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"Frieden, Gesundheit und Entwicklung"

Der 18. Weltkongress der Internationalen Ärzte für die Verhinderung eines Atomkrieges (IPPNW) tagte in Delhi. Informationen und Berichte

Im Folgenden dokumentieren wir Berichte über den Weltkongress der IPPNW, der vom 9. bis 11. März 2008 in der indischen Hauptstadt Delhi stattfand.



Globale "Kultur des Friedens"

18. IPPNW-Weltkongress tagt in Delhi

Von Hilmar König, Delhi *

Der 18. Weltkongress der Internationalen Ärzte für die Verhinderung eines Atomkrieges (IPPNW) nahm am Sonntag (9. März) seine Arbeit in Indiens Hauptstadt Delhi auf. 600 Delegierte aus 50 Ländern beraten dort über eine Strategie für die Schaffung einer Welt ohne Atomwaffen. Indiens Vizepräsident Mohammad Hamid Ansari würdigte auf der Eröffnungsveranstaltung die Pionierarbeit der IPPNW für »Frieden, Gesundheit und Entwicklung«. Unter diesem Motto steht der Weltkongress. Ansari erinnerte an den 15-Punkte-Vorschlag Rajiv Gandhis zu nuklearer Abrüstung, den er 1988 vor der UNO unterbreitete. Indien strebe nach einer gewalt- und atomwaffenfreien Welt, versicherte der Vizepräsident.

Gunnar Westberg, bislang Kopräsident der IPPNW, appellierte an die indische Regierung, gegenüber Pakistan und China die Initiative zur Abschaffung der Kernwaffen zu ergreifen. Er erklärte, angesichts von 2654 Atomraketen mit einem Vernichtungspotenzial von 100 000 Hiroshima-Bomben allein in den USA und Russland sei die Gefahr eines Nuklearkrieges nicht gebannt. Die Menschheit müsse die »A-Waffen vernichten, ehe sie uns vernichten«.

Auf der ersten Plenarsitzung des Kongresses rief der kanadische Senator Douglas Roche unter Beifall aus: »Wir sind gegen alle Atomwaffen in allen Ländern für alle Zeiten.« Die IPPNW und andere Organisationen müssten den Druck auf die Regierungen der Kernwaffenstaaten erhöhen, damit die Vision einer friedlichen Welt ohne die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen verwirklicht wird. Es gehe um das Überleben des Planeten, sagte er. »Atomwaffen haben ihre Glaubwürdigkeit verloren. Sie sind illegal und unmoralisch. Es gibt keine guten Atombomben.« Roche illustrierte, wie Nuklearisierung und die Probleme des Klimawandels, der Umweltverschmutzung, von Armut und Hunger, unzureichender Gesundheitsdienste sowie Unterversorgung mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser eng miteinander verwoben sind.

Die Summen, die seit 1946 für die Atomwaffenproduktion verpulvert worden seien, hätten ausgereicht für die weltweite Beseitigung der Armut, sagte Roche. Zugleich würde die Erderwärmung den langsamen Tod des Planeten bewirken. Er forderte eine »Kultur des Friedens« und eine »Allianz der Zivilisationen der Welt«.

Admiral a. D. Ramu Ramdass, der frühere Chef der indischen Marine, äußerte in seinen Ausführungen, jedes Kernkraftwerk gelte als Wiege für Bomben. Er kritisierte, dass Indien auf die Förderung des zivilen nuklearen Sektors setzt, während in verschiedenen Staaten des Westens Atomkraftwerke verschrottet würden. Die Nutzung von Atomenergie für friedliche Zwecke, äußerte er, sei ein riesiges Geschäft. Er forderte, anstatt den Rüstungssektor ständig aufzublähen, sollten die miserablen Lebensverhältnisse für über 600 Millionen Inder verbessert werden.

Die Grundstimmung auf dem Weltkongress ist positiv und hoffnungsvoll, dass das IPPNW-Engagement für eine bessere, sichere Welt Früchte tragen wird. Die Ärzte stehen nicht allein. Auf allen Kontinenten existieren inzwischen Organisationen und Bewegungen gegen jede Form von Krieg, gegen Atomtod, für friedliche Konfliktlösung. In 127 Ländern unterstützen Bürgermeister die Kampagne für eine atomwaffenfreie Welt. In Schweden läuft die erfolgreiche Kampagne »Nuclear weapon free - my cup of tea«. In Japan arbeiten der »Rat gegen A- und H-Bomben« zusammen mit den »Hibakusha«, den Überlebenden der Atombombenabwürfe, für ein Ziel: »Es darf nie wieder ein Hiroshima und Nagasaki geben.« In Australien finden die Ärzte Anklang mit ihrer Bewegung »Krieg oder Gesundheit«. Eines der Ziele des Weltkongresses ist, dieses Netzwerk auszudehnen.

* Aus: Neues Deutschland, 11. März 2008


Therapie gegen atomare Epidemie

IPPNW-Weltkongress ging mit Verabschiedung der »Delhi-Deklaration« zu Ende

Von Hilmar König, Delhi **


Der 18. Weltkongress der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) ging am Dienstag (11. März) mit der Annahme einer »Delhi-Deklaration« zu Ende. In dem Dokument bekräftigen 600 Mediziner aus 60 Ländern ihre Entschlossenheit, sich nachdrücklich für eine Welt ohne Kernwaffen einzusetzen.

Einen Nuklearkrieg als schlimmste aller vorstellbaren Formen von Krieg zu verhindern, indem die Welt von Atomwaffen befreit wird -- das bleibe das wichtigste Ziel der IPPNW, heißt es in der Deklaration. Im Zentrum der internationalen Kampagne stehe dabei eine Atomwaffenkonvention, von Juristen, Wissenschaftlern und Ärzten bereits 1997 modellhaft erarbeitet. Indien wird in der Deklaration eine entscheidende Rolle auf dem Weg zu einer Welt ohne Kernwaffen zugeschrieben. Diese gründe sich auf Rajiv Gandhis Abrüstungsplan von 1988. Vom Land Mahatma Gandhis erwarte man eine moralische Führungsrolle. Einen gesonderten Appell richtete der Kongress an die Kandidaten für die US-Präsidentschaftswahlen. Der Sieger sollte sich bei seinem Amtsantritt feierlich verpflichten, die Beseitigung von Kernwaffen einzuleiten -- ein Schritt, dem andere Atommächte folgen würden. Eine ähnliche Botschaft geht auch an den neuen russischen Präsidenten.

Die indische Regierung ließ auf der Abschlusssitzung wissen, dass Gandhis Aktionsplan inzwischen aktualisiert worden sei, von den Atommächten im UNO-Sicherheitsrat jedoch negiert werde. Delhi sei bereit, mit allen Gleichgesinnten zusammenzuarbeiten, um »die Menschheit von der Geißel der Atomwaffen zu befreien«.

Gesundheitsminister Ambumani Ramadoss verwies in seiner Rede darauf, dass die ständig steigenden Mittel für die Waffenproduktion besser global im Kampf gegen Armut, Unwissenheit, Unterernährung und Krankheiten eingesetzt werden könnten. Indische Rednerinnen sprachen in der Debatte am Dienstag nicht nur darüber, wie besonders Frauen und Kinder durch Kriege und deren Folgen leiden, sondern auch über die alltäglichen schreienden ökonomischen Gegensätze und die soziale Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen.

Die prominente Globalisierungskritikerin Susan George, Kodirektorin des Amsterdamer Transnationalen Instituts, hatte zuvor in ihrem Referat dargelegt, wie der »neoliberale, finanzgesteuerte Hyperkapitalismus« Ungleichheit in den Gesellschaften, zwischen den Staaten, zwischen Nord und Süd verschärft und damit Konfliktstoff schafft. »Frieden ohne Gerechtigkeit kann es nicht geben.« Während über eine Milliarde Menschen weltweit mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen müssten, scheffelten Großunternehmen Rekordprofite. Im Zuge der Globalisierung versuche man, Nahrungsmittel, Wasser, Gesundheit und Bildung den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen. Das Damoklesschwert von »Wasserkriegen« hänge bereits über der Menschheit, so George.

Krieg sei »eine Krankheit, eine endgültige, tödliche Epidemie«, hatte der deutsche Arzt Dr. Helmut Lohrer in der Einleitung der Diskussion zum Thema »Globalisierung und Militarisierung -- Hauptursachen für Krieg« erklärt.

Vishnu Bhagwat, ehemaliger Chef der indischen Navy, bezeichnete Globalisierung und Militarisierung als Ausdruck der weltweiten kapitalistischen Krise. Das internationale Finanzkapital versuche, der Politik zu diktieren, alles zu dominieren und zu kontrollieren, ressourcenreiche Gebiete auszuplündern und die dortige Bevölkerung zu versklaven. Es werde immer deutlicher, dass der Norden einen permanenten Krieg gegen den Süden führt. Irak und Afghanistan sprächen da für sich. Und Opfer von Kriegen seien heute bereits zu 90 Prozent Zivilisten, Frauen und Kinder, nicht die Soldaten.

Beim Thema »Religiöse Gewalt -- eine Bedrohung des Friedens« wiesen Vertreter aller großen Glaubensrichtungen darauf hin, dass sich fundamentalistische Organisationen, die Hass und Angst, Spannungen und Unruhen provozieren, oft einen religiösen Deckmantel umhängen. Für den Ausbruch von Gewalt seien in den meisten Fällen aber machtpolitische Interessen, Ignoranz und Korruption verantwortlich. Selda Hamid, Mitglied der Staatlichen Plankommission Indiens, wandte sich in ihrem Diskussionsbeitrag gegen die Verteufelung aller Muslime als Terroristen.

Den nächsten Weltkongress berief die IPPNW für August 2010 nach Basel ein. Dort sollen unter anderem der Kernwaffensperrvertrag und der Status der nuklearen Abrüstung, die Chancen für kernwaffenfreie Zonen in Europa und in Nahost sowie die Atomkraft als Zwillingsschwester der Atomwaffe als Themen auf der Tagesordnung stehen.

** Aus: Neues Deutschland, 12. März 2008


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