
Buchtitel beisteuerte (Edward N. Luttwak: Weltwirtschaftskrieg. Export
als Waffe - aus Partnern werden Gegner, 1994; die amerikanische
Originalausgabe hatte übrigens den Krieg nicht im Titel, sondern nur den
"struggle" im Untertitel). Für diese alltägliche Form des "Krieges"
schlägt Fisch in der FAZ daher den Ausdruck "Kampf" vor.
Was ist "Krieg"?
Der engere und präzisere Begriff von "Krieg" bezieht sich nach Fisch auf
den "bewaffneten Kampf zwischen Staaten oder staatsähnlichen Gebilden".
Für diesen Fall gelten auch andere Gesetze als in Friedenszeiten.
"Insbesondere sind bestimmte Akte, die normalerweise als Verbrechen
gelten, nämlich die Verletzung, Verstümmelung und Tötung von Menschen
sowie die Wegnahme, Beschädigung und Zerstörung von Eigentum,
zwischen den Kriegsparteien erlaubt." Ein Freibrief für Mord, Totschlag,
Plünderungen und Vergewaltigungen ist dies indessen nicht. Denn zur
Eingrenzung der Schrecken des Krieges gibt es das humanitäre
Kriegsvölkerrecht. In ihm (den Haager und Genfer Konventionen) werden
Regeln gesetzt, an die sich die Kombattanten halten müssen. Grobe
Regelverstöße gelten als Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die
Menschlichkeit und können nach dem römischen Statut für den
Internationalen Strafgerichtshof (ICC) neuerdings geahndet werden.
Wichtig ist weiter, dass zum Krieg nur bestimmte Akteure fähig (soll man
sagen: berchtigt?) sind, und zwar Staaten und ihnen gleichgestellte
Kriegsparteien, also etwa als Kombattanten anerkannte
Bürgerkriegsparteien, Rebellenarmeen usw. Sie seien "imstande .., die
Verantwortung für die Einhaltung des im Kriege geltenden Rechts
zu übernehmen", schreibt Fisch. Diese Verantwortung ist aber eine rein
hypothetische. Die Erfahrung zeigt, dass sich weder Staaten noch
Rebellenorganisationen und schon gar nicht die heutzutage häufig
anzutreffenden "Privatarmeen" an das humanitäre Kriegsrecht halten.
Jugoslawien ist ein Musterbeispiel dafür: Gegen das Kriegsrecht haben
nicht nur serbische Truppen, sondern auch die separatistische UCK und -
mit ihren Luftangriffen - die NATO verstoßen.
Fisch macht nun darauf aufmerksam, dass sein Kriegsbegriff, der immer
auch (mindestens) zwei Kriegsgegner umfasst, eigentlich aus der
altertümlichen Auffassung vom Krieg als einem "Duell" entspringt. Krieg
ist also "reziprok". Diese Auffassung unterstellt implizit ein "freies
Kriegsführungsrecht der Staaten". Das allerdings gibt es seit der
Gründung des Völkerbundes "und erst recht der Vereinten Nationen" nicht
mehr. Wir verweisen darüber hinaus auch auf den Briand-Kellogg-Pakt von
1928, in dem sich die vertragschließenden Parteien, darunter auch
Deutschland, verpflichtet hatten, "den Krieg als Mittel für die Lösung
internationaler Streitfälle (zu) verurteilen und auf ihn als Werkzeug
nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen (zu) verzichten."
(Art. 1 des Vertrags über die Ächtung des Krieges.)
Dieses Kriegsverbot heißt nun aber nicht, dass es nicht auch Regeln im
und für den Krieg gibt, an die sich die Kombattanten zu halten haben.
Anders gesagt: Selbst ein an sich illegaler Krieg kann im Rahmen des
internationalen Kriegsrechts geführt werden. Ein Angreifer verstößt
durch den Angriff gegen das Völkerrecht, die Art und Weise der
Kriegführung kann aber im Rahmen des humanitären Kriegsvölkerrecht
geschehen, also insoweit "legal" sein. Das macht freilich den Krieg als
solchen nicht legal.) Umgekehrt kann der Angegriffene in Ausübung seines
Selbstverteidigungsrechts Art. 51 der UN-Charta) einen legalen
Verteidigungskrieg führen, in der Anwendung seiner Mittel aber gegen das
Kriegsrecht verstoßen. Fisch: "Akte, die die Gesetze und Gebräuche des
Krieges verletzen, sind Kriegsverbrechen unabhängig davon, ob die Täter
dem Angreifer oder dem Angegriffenen angehören. Die Tatsache, daß eine
Seite im Recht ist, verleiht ihr im Kriege selber keine Rechte, die der
Gegner nicht ebenfalls hätte."
Was ist "Terrorismus"?
Fisch definiert Terrorismus folgendermaßen:
"Terrorismus läßt sich als Gewaltverbrechen mit dem Zweck, Angst und
Schrecken
zu verbreiten, verstehen. Seine Adressaten sind häufig Staaten. Verübt
aber wird er
von Individuen oder Gruppen, die gerade keinen Staat bilden und dadurch
auch
keinen Krieg führen können. Ebenso fehlen ihm die übrigen entscheidenden
Merkmale des Krieges. Er ist nicht reziprok, sondern wird von der einen
Seite verübt
und von der anderen bekämpft, erlitten oder abgewehrt. ... Ein Staat,
der
von einem anderen mit Krieg überzogen wird, führt selber Krieg, ein
Staat, der
Terroristen bekämpft, ist selbst kein Terrorist, sondern er bekämpft
Verbrecher. In
der Verbrechensbekämpfung aber werden die beiden Seiten einander
rechtlich nicht
gleichgestellt. Ebensowenig gilt anderes Recht als in Friedenszeiten.
Nur bei einer
Häufung von Terroranschlägen wäre denkbar, daß der betreffende Staat den
Notstand
ausrufen, das geltende Recht also verschärfen würde, wodurch aber
lediglich die
Rechte der Terroristen weiter eingeschränkt würden."
Aus dieser Definition ergeben sich für Jörg Fisch "eigentümliche"
Folgerungen. Wenn vom "Krieg gegen den Terror(ismus)" gesprochen wird,
wie es Bush ja getan hat, so bedeutet das, dass "beide Seiten", also
etwa die USA und Ossama bin Ladens Al-Qaida "gegeneinander Krieg
führen". Die Anschläge vom 11. September müssten demzufolge als
"kriegsauslösender Akt einer zur Kriegführung befugten Partei betrachtet
werden". Die Rechtsfolgen für Ossama bin Laden bestünden darin, dass ihm
"zwar der Prozeß wegen widerrechtlicher Auslösung eines Krieges" gemacht
werden könnte. Die Anschläge selber aber wären Kriegsakte.
"Der Schlag gegen das Pentagon wäre als ein - im Kriege keineswegs
verbotener - Angriff auf eine gegnerische Kommandozentrale zu
betrachten, während die Zerstörung des World Trade Center als Attacke
auf das Zentrum der gegnerischen Wirtschaft erschiene. Daß bei solchen
Schlägen hohe Verluste der Zivilbevölkerung eintreten, ist, historisch
betrachtet, keine Seltenheit, und entsprechende Akte sind bislang nicht
als Kriegsverbrechen geahndet worden. Personen, die jetzt als
Terroristen gelten, müßten als Soldaten betrachtet werden. Sie könnten,
wie alle anderen am Kriege Beteiligten, für Kriegsverbrechen
strafrechtlich belangt werden, aber nicht für Handlungen, die mit den
Gesetzen und Gebräuchen des Kriegs vereinbar sind."
In dieser Argumentation von Fisch ist nur eines nicht richtig: Der
Anschlag auf das WTC ist auch unter "normalen" Kriegsvoraussetzungen ein
Kriegsverbrechen. Das Haager Abkommen untersagt in Art. 25,
"unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, mit welchen
Mitteln es auch sei, anzugreifen oder zu beschießen." Und das 1.
Zusatzprotokoll verbietet in den Art. 51 ff Angriffe auf Zivilpersonen
und zivile Einrichtungen, wozu das WTC doch eindeutig gehört. Angriffe
dürfen nur gegen eindeutige militärische Ziele gerichtet sein, heißt es
in Art. 52, Abs. 2, und als militärische Ziele gelten "nur solche
Objekte, die aufgrund ihrer Beschaffenheit, ihres Standorts, ihrer
Zweckbestimmung oder ihrer Verwendung wirksam zu militärischen
Handlungen beitragen..." Doch abgesehen davon hat Fisch natürlich Recht,
wenn er folgende Schlussfolgerung aus der Gleichsetzung von Krieg und
Terrorismus zieht:
"Der Krieg gegen den Terrorismus läßt den Terrorismus verschwinden,
gerade indem er aus ihm einen Krieg macht; aus den Terroristen werden
Soldaten und aus ihren Verbrechen zu einem erheblichen Teil erlaubte
Kriegsakte. In Wirklichkeit ist Terrorismus gerade kein Krieg, sondern
Verbrechen. Die Terroristen können infolgedessen auch nicht die Geltung
des Kriegsrechts für sich in Anspruch nehmen. Umgekehrt muß der Staat,
der sie
bekämpft, nach normalem Recht vorgehen, er kann sich nicht auf
Kriegsrecht
berufen. So sind etwa Flächenbombardierungen oder die Zerstörung ganzer
Städte
durch Bodentruppen zumindest bis jetzt keine anerkannten Mittel der
Verbrechensbekämpfung."
Auch hier wäre -ergänzend - an die gewundenen Erklärungen der
US-Administration zu erinnern, wonach die auf Guantánamo festgehaltenen
Gefangenen einen ganz eigenen Rechtsstatus haben, nämlich gar keinen.
Sie
werden nicht als Kombattanten anerkannt - sonst müsste ihnen ja
Kriegsgefangenenstatuts eingeräumt werden. Sie werden auch nicht als
Verbrecher eingestuft - müssten sie in dem Fall doch vor ordentliche
US-Gerichte gestellt werden. Stattdessen gelten sie als "unrechtmäßige
Kämpfer", für die keinerlei Recht existiere.
In dem Augenblick aber, wo ein Staat einem anderen Staat Beihilfe zum
Terrorismus vorwirft oder ihn sogar direkt des Terrorismus beschuldigt
und ihn aus diesem Grund angreift (was auch nicht völkerrechtskonform
ist), haben wir es mit einem regelrechten Krieg zu tun. Die des
Terrorismus Beschuldigten müssen demnach auch als Soldaten betrachtet
werden. Und der angreifende Staat, d.h. der sich gegen den Terror des
anderen Staates "verteidigende" Staat unterliegt demselben Kriegsrecht,
das auch für die "Terroristen gilt. Davon abgesehen ist der Angreifer
auch nur solange im Recht, wie seine kriegerische Maßnahme als Akt der
"Selbstverteidigung" angesehen werden kann. Selbstverteidigung liegt
aber nur vor, wenn man vom vermeintlichen Terrorstaat tatsächlich
angegriffen wurde und wenn dieser "Terrorstaat" auch "zweifelsfrei als
eigentlicher Urheber der von ihm unterstützten Terrorakte überführt"
worden ist. Außerdem gelte dies nur so lange, bis die Vereinten Nationen
bzw. ihr Sicherheitsrat einschlägige Maßnahmen" ergriffen haben. Fisch:
"Man kann einen Staat nicht für jeden von seinem Territorium aus
erfolgenden oder auch nur vorbereiteten Akt so umfassend verantwortlich
machen, daß er deswegen mit Krieg überzogen werden darf."
Abschließend stellt Fisch noch die interessante Frage, weshalb "die Welt
die in sich widersprüchliche Formel vom Krieg gegen den Terrorismus ohne
viel Widerspruch aufgegriffen" habe. Sehen wir davon ab, dass "die Welt"
das mitnichten getan hat, sondern dass es doch auch viele kritische
Stimmen aus Wissenschaft, Friedensbewegung und Politik gegeben hat,
welche die Gleichsetzung von Terror und Krieg bezweifelt haben und
insbesondere davor gewarnt haben, auf den Terror vom 11. September mit
Krieg zu antworten. Fisch sieht einen wichtigen Grund für die angeblich
widerspruchslose Akzeptanz der Formel vom "Krieg gegen den Terror" in
den "globalen Machtverhältnissen". Ein Krieg wirkt wie eine Art
"Gottesurteil" (Immanuel Kant), wenn sein Ausgang unsicher ist. Dass der
Angegriffene letztlich als Sieger aus dem ihm aufgezwungen Krieg
hervorgeht, ist reiner Zufall. Anders bei einer "Polzeiaktion". In einer
Polzeiaktion wird das Recht zwangsweise druchgesetzt. Oder andersherum:
"Die Ächtung des Krieges, also sein sukzessives Verbot im zwanzigsten
Jahrhundert, beruhte auf der Hoffnung, daß es gelingen würde, aus dem
gegenseitigen Kräftemessen, das der Krieg traditionellerweise war, eine
Polizeiaktion der in einer weltweiten
Sicherheitsorganisation (zuerst dem Völkerbund, später der Vereinten
Nationen)
zusammengefaßten Staaten zu machen. Darin wäre die ganze Welt dem einen
Friedensbrecher uneinholbar überlegen."
Des Weiteren argumentiert Fisch, dass die "Umwandlung des Krieges in
eine Polizeiaktion" eine rechtliche, und eine "machtmäßige" Grundlage
habe. Die
rechtliche Grundlage ist die Charta der Vereinten Nationen und das sich
daraus ableitende Völkerrecht. Schwieriger ist es mit der "Macht",
dieses Recht auch durchzusetzen. Die Vereinten Nationen jedenfalls haben
zur Zeit diese Macht nicht. Über eine vergleichbare Macht verfügten
heute nur die USA mit ihrer gewaltigen Militärmacht. "Sie ist der Macht
nicht nur jedes anderen Staates, sondern auch jeder nur denkbaren
Staatenkombination so sehr überlegen, daß kein vernünftiger Zweifel an
ihrem Sieg in jeder beliebigen Auseinandersetzung bestehen kann." Der
Haken daran: Diese Macht einzusetzen, fehlt den USA jede rechtliche
Grundlage. Es sei denn, die Vereinte Nationen würden den USA die Macht
übertragen. Hierfür fehlt aber der politische Wille. Es wäre auch nicht
besonders nachvollziehbar, dass ein Staat, in dem nicht einmal fünf
Prozent der Weltbevölkerung leben, für den "Weltfrieden", das heißt für
den Frieden der restlichen 95 Prozent der Menschheit allein zuständig
wäre. "Der Rest der Menschheit wäre dann lediglich Objekt der einmal
geschaffenen Polizeigewalt."
Fischs etwas überraschendes Fazit aus der Argumentation:
"Die Unterscheidung zwischen Krieg und Terror sollte erst dann
aufgegeben
werden, wenn ein funktionierendes und allgemein akzeptiertes weltweites
kollektives
Sicherheitssystem geschaffen ist."
Ein überzeugenderes Fazit läge darin, bei der Unterscheidung zwischen
Krieg und Terror zu bleiben und den Terror mit den vorhandenen
rechtsstaatlichen zivilen Mitteln zu bekämpfen - ob auf staatlicher
Ebene durch die jeweiligen Justiz- und Polizeiorgane oder auf Weltebene
durch eine dann zu schaffende weltweite Interpolbehörde einschließlich
der juristischen Handhabe durch ein Weltstrafgericht.
Quellen:
Peter Strutynski
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