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Misshandlung von Kriegsgefangenen ist ein Kriegsverbrechen

Völkerrechtliche Anmerkungen zu Guantánamo

Von Bernhard Graefrath*

Offenbar ist es einfacher das Verbrechen des Krieges als sportlichen Einsatz von high-tech zu tarnen, als die Käfighaltung von Menschen, die aus der Kälte Afghanistans in die Hitze Guantánamos verschleppt wurden, als menschenwürdige Behandlung auszugeben. Jedenfalls ist die Kritik an der Behandlung der Gefangenen in Guantánamo heftiger und breiter als die an der völkerrechtswidrigen Bombardierung Afghanistans durch die USA. Selbst der deutsche Außenminister mahnt Behandlung als Kriegsgefangene an und wird darin vom Bundestag unterstützt. Man scheint zu fürchten, daß die Mißhandlung wehrloser Gefangener vor den Augen der Weltöffentlichkeit schließlich doch noch die gesetzlose Terroristenjagd als Tarnkappe imperialistischer Machtkämpfe delegitimiert. Es könnte allzu deutlich werden, welche verheerenden Folgen die Bombardierung Afghanistans für die dortige Bevölkerung hat und daß mit dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung das Gewaltverbot, die souveräne Gleichheit der Staaten und das Gebot der friedlichen Streitbeilegung, wesentliche Rechtsgrundlagen für das friedliche Zusammenleben der Völker, beiseite gerückt worden sind. Zwar hat man uns nahezu daran gewöhnt, daß die USA machen was sie wollen, aber doch wird manchmal noch die Frage gestellt, dürfen die denn das, und was wäre, wenn man amerikanische Gefangene so behandeln würde?

Mißhandlung von Kriegsgefangenen ist ein Kriegsverbrechen, ebenso die Mißhandlung von geschützten Zivilpersonen. Das Einsperren der von amerikanischen Truppen in Afghanistan gefangenen Menschen in Käfige auf Guantánamo sowie deren durch Fotos und Berichte dokumentierte Behandlung verletzt offenkundig, je nachdem ob es sich um Kombattanten oder Zivilpersonen handelt, die III. und IV. Genfer Konvention und das Zusatzprotokoll I zu den Genfer Konventionen von 1949, (soweit es Völkergewohnheitsrecht wiedergibt). Die zwingende Anwendung dieser Regeln wurde automatisch durch den amerikanischen Bombenkrieg gegen Afghanistan ausgelöst. Das gilt, obgleich dieser Krieg völkerrechtswidrig war, weder als Vergeltung für den Terroranschlag vom 11. September, noch als Polizeiaktion wegen verweigerter Auslieferung und schon gar nicht als Notwehr oder durch Resolutionen des Sicherheitsrates legitimierte Aktion gerechtfertigt werden kann. Diese Regeln gelten im Falle eines internationalen bewaffneten Konflikts unabhängig davon, ob ein Krieg erklärt wurde oder die Staaten oder Regierungen sich gegenseitig anerkannt hatten oder nicht. Die Verpflichtung zu Anwendung dieser Regeln hängt auch nicht von den Einschätzungen oder Erklärungen einzelner am Konflikt beteiligter Mächte oder der Willkür einzelner Minister ab. Das kann man im Artikel 2 der Konventionen und im Artikel 3 des Protokolls nachlesen. Ihre Nichtanwendung ist eine schwere Völkerrechtsverletzung, die konsequente Fortsetzung der Verletzung des Gewaltverbots.

Ebenso automatisch und unabhängig von den Eingebungen, Absichten und Erklärungen eines Verteidigungsministers ist ein Kombattant, der in die Gewalt einer gegnerischen Partei gerät, Kriegsgefangener. Der Kriegsgefangenenstatus entsteht ebenfalls automatisch und wird nicht gewährt, je nachdem, ob es dem Verteidigungs- oder Außenminister paßt oder nicht. Das ergibt sich zweifelsfrei aus dem Artikel 4 der III. Konvention und dem Artikel 44 des Zusatzprotokolls. Darüber hinaus heißt es im Art. 45 Abs. 2 des Zusatzprozokolls I ausdrücklich:
"Wer in die Gewalt einer gegnerischen Partei geraten ist, nicht als Kriegsgefangener in Gewahrsam gehalten wird und von dieser Partei wegen einer im Zusammenhang mit den Feindseligkeiten begangenen Straftat gerichtlich verfolgt werden soll, ist berechtigt, sich vor einem ordentlichen Gericht auf seinen Status als Kriegsgefangener zu berufen und eine diesbezügliche Entscheidung des Gerichts herbeizuführen."

Auf jeden Fall sind Kriegsgefangene jederzeit mit Menschlichkeit zu behandeln und haben unter allen Umständen Anspruch auf Achtung ihrer Person und Ehre.
"Zur Erlangung irgendwelcher Auskünfte dürfen die Kriegsgefangenen weder körperlichen noch seelischen Folterungen ausgesetzt, noch darf irgendein anderer Zwang auf sie ausgeübt werden." (Art. 17, Abs. 4 der III. Konvention)
"Die Unterkunftsbedingungen der Kriegsgefangenen müssen ebenso günstig sein wie diejenigen der in der gleichen Gegend untergebrachten Truppen des Gewahrsamsstaates. Diese Bedingungen haben den Sitten und Gebräuchen der Gefangenen Rechnung zu tragen und dürfen ihrer Gesundheit keinesfalls abträglich sein." (Art. 25, Abs. 1 der III. Konvention)

Natürlich gelten auch für Kriegsgefangene die allgemeinen Grundsätze über ein faires gerichtliches Verfahren, wie sie heute in zahlreichen internationalen Abkommen festgelegt sind (Art. 84, 105 der III: Konvention). Tötung, Folterung, unmenschliche Behandlung, schwere Beeinträchtigung der Gesundheit sowie der Entzug des Anrechts auf ein ordentliches und unparteiisches Gerichtsverfahren werden im Artikel 130 der III. Konvention ausdrücklich als schwere Verletzung gekennzeichnet. Sie sind heute in aller Welt, auch im Statut des Jugoslawientribunals in Den Haag und dem Statut für einen internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrechen definiert. Aus der Bezeichnung "Al-Qaida-oder Taleban-Gefangene", die allenthalben benutzt wird, läßt sich nicht entnehmen, ob es sich um Kombattanten oder Zivilpersonen handelt und warum sie nach Guantánamo verbracht wurden. Soweit es sich um Zivilpersonen und nicht um Kombattanten handelt, genießen sie den Schutz der IV Genfer Konvention, mindestens aber den Schutz des Artikels 75 des Zusatzprotokolls. Es enthält im Grunde eine Zusammenfassung der grundlegenden Menschenrechte, darunter ausführliche Bestimmungen über das Verbot unmenschlicher Behandlung, den Rechtsschutz, das Verbot von Kollektivstrafen etc. Auch dieser Schutz gilt automatisch und ist nicht davon abhängig, ob die amerikanische Regierung ihn gewährt oder nicht. Die Verletzung dieser Bestimmung ist ebenfalls ein Kriegsverbrechen. Schon die verbringung von geschützten Zivilpersonen in die Käfige von Guantánamo stellt sich als Völkerrechtsverletzung dar. Sie wird im allgemeinen als Kidnapping strafwürdig sein.

Die Behandlung der Gefangenen in Guantánamo durch die USA ist nicht nur eine schwere Verletzung einzelner Bestimmungen des humanitären Völkerrechts. Sie stellt das gesamte humanitäre Völkerrecht in Frage, da die USA sich anmaßen zu entscheiden, ob die Konventionen auf den bewaffneten Konflikt mit Afghanistan anwendbar sind oder nicht. Ein terroristischer Anschlag rechtfertigt nicht die Außerkraftsetzung des geltenden Völkerrechts. Der Vorwurf des Terrorismus oder der Beteiligung an terroristischen Akten rechtfertigt strafrechtliche Verfolgung nach den dafür geltenden Regeln, aber weder die Verweigerung des Kriegsgefangenenstatus noch die Mißachtung grundlegender Menschenrechte. Mit der Außerkraftsetzung des humanitären Völkerrechts werden grundlegende Rechtsgarantien für das friedliche Zusammenleben der Völker aus dem Weg geräumt und die Schleusen für eine globale Ausbreitung von Gewaltherrschaft geöffnet. Nicht Mahnung, Widerstand ist geboten.

* Prof. Dr. Bernhard Graefrath, Völkerrechtler, Berlin


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