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"Indien strebt eine gewaltlose Welt an, frei von der Plage der Atomwaffen" / "India aspires for a non-violent world, free from the scourge of nuclear weapons"

Rede des indischen Vizepräsidenten Hamid Ansari zur Eröffnung des 18. IPPNW-Weltkongresses / Shri Mohammad Hamid Ansari, Vice President of India, adresses the 18th World Congress of International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW)

Vom 9. bis 11. März 2008 tagte der 18. Weltkongress der Internationalen Ärzte für die Verhinderung eines Atomkrieges (IPPNW) in Indiens Hauptstadt Delhi. Die Eröffnungsrede hielt der Vizepräsident Indiens. In sein Bekenntnis für eine Welt frei von Atomwaffen mischte sich die Überzeugung, dass Indien keine andere Wahl blieb als sich selbst atomar zu bewaffnen. Hamid Ansari sagte wörtlich: "Indien weigerte sich am Ende, den NPT zu unterschreiben, als klar wurde, dass, anstatt den zentralen Gegenstand der universellen und umfassenden Nichtverbreitung anzusprechen, der Vertrag lediglich den weiteren Besitz und die Vervielfachung der atomaren Vorräte durch einige wenige Staaten, die im Besitz von Atomwaffen waren, legitimisierte." Kein Wort verlor der Vizepräsident über den indisch-us-amerikanischen Atomdeal, der im vergangenen Jahr ausgehandelt worden war, zwischenzeitlich wegen der innerindischen Kritik auf Eis gelegt wurde und um den gerade in diesen Tagen wieder eine heftige Debatte entbrannt ist. (Zum Atomdeal siehe u.a.: Indien legt aus Rücksicht auf Kommunisten umstrittenen Atomdeal mit USA auf Eis.
Wir dokumentieren im Folgenden die Rede des indischen Vizepräsidenten im Wortlaut (deutsch und englisch).


Rede des indischen Vizepräsidenten Hamid Ansari zur Eröffnung des 18. IPPNW-Weltkongresses

«Ich bin froh darüber, hier bei der Einführungsveranstaltung des 18. Weltkongresses der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges zu sein. Die Pionierarbeit der Organisation und ihre Bemühungen um Frieden, Gesundheit und Entwicklung brauchen hier nicht erwähnt zu werden; dies alles wurde durch den Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Konferenzen dieser Art helfen dabei, die Ursachen von bewaffneten Konflikten, besonders aus der Perspektive der öffentlichen Gesundheit, besser zu verstehen und schaffen ein Bewusstsein für die immensen Konsequenzen für Gesundheit und Umwelt durch einen Atomkrieg. Die Involvierung von Studenten und der Jugend als Teil dieser Konferenzen trägt unverzichtbar dazu bei, das notwendige Bewusstsein bei den zukünftigen Entscheidungsträgern zu verbreiten.

Dieses hervorragende Publikum braucht keine Erinnerung daran, dass die erste Resolution der UN Generalversammlung vom 24. Januar 1946 einstimmig angenommen wurde und sich damit befasste, Atomwaffen und alle anderen größeren, für die Massenvernichtung verwendbaren Waffen aus dem nationalen Rüstungsbestand abzuschaffen und die Atomenergie zu kontrollieren, um sicherzustellen, dass sie nur für friedliche Zwecke verwendet wird. Die Schrecken der Benutzung von Atomwaffen haben alle verantwortungsbewussten Nationen davon überzeugt, dass die Abschaffung von Atomwaffen notwendig ist. Der Internationale Gerichtshof kam in seinem Gutachten vom 8. Juli 1996 zu dem Schluss, dass »eine Verpflichtung dafür existiert, Verhandlungen, die zur nuklearen Abrüstung in all ihren Aspekten unter strenger und effektiver internationaler Kontrolle führt, in gutem Glauben zu verfolgen und zu einem Abschluss zu bringen.« Der Diskurs über nukleare Abrüstung wurde durch die Beiträge der blockfreien Staaten, vieler Mitgliedstaaten einschließlich Indien und selbst durch die Gemeinschaft der Nichtregierungsorganisationen bereichert.

Während bezüglich des Prinzips Übereinstimmung herrscht, sind die praktischen Maßnahmen und Ansätze, die für die Realisierung dieser Vision vonnöten sind, Gegenstand vieler Debatten und abweichender Meinungen gewesen. Es war Indien, das 1954 als erstes ein Ende der Atomtests vorschlug. Die Prinzipien für einen Atomwaffensperrvertrag wurden 1965 zuerst von Indien vorgeschlagen. Indien weigerte sich am Ende, den NPT zu unterschreiben, als klar wurde, dass, anstatt den zentralen Gegenstand der universellen und umfassenden Nichtverbreitung anzusprechen, der Vertrag lediglich den weiteren Besitz und die Vervielfachung der atomaren Vorräte durch einige wenige Staaten, die im Besitz von Atomwaffen waren, legitimisierte.

Ich fühle mich an das erinnert, was der ehemalige Premierminister Shri Rajiv Gandhi in einer Rede vor den Vereinten Nationen sagte. Er vertrat die Auffassung: »Wir können die Logik nicht akzeptieren, dass einige wenige Nationen das Recht haben, ihre Sicherheit dadurch zu betreiben, indem sie das Überleben der Menschheit bedrohen ... es ist auch nicht akzeptabel, dass die, die Atomwaffen besitzen, von allen Kontrollen befreit sind, während diejenigen ohne Atomwaffen überwacht werden, um eine etwaige Produktion zu verhindern. Die Vergangenheit ist voll von solchen Vorurteilen, die als unumstößliche Gesetze maskiert wurden: Dass die Männer den Frauen überlegen sind; dass die weißen Rassen besser sind als die farbigen; dass Kolonialismus eine zivilisierende Mission erfüllt; (und) dass diejenigen, die Atomwaffen besitzen, verantwortungsvolle Kräfte sind und dass diejenigen, die keine besitzen, dies nicht sind.«

Indien strebt eine Welt an, die diese Vision von Shri Rajiv Gandhi verkörpert, eine gewaltlose Welt, frei von der Plage der Atomwaffen. Wir haben immer gemeint, dass Fortschritt hin zur atomaren Abrüstung gegenseitigen Vertrauens in der internationalen Gemeinschaft bedarf, um universelle, nicht diskriminierende und verifizierbare Verbote von Atomwaffen vereinbaren zu können, die zu ihrer vollständigen Eliminierung führen. Wir glauben, dass die folgenden Elemente verfolgbare und konkrete Schritte hin zum Erreichen von nuklearer Abrüstung darstellen und haben sie der internationalen Gemeinschaft zur Diskussion vorgelegt:
  1. Nochmaliges Bekenntnis zur eindeutigen Verpflichtung aller Atomwaffenstaaten, mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung von Atomwaffen;
  2. Verhandlungen über eine Konvention zum vollständigen Verbot der Nutzung von oder der Androhung des Gebrauchs von Atomwaffen.
  3. Verhandlungen über eine Atomwaffenkonvention, die die Entwicklung, Produktion, Lagerung und Benutzung von Atomwaffen verbietet und eine Konvention, die sich mit ihrer Zerstörung befasst, was zu einer globalen, nicht diskriminierenden und verifizierbaren Abschaffung der Atomwaffen innerhalb eines festgelegten Zeitraumes führt.
Ein Artikel auf der Kommentarseite des Wall Street Journals vom 15. Januar 2008 von George Shultz, William Perry, Henry Kissinger und Sam Nunn [1] konzentrierte sich nochmals auf atomare Abrüstung und stellte fest, dass uns die Verbreitung von Wissen über Atomwaffen und Atommaterial an »einen atomaren Wendepunkt« gebracht hat. Sie betonten das Erfordernis eines globalen Dialoges, der sowohl atomwaffenlose als auch atomwaffenbesitzende Staaten einschließt, um, neben anderen Themen, »die Umsetzung des Zieles einer atomwaffenfreien Welt in ein praktisches Unternehmen zwischen Nationen« zu diskutieren, »indem der notwendige politische Wille, einen internationalen Konsens bezüglich der Prioritäten zu erreichen, angewendet wird«. Dennoch ist es wert zu erwähnen, dass der Fokus der internationalen Bemühungen sechs Jahrzehnte nach Hiroshima und Nagasaki immer noch auf »der Anwendung des notwendigen politischen Willens, einen internationalen Konsens bezüglich der Prioritäten zu erreichen« liegt. Es ist ein Schritt der Distanz, die wir überwinden müssen, um die Vision der universellen atomaren Abrüstung zu realisieren.

Das Thema des Kongresses, »Frieden, Gesundheit und Entwicklung«, ist zeitgemäß. Ich wünsche dem Kongress gutes Gelingen.«

Übersetzung: Nadine Scholz

Quelle: Website der IPPNW in Deutschland; www.ippnw.de

[1] Ein Jahr zuvor veröffentlichten die genannten Alt-Politiker ihren Anti-Atomwaffen-Appell "A World Free of Nuclear Weapons" im Wall Street Journal (4. Januar 2007); wir haben den Aufruf hier dokumentiert.

Quelle: www.ippnw.de


VICE PRESIDENT ADDRESSES THE 18TH WORLD CONGRESS OF INTERNATIONAL PHYSICIANS FOR THE PREVENTION OF NUCLEAR WAR

Following is the text of the Vice President of India, Shri Mohammad Hamid Ansari at the 18th World Congress of International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) here today.

Shri Mohammad Hamid Ansari, Vice President of India

I am happy to be here at the inauguration of the 18th World Congress of International Physicians for the Prevention of Nuclear War. The pioneering work of the organisation and its efforts for peace, health and development need no mention here; it has been awarded the Noble Peace Prize. Conferences of this nature help in better understanding of the causes of armed conflict, especially from a public health perspective, and build grassroots awareness of the immense health and environment consequences of nuclear war. The involvement of students and youth as part of these conferences brings in the much-needed dimension of spreading awareness among the future decision makers.

This distinguished audience needs no reminding that the first resolution of the UN General Assembly of 24th January, 1946 was adopted unanimously and sought the elimination of atomic weapons and all other major weapons adaptable to mass destruction from national armaments and the control of atomic energy to ensure its use only for peaceful purposes. The horrors of the use of nuclear weapons have convinced all responsible nations that elimination of nuclear weapons is necessary. The International Court of Justice had in its advisory opinion of 8 July 1996 concluded that "there exists an obligation to pursue in good faith and bring to a conclusion negotiations leading to nuclear disarmament in all its aspects under strict and effective international control". The nuclear disarmament discourse has been enriched by the contributions of the Non-Alignment Movement, various members States including India and even the community of Non-Governmental Organisations.

While there is agreement on the principle, the practical means and approaches necessary for realising this vision have been the subject of much debate and divergence of opinion. It was India that first proposed an end to nuclear testing in 1954. The principles for a Nuclear Non-Proliferation Treaty (NPT) were first proposed by India in 1965. India eventually refused to sign the NPT when it became clear that, instead of addressing the central objective of universal and comprehensive non-proliferation, the treaty only legitimized the continuing possession and multiplication of nuclear stockpiles by those few states possessing them.

I am reminded of what the Late Prime Minister Shri Rajiv Gandhi said in a speech before the United Nations. He argued: "We cannot accept the logic that a few nations have the right to pursue their security by threatening the survival of mankind...nor is it acceptable that those who possess nuclear weapons are freed of all controls while those without nuclear weapons are policed against their production. History is full of such prejudices paraded as iron laws: That men are superior to women; that white races are superior to the coloured; that colonialism is a civilizing mission; (and) that those who possess nuclear weapons are responsible powers and those who do not are not."

India aspires for a world that embodies this vision of Late Shri Rajiv Gandhi, of a non-violent world, free from the scourge of nuclear weapons. We have always held that progress towards nuclear disarmament will require mutual confidence in the international community to conclude universal, non-discriminatory and verifiable prohibitions on nuclear weapons leading to their complete elimination. We believe that the following elements constitute actionable and concrete steps towards achieving nuclear disarmament and have placed them for debate before the international community:
  1. Reaffirmation of the unequivocal commitment of all nuclear-weapon States to the goal of complete elimination of nuclear weapons;
  2. Negotiation of a convention on the complete prohibition of the use or threat of use of nuclear weapons.
  3. Negotiation of a nuclear weapons convention prohibiting the development, production, stockpiling and use of nuclear weapons and on their destruction, leading to the global, non-discriminatory and verifiable elimination of nuclear weapons with a specified time frame.
An op-ed in The Wall Street Journal of 15th January, 2008 by George Shultz, William Perry, Henry Kissinger and Sam Nunn has again focused on nuclear disarmament noting that the spread of nuclear weapons know-how and material has brought us to "a nuclear tipping point". They emphasised the need for a global dialogue that includes non-nuclear and nuclear nations to discuss, among other issues, "turning the goal of a world without nuclear weapons into a practical enterprise among nations, by applying the necessary political will to build an international consensus on priorities". Yet, it is worth noting, that six decades after Hiroshima and Nagasaki, the focus of international efforts is still on "applying the necessary political will to build an international consensus on priorities". It is a measure of the distance we need to travel to realise the vision of universal nuclear disarmament.

The theme of the Congress, 'Peace, Health and Development', is timely. I wish the Congress all success.

Quelle: http://pib.nic.in/release/release.asp?relid=36132


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