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Kriminalisierung des Protestes und self fulfilling prophecies

Zu den Polzeirazzien gegen G8-Gegner - Zwei Beiträge von ngo-online.de



"Anfangsverdacht": Razzien in sechs Bundesländern gegen G8-Kritiker

09. Mai 2007 *

Rund einen Monat vor dem Weltwirtschaftsgipfel (G8) im Ostseebad Heiligendamm sind die Sicherheitsbehörden massiv gegen Kritiker des G8-Gipfels vorgegangen. In sechs Bundesländern gab es am 9. Mai Razzien wegen eines angeblichen Terrorismus-Verdachts. Zugleich kündigte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Wiedereinführung von Grenzkontrollen während des Gipfels an, um die Anreise "potenzieller Gewalttäter" nach Deutschland zu verhindern. Bei den Razzien in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen ließ die Bundesanwaltschaft insgesamt 40 Objekte durchsuchen. Grund sei ein Anfangsverdacht gegen Personen aus dem "militanten linksextremistischen Umfeld" gewesen, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben.

Ziel "der Gruppierung" sei es, den G8-Gipfel vom 6. bis 8. Juni in Heiligendamm mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen erheblich zu stören oder zu verhindern, so die Bundesanwaltschaft .

Insgesamt sollen rund 900 Beamte des Bundeskriminalamtes, der Landeskriminalämter und der örtlichen Polizei an den Razzien beteiligt gewesen sein. Die Bundesanwaltschaft ermittelt offenbar gegen 18 bekannte sowie weitere unbekannte Personen. "Der Gruppierung" würden bereits zwölf "Aktionen" im Raum Hamburg und im Raum Berlin zugerechnet, hieß es. Darunter seien "zahlreiche Brandanschläge".

Die Razzien richteten sich auch gegen die "militante gruppe" (mg). Sie soll im Zusammenhang mit dem Weltwirtschaftsgipfel mindestens zwei Brandanschläge verübt haben, und zwar im Mai 2006 auf das Sozialgericht Berlin-Moabit und im November 2006 auf ein Wirtschaftsforschungsinstitut in Berlin. Insgesamt habe sich "diese terroristische Vereinigung" seit 2001 zu insgesamt 25 Anschlägen bekannt.

Ziel der Durchsuchungen war es nach Angaben der Bundesanwaltschaft, "Beweismaterial über die personelle und organisatorische Struktur der Vereinigungen sowie begangene und möglicherweise beabsichtigte Brandanschläge aufzufinden". Ergebnisse wurden zunächst nicht mitgeteilt.

Der "Tagesspiegel" berichtete unter Verweis auf "Informationen aus Sicherheitskreisen", es sei bei den Razzien auch darum gegangen, "rechtzeitig vor dem Gipfel Flagge zu zeigen". Insgesamt werde erwartet, dass zwei- bis dreitausend Gewaltbereite aus Deutschland und dem europäischen Ausland zum Gipfel anreisen werden, um das Treffen zu stören.

Schäuble entschied aufgrund der "erhöhten Sicherheitsanforderungen", dass an den Schengen-Binnengrenzen vorübergehend Grenzkontrollen wieder aufgenommen werden können. Dies gilt sowohl für die Land- und Seegrenzen als auch für die Flughäfen.

"Eine völlig überzogene Maßnahme"

Die Razzien wurden heftig kritisiert. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac reagierte mit scharfer Kritik "auf die Durchsuchungen von Büros, Wohnprojekten, Buchläden und Kulturzentren" in Berlin, Hamburg und vier weiteren Bundesländern. "Der politische Effekt dieser Großaktion ist offensichtlich: Es handelt sich um eine Maßnahme, den demokratischen Protest gegen den G8-Gipfel insgesamt zu diskreditieren", meint Peter Wahl vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis.

Festnahmen im Zusammenhang mit der Aktion habe es laut Polizei nicht gegeben. "Eine völlig überzogene Maßnahme, die in keiner Weise mit dem Rechtsstaatsprinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu vereinbaren ist" sagte Wahl.

Attac forderte die politisch Verantwortlichen auf, das politische Klima im Vorfeld des G8 nicht durch solche Aktionen zu vergiften. "Wir werden uns nicht einschüchtern lassen und weiterhin mit aller Kraft zu unseren friedlichen Protesten gegen den G8-Gipfel mobilisieren", so Wahl.

"Kriminalisierung der Protestbewegung gegen den G8-Gipfel"

Der Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Peter Strutynski, sagte, "die überfallartigen Polizeiaktionen gegen 40 Wohnobjekte und Büros globalisierungskritischer Alternativprojekte" seien "ein ermittlungstechnischer Fehlschlag, juristisch überflüssig wie ein Kropf und ein politischer Skandal erster Ordnung".

Bei den durchsuchten "Objekten" habe es sich meist um alternative Projekte, Wohngemeinschaften und linke Büros gehandelt, "deren politische Aktivitäten den Staatsschutzorganen selbstverständlich bestens bekannt sind", so Strutynski. Ebenso bekannt müsse ihnen daher auch sein, dass es sich bei den heimgesuchten Adressen mitnichten um irgendwelche "terroristische Vereinigungen" handele. Die Aktion mit bundesweit 900 Beamten sei "also überflüssig wie ein Kropf".

Politisch zielt die Aktion nach Auffassung von Strutynski "auf die Kriminalisierung der Protestbewegung gegen den G8-Gipfel". An den Protesten, die am 2. Juni in einer bundesweiten Großdemonstration in Rostock einen Höhepunkt haben sollen, sei auch die Friedensbewegung beteiligt. Sie müsse daher die polizeilichen Übergriffe auch als Angriff auf sich selbst empfinden.

Seit Wochen schickten das Innenministerium und die untergeordneten Staatsschutzorgane Signale aus, wonach bei den Protesten in und um Heiligendamm "Gewalttaten" zu erwarten seien, kritisiert Strutynski. "Einer solchen Stimmungsmache halten wir entgegen: Die Friedensbewegung, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten für zahlreiche Massendemonstrationen organisatorisch und politisch verantwortlich gewesen war, hat stets ihren friedlichen Verlauf garantiert. Dies sollte auch in Rostock selbstverständlich sein. Leider müssen wir heute feststellen, dass die Staatsorgane drauf und dran sind, die in der Sache harte, aber der Form nach friedliche Protestatmosphäre zu vergiften und ein Klima der Gewalt herbei zu reden."

"Vorwand einer angeblichen Bildung einer terroristischen Vereinigung"

Kritik an den Razzien kam auch von der Linksfraktion. Deren Innenexpertin Ulla Jelpke meint: "Bei den Polizeimaßnahmen handelt es sich um willkürliche Schikane gegen Linke, mit denen die Protestbewegung gegen den G8-Gipfel eingeschüchtert werden soll." v Die stellvertretende Parteivorsitzende der Linksfraktion, Katja Kipping, sagte, die Durchsuchungen von linken und alternativen Einrichtungen, die an der Vorbereitung der Proteste zum G8-Gipfel beteiligt seien, "sind nicht im Sinne einer Deeskalation". Unter dem "Vorwand einer angeblichen Bildung einer terroristischen Vereinigung" zur Verhinderung des G8-Gipfels werde "der Versuch unternommen, bereits im Vorfeld die Proteste zu kriminalisieren".

Für die Konsequenzen sei die Bundesregierung verantwortlich. Sie nehme mit derartigen Aktionen "billigend in Kauf, dass die Stimmung bei den Gipfelprotesten deutlich angespannter sein wird und ein Klima der Eskalation befördert wird", kritisierte Kipping. "Damit besteht die Gefahr, dass sich Bundeskanzlerin Merkel als Gastgeberin des G8-Treffens im Umgang mit den Gipfel-Protesten in die unsägliche Tradition von Berlusconi und Putin einreiht."

Zur Demokratie gehöre "ganz eindeutig auch, dass sich Globalisierungskritiker zu Wort melden können", so Kipping. "Insofern werben wir nach wie vor bei den Sicherheitskräften darum, dass sie ihren Beitrag zur Deeskalation leisten."

"Zahlreiche Türen und weiteres Inventar zerstört"

AVANTI, ein "Projekt undogmatische Linke" aus Hamburg, schreibt in einer Pressemitteilung, in Hamburg seien mehrere Wohngemeinschaften, ein Büro im Schauspielhaus und der Szene-Treff "Rote Flora" durchsucht worden. Dabei seien angeblich "zahlreiche Türen und weiteres Inventar zerstört" worden. "Es wurden Computer, Transparente und Innfomaterial mitgenommen", heißt es in der Mitteilung. Besonderes Augenmerk habe "bei der Sammlung und Stillegung diverser Mailinglisten und Homepages" gelegen.

Mindestens sechs Leute seien außerdem zur "erkennungsdienstlichen Behandlung" in das Polizeipräsidium gebracht worden. Bei einer spontanen Demonstration seien 16 Menschen in Gewahrsam genommen worden, so AVANTI.

In Berlin wurden nach Darstellung von AVANTI der Infoladen "Fusion", der "Mehringhof", das "Bethanien", der "Provider SO36" und 5-6 Privatwohnungen durchsucht.

"Die Aktion des BKA hat mit normalen Ermittlungen nichts zu tun, sondern dient illegitimen politischen Zielen: Der G8-Protest soll in der Öffentlichkeit als terroristisch diffamiert werden, GipfelkritikerInnen sollen eingeschüchtert werden und die interne Kommunikation der Bewegung soll behindert und ausgespäht werden.", meint Christoph Kleine von AVANTI. Er vermutet, dass die Mobilisierung nach Heiligendamm durch die Polizeiaktion eher noch stärker werden dürfte. Die ganze Aktion zeige, "wie berechtigt die Kritik an der demokratiefeindlichen Sicherheitspolitik der G8-Staaten ist", so Kleine.

"Der Vorwurf ist lächerlich"

Ebenso vermutet die Antifaschistische Linke Berlin (ALB), dass die Polizei elektronische Verbindungsdaten sowie Beweise zur Finanzierung einer militanten Kampagne gegen den G8-Gipfel gesucht habe.

Zur Datensicherung spiegele das Bundeskriminalamt gigantische Datenmengen, darunter einen kompletten Server, sowie die Daten einer Bürogemeinschaft in Berlin-Kreuzberg. Besonderes Augenmerk habe das Bundeskriminalamt "auf den alternativen Server SO36.net" gelegt. Viele linke und alternative Projekte hätten ihre Webseiten, Mailinglisten und Mailadressen dort abgelegt. Damit solle die Kommunikationsstruktur der Anti-G8-Bewegung "empfindlich gestört werden".

Ein Sprecher der Antifaschistischen Linken sagte: "Diese Durchsuchungswelle dient allein der Kriminalisierung und Behinderung des G8-Gipfelprotestes. Der Vorwurf Terroristen würden sich über einen Internetserver koordinieren welcher von Linken betrieben wird, ist lächerlich. Das BKA wird auch nach Abschluss der Ermittlungen etwaige Beweise schuldig bleiben."

"Vernetzungstreffen und Workshops"

Die von der Aktion betroffene "Rote Flora" sieht in der Razzia "den Versuch der Staatsmacht, die auf breiter Basis organisierte Kampagne gegen die menschenverachtende Politik der G8 unter anderem in der Energie-, Gentechnik- und Migrationspolitik zu kriminalisieren und zu diffamieren".

Das Convergence Center Hamburg, das Ende Mai/Anfang Juni in der Flora stattfinde, solle "im Rahmen der Proteste einen Anlaufpunkt und eine Plattform für AktivistInnen aus der ganzen Welt bieten. Hier werden Vernetzungstreffen und Workshops stattfinden und es wird über die Hintergründe der Proteste und Aktionen in Hamburg und Heiligendamm informiert", heißt es in einer Pressemitteilung der Roten Flora.

Die Rote Flora versteht sich als "unkommerzielles autonomes Stadtteilzentrum", in dem seit mehr als 15 Jahren vielfältige politische und kulturelle Projekte und Gruppen ihren Platz fänden. "Wir werten das massive Vorgehen der Polizei gegen unsere Räume als Angriff auf die gesamte Protestbewegung und als einen Versuch der Einschüchterung aller AktivistInnen, die sich gegen den G8 und darüber hinaus aktiv aussprechen."

Wie zuletzt geschehen in der öffentlichen Auseinandersetzung um die Begnadigung Christian Klars, zeige sich "auch hier mal wieder, dass systemkritische Meinungen an sich zunehmend als Straftat dargestellt werden", so die Roten Flora.

Mit welcher Form der Repression in den nächsten Wochen seitens der Polizei zu rechnen sei, habe sich bereits am Vormittag gezeigt, "als es bei der gewaltsamen Auflösung einer Spontandemo 'Für mehr Freiräume' in Hamburg zu mehreren Verletzten und vorläufigen Festnahmen" gekommen sei. "Diese dreisten Übergriffe werden die weitere Mobilisierung nicht aufhalten können. Wir rufen alle dazu auf, sich aktiv zu beteiligen und den Protest auf die Straße zu tragen."

"Die Strukturen der Vereinigungen entschlüsseln"

Die Stadt Hamburg teilte mit, dass die "Rote Flora" als zentrale Anlaufstelle für Globalisierungsgegner vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm gelte. Außer der Flora seien in Hamburg 13 weitere Objekte im Visier der Fahnder gewesen.

Nach dem Brandanschlag auf das Haus des ehemaligen Hamburger Wirtschaftssenators Thomas Mirow im Dezember letzten Jahres habe die Bundesanwaltschaft bereits die Ermittlungen an sich gezogen, hieß es seitens der Stadt, ohne allerdings einen konkreten Bezug zu der Razzia herzustellen. Als "Indizien" liste die Bundesanwaltschaft unter anderem neun Anschläge im Raum Hamburg, "so auf den ehemaligen Hamburger Wirtschaftssenator und Finanzstaatssekretär Thomas Mirow und und den Chef des Hamburgischen Welt Wirtschafts Instituts Thomas Sraubhaar" auf.

Mit den Razzien wolle die Polizei, "die Strukturen der Vereinigungen entschlüsseln" und Hinweise auf begangene und möglicherweise beabsichtigte Brandanschläge finden. Festnahmen aufgrund der Verdachtsmomente habe es bislang nicht gegeben, allerdings habe die Polizei an der Roten Flora "Störer" festgenommen. Innensenator Udo Nagel begrüßte die polizeiliche Aktion und forderte "Null-Toleranz gegen Straftäter und Extremisten".

* Quelle: www.ngo-online.de


Rechtswidrige Hausdurchsuchungen zum Datensammeln über "bürgerlichen Protest"

10. Mai 2007 **

Anlässlich der gegen Kritiker der G8-Gipfels gerichteten Großrazzia in sechs Bundesländern am 9. Mai erinnerte das Komitee für Grundrechte und Demokratie daran, dass auch vor der so genannten "Sicherheitskonferenz" im Februar 2007 in München linke Projekte, Betriebe und Privatwohnungen durchsucht worden seien. Zwar hätte das Landgericht München im Nachhinein festgestellt, "dass diese Hausdurchsuchungen rechtswidrig waren". Dennoch hätten die Durchsuchungen der Polizei die Möglichkeit gegeben, "eine Menge Daten" über diejenigen zu sammeln und auszuwerten, "die die Proteste gegen die Sicherheitskonferenz in München organisierten". Ähnlich wie bei dem aktuellen Terrorismusvorwurf hätten im Februar Aufrufe zur Blockade des Flughafens Rostock-Lage im Kontext des G8-Treffens "zur Legitimation herhalten" müssen.

"Der Aufruf zu einer friedlichen Sitzblockade wurde damals zu einem Aufruf zur Stürmung des Flughafens, somit zu einem Aufruf zu Straftaten, polizeilich und auch amtsrichterlich uminterpretiert", kritisiert Grundrechte und Demokratie. Derartige Polizeiaktionen zerstörten "das Vertrauen in die Möglichkeiten eines konsequenten bürgerlichen Protestes".

Das Grundrechtekomitee kritisiert, dass Blockadeaktionen Globalisierungskritikern mit Sachbeschädigungen bis hin zu Brandstiftungen gleichgesetzt würden. Ähnlich werde auch über die G8-Proteste in Seattle und Genua berichtet, "ohne die massive direkte und strukturelle Gewalt der Polizei auch nur zu erwähnen". Immerhin sei die Polizei wegen einem rechtswidrigen Polizeikessel in Seattle zu Schadenersatz verurteilt worden. Die Schilderungen "der polizeilichen Gewalttaten" in der Diaz-Schule von Genua können nach Auffassung des Grundrechtekomitees "jeden Demokraten nur erschaudern lassen".

Wer wie BKA-Präsident Ziercke in Sonntagsreden töne, der friedliche Protest würde toleriert und wäre "von den Sicherheitsmaßnahmen nicht berührt", den Protest aber zugleich kriminalisiere, hab das vom Bundesverfassungsgericht "weit ausgelegte Recht auf Versammlungsfreiheit, an den von den Bürgern und Bürgerinnen selbst zu wählenden Orten, nicht verstanden".

Bundesverfassungsgericht: ursprünglich-ungebändigte unmittelbare Demokratie

Versammlungen enthielten laut Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts "ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie" und sei geeignet, "den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren". Die zu gewährende Sicherheit der G8-Politiker "kann nicht bedeuten, sie vor der Kritik der Bürger und Bürgerinnen zu schützen", meint das Komitee für Grundrechte und Demokratie. Das stellee die Demokratie auf den Kopf.

Mit Überwachungen, Durchsuchungen, Meldeauflagen, Einreiseverboten, Demonstrationen verbietenden Allgemeinverfügungen würden "Formen struktureller staatlicher Gewalt" sichtbar. "Die Bürger und Bürgerinnen können wir nur aufrufen, sich nicht von ihrem Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit abhalten zu lassen." Grundrechte könne man nur schützen und verteidigen, indem man sie in Anspruch nehme, meint das Grundrechtekomitee.

"Die Terroristen treffen sich hinter dem Zaun"

Auch der neu gegründete Studierendenverband DIE LINKE.SDS kritisierte die bundesweiten Razzien. Sophie Dieckmann vom Bundesvorstand des Studierendenverbandes meint, die Rechtfertigung der Polizei für das Vorgehen gegen "linksalternative Projekte" überzeuge nicht. "Die Polizeiwillkür" beweise einmal mehr die "Demokratiedefizite der G8". Die Bundesregierung befürchte offensichtlich, dass die massiven Proteste ihre "PR-Show" stören könnten.

Die Polizei hatte ihre Durchsuchungen damit begründet, sie ermittele gegen eine "terroristische Vereinigung". Dieckmann drehte den Spies um und beschuldigte die Gipfelteilnehmer des Terrorismus: "Nach der Terrorismus-Definition der Bundesregierung handelt es sich bei der G8 um eine 'terroristische Vereinigung'." Man weise darauf hin, dass nach Definition der Bundesregierung Terroristen als Personen definiert würden, die "rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen." Nach dieser Definition handele es sich auch bei den G8-Gipfelteilnehmern wie etwa George W. Bush und Tony Blair um "Terroristen".

"Die Polizeiwillkür muss aufhören", forderte Dieckmann. "Wer sich die G8 einlädt, lädt sich auch den Protest ein. Eine Spaltung in 'gute' Gipfelgegner und 'Terroristen' machen wir nicht mit. Die 'Terroristen' treffen sich hinter dem Zaun."

Man lasse sich nicht einschüchtern. Dies zeigten "die innerhalb kürzester Zeit mobilisierten Spontandemos", allein in Berlin hätten über 5000 Personen daran teilgenommen. Dies zeige: "Wir lassen uns nicht einschüchtern. Der G8-Gipfel wird eine Festival des Widerstands werden."

Bundesanwaltschaft und Regierung verteidigen Polizeiaktion

Die Bundesanwaltschaft wehrte sich gegen die heftige Kritik aus den Reihen der Opposition und von G8-Gegnern an ihrem Vorgehen. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte, die Auswertung des Materials werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Ziel der Razzien war es, Beweismaterial über mutmaßliche terroristische Vereinigungen und möglicherweise beabsichtigte Brandanschläge im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel Anfang Juni zu finden.

Auch Vertreter der großen Koalition verteidigten die Razzien. Der stellvertretende Unions-Fraktionschef Wolfgang Bosbach (CDU) sagte, Deutschland müsse alles tun, um die Sicherheit der Teilnehmer des Weltwirtschaftsgipfels zu gewährleisten. Das Recht auf Demonstration sei "kein Recht auf Randale".

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sagte, die Gewaltbereitschaft müsse eingedämmt werden. Er habe "überhaupt keine Kritik an der Bundesanwaltschaft zu üben". Dies sei "eine sehr nüchterne, sehr seriöse Behörde, die das tut, was sie tun muss".

Friedliche Demonstrationen müssten selbstverständlich zulässig sein in Deutschland. Es komme jetzt darauf an, das Nötige zu tun, um die Sicherheit zu gewährleisten. "Gleichzeitig sollten wir aber auch alles unterlassen, was dazu beitragen könnte, auch durch eine unangemessene Sprache, sozusagen Benzin ins Feuer zu gießen", so Wiefelspütz.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) findet die Razzien in Ordnung. Deren Ziel sei nicht die Verhinderung von Demonstrationen beim G8-Gipfel in Heiligendamm gewesen, sagte GdP-Chef Konrad Freiberg im RBB-Inforadio. Vielmehr sei es die Aufgabe der Polizei, "sicherzustellen, dass dort demonstriert werden kann". "Aber was wir nicht dulden können, ist, dass dort Anschläge begangen werden", so Freiberg.

Die Gefährlichkeit von Netzwerken der linken Szene habe zugenommen. Die Gefahr von Gewaltausbrüchen während des G8-Gipfels Anfang Juni in Heiligendamm sei "sehr groß", so Freigerg. Er verwies darauf, dass es in Berlin und Hamburg bereits Brandanschläge gab. Wenn es Hinweise auf mutmaßliche Täter gebe, müsse die Polizei tätig werden. Bislang ist unklar, ob es tatsächlich entsprechend ernsthafte Hinweise gab.

"Operation planlos"

Gegner des G8-Gipfels versprechen sich von den Razzien und deren Wirkung in der Öffentlichkeit "neuen Schwung" für die bevorstehenden Proteste in Heiligendamm. Die Durchsuchungen hätten "auf die Kriminalisierung und Spaltung des G8-Widerstands" abgezielt. Tatsächlich aber hätten sich die Razzien "als kompletter Schlag ins Wasser erwiesen", vermutet Lotta Kemper von der Campinski Pressegruppe. Die - wie sie meint - "beabsichtigte Einschüchterung der linken Szene und des gesamten G8-Protestspektrums" sei misslungen.

Als Beweis für diese These führt sie die spontanen Demonstrationen am Mittwoch Abend an, an denen sich in der Bundesrepublik und in einigen anderen europäischen Städten "weit über 10.000 Menschen" beteiligt hätten, um ihre Solidarität mit den Betroffenen auszudrücken. "Die Repressionswelle hat einen ungeheuren Mobilisierungsschub bewirkt", meint Kemper. Ohnehin hätten sich die Durchsuchungen an den 40 Orten durch "ein unkoordiniertes und planloses Vorgehen der Ermittlungsbehörden" ausgezeichnet. So hätten bei mindestens zwei der Beschuldigten überhaupt keine Durchsuchungen stattgefunden, behauptet Kemper. "Bei einigen wurde sehr akribisch durchsucht, bei anderen nur oberflächlich. Einige wurden erkennungsdienstlich behandelt und zur Abgabe einer DNA-Probe gezwungen, andere nicht."

Viele Durchsuchungsbeschlüsse seien mit der Mitgliedschaft in der vermeintlichen terroristischen Vereinigung der Autoren des Buches "Autonome in Bewegung" begründet worden. "Das in dritter Auflage erschienene Buch wurde herangezogen als juristische Rechtfertigung für die Durchsuchungen von Buchläden, Verlagen, Archiven und anderen linken Projekten", so Kemper. Dieses Buch sei aber in jeder Buchhandlung für 20 Euro erhältlich und "zu keinem Zeitpunkt Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung gewesen".

Weiterhin sei die alternative Internetplattform "so36.net" durchsucht worden. Der Vorwurf: Dabei sei der Inhalt der Emailpostfächer eines Rechtsanwalts und eines Anwaltbüros komplett mitgenommen worden.

Bei einem anderen Beschuldigten sei die Durchsuchung mit dem Verdacht der Beteiligung an einem Brandanschlag auf die Firma Dussmann begründet worden. Bei dem Beschuldigten sei eine Internetüberwachung durchgeführt worden, so Kemper. Ihm werde laut Durchsuchungsbeschluss vorgeworfen, über den "Internetanschluss eine umfassende Internetrecherche zur Firma Dussmann vorgenommen" zu haben. Das sei das einzige Indiz, das die Tatbeteiligung belegen solle, behauptet Kemper und kritisiert: "Wenn das zukünftig die juristische Praxis ist, ist der Willkür Tür und Tor geöffnet: Jeder, der ein Internetportal besucht, setzt sich damit möglicher strafrechtlicher Verfolgung aus." Bei einem anderen Beschuldigten habe die Anwesenheit auf einer öffentlichen Veranstaltung gereicht, "um den Verdacht der Tatbeteiligung an einem Brandanschlag zu konstruieren".

Die Beschuldigten seien alle "in der Vorbereitung der Proteste gegen den G8 Gipfel aktiv", so Kemper. Dies betreffe unter anderem die Vorbereitung eines "Landwirtschaftsaktionstages", eines "Migrationsaktionstages", eines Aktionstages gegen Militarismus, sowie eine Blockade des Militärflughafens Rostock-Laage.

"Wir werden jetzt erst recht zu den Protesten mobilisieren und freuen uns über den zusätzlichen Schwung, die die Aktion der Bundesanwaltschaft der Mobilisierung verliehen hat", erklärten die Beschuldigten nach Darstellung von Kemper auf einer Versammlung am 10. Mai.

Bundesanwaltschaft: Ermittlungen wegen verganger Anschläge - Beweismaterial über möglicherweise beabsichtigte Brandanschläge

Die Bundesanwaltschaft hatte die Durchsuchungen zum einen mit einer Reihe von Anschlägen begründet, die in der Vergangenheit - teilweise bereits im Jahr 2005 - durchgeführt worden seien. Zum anderen wurde auf die Zukunft bezogen angeführt, dass die 18 Beschuldigten in Verdacht stünden, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben, deren Ziel es insbesondere sei, "mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen" den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel (G8) "erheblich zu stören oder zu verhindern".

"Der terroristischen Vereinigung" würden "nach den bisherigen Erkenntnissen" eine Reihe von Brandanschlägen im Raum Hamburg und Berlin "zugerechnet", zu denen sie sich "unter wechselnden Gruppenbezeichnungen" bekannt habe.

Darüber hinaus beziehen sich die Ermittlungen laut Bundesanwaltschaft die "militante gruppe (mg)" und hierbei gegen drei Beschuldigte. Die "mg" habe sich seit 2001 zu insgesamt 21 Anschlägen bekannt. Erklärtes Ziel der Vereinigung sei es, durch ständige militante Aktionen die gegenwärtigen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen zugunsten einer kommunistischen Weltordnung zu beseitigen.

Die "Anschläge" hätten sich durchweg gegen öffentliche Einrichtungen wie Bezirks-, Finanz-, Arbeits- und Sozialämter sowie gegen Polizei- und Justizeinrichtungen gerichtet. Bei einem nicht näher beschriebenen Anschlag auf das Polizeipräsidium Berlin-Tempelhof hätten sich zur Tatzeit auch Personen aufgehalten. Auch seien Büroräume einer ausländischen Handelskammer sowie eines ausländischen Industriellen- und Unternehmerverbandes in Berlin betroffen gewesen.

Die Durchsuchungen gegen diese Vereinigung diente laut Bundesanwaltschaft dem Ziel, "Beweismaterial über die personelle und organisatorische Struktur der Vereinigungen" sowie begangene und "möglicherweise" beabsichtigte Brandanschläge aufzufinden.

** Quelle: www.ngo-online.de

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