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"It’s over. The Americans are distraught" / "Es ist vorbei. Die Amerikaner sind außer sich"

Indien legt aus Rücksicht auf Kommunisten umstrittenen Atomdeal mit USA auf Eis - Freude bei indischer Friedensbewegung

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel des Südasien-Korrespondenten Hilmar König, einen weiteren Beitrag, der in der englischen Times (online) erschien (Auszüge in englisch) sowie eine Presseerklärung der deutschen Sektion der IPPNW.



Manmohan Singh beschwichtigt die Linken

Indiens Premier sucht den innenpolitischen Konsens zum Nuklearabkommen mit den USA

Von Hilmar König, Delhi *

Rechtzeitig vor dem für Ende des Monats erwarteten Indien-Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel scheint die Regierung in Delhi die seit August schwelende innenpolitische Krise in den Griff zu bekommen.

Premierminister Manmohan Singh signalisierte am Wochenende (13./14. Okt.) ein Einlenken in der Kontroverse mit den linken Parteien über das Abkommen mit den USA zur nuklearen Kooperation im zivilen Bereich. Die Linken unterstützen eigentlich die UPA-Regierung von außen, doch sie lehnen den Atomdeal mit Washington strikt ab. Sie befürchten ernsthafte negative Konsequenzen für Indiens unabhängige Außenpolitik und Souveränität. Die Vereinbarung enthält im Kern eine Trennung der zivilen von den militärischen Nuklearanlagen Indiens sowie eine Kontrolle des Zivilsektors durch die Internationale Atomenergieagentur IAEA als Voraussetzung für US-Lieferungen von Atomtechnik und nuklearem Brennstoff.

Der Streit nahm in den vergangenen Wochen ziemlich scharfe Formen an. Indiens Regierungschef äußerte zunächst markig, er werde den Deal durchboxen und drohte anschließend: Werde das Abkommen blockiert, dann stelle er sein Amt zur Verfügung. Sonia Gandhi, die Kongressparteipräsidentin und UPA-Vorsitzende, setzte nach und erklärte öffentlich, wer gegen das Abkommen sei, sei ein Feind der Entwicklung Indiens. KPI-Generalsekretär A. B. Bardhan konterte, für die Linken hätten nationale Sicherheit und nationale Interessen Vorrang vor einer weiteren Existenz dieser Regierung.

Somit lieferten beide Seiten genügend Stoff für das Gerücht, die mit 61 Abgeordneten im Parlament sitzende Linke wäre bereit, der UPA-Regierung ihre Unterstützung zu entziehen und diese damit zu Fall zu bringen. Aus Kreisen der Kongresspartei war zugleich zu hören, man bereite sich auf vorgezogene Parlamentsneuwahlen vor. Für die Ohren der oppositionellen hindunationalistischen Indischen Volkspartei BJP war diese Konfrontation Musik, sah sie doch die Chance, endlich wieder Oberwasser zu bekommen. In dieser Situation einigte man sich Ende August wenigstens auf die Bildung eines »Gesprächsmechanismus« zwischen UPA und Linken. Der Zwist wurde nicht mehr vor den Medien ausgetragen, sondern im Gremium einer gemeinsamen Kommission. Diese traf sich inzwischen viermal, ohne allerdings einen Durchbruch zu erzielen.

Die Linken ließen sich auch nicht vom Besuch des IAEA-Generaldirektors Mohammed al-Baradei beeindrucken, der auf Einladung der indischen Regierung in der zweiten Oktoberwoche in Delhi auftauchte. Damit der Pakt mit Washington in Kraft treten kann, muss Indien mit der IAEA ein spezielles Abkommen zu Papier bringen und die Zustimmung von über 40 Staaten einholen, die der sogenannten Nuklearen Liefergruppe angehören. Die Vermutung, dass die Regierung mit der Einladung Baradeis Druck auf die Linken ausüben wollte, scheint nicht absurd. Doch die Visite brachte nichts Greifbares außer dessen Zusicherung, seine Agentur sei zu Verhandlungen bereit.

Tatsache ist, dass die UPA-Regierung über keine parlamentarische Mehrheit für das Nuklearabkommen verfügt. Nicht nur die Linken, sondern auch die Vereinte Nationale Progressive Allianz, die BJP und ihre Nationale Demokratische Allianz sowie etliche Regionalparteien sind dagegen. Das scheinen Manmohan Singh und Sonia Gandhi nun akzeptiert zu haben. Der Premier sagte am Wochenende, das Leben gehe weiter, auch wenn das Abkommen nicht in Kraft treten sollte, obwohl »es ein ehrenhafter Deal ist, der gut für Indien und für die Welt ist«. Man werde weiter versuchen, die Standpunkte auf einen Nenner zu bringen, sich ansonsten der ganzen Breite zu lösender Probleme widmen. Und Sonia Gandhi verwarf die Möglichkeit vorgezogener Wahlen: »Wir wollen bis 2009 alle unsere Programme verwirklichen.« In die nächste Sitzung der gemeinsamen Kommission am 22. Oktober können UPA und Linke bedeutend entspannter gehen.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Oktober 2007

Phone call derails controversial deal to attract India into nuclear fold

October 17, 2007
Jeremy Page in Delhi **

(...)
Manmohan Singh, the Prime Minister, telephoned President Bush on Monday night (Oct. 15) to tell him that the deal had run into difficulties because of opposition from his communist allies. “The Prime Minister explained to President Bush that difficulties have arisen with respect to operationalisation of the India-US civil nuclear co-operation agreement,” the Indian Government said.
The Americans said that they would continue to work on the deal but analysts and diplomats said it would not be ready for approval by the US Congress before the end of the Bush Administration. “It’s over. The Americans are distraught,” one Western diplomat told The Times. “The embassy has been working on little else for two years.” The deal’s failure is a huge embarrassment for Mr Singh, who gave it his personal backing, and for Mr Bush, who was hoping it would be a foreign policy success.
The agreement, announced with a fanfare last year, would have allowed India to import US nuclear fuel and technology for the first time in 30 years, easing its energy shortage and binding it closer to Washington. (...) The communists who back India’s ruling coalition said that the deal would make India subservient to US interests. They threatened to withdraw their support, forcing early elections if the Government triggered the deal by opening negotiations with the International Atomic Energy Agency.
Mr Singh appeared determined to call the communists’ bluff until Friday, when he backtracked and said that his priority was to see out the Government’s term, which ends in 2009.
Sources in his Congress Party, which leads the ruling coalition, said that party pollsters had balked at the prospect of elections early next year.
The Government had aimed to conclude the IAEA pact by the end of this month so it could win approval from the Nuclear Suppliers Group in time for the US Congress to endorse the deal before the end of the year.
(...)

** The Times online (excerpts)



US-Indien-Atomabkommen auf Eis gelegt

Pressemitteilung der IPPNW vom 17. Oktober 2007

Unerwartete Wendung
Laut der internationalen Presse wurde das geplante Nuklearhandelsabkommen zwischen USA und Indien auf Eis gelegt. Die IPPNW begrüßt diese Ankündigung. Dennoch bleibt unklar, ob das Abkommen ganz vom Tisch ist. Die IPPNW hat seit Beginn der Vertragsverhandlungen zwischen Indien und den USA davor gewarnt, dass das Abkommen bestehende Vereinbarungen zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen unterminiere und zur atomaren Aufrüstung Indiens beitrage. Außerdem kann es ein Wettrüsten in Südasien auslösen.

Die Nachricht vom Stopp des geplanten Atomabkommens wurde von indischen AbrüstungsaktivistInnen mit großer Freude aufgenommen. Dr. Arun Mitra von der indischen Sektion der IPPNW sagte heute: »Das Abkommen wurde jetzt erst mal auf Eis gelegt. Nicht viele Menschen haben diese Wendung erwartet. Alle fortgeschrittene Kräfte in Indien spielten hierbei eine unterstützende Rolle. Diesen Weg müssen wir jetzt vorsichtig, aber unbeirrt weiterverfolgen.«

Dennoch warnen die Ärzte vor zu frühem Optimismus. Die Berichte aus Indien seien sehr unterschiedlich in ihren Aussagen. Xanthe Hall, Abrüstungsexpertin der deutschen IPPNW, erklärt: »Die indische Regierung wurde von der kommunistischen Partei im indischen Parlament blockiert. Sie lehnen das Abkommen aber aus den falschen Gründen ab. Zum einen befürchten sie, dass die USA Indien für ihre strategischen Interessen ausnützen wird, zum anderen, dass das Abkommen ihre militärisch-nuklearen Aufrüstungsambitionen zügeln könnte. Aber prinzipiell gegen einen nuklearen Handel ist keine der indischen Parteien.«

Die indische und US-amerikanische Sektion der IPPNW haben im August 2007 ein Statement an alle Außenministerien in der Gruppe der nuklearen Lieferländer (Nuclear Suppliers Group) geschickt. In diesem Statement äußerten sie ihre »ernsthaften Sorgen« in Bezug auf das US-Indien-Abkommen. Sie befürchten, dass es »die im Atomwaffensperrvertrag von 1968 verankerte Sperre gegen eine Weiterverbreitung von Atomwaffen aufheben wird.« Die Ärzteorganisationen haben das indische Parlament und den US-Kongress aufgerufen, das Abkommen wegen seiner Gefahr für internationalen Frieden und Sicherheit abzulehnen.




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