Nein zur NATO - 60 Jahre sind mehr als genug
Teil 2 der Zeitungsbeilage zum NATO-Gipfel
Die Tageszeitung "Neues Deutschland" erschien am 28. März mit einer 16-Seiten starken Beilage, die den Protesten gegen den NATO-Gipfel gewidmet ist. Die Beilage soll ein paar Tage später auch in der taz erscheinen.
Wir dokumentieren daraus im Folgenden fünf Beiträge. (Die restlichen Beiträge sind wir hier dokumentiert: Teil 1).
Herausgegeber: Neues Deutschland und International Coordinating Committee "No to war - No to NATO"
Inhalt (Teil 2)
Die NATO wird 60 und rüstet sich zum Jubiläumsgipfel – wir auch
Von Reiner Braun
Die NATO führt Krieg – 2009 besonders in
Afghanistan, 1999 zu ihrem 50. Jahrestag
gegen Jugoslawien. Am 24. März jährte
sich zum zehnten Mal der Beginn des Kosovo
Krieges. Auf dem Höhepunkt des völkerrechtswidrigen
Bombardements verabschiedete
die NATO ihr neues strategisches
Konzept, das mit Weiterentwicklungen vor
allem durch den Bukarest Gipfel im April
2008 bis heute gültig ist.
Seitdem führt das einstige »Verteidigungsbündnis
« auch Angriffskriege. Wäre
es nach den selbst verbalisierten Ansprüchen
des Bündnisses gegangen, hätte sich
die NATO nach dem Warschauer Pakt 1991
auflösen müssen.
Das Ziel – die Eindämmung und Zerschlagung
der Sowjetunion – war erreicht,
»Marktwirtschaft und Demokratie« hatten
1990 triumphiert. Die NATO hatte »die
Russen draußen, die Amerikaner drinnen
und die Deutschen unten« gehalten.
Der Militarismus wandelte sich – mit erstaunlicher
Geschwindigkeit. Die gewonnene
westliche Hegemonie musste machtpolitisch
abgesichert werden. Ressourcensicherung
und »Freier Welthandel« sind die
neuen Stichworte. Strategie dazu ist die
weltweite Intervention und besonders die
NATO-Osterweiterung.
2009 ist die Einkreisung Russlands fast
erreicht. Frankreich kehrt in das Militärbündnis
zurück. Neue strategische Zielsetzung
ist die »Globalisierung der NATO«.
Die NATO soll das Militärbündnis der Welt
zur Sicherung der Hegemonie der »ersten
Welt« werden. Japan, Australien, Südkorea,
Usbekistan und Kasachstan heißen die
neuen potentiellen Mitglieder. Scheinbar
ohne Halt marschiert die NATO ostwärts.
Trotzdem ist das Militärbündnis in der
Krise. Eine neue Strategie wird in Straßburg
nicht verabschiedet. Der Widerstand
in der Welt gegen die Militarisierung nimmt
zu. Sarkozy muss zu dem Mittel der Vertrauensfrage
greifen, da seine Parlamentsmehrheit
wackelt. Anti-NATO-Bündnisse
entstehen um die Schanghaier Kooperation
und die asiatischen GUS-Staaten.
Schwächstes Glied in der »NATO-Kette«
ist Afghanistan. Die NATO kann diesen
Krieg, den sie zum Kern ihrer Existenzberechtigung
hochstilisiert hat, nicht gewinnen.
Keiner der bisherigen Militäreinsätze
(z. B. auf dem Balkan) führte zu dem anvisierten
Erfolg, der Irak-Krieg führte zu einem
tiefen Zerwürfnis.
Alle politischen Strategien der Regierungen
pro und contra NATO bewegen sich in
Konzeptionen militaristischer Politik – dazu
gehört sicher auch die Politik Chinas
und Russlands, auch die von Brasilien und
Venezuelas.
Die grundsätzliche
Alternative der
zivilen Konfliktlösung
und des Friedens
entwickelt sich
erst langsam – in
den Protesten der
Friedensbewegung,
in vielen Diskussionen
um die »andere
Sicherheit« ohne
Krieg, Hunger und
Unterdrückung.
Auf den Straßen
von Straßburg, in
Baden-Baden und
Kehl wird für diese
Alternativen geworben,
wie auch auf
dem internationalen
Kongress über die
richtige Strategie beraten
und im Camp
darüber diskutiert
werden wird.
Für unseren Protest
und unsere Alternativen
brauchen
wir die Demokratie –
wie die Luft zum Atmen.
Diese wird uns
in Straßburg und Baden-
Baden von den
Regierungen abgewürgt, wir sollen stranguliert
werden.
Es bleibt bei der historischen Wahrheit,
die Rosa Luxemburg formuliert hat: Militarismus
ist immer ein Nein zur Demokratie.
Wir sagen Ja zur Demokratie und auch deshalb
demonstrieren wir für eine friedliche
Welt ohne Krieg – in Straßburg, Baden-Baden
und überall.
Reiner Braun ist Geschäftsführer der
Deutschen Sektion der IALANA, der International
Association Of Lawyers Against Nuclear Arms.
Die Logik der Null funktioniert nur mit Moskau
Von Kate Hudson
In den wenigen Monaten, seit US-Präsident
Bush aus dem Amt ausgeschieden ist, haben
sich die Rahmenbedingungen verbessert,
um die nukleare Abrüstung voranzubringen.
Die großen Hoffnungen, die viele
auf Barack Obama setzen, werden sich auf
einigen Feldern als utopisch erweisen. Es
gibt aber keinen Zweifel daran, dass der
neue Präsident einen deutlich anderen
Kurs als Bush verfolgt – im Bereich der nuklearen
Abrüstung hat die Veränderung bereits
begonnen.
Die in den vergangenen Jahren stark gewandelte
Haltung der USA gegenüber der
nuklearen Abrüstung wirkt sich nun auf Europa
und den Rest der Welt aus. Jene
Stimmen, die US-amerikanische Initiativen
für eine globale Ächtung nuklearer Waffen
favorisieren, haben inzwischen das gesamte
politische Spektrum erfasst. Zu den bekanntesten
Befürwortern gehören Henry
Kissinger und George Shultz. In der jüngsten
Ausgabe des US-amerikanischen Politikmagazins
»Foreign Affairs« unterstützen
auch Ivo Daalder und Jan Lodal dieses Konzept.
Sie vertreten einen Ansatz, den sie
»Die Logik der Null« nennen. Die USA
müssten diplomatische Anstrengungen unternehmen,
um die Welt von dieser Abrüstungslogik
und vom Beginn der notwendigen
Schritte für ihre Umsetzung zu überzeugen.
Die Vision einer nuklearwaffenfreien
Welt wurde von den Präsidentschaftskandidaten
Barack Obama und John McCain
unterstützt und in den USA überraschenderweise
nicht kontrovers diskutiert. Obama
sprach während des Wahlkampfes oft
über Atomwaffen. Zum Beispiel sagte er,
dass eine Welt ohne Nuklearwaffen ein
grundlegendes Interesse der USA und aller
Staaten sei und dass alle in der Pflicht
ständen, diese Vision wahr zu machen.
Die große Frage ist,
wie diese Aussagen
in die Tat umgesetzt
werden. Bisher
gibt es durchaus
positive Signale,
aber zunehmend
wird auch deutlich,
dass in einer Ära
der Abrüstung alle
Pläne von der Erneuerung
der Kooperation
mit Russland
abhängig sind.
Als ein Schlüsselelement
für die globale
Abschaffung der Atomwaffen bezeichnet
Obama die bilaterale Abrüstung zwischen
Russland und den USA. Er plädiert
mit Blick auf das START I-Abkommen zur
Verringerung der strategischen Arsenale für
eine Verlängerung oder einen Ersatz, bevor
es im Dezember 2009 ausläuft. Obama erwägt
auch eine Zusammenarbeit mit Russland,
um ballistische Raketen aus dem Zustand
der akuten Alarmbereitschaft zu
nehmen.
Alle diese Bestrebungen sind zu begrüßen,
doch gibt es derzeit ein Hindernis auf
dem Weg zu verbesserten Beziehungen mit
Moskau, den sogenannten Raketenabwehrschild
der USA. Dieses Abwehrsystem, das
Washington unter Präsident Bush wild entschlossen
in Europa installieren wollte,
würde den Vereinigten Staaten die Fähigkeit
geben, eine anderen Staat anzugreifen,
ohne Vergeltungsschläge befürchten zu
müssen. Vor allem nachdem die Militärbasen
für den Raketenabwehrschirm in Polen
und Tschechien geplant sind, ist es nicht
überraschend, dass sich Russland als potenzielles
Ziel dieses Schildes sieht.
Die Beziehungen verschärften sich so
weit, dass der russische Präsident Medwedjew
im Falle der Installation des Systems
drohte, Iskander-Raketen in Kaliningrad
aufzustellen. Obamas Position in Sachen
Raketenabwehr ist also entscheidend
für Fortschritte in anderen Bereichen. Die
Erklärung von Vizepräsident Joe Biden, die
USA wollten einen Neuanfang in den Beziehungen
zu Russland, schloss auch die
Möglichkeit ein, vom Projekt der Raketenabwehr
Abstand zu nehmen. Inzwischen
hat Russland die Pläne zur Stationierung
der Iskander-Raketen zurückgezogen.
Präsident Obama scheint verstanden zu
haben, dass er mit Russland nur auf einen
Nenner kommen wird, wenn er das kriegerische
Verhalten seiner Vorgänger sowohl
mit Blick auf den Raketenabwehrschirm als
auch in Sachen nuklearer Abrüstung ablegt.
Für die USA ist es an der Zeit zu begreifen,
dass wir in einer multipolaren Welt leben.
Wenn Barack Obama gegen diese Realität
angeht, wird sein Traum der Veränderung
an den Felsen eines andauernden Krieges
zerschellen.
Kate Hudson ist Vorsitzende der britischen
"Campaign for Nuclear Disarmament" (CND).
Iskander kontra Patriot
Gespräch mit Raschid Alimow
Wie steht die Bevölkerung in Russland
zu der geplanten Osterweiterung der NATO
und der vorgesehenen Stationierung von
Raketen in Polen und Tschechien?
Hier in Russland, so meine Beobachtungen,
ist die Bevölkerung in ihrer
großen Mehrheit eindeutig gegen die geplante
Osterweiterung der NATO und
lehnt die Stationierung von Raketen vor
der Haustür Russlands ab. Es ist traurig,
dass die Osterweiterung der NATO und
die geplante Stationierung von Patriot-Raketen
dazu beitragen, dass wir uns vom
Denken des Kalten Krieges nicht endlich
verabschieden können. Erneut stehen wir
uns militärisch gegenüber. Zwar reisen
heute viele Menschen aus Russland nach
Europa, das Verhältnis zum Westen ist
lange nicht so ideologisch belastet wie es
während des Kalten Krieges war. Doch
gleichzeitig befürchte ich eine neue kalte
Konfrontation, die auch massive Folgen
für die innenpolitische Situation in Russland
hat.
Welche Folgen meinen Sie?
Russlands Armee braucht dringend Reformen.
Ich spreche nicht von technischen
Erneuerungen, die die Armee effektiver
machen würden. Ich meine vielmehr, dass
dringend etwas getan werden muss, um
die Gewalt in der Armee zu beenden. Im
vergangenen Jahr sind nach Angaben des
Verteidigungsministeriums 400 russische
Soldaten umgekommen. Die bei Kriegseinsätzen
getöteten Soldaten sind hier noch
gar nicht mitgezählt. Organisationen, wie
zum Beispiel die Soldatenmütter, gehen
davon aus, dass sogar zwischen 2500 und
3000 Soldaten in nur einem Jahr ihr Leben
verloren haben.
Solange der Westen Russland umzingelt,
ist an eine echte Reform der Armee
nicht zu denken. Und es ist auch nicht
daran zu denken, dass derartige, dringend
notwendige Armeereformen, gar in Zusammenarbeit
mit westlichen Partnern,
umgesetzt würden.
25 Millionen Menschen wohnen in
»Monostädten«. Diese Städte hängen wirtschaftlich
von einer einzigen Firma ab.
Gerade angesichts der derzeitigen Wirtschaftskrise
wird deutlich, wie wichtig eine
Reform und Diversifizierung der Wirtschaft
dieser Städte wäre. Häufig handelt
es sich hier um Unternehmen aus dem militärisch-
industriellen Komplex. Und solange
die außenpolitische Lage, bedingt
durch die geplante Aufstellung von USRaketen,
so angespannt ist, ist eine dringend
notwendige Reform dieser Monostädte
nicht umsetzbar.
Welche Gegenmaßnahmen ergreift das
offizielle Russland gegen die Umzingelungspläne
der NATO?
Der Militärblock NATO rückt immer näher
an unsere Grenzen vor. Im Gegenzug
bemüht sich Russland verstärkt um eine
engere militärische Zusammenarbeit mit
Ländern, die nicht in der NATO sind.
Russland arbeitet an einer Intensivierung
der militärischen Zusammenarbeit in der
GUS, versucht die militärische Zusammenarbeit
mit Ländern wie Syrien auszubauen,
wirbt weltweit um politische Unterstützung
für seine Positionen. Und Russland
droht mit einer Stationierung von Iskander-
Raketen im Gebiet Kaliningrad für
den Fall, dass die USA in Tschechien und
Polen Raketen aufstellen werden. Ich hoffe
sehr, dass es nicht zur Stationierung
von Patriot- und Iskander-Raketen kommt.
Raschid Alimow ist Co-Vorsitzender von "Öko-Perestroika" und Umwelt- und Friedensaktivist in St. Petersburg. Er sprach auf der Bremer Friedenskonferenz im Februar 2009 und will sich auch an den Protesten anlässlich des 60. Geburtstages der NATO in Straßburg beteiligen.
Fragen: Bernhard Clasen
Die NATO ist der Widerspruch zu einer friedlichen Welt
Gespräch mit Arielle Denis
Die französische Nationalversammlung
hat die Rückkehr Frankreichs in den militärischen
Verbund der NATO beschlossen. Welche
Probleme sieht die französische Friedensbewegung
in diesem Schritt?
Die Frage, die am 17. März im Parlament
zur Abstimmung gestellt wurde, hieß nicht:
»Wollen Sie, dass Frankreich in den militärischen
Verbund der NATO zurückkehrt?«,
sondern »Unterstützen Sie die Außenpolitik
der Regierung?« Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Es war eine Vertrauensfrage,
und wenn die Mehrheit mit Nein gestimmt
hätte, wäre die Regierung gestürzt worden.
Sie können sich vorstellen, dass das keine
leichte Entscheidung war für die Abgeordneten
der Regierungsmehrheit. Es hat keinerlei
demokratische Debatte auf irgendeinem
Niveau über diese Entscheidung gegeben,
auch nicht im Parlament.
Eines von Präsident Sarkozys Argumenten
lautete: »Es ist nur eine Formalität«,
weil Frankreich bereits Mitglied der NATO
ist. Aber das ist so nicht wahr. Es handelt
sich um einen großen Bruch in der französischen
Außenpolitik. Hier wurde ein Konsens
gebrochen, der seit 43 Jahren bestand,
nachdem De Gaulle entschieden hatte,
den militärischen Verbund der NATO zu
verlassen und die US-Stützpunkte aus dem
Land zu werfen.
Es gab Widerspruch gegen diesen Schritt
bis weit in die Regierungskoalition hinein.
Wie diskutieren die französischen Bürgerinnen
und Bürger die Regierungsentscheidung
für die Rückkehr in den militärischen Verbund
der NATO?
In Frankreich wissen die Menschen nicht
so sehr viel über die NATO. Wofür soll sie
gut sein? Was ist der Unterschied zur UNO?
Das sind häufig gestellte Fragen. Hier Informationen
zu geben und eine politische
Debatte unter den Bürgerinnen und Bürgern
zu entwickeln, das ist unsere monatelange
Aufgabe, die wir mit 43 Organisationen
gemeinsam im »Kollektiv NATO-Afghanistan
« angehen, das gegenwärtig überall
in Frankreich lokale Gruppen bildet.
Unsere Bürgerinnen und Bürger sind
sehr angetan von der Idee der Unabhängigkeit
und sehr gegen irgendein Zusammengehen
mit der US-amerikanischen Außenpolitik.
Nicolas Sarkozy erfand das Konzept
der »westlichen Familie«. Aber was heißt
das? Die Position Frankreichs, die eindeutig
gegen den Krieg in Irak und für den
UNO-Sicherheitsrat stand, war ein breiter
Konsens von der politischen Rechten bis
zur radikalen Linken. Aber Präsident Sarkozy
hat sich bewusst mit Beratern umgeben,
die sich für den Krieg in Irak ausgesprochen
hatten. Er versucht, Frankreich
und die Europäische Union fest an die USA
zu binden. Er ist ein Militarist. Er erwähnt
in seinen Reden nie die UNO. Er hat den
Rüstungsetat um 5,4 Prozent erhöht und er
bedroht die Demokratie auf vielerlei Weise.
Die französische Friedensbewegung fordert
ein Referendum über die Regierungsentscheidung
zur Rückkehr in die NATO. Welche
Chancen bestehen, ein solches Referendum
durchzusetzen und – wenn das gelingt –
auch für sich zu entscheiden?
Ja, wir haben uns für ein Referendum
über diese Frage ausgesprochen, um die
Bedeutung dieses Bruchs in der französischen
Außenpolitik in das Bewusstsein der
Bevölkerung zu bringen. Viele Politiker aus
unterschiedlichen Lagern sprachen ebenfalls
über ein Referendum. Wir werden eine
Kampagne entfalten und jede sich bietende
Gelegenheit nutzen, um über die NATO zu
diskutieren. Die bevorstehenden Europawahlen
bilden dafür ebenfalls einen guten
Rahmen, weil der Lissabon-Vertrag die Beziehungen
zwischen EU und NATO verstärkt,
so wie wir das in unseren gemeinsamen
Erklärungen mit den Friedensbewegungen
in Europa und der Welt zum Ausdruck
bringen. Die NATO ist der Widerspruch
zu einer friedlichen Welt. Als eine
Allianz der Großmächte ist sie einzig und
allein dazu da, ihre Interessen zu verteidigen,
Kriege und Spannungen zu schüren,
die Militärausgaben zu erhöhen und einen
neuen Rüstungswettlauf zu starten.
Deshalb hoffen wir, dass wir mit so vielen
Menschen in Straßburg bei den Aktionen
gegen den NATO-Gipfel dabei sind,
dass alle Menschen auf der Welt unsere
Botschaft gegen die NATO und für den
Frieden in der Welt hören und sich unserer
Kampagne anschließen, die sagt: »60 Jahre
sind genug – Lasst uns die Welt von der
NATO befreien«.
Arielle Denis ist Co-Vorsitzende des Mouvement de la Paix (Frankreich).
Fragen: Otmar Steinbicker
Auch US-Präsident Obama setzt auf die NATO
Von Joseph Gerson
Während sich eine große Welle der Erleichterung
über das Ende der Bush-Cheney-Ära
verbreitete, haben zu viele Menschen vergessen,
dass Barack Obama ein Politiker
und nicht Martin Luther King oder Mahatma
Gandhi ist. Trotz stark steigender Arbeitslosenzahlen,
trotz Millionen Familien,
die ihr Heim verloren haben, und einer
Staatsverschuldung, die ins Unvorstellbare
steigt, will dieser Präsident den nationalen
Militäretat erhöhen -- und das, obwohl er
schon jetzt so groß ist wie die restlichen
weltweiten Militärausgaben zusammen.
Noch bevor das neue Afghanistan-Gutachten
seiner Administration vorliegt, schickt
Obama weitere 17 000 Krieger und drängt
die NATO zu mehr Soldaten.
Trotz seines Wahlslogans vom »Wandel«
hat der Aufstieg Obamas das System nicht
wesentlich verändert. Dass Bushs Kriegsminister
Robert Gates seine Position behalten
hat und der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber
General Jones Nationaler Sicherheitsberater
wurde, ist ein Paradebeispiel
für die Kontinuität der Politik Obamas. Die USA ziehen ihre geschätzten 400 nuklearen Sprengköpfe aus Europa nicht ab
und geben ihre Pläne zur Errichtung von
Militärbasen für einen offensiven Raketenabwehrschirm
in Tschechien und in Polen
nicht auf. Sie errichten weiterhin Stützpunkte
auf dem Territorium der neuen
NATO-Staaten entlang der Peripherie Russlands
und wollen noch immer Georgien und
die Ukraine in die Militärallianz bringen.
An den gescheiterten Kriegen in Irak und
in Afghanistan, am Zusammenbruch des
Casinokapitalismus, dem wachsenden
Schuldenberg und am »Aufstieg der Anderen
« -- vor allem Chinas -- zeigt sich, dass
das Amerikanische Imperium den Zenit
überschritten hat. Machtvolle Sektoren der
US-Eliten unterstützten Obama, weil sie
glaubten, er könne die Überbleibsel der
Hegemonie konsolidieren und die »Führungsrolle
« der USA wieder legitimieren.
Dies erklärt auch Washingtons Besessenheit,
die NATO zu erhalten.
Die andere konzeptionelle Säule des restauratorischen
Projekts bildet die Arbeit
von Joseph Nye, schon unter Bill Clinton
Sicherheitsexperte. Er hatte sich früh beschwert,
dass Bushs Kriege Washingtons
globale Macht und seinen Einfluss untergraben.
Er drängte darauf, dass die USA
sowohl auf die »sanfte Gewalt« der Diplomatie
als auch auf militärischen Zwang
setzen. Im Wahlkampf betonten Obama
wie Hillary Clinton diese »sanfte Gewalt«,
die wir jetzt in ihren Annäherungen an
Russland, Iran und China umgesetzt sehen.
Wie passt die NATO in dieses Bild? Sie
wurde nicht nur geschaffen, um Moskau
militärisch einzudämmen, sondern auch,
um sich eine Stellung an der Peripherie
des geopolitischen Herzstücks der globalen
Macht -- Eurasien -- zu sichern. Daher wurde
sie nach Zusammenbruch der Sowjetunion
nicht etwa aufgelöst, sondern mit
neuen Prinzipien versehen. Washington
brach sein Versprechen, für Moskaus Einwilligung
zur Integration Ostdeutschlands
in die feindliche Allianz die NATO nicht
Richtung Russland auszudehnen. So sorgte
man auch für die Wiederbelebung des militarisierten
russischen Nationalismus.
Nach Beendigung des Kalten Krieges erhielt
die NATO weitere, nicht-defensive Aufgaben.
Afghanistan ist ein klassisches Beispiel
dieser »Out of area«-Operationen.
Weniger bekannt ist die Schutzfunktion,
die der Pakt bei AFRICOM, dem Einsatzkommando
des Pentagon für Afrika mit
Zentrale in Stuttgart, leistet. Es wurde eingerichtet,
um den USA einen privilegierten
Zugang zum afrikanischen Öl (momentan
24 Prozent der US-Importe) und zu anderen
Ressourcen zu gewährleisten.
In Afghanistan verstärkt Obama sowohl
die »sanfte« als auch die »harte« Gewalt.
Während er »Teile und Herrsche« spielt,
indem man Spielräume für Verhandlungen
mit den Taliban eruiert, werden tausende
zusätzliche Soldaten entsandt, fallen immer
mehr Bomben, die die Bevölkerung in
Afghanistan wie in Pakistan nur noch weiter
entfremden. Dieser Krieg, so hat Obama
verdeutlicht, ist zur existenziellen Bewährungsprobe
für die Allianz mutiert.
Gibt es eine Alternative zur NATO? Natürlich!
In den dunkelsten und gefährlichsten
Momenten des Kalten Krieges schlug
der schwedische Ministerpräsident Olaf
Palme das Konzept der Gemeinsamen Sicherheit
vor. Angesichts der globalen Finanz-
und ökologischen Krise ist es allerhöchste
Zeit, dass sich die Staaten nicht
mehr auf ihre militärischen Kapazitäten
konzentrieren, sondern all unsere begrenzten
humanitären und materiellen Ressourcen
in die Schaffung eines solchen gemeinsamen
Sicherheitsraumes investieren.
Dr. Joseph Gerson ist Programmdirektor des
American Friends Service Committee in Neuengland
(USA).
Quelle: Beilage der Tageszeitung "neues Deutschland" vom 28. März 2009
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