US-Nukleardoktrin ist "ein Desaster"
Alle Parteien kritisieren die Planungen im Pentagon - Was sind die Konsequenzen?
"Die Friedensbewegung fordert von der Bundesregierung und allen Parteien, sich unmissverständlich von den Atomkriegsplanungen der USA zu distanzieren. Laut und deutlich muss auch die Forderung erhoben werden, alle US-Atomwaffen von deutschem Boden zu entfernen und die nukleare Teilhabe (via NATO) aufzukündigen. Wenn die Zukunft der Menschheit auf dem Spiel steht, darf es keine falsche Rücksichtnahme auf den Verbündeten geben."
So hieß es in einer Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag vom 12. September 2005. Der Ruf scheint gehört worden zu sein.
Die drohende neue Nuklearstrategie der USA (siehe u.a.: "Pentagon prüft Strategie präventiver Atomangriffe") ist nicht nur auf geharnischten Protest in der Friedensbewegung (etwa bei IPPNW und Bundesausschuss Friedensratschlag) gestoßen (siehe "Gutdünken des Präsidenten"), sondern hat, mit einiger zeitlicher Verzögerung, auch die Parteien und ihre Wahlkämpfer erreicht. Unisono verurteilen sie - mal mit scharfen, mal mit verhaltenen Formulierungen - die Überlegungen des Pentagon und berufen sich dabei auf geltendes Völkerrecht sowie auf das humanitäre Kriegsrecht (Genfer Konventionen), wonach Waffen mit unterschiedsloser Wirkung auf die Zivilbevölkerung ohnehin nicht eingesetzt werden dürfen.
Im Folgenden dokumentieren wir-
eine Agenturmeldung vom 13. September, die eine Reihe von Politikerstellungnahmen referiert (bezeichnenderweise ohne die Linkspartei.PDS zu erwähnen),
-
eine Meldung von Reuters über einen Beschluss des Grünen-Vorstands vom 12. September (den Beschluss selbst sucht man vergeblich auf der Website der grünen Partei),
-
eine Stellungnahme der SPD-Außenpolitikerin Uta Zapf (dieser Text befindet sich auf der Homepage der SPD-Bundestagsfraktion), sowie
-
eine Erklärung der Linkspartei
Auf den Websites von FDP und CDU/CSU sind wir leider nicht fündig geworden. Wir möchten aber darauf hinweisen, dass beide Parteien bereits im Vorfeld der NPT-Überprüfungskonferenz im Mai d.J. sich zum Thema Atomwaffen geäußert hatten, die FDP z.B. mit einem Antrag im Bundestag, worin sie den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland verlangt (siehe: "US-Nuklearwaffen aus Deutschland abziehen").
All diese Stellungnahmen und aktuellen Proteste gegen die US-Nukleardoktrin lassen erkennen, dass die Parteien dem weit verbreiteten Wunsch der Bevölkerung nach Atomwaffenfreiheit Rechnung tragen müssen. Die Zeiten sind vorbei, als die politische Klasse der Stationierung von Atomraketen zugestimmt hat oder die Einsatzdoktrinen von NATO und USA zumindest stillschweigend billigte. Und weil gerade der Wahlkampf tobt und die Beliebtheit des US-Präsidenten und seines Verteidigungsministers Rumsfeld hier zu Lande nicht gerade groß ist, macht es sich gut, wenn man ein wenig auf ihnen herum hacken kann. Dafür kann man dann beim nächsten NATO-Gipfel wieder alle strategischen Vorgaben aus Washington abnicken, so wie es bei der letzten NATO-Tagung im Juni d.J. geschehen ist: "Abzug der Atomwaffen aus Deutschland nicht auf der Tagesordnung".
Pst
D O K U M E N T A T I O N
US-Planungen für Atom-Erstschlag abgelehnt
Die Planungen des US-Verteidigungsministeriums für einen atomaren Erstschlag stoßen in Deutschland quer durch die Parteien auf heftige Ablehnung. FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt, der in einer schwarz-gelben Koalition Außenminister werden könnte, riet dringend ab. «Bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus muss man am Ende vielleicht auch mit militärischen Mitteln vorgehen, keinesfalls aber mit atomaren Möglichkeiten», sagte Gerhardt der «Berliner Zeitung» (Dienstagausgabe).
Am Wochenende war ein Konzept des US-Generalstabs für den Einsatz taktischer Nuklearwaffen bekannt geworden. Das Papier, das allerdings noch nicht von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gebilligt worden ist, weist die Kommandeure an, für den Eventualfall eines nuklearen Erstschlags zu planen. Als Szenarien nennt der Bericht den Einsatz gegen einen Gegner, der die USA mit Massenvernichtungswaffen angreifen wolle. Auch die rasche Beendigung eines Kriegs oder die Absicherung einer US-Militäroperation würden die Verwendung rechtfertigen.
«Die Gefahr ist da, dass die Nuklearschwelle ein Stück gesenkt wird», sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Christian Schmidt (CSU). Er forderte, in der NATO über das Konzept zu beraten.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europa-Parlament, Elmar Brok (CDU) kritisierte den US-Plan aus völkerrechtlicher Sicht. «Einen Erstschlag darf es laut UN-Charta nur geben, wenn er nötig ist, um einem unmittelbar bevorstehenden Angriff zuvorzukommen»,
SPD-Fraktionsvize Gernot Erler sagte, für die Abrüstung sei das US-Konzept ein Desaster. Stattdessen würde der weltweite Wettlauf um Nuklearwaffen noch angeheizt. «Die Schlussfolgerung ist doch klar: Wer auf Atomwaffen verzichtet, setzt sein Land schutzlos den Drohungen der USA aus», sagte Erler. Auch Grünen-Chefin Claudia Roth nannte die Pläne äußerst beunruhigend.
Quelle: ddp, 13. September 2005
Reuters
Europäische Parlamentarier fordern Abzug von US-Atomwaffen
Di Sep 13, 2005 2:24 MESZ
Berlin (Reuters) - Fast 90 Parlamentarierer aus Europa haben wegen der neuen
amerikanischen Atomwaffendoktrin einen Abzug aller US-Atomwaffen aus ihren
Ländern gefordert.
Nach Angaben der Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW)
unterschrieben die Parlamentarier einen entsprechenden Aufruf an die
Regierungen von Deutschland, Italien, den Niederlanden, der Türkei, Belgien
und Großbritannien. Darin werde verlangt, Verhandlungen über den Abzug der
Waffen zu beginnen. In dem auch von 16 deutschen Politikern von SPD und
Grünen unterzeichneten Appell wird als erster Schritt gefordert, die
Bereitstellung von deutschen Piloten und Flugzeugen für einen möglichen
Atomwaffeneinsatz zurückzunehmen. Zudem müsse die politische Mitwirkung an
der Planung eines möglichen Atomwaffeneinsatzes der NATO beendet werden.
Angesichts der Veröffentlichung der neuen US-Atomwaffendoktrin müsse sich
Europa von den US-Atomwaffen verabschieden, erklärte IPPNW-Sprecherin Ute
Watermann. Am Wochenende war ein Konzept des US-Generalstabs für den Einsatz
taktischer Atomwaffen bekannt geworden. Das Papier, das allerdings noch
nicht von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gebilligt worden ist, weist
die Kommandeure an, für einen atomaren Erstschlag zu planen.
IPPNW-Sprecherin Watermann warnte vor einer Verwicklung in einen präventiven
atomaren Anschlag. Anlässlich des NATO-Verteidigungsministertreffens in
Berlin sollte eine Unterschriftenaktion für den Abzug der US-Atomwaffen aus
Deutschland begonnen werden.
Zu den Unterzeichnern des Aufrufs aus Deutschland gehören unter anderem
Grünen-Chefin Claudia Roth, der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele,
Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer sowie die SPD-Politikerinnen Herta
Däubler-Gmelin und Monika Griefahn.
Zuvor hatten sich bereits Politiker von FDP, der Union und der Linkspartei
gegen die Überlegungen für die Militärdoktrin ausgesprochen.
Di Sep 13, 2005 2:24 MESZ
14.09.05
Wir brauchen keine neuen Atomwaffen, die alten müssen abgerüstet werden
AG Außenpolitik
Zum Entwurf für eine neue Nuklearstrategie der Vereinigten Staaten erklärt die stellvertretende außenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzende des Unterausschusses für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, Uta Zapf:
Mit dem Entwurf der neuen Nukleardoktrin der Vereinigten Staaten wird ein gefährlicher Weg beschritten. Seine politische Brisanz gewinnt das Papier im Kontext der gescheiterten Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages. Der unilaterale Kurs in der US-Sicherheitspolitik schwächt die dringend notwendige multilaterale Rüstungskontrolle und Abrüstung.
- Diese Strategie könnte es Nichtkernwaffenstaaten lohnend erscheinen lassen, sich selbst Atomwaffen zu beschaffen. Atomwaffen, die zur Zeit des Ost-West-Konfliktes aufgrund ihrer zerstörerischen Wirkung als politische Waffen der Abschreckung galten, bekommen eine neue Qualität als direkt auf dem Gefechtsfeld einsetzbare Waffen.
- Damit würde die Bedeutung von Atomwaffen erhöht, indem Nuklearwaffen in die Planung konkreter militärischer Operationen auf einem niedrigeren Niveau integriert werden. Die Schwelle zur Anwendung atomarer Waffen würde herabgesetzt.
- Die US-Regierung behält sich die Möglichkeit vor, Atomwaffen auch präemptiv einzusetzen. Vor dem Hintergrund der Gefahren für die Zivilbevölkerung und für die Umwelt ist dies mit dem humanitären Völkerrecht nicht zu vereinbaren.
Der Entwurf schwächt alle Versuche, andere Staaten davon zu überzeugen, auf Atomwaffen zu verzichten. Das gilt sowohl für die Verhandlungen mit dem Iran wie für die Sechs-Parteien-Gespräche mit Nordkorea. Andere Länder, die auf die Produktion von Atomwaffen bereits verzichtet haben, könnten motiviert werden, wieder nach Atomwaffen zu streben.
Die Doktrin steht damit im klaren Widerspruch zu den Initiativen der USA, die die Proliferation von Massenvernichtungswaffen verhindern sollen, wie der Proliferation Security Initiative. Die Anstrengungen der Internationalen Gemeinschaft durch multilaterale Verhandlungen und die Arbeit der IAEA werden damit unterlaufen.
Nicht durch neue Atomwaffen kann Stabilität und Frieden gesichert werden. Es bedarf ernsthafter Bemühungen, Nuklearwaffen schrittweise und glaubwürdig abzurüsten.
Quelle: www.spdfraktion.de
13. September 2005 - Linkspartei im Bundestag
"Deutsche" US-Atomwaffen abrüsten
Die USA erwägen mit einer neuen Militärdoktrin erneut einen nuklearen Erstschlag. Dazu erklärt Petra Pau, Linkspartei.PDS im Bundestag:
Die USA strotzen voll militärischer Unvernunft wider besseres Wissen. Bereits zu Zeiten des Kalten Krieges galt als gesicherte Weltweisheit, dass Nuklearkriege keine Gewinner, sondern nur Verlierer hinterlassen.
Deshalb galt die Vernichtung aller Atomwaffen als ein akutes Gebot der Vernunft. Das ist es noch immer.
Daher reicht es auch nicht mehr, wenn deutsche Politiker - quer durch alle Parteien - die nukleare Erstschlag-Doktrin der USA ablehnen.
Die USA haben Atomwaffen auf deutschem Boden stationiert. Sie sind ein Relikt und eine Gefahr für die Menschheit. Sie müssen abgerüstet werden.
Quelle: http://sozialisten.de
Zurück zur Seite "Atomwaffen"
Zur Seite "Friedensbewegung"
Zurück zur Homepage