Heiligendamm: "Die Allgemeinverfügung untersagt alle öffentlichen Versammlungen ..."
Die Polizeiverfügung und die Erklärungen der G8-Gegner - u.a. auch der Friedensbewegung - im Wortlaut
Die Auseinandersetzungen zwischen Behörden und Gipfelgegnern haben in den letzten Tagen an Schärfe zugenommen. Eine Woche nach den bundesweiten Polizeirazzien (siehe hierzu: Kriminalisierung des Protestes und self fulfilling prophecies) verhängte die Polizei von Mecklenburg-Vorpommern ein weit reichendes Demonstrations- und Versammlungsverbot.
Im Folgenden dokumentieren wir hierzu:
15. Mai 2007
Polizeidirektion Rostock erlässt Allgemeinverfügung
Aus Anlass des G8-Gipfeltreffens in Heiligendamm erlässt die Polizeidirektion Rostock als zuständige Versammlungsbehörde M-V am 16.05.2007 eine Allgemeinverfügung über eine räumliche und zeitliche Beschränkung des Versammlungsrechts im Bereich um Heiligendamm und Laage mit Regelungen im Zeitraum ab 30.05. bis zum 08.06.2007.
Die Allgemeinverfügung untersagt
-
alle öffentlichen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel im Zeitraum vom 30.05.2007, 00:00 Uhr bis 08.06.2007, 24:00 Uhr
im Gebiet innerhalb der technischen Sperre um Heiligendamm und bis 200 m vor der technischen Sperre, sowie im kleinen (seeseitigen) Sperrgebiet vor Heiligendamm,
- alle öffentlichen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel für den Zeitraum vom 05.06.2007, 00:00 Uhr bis 08.06.2007, 24:00 Uhr und
-
alle unangemeldeten öffentlichen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel für den Zeitraum vom 30.05.2007, 00:00 Uhr bis 08.06.2007, 24:00 Uhr
in dem in beiliegender Karte mit „II“ gekennzeichneten Bereich,
-
alle öffentlichen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel für den Zeitraum vom 02.06.2007, 00:00 Uhr bis 08.06.2007, 24:00 Uhr
für das Gebiet um den Flughafen Rostock – Laage.
Alle bislang angemeldeten Versammlungen in diesen Räumen werden auf Grundlage der Allgemeinverfügung geprüft.
Globalisierungskritische Kreise haben wiederholt öffentlich dazu aufgerufen, „den G8-Gipfel real und effektiv (zu) blockieren und von seiner Infrastruktur abzuschneiden“. Damit wird eine andauernde Bedrohungssituation für alle Gipfelteilnehmer und kritischen Demonstranten erzeugt. Zwingend notwendige Rettungsmaßnahmen wären ggf. nicht mehr durchführbar. Eine solche Störung der Arbeitsfähigkeit der Gipfeltagung mit seinen zahlreichen Delegationen würde die internationalen Interessen Deutschlands nachhaltig schädigen. Auch die weit überwiegende Zahl friedlicher Protestteilnehmer vermag derart beabsichtigte Störungen nicht zu verhindern. Erfahrungen zeigen, dass aus dem Schutz friedlicher Versammlungen heraus Gewalttäter erfolgreich ihre Ziele erreichen.
Die gewaltsame Erstürmung des durch eine technische Sperre gesicherten Raumes ist offensichtlich erklärtes Ziel gewaltbereiter Globalisierungsgegner. Im Falle der Überwindung der technischen Sperre ist die polizeiliche Aufgabe der Verhinderung von Anschlägen gefährdet.
Die Beschränkung des Versammlungsrechts ist deshalb auch unter Berücksichtigung des hohen Stellenwerts des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nicht nur erforderlich sondern auch verhältnismäßig.
Die Versammlungsbehörde geht davon aus, dass die Protestszene ihrem Anliegen durch viele Demonstrationen ausreichend Ausdruck verleihen kann. Insbesondere in Bad Doberan werden auf dem zentralen „Kamp“ Dauerveranstaltungen stattfinden. Auch im Stadtgebiet von Rostock finden ab dem 01.06.2007 fortlaufend Versammlungen statt, insbesondere am 02.06.2007 die angekündigte Großdemonstration mit bis zu 100.000 Teilnehmern.
Bei KAVALA liegen zur Zeit 60 Versammlungs- und Veranstaltungsanmeldungen für den Zeitraum ab 25.05.2007 vor. Bislang sind 10 Versammlungen positiv beschieden worden und bleiben von der Allgemeinverfügung unberührt. In den nächsten Tagen werden weitere Bescheide versandt. Fortlaufend kommen neue Anmeldungen hinzu. Erfahrungsgemäß werden nur einige Versammlungen unter das dargestellte allgemeine Verbot fallen.
Die von der „Friedensgesellschaft“ angemeldeten Kundgebungen auf den Zufahrten zum zivilen und militärischen Flughafengelände können allerdings angesichts der angekündigten Blockaden nicht zugelassen werden.
Die Verbote treten spätestens außer Kraft, sobald alle gefährdeten Schutzpersonen aus dem Teilnehmerkreis des G-8-Gipfeltreffens das dargestellte Gebiet am 08.06.2007 seit mehr als einer Stunde verlassen haben.
Der genaue räumliche Geltungsbereich ist im Internet unter der Adresse: www.polizei.mvnet.de“ unter der Rubrik „G8 Gipfel 2007“ unter dem Menüpunkt „Versammlungen“ abrufbar.
Quelle: http://www.polizei.mvnet.de/index.php?option=content&task=view&id=3782&I
Gigantomanisches Sicherheitskonzept behindert Demonstrationen und
die Bevölkerung unnötig
Das Netzwerk Friedenskooperative – Mitveranstalter der
Großdemonstration am 2. Juni – kritisiert die von der
Versammlungsbehörde "Kavala" erlassene Allgemeinverfügung als
demokratiefeindlich.
Auch eine Sicherheitsstufe 1 kann nach Auffassung des
Friedensnetzwerks die Errichtung einer weiteren demokratiefreien
Zone weit außerhalb des um Heiligendamm errichteten Zauns nicht
rechtfertigen.
Netzwerk-Geschäftsführer Manfred Stenner sieht ein "gigantomanisch
aufgeblähtes Sicherheitskonzept, dass Demonstranten wie Einwohner
völlig ungerechtfertigt in ihrer Freizügigkeit behindert". Es sei zu
hoffen, dass die Allgemeinverfügung der Überprüfung bei den
Verwaltungsgerichten und beim Bundesverfassungsgericht nicht
standhalte.
Die Kritik am Sicherheitskonzept betrifft auch unnötige Maßnahmen
außerhalb der für Versammlungen verbotenen Zonen. Die örtliche
Verkehrsgesellschaft RAG stellt 8 Tage lang den Busverkehr zwischen
Umland und Innenstadt ein und erklärt das mit den vielen Demos, die
einen ordentlichen Verkehr unmöglich machen würden.
Diese Verkehrseinschränkungen auch für die Bevölkerung Mecklenburg-
Vorpommerns seien völlig unnötig und geschähen gegen den Willen der
Demonstrationsveranstalter. Der ÖPNV wird aus einer Arbeitsgruppe
des Innenministeriums gesteuert.
Die Veranstalter der Großdemonstration am 2. Juni befürchten auch
für diese von allen Seiten als unproblematisch eingestufte
Demonstration eine massive faktische Einschränkung des
Versammlungsrechts durch Kontrollen und die Beschneidung der
Fahrtmöglichkeiten nach Rostock.
Insbesondere die Teilnahme von Demonstranten aus Skandinavien ist
durch die angedrohten scharfen Grenzkontrollen der Bundespolizei wie
durch mangelnde Transportkapazitäten von den Fähren nach Rostock
gefährdet. Bei der jetzigen Kapazität kämen dänische Demonstranten
erst nach 5 Stunden in Rostock an. Das Netzwerk Friedenskooperative
fordert das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern auf, eine
Aufstockung des Schienenverkehrs durch die DB zu ermöglichen und die
Aussetzung des Umlandverkehrs zurückzunehmen.
Kritisiert wird insbesondere auch Innenminister Schäuble, der die
Protestbewegung diffamiere und den Kanzlerin Merkel im Interesse der
verfassungsrechtlichen Grundsätze "an die Leine legen sollte".
Stenner: "Die von Innenminister Schäuble mehrfach verteidigten
Grenzkontrollen unter Aussetzung des Schengen-Abkommens behindern
die Grundrechte und sind ein Affront gegen die zum Gipfelprotest
anreisenden ausländischen Gäste".
Erfreut zeigt sich die Friedenskooperative über den großen
Widerspruch gegen die Repressionswelle im Vorfeld des Gipfels und
die vielen Solidaritätsadressen mit "Jetzt erst recht!"-Appellen,
die die Demonstrationsveranstalter erreicht haben.
gez. Manfred Stenner
Geschäftsführer des Netzwerk Friedenskooperative
Dazu gab es zwei Stunden später eine "Feinkorrektur":
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
in unserer heutigen PM hatten wir behauptet:
"Die örtliche Verkehrsgesellschaft RAG stellt 8 Tage lang den
Busverkehr zwischen Umland und Innenstadt ein und erklärt das mit
den vielen Demos, die einen ordentlichen Verkehr unmöglich machen
würden."
Dies war ein wenig übertrieben und ich bitte um Pardon.
Nachweislich ist lediglich: Der Verkehrsverbund "Regionalverkehr Küste"
(RVK) (nicht RAG, Bonner Ignoranz) will ab 2. Juni den ZOB in der
Rostocker Innenstadt nicht anfahren und verkündet auf seiner website
Ausweichhaltestellen. Das bedeutet, dass Fahrgäste z.T. am Stadtrand
in S-Bahnen umsteigen müssen, die nur im 1-Stunden-Takt verkehren.
Wir halten diese Einschränkungen für unnötig. Die örtliche Rostocker
RSAG hat dagegen z.B. die Taktzeiten für Straßenbahnen und Busse in
Rostock erhöht und lässt darüberhinaus in der ganzen Woche ihre
Nachtlinien fahren, die sonst nur am Wochenende unterwegs sind.
Immerhin hat auch die RVK G8-Tickets zum Preis von 15 EUR angeboten –
eine begrüßenswerte Maßnahme.
Alle anderen in der Pressemitteilung gemachten Aussagen gelten
weiterhin uneingeschränkt.
Mit der Bitte um Verständnis und freundlichen Grüßen
gez. Manfred Stenner
Geschäftsführer des Netzwerk Friedenskooperative
Pressemitteilung 16.05.2007
G8-Demonstrations-AG 2.Juni
-
Scharfe Kritik an Grundrechtseinschränkungen während des G8-Gipfels
- Behinderung bei der Anreise der DemoteilnehmerInnen befürchtet
Die Veranstalter der internationalen Großdemonstration anlässlich des
G8-Gipfels am 2. Juni in Rostock haben die polizeiliche Allgemeinverfügung,
mit der die Wahrnehmung des Demonstrationsrechts während des Gipfeltreffens
vom 5. - 8.6. drastisch eingeschränkt wird, scharf kritisiert. Schon die
Errichtung des verharmlosend "technische Sperre" genannten Zauns um den
Tagungsort herum sei völlig unverhältnismäßig und vermutlich auch rechtlich
nicht haltbar, kritisierte Werner Rätz vom Veranstalterkreis. Die jetzt für
die Allgemeinverfügung bemühte Begründung, die Polizei benötige eine riesige
Zone um den Zaun herum als Nachschub- und Rettungswege sei vollends
unglaubwürdig. "Die polizeiliche Bewegungsfreiheit kann nicht zu
demonstrationsfreien Zonen führen. Die sind im Grundgesetz nicht vorgesehen", erklärte Rätz. Die Veranstalter begrüßen es ausdrücklich, wenn die von
den Verboten betroffenen Anmelder gerichtlich gegen die Verfügungen
vorgehen. Zwar sei die Kooperation mit der Sonderkommission Kavala bezüglich
der Demonstration am 2. Juni nach wie vor gut, erklärte Sabine Zimpel,
ebenfalls Sprecherin des Demobündnisses. Aber es müsse befürchtet werden,
dass die Anreise speziell der ausländischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer
behindert werden könnte. So ständen vermutlich nicht ausreichend
Transportkapazitäten zur Verfügung, um etwa die mit der Fähre anreisenden
über tausend dänischen TeilnehmerInnen rechtzeitig zu den
Auftaktkundgebungen zu bringen. Die von Bundesinnenminister Schäuble
angekündigten Grenzkontrollen im Rahmen der Aufhebung des Schengener
Abkommens stellten Menschen aus anderen Ländern generell unter Verdacht. ?So
behandelt man keine Gäste. Schließlich hat sich die Bundesregierung mit den
G8 auch den internationalen demokratischen Protest eingeladen?, sagte
Zimpel.
Pressemitteilung
des Bundesausschusses Friedensratschlag-
Ausnahmezustand rund um Heiligendamm
- Grundrechte suspendiert
- Bundeswehreinsatz im Inneren
- Militarisierung der Außenpolitik
Kassel, 17. Mai - Die neuerliche Verschärfung der polizeilichen Sicherungsmaßnahmen in und um Heiligendamm wird vom Bundesausschuss Friedensratschlag zurückgewiesen und als Versuch gewertet, demokratische Rechte zugunsten einer umfassenden Militarisierung der Außenpolitik abzubauen.
Die Ausweitung der "Sicherungszone" um Heiligendamm und den Flugplatz Rostock-Laage in Verbindung mit der "Allgemeinverfügung" zum Verbot jeglicher Demonstrationen innerhalb der ausgewiesenen Zone stellt das grundgesetzlich verbürgte Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5,1 GG) und Demonstrationsfreiheit (Art. 8) auf den Kopf. Galt bisher - zumindest dem Anspruch nach - der Grundsatz, dass das Versammlungsrecht nur ausnahmsweise durch besondere Auflagen eingeschränkt werden dürfe, so wird jetzt die Einschränkung bzw. das totale Versammlungsverbot zur Regel. Originalton Polizei: "Die Allgemeinverfügung untersagt alle öffentlichen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel im Zeitraum vom 30.05.2007, 00:00 Uhr bis 08.06.2007, 24:00 Uhr".
Man stelle sich nur einen Augenblick vor, die Regierung von Belarus (Weißrussland) oder der russische Präsident erließen anlässlich internationaler Gipfel in ihren Ländern ähnliche restriktive Verfügungen. Wir können sicher sein, dass Bundesregierung und EU postwendend von "nicht akzeptablen" Einschränkungen der Meinungsfreiheit sprechen würden und scharfe diplomatische Noten nach Minsk bzw. Moskau schicken würden. Harsche Reaktionen wären auch heraufbeschworen worden, wenn Russland oder Belarus Regimekritiker und Gipfelgegner ähnlich rüde behandelt hätten, wie das die deutschen Innenbehörden vor 10 Tagen mit ihren Polizeirazzien gegen 40 alternative Einrichtungen getan hatten.
Die skandalöse Suspendierung von Grund- und Menschenrechten ist die Begleitmusik zu einem Lieblingsprojekt des deutschen Innenministers Schäuble: den Einsatz der Bundeswehr im Inneren über den Katastrophenschutz hinaus ausweiten zu können. Einen ersten Grundstein dazu hatte übrigens schon die rot-grüne Koalition mit den Stimmen der CDU/CSU im Februar 2005 gelegt. Damals wurde per Änderung des Reservistengesetzes über eine Million ehemalige Soldaten zusätzlich für die "Zivil-Militärische Zusammenarbeit ZMZ Inneres", d.h. für den Einsatz im Innern bereitgestellt. Vor wenigen Tagen erst schlug Schäuble vor, Art. 87 a (Auftrag der Bundeswehr: Landesverteidigung) und Art. 35 (Amts- und Katastrophenhilfe) des Grundgesetzes dahingehend zu ändern, dass der Einsatz der Bundeswehr generell dann angeordnet werden könne, wenn die polizeilichen Mittel nicht mehr "ausreichen". Die beiden Änderungen sollen "präventive Anti-Terror-Einsätze" der Bundeswehr absichern, heißt es dazu aus dem Hause Schäuble. Nachdem SPD-Vorsitzender Kurt Beck zumindest einer Änderung des Art. 35 nicht mehr ablehnend gegenübersteht (Beck: "Wir werden alles unterstützen, was unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel innere Sicherheit für die Menschen gewährleistet", 14. Mai 07), besteht die akute Gefahr, dass die Große Koalition per Grundgesetzänderung (wozu sie über die notwendige Zweidrittelmehrheit verfügt) ein Kernelement des demokratischen Rechtsstaats abschafft: die strikte Trennung der Aufgaben von Armee, Polizei und Nachrichtendiensten.
Die Friedensbewegung sieht diese Entwicklung auch deshalb mit großer Sorge, weil damit die Bundesregierung nachvollzieht, was die US-Administration seit 2001 proklamiert und auf desaströse Weise weltweit praktiziert: Der Kampf gegen den Terrorismus wurde zum "Krieg gegen den Terror" deklariert und damit in einen rechtsfreien Raum verlagert. Wer mit Militär gegen den Terror im Irak, in Afghanistan, in Somalia oder sonst wo vorgeht, wird folgerichtig auch gegen Terroristen - oder was dafür gehalten wird - im Inneren Militär einsetzen wollen.
Militär im Inneren und Auslandseinsätze der Bundeswehr sind aber nur zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das eine braucht man als Drohgebärde und potenzielle Handhabe gegen Kriegsgegner, Pazifisten und die kriegsabstinente Grundstimmung der Bevölkerungsmehrheit in Deutschland, um das andere, die weltweiten Militärexpeditionen, reibungslos durchführen zu können. Verteidigungsminister Jung und Innenminister Schäuble (beide CDU) dürfte ein Umfrageergebnis nicht verborgen geblieben sein, das in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift "Internationale Politik" veröffentlicht wurde. Auf die Frage: "Glauben Sie, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr dazu beitragen, Deutschland besser vor terroristischen Anschlägen zu schützen?", antworteten nur 13 Prozent mit "Ja"; 84 Prozent sagten "Nein".
Für die Friedensbewegung sind die Proteste anlässlich des G8-Gipfels auch ein Zeichen des Widerstands gegen den Kriegskurs der G8 (Russland trotz zahlreicher strategischer Differenzen mit der NATO ausdrücklich eingeschlossen). Es geht bei den Verhandlungen der größten Industriestaaten nicht nur um - weitgehend kosmetische - Feinabstimmungen beim Klimaschutz und bei der Entwicklungspolitik. Es geht auch um die gegenseitige Versicherung der führenden Staatsmänner und einer Frau, das herrschende Produktions-, Technologie-, Handels- und Wohlstandsgefälle aufrecht zu erhalten, notfalls (und das wird immer mehr der Regelfall) mit Waffengewalt in allen Teilen der Welt.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag unterstützt nachdrücklich die Proteste gegen den G8-Gipfel und wird sich mit einer
friedenspolitischen Plattform zahlreicher Friedensinitiativen und -organisationen an den Aktionen beteiligen.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
Köln, 17. Mai 2007
Presseinformation
Die Polizeidirektion Rostock - nicht die Demonstrierenden - fügen dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schweren Schaden zu
Am 16. Mai 2007 hat die Polizeidirektion Rostock eine Allgemeinverfügung erlassen, mit der das Versammlungsrecht "aus Anlass des G-8-Gipfeltreffens in Heiligendamm" räumlich und zeitlich "beschränkt" wird. Auch außerhalb des 12 km langen Zauns – der "technischen Sperre" - rund um Heiligendamm werden die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit außer Kraft gesetzt. Innerhalb des Zauns sind die Grundrechte noch weitgehender außer Kraft gesetzt. Von den Grundrechten auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit wird auch das Gebiet um den Flughafen Rostock-Laage ab dem 2.6.2007 ausgenommen.
Einer solchen vorauseilenden Verbotsverfügung müssten gegenwärtige, konkrete Erkenntnisse über eine unmittelbare Gefährdung anderer hochrangiger Rechtsgüter zu Grunde liegen. Alle Vermutungen sprechen dagegen, dass solche Erkenntnisse vorliegen. Auch nach den bisherigen Aussagen der Polizei geht man von einem friedlichen Protest aus. Ihre nun die Allgemeinverfügung begründenden Erkenntnisse macht die Polizei jedoch der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Die Begründung kann nach dem Willen der Polizei nur in der Polizeidirektion Rostock eingesehen werden. Ein Pressesprecher versuchte dies telefonisch damit zu erklären, dass die meisten BürgerInnen rund um Rostock keinen Internet-Zugang haben. Tatsächlich eröffnet erst die Veröffentlichung die Möglichkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit den angeführten Belegen. So besteht die veröffentlichte Allgemeinverfügung aus einer dürren Aufzählung der Verbotszonen zu Land und zu Wasser. Zudem ist die Allgemeinverfügung nun so kurzfristig erlassen worden, dass eine gerichtliche Überprüfung – nötigenfalls durch die verschiedenen Instanzen – nur unter Zeitdruck möglich ist. Die Prüfung der Beweislage durch die Gerichte ist erschwert.
Da die Begründung der Allgemeinverfügung inzwischen auf der Internetseite von "gipfelsoli" zugänglich gemacht ist (siehe auch oben!), wollen wir unseren Protest gegen diese Allgemeinverfügung mit ersten wenigen Gegenargumenten belegen:
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Durchgängig wird zur Begründung eines Demonstrationsverbots die Angst vor (islamistischem) Terror, für den es keine konkreten Anhaltspunkte gibt, vermischt mit Befürchtungen, dass schon die reine Inanspruchnahme des Versammlungsrechts den Ablauf des G-8-Gipfels auch nur begrenzt stören könnte.
Folglich schreibt die Polizeidirektion, dass "es nicht auf konkrete Anhaltspunkte für einen etwa geplanten Anschlag" ankommt.
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Die mögliche Störung der "Infrastruktur" der Gipfelkonferenz kann aber nicht als Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter angesehen werden. Wer schreibt, dass die "Örtlichkeiten" nicht geeignet sind, "mehrere tausend Personen aufzunehmen, ohne dass es zu Blockadesituationen kommen würde", macht deutlich, dass nicht mögliche Gewalttaten, sondern der Protest selber das Verbot begründen. Jede Spekulation über Gefährdungen beruht nicht auf Erkenntnissen, sondern dient nur der Begründung eines nicht legitimierbaren Ausnahmezustands.
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Neben der abstrakten Gefährdung durch islamistischen Terror werden Brandanschläge aus der Vergangenheit aufgelistet, die alle nicht aus Versammlungen heraus geschehen sind.
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Zutiefst undemokratisch ist die Argumentation, dass manche Vertreter anderer Staaten in Demonstrationen geäußerte Kritik "als unfreundlichen Akt empfinden" und auswärtige Beziehungen dadurch belastet werden könnten. Deshalb soll das Versammlungsrecht beschränkt werden. Die "außenpolitischen Belange" der Bundesrepublik können jedoch nicht eine Anpassung an die Erwartungen von Polizeistaaten rechtfertigen, sondern machen es im Gegenteil notwendig, einen demokratischen Umgang mit Protest beispielgebend vorzumachen.
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Der zulässige Schusswaffengebrauch der Bundeswehr auf dem Flughafen Rostock-Laage, auf dem Mehrzweckkampfflugzeuge vom Typ "Eurofighter/Typhoon" stationiert sind, kann nicht ein Versammlungsverbot außerhalb dieses Geländes rechtfertigen.
- Die Verbotsverfügung richtet sich insbesondere gegen die angemeldeten Proteste am Flughafen Rostock-Laage und den Sternmarsch zum Zaun um Heiligendamm. Diesbezüglich aber lässt die Begründung jeden konkreten Hinweis auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vermissen. Aus der Aufzählung, dass "Umweltaktivisten, Globalisierungsgegner, Kriegsgegner sowie Gegner der Todesstrafe" auch die Politik der USA kritisieren, lässt sich dies nicht ableiten. Bunt gemischte Zitate aus dem Internet und symbolische Sprüche können dies ebenfalls nicht belegen. PolitikerInnen müssen als gewählte VolksvertreterInnen bereit sein, sich mit der Kritik, die die Bürger und Bürgerinnen vorbringen, auseinanderzusetzen.
Die Polizeidirektion setzt somit international das Zeichen, dass angesichts des Treffens hochrangiger PolitikerInnen Grund- und Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden können.
Das Versammlungsrecht – nicht nur durch Art. 8 GG, sondern auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention und die Menschenrechtscharta geschützt – gilt in Mecklenburg-Vorpommern nicht. Gerade weil die internationale Aufmerksamkeit in dieser Zeit auf den Themen liegt, die von den hochrangigen PolitikerInnen verhandelt werden, muss auch die Kritik eine Chance haben, international wahrgenommen zu werden.
Demonstrationen leben davon, dass sie öffentlich vernommen und medienwirksam vorgebracht werden können. Sie müssen zu Zeiten und an Orten vorgebracht werden können, die den Inhalten gemäß sind. Nur so können sie die Politik vor Erstarrung in geschäftiger Routine bewahren (Brokdorf-Beschluss des BVerfG).
Die Polizei und die hinter ihr stehende Politik diskreditieren und kriminalisieren den Protest jedoch Schritt für Schritt. Mit den Ermittlungsverfahren nach §129 a wurden erste Zeichen der Kriminalisierung gesetzt, die mit den Hausdurchsuchungen fortgesetzt wurden. Die Verbote schaffen die Grundlage für eine weitere Kriminalisierung des Protestes. Camps liegen am Rande der neuen Demonstrationsverbotszone. Grenzkontrollen und die Behinderung der Anreise werden weitere Fakten schaffen, die das Versammlungsrecht selbst dort aushöhlen, wo es formal noch gewährleistet ist.
Bürger und Bürgerinnen können sich gegen diese Form der Kriminalisierung und Abschreckung nur zur Wehr setzen, indem sie massenweise ihr Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie wird ab dem 2. Juni mit ca. 30 DemonstrationsbeobachterInnen vor Ort sein und die Demonstrationen beobachtend begleiten. Zum Schutz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit.
Elke Steven
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Und unsere Grundrechte werden immer mehr beschnitten
Ohne Abstimmung im Bundestag wird die angebliche „Parlamentsarmee“ in ein weiteres Land zu einem Kampfeinsatz entsandt: Mecklenburg-Vorpommern. Der verfassungswidrige Einsatz im Innern anlässlich des G8-Gipfels kostet die Steuerzahler lt. Pressemeldungen zehn Millionen Euro - zusätzlich zu einem gewaltigen Rüstungsetat. Und er kostet Freiheitsrechte der Bürger. Die Gewerkschaften, einst führend im Kampf gegen die Notstandsgesetze und die Bundeswehreinsätze im Innern, sie schweigen – oder beteiligen sich wie die Polizeigewerkschaft führend an der Hysterie gegen Demonstranten.
In Bundeswehrblättern wie „Information für die Truppe“ wird seit Jahren auf den Inlandseinsatz gegen den Terror und das heißt „Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner“ (IfdT 3/2002) eingestimmt. Per Reservistengesetz vom Februar 2005 wurden noch unter Rot-Grün über eine Million ehemalige Soldaten zusätzlich für die "Zivil-Militärische Zusammenarbeit ZMZ Inneres", d.h. für den Einsatz im Innern bereitgestellt. Man hatte einfach das Reservistenalter von 45 Jahren auf 60 aufgestockt. Nach welchen Maßstäben die Bundeswehr ihre Einsätze gegen die Bevölkerung des besetzten Landes ausrichtet, wird in dem Buch "Geheime Krieger" des rechtsextremen Generals a.D. und ehemaligen KSK-Kommandeurs Reinhard Günzel ausgeplaudert: Nach denen der Wehrmachts-Antiterroreinheit Division Brandenburg. Die "Brandenburger" waren u.a. im Juni 1941 in Lwow/Lemberg dabei, als 7000 Juden in wenigen Stunden von deutschen und ukrainischen Wehrmachtsangehörigen ermordet wurden.
Die Militarisierung des Landes erreicht mit dem neuen Reservistenkonzept „Zivilmilitärische Zusammenarbeit Inneres“ und seine Anwendung beim G8-Gipfel einen neuen Stand. Eine neue extrem rechte Organisation entsteht, - zusätzlich zum Wirken alter und neuer Rechtsextremer in der Bundeswehr. Zur Instrumentalisierung der Bundeswehr zum Einsatz im Innern kommt die ideologische extrem rechte Beeinflussung der Bevölkerung: In rund 5 Millionen Familien gibt es Reservisten, zu denen die Bundeswehr laufend Kontakt hält. Die militaristischen Traditionsverbände und die Reservistenverbänden erhalten immer mehr Macht - und Geld der Steuerzahler.
Und unsere Grundrechte werden immer mehr beschnitten. In einer Zeit ständiger Kriegsvorbereitung und -führung, ständiger militaristischer Berieselung der Köpfe kommt es zu immer mehr autoritärer Machtausübung der Regierenden. Daran haben die Demokraten zu denken, die dem rechten Militärtreiben noch immer untätig zusehen.
15. Mai 2007
Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA
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