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Die "Achse des Bösen" bedroht die USA

Wer ist der nächste? Die USA wollen weiter marschieren

Unter dem Titel "Die 'Achse des Bösen' und ihre vermutete Gefährlichkeit" dokumentierte die Frankfurter Rundschau am 12. Februar 2002 eine Analyse aus der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK; im Internet: www.hsfk.de). Bernd W. Kubbig bewertet darin die Berichte der elf US-amerikanischen Geheimdienste über eine Reihe von Ländern, die der Unterstützung terroristischer Aktivitäten verdächtigt werden. Darunter natürlich die "Schurkenstaaten" Irak, Iran und Nordkorea, von Bush in seiner Rede zur Lage der Nation Ende Januar 2002 "Achse des Bösen" genannt. Wir dokumentieren Auszüge aus der Analyse Kubbigs (Zwischenüberschriften von uns) sowie einen Kommentar von Rainer Rupp.


Bernd W. Kubbig:
Die "Achse des Bösen" und ihre vermutete Gefährlichkeit


Äußerungen auf der Münchner Sicherheitskonferenz

... Für die in München anwesenden hochrangigen Vertreter der Bush-Administration und die Senatoren waren Diagnose und Therapie klar. Präsident Bush, wie auch seine führenden Berater, hatte mit dem eingängigen Slogan von der "Achse des Bösen" Irak, Iran und Nordkorea als doppelte Bedrohung der USA bezeichnet: wegen ihrer direkten oder mittelbaren terroristischen Aktivitäten sowie auf Grund ihrer Anstrengungen im Bereich der Massenvernichtungsmittel.

Vor allem Irak - auch dazu diente den US-Vertretern das Münchener Stelldichein als Forum - ist in das militärstrategische Visier der Hardliner in der Bush-Administration geraten. Für die nicht-amerikanischen Teilnehmer der Münchener Sicherheitskonferenz - und nicht nur für sie - gilt die terroristische Helfershelfer-Tätigkeit dieser drei Staaten im Zusammenhang mit dem 11. September als bisher unbewiesen.

Bedrohung oder Risiken?

Niemand leugnet auch diesseits des Atlantiks, dass mit den Waffenprogrammen Nordkoreas, Iraks und Irans sicherheitspolitische Probleme verbunden sind, aber diese werden abgestufter, zurückhaltender definiert. In den Brüsseler Nato-Stäben, die die Bewertung der Sicherheitslage bei den Massenvernichtungsmitteln und Raketen im Hinblick auf Europa koordinieren, spricht man nicht von Bedrohung. Es gebe sie gegenwärtig und in absehbarer Zeit nicht. Man spricht stattdessen lediglich von Risiken. ...

Dass man in der Bush-Administration - und weit über sie hinaus - von Bedrohungen durch Raketen und Massenvernichtungswaffen vor allem aus Nordkorea, Iran und Irak spricht und in erster Linie auf militärische Antworten setzt, ist auf eine Reihe von Gründen zurückzuführen. Der wohl wichtigste hat mit der weltpolitischen Rolle der USA zu tun. Sie sieht ihre weltweit stationierten Truppen und ihre Verbündeten - wie insbesondere Israel - real oder potenziell bedroht. Es kommen aber auch aktuelle Gründe hinzu.

Die Administration hat soeben ihren neuen Militäretat an den Kongress geschickt. Für das am 1. Oktober 2002 beginnende neue Haushaltsjahr fordert sie 48 Milliarden Dollar mehr. Dies entspricht zweistelligen Steigerungsraten. Die Raketenabwehr nimmt darin mit acht Milliarden Dollar einen prominenten Platz ein. All dies muss auch - oder gerade - nach dem 11. September mit entsprechenden Bedrohungen begründet werden. Denn der Präsident will auch die Mittel für die Terrorbekämpfung auf 38 Milliarden Dollar erhöhen, die insbesondere zivile Maßnahmen innerhalb der USA und bei der verbesserten Überwachung ihrer Küste einschließen.

Bush wird damit den ausgeglichenen Gesamthaushalt, den sein Vorgänger Bill Clinton erzielt hatte, demnächst erstmals wieder in die roten Zahlen bringen. Hinzu kommt, dass in den USA der Wahlkampf begonnen hat. Im November sind die so genannten Midterm-Wahlen für die 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses und ein Drittel der Senatoren. Diese Wahlen werden auch ein Test für Präsident Bush. ...

Vor diesem Hintergrund wird die wortgewaltig inszenierte Bedrohungskulisse der "Achse des Bösen" aus den beiden kombinierten Elementen Terror und Massenvernichtungsmittel verständlich. Diese Kombination kulminierte rhetorisch in Senator McCains Satz auf der Münchener Wehrkundekonferenz, der die Verbündeten und die US-Bevölkerung auf den offensichtlich nächsten, erweiterten Kriegsschauplatz einstimmen soll: "Ein Terrorist wohnt in Bagdad."
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Die Geheimdienstberichte

In der ersten Januarhälfte haben zudem die elf US-Geheimdienste ihre offizielle Einschätzung der Bedrohung durch ausländische Raketen bis zum Jahre 2015 vorgelegt. Sie wollen damit amtlich untermauern, wie gefährdet die USA, ihre Streitkräfte, Verbündeten und Interessen sind. Hier geht es aber, anders als im Nato-Sprachgebrauch im Hinblick auf Europa, eben nicht nur um Risiken. Trotz einer Reihe von Unstimmigkeiten ist die Bewertung der Geheimdienste in wichtigen Punkten differenzierter als die Positionen der Hardliner in Administration und Kongress. Vor allem aber lässt sie die Schlussfolgerung zu, dass sich die angesprochenen Probleme politisch - und nicht militärisch - in den Griff bekommen lassen.

Das Hauptergebnis der US-Geheimdienste lautet: Ein Angriff auf amerikanisches Territorium mit Massenvernichtungsmitteln, bei dem Terroristen oder Staaten etwa Schiffe, Lkw und Flugzeuge einsetzen, ist wahrscheinlicher als eine Attacke durch Raketen. Dieses Resultat bedeutet nach den Erfahrungen des 11. September einen fundamentalen Bruch mit früheren Einschätzungen. Vor allem bestätigt dieses Ergebnis die Befürchtungen der Abwehrskeptiker in den USA. Sie haben immer wieder auf diese Gefahr hingewiesen, gegen die alle Raketenabwehrpläne machtlos sind - letzteres bestätigt der Report der US-Geheimdienste ausdrücklich. Die Befürworter der Abwehrprogramme müssen deshalb fürchten, dass diese Bewertung sich negativ auf ihre Forderungen vor allem nach einer umfassenden Raketenabwehr auswirken kann.

Dabei geht es in der Bedrohungsanalyse nicht um ein Entweder-Oder zwischen Terrorismus und Raketen, sondern um ein Sowohl-als-auch, aber eben mit der Raketenbedrohung auf dem eindeutig zweiten Platz. In diesem Zusammenhang lautet der zweite wichtige Befund der US-Geheimdienste: Die Fähigkeiten der vorhandenen Raketenpotenziale werden gesteigert, aber die Anzahl der Staaten mit den entsprechenden Programmen bleibt gleich. Bis 2015 sehen sich die USA demnach hauptsächlich den drei Problemstaaten Nordkorea, Iran und Irak gegenüber.

Das dritte Ergebnis betrifft eine Veränderung in der abgestuften Bewertung dieser drei Staaten. Von nordkoreanischen Raketen und Massenvernichtungsmitteln gehe, wie auch von denen Chinas und Russlands, nach wie vor eine "sehr wahrscheinliche" Bedrohung aus. Erstmals erscheint auch Iran in dieser höchsten Gefahrenkategorie. Hier gibt es einige Ungereimtheiten. Warum Iran inzwischen bedrohlicher geworden ist, wird aus den nicht-geheimen Versionen des Berichts nicht deutlich. Ihr Wortlaut ist mit den Ausführungen aus dem vorletzten Geheimdienstreport vom September 1999 nahezu identisch.
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Nächstes Angriffsziel Irak?

Bleibt Irak. Seine Aktivitäten stufen die US-Geheimdienste im Hinblick auf das US-Territorium, die amerikanischen Streitkräfte und Verbündete weiterhin "nur" als mögliche Bedrohung ein. Hier gibt es drei besonders wichtige Aspekte. Zunächst geben fast alle elf Geheimdienste eine Art Entwarnung, was die Wahrscheinlichkeit anbelangt, dass Bagdad bis 2015 eine Rakete testet, die das US-Territorium erreichen könnte - selbst wenn die Sanktionen der UN beseitigt oder erheblich zurückgefahren würden. Hier stellt sich die Frage nach dem Sinn einer territorialen Raketenabwehr für die USA.

Weiterhin schätzt der Bericht, dass "Irak - wenn er nicht daran gehindert wird - mehrere Jahre bräuchte, um genug spaltbares Material zur Herstellung einer (Atom-)Bombe zu produzieren". Und schließlich glauben die Geheimdienstler, dass das Regime in Bagdad "es geschafft hat, die für die Entwicklung von Raketen notwendige Infrastruktur und Expertise zu erhalten" und dass Saddam Hussein "eine kleine verdeckte Streitmacht von Scud-ähnlichen Raketen, Abschussvorrichtungen, und konventionellen, chemischen und biologischen Sprengköpfen unterhält". Gleichzeitig halten es die Geheimdienstler jedoch für plausibel, dass die UN-Sanktionen, solange sie in Kraft sind, den Irak bis 2015 "beschränken" werden.

Hier stellen sich die Fragen: Warum soll Saddam Hussein als Erstem demnächst offenbar der Garaus gemacht werden, wenn die erwähnten Fähigkeiten seines Regimes als begrenzt gelten? Sollte es hier wirklich keine politische Lösung, die sich nicht vom militärischen Erfolg in Afghanistan blenden lässt, geben?

Im Hinblick auf die anderen beiden Problemstaaten gibt es ein politisches Fenster der Gelegenheiten, denn die Nordkoreaner haben auf weitere Raketentests verzichtet. Präsident Bush hat den Nordkoreanern gegenüber Dialogbereitschaft angekündigt. Aber kann er ein Gespräch ernsthaft wollen, wenn das Regime in Pjöngjang die offizielle Hauptbegründung für das Raketenabwehrsystem ist?

Was Teheran anbelangt, so drängen sich aus der US-Analyse exportkontrollpolitische Möglichkeiten auf, um Teherans Aktivitäten zumindest zu verlangsamen. Denn der Bericht der Geheimdienste weist ausdrücklich darauf hin, dass Iran hochgradig von ausländischer Hilfe abhängig ist - hier sind in erster Linie Russland, China und Nordkorea angesprochen.
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Aus: Frankfurter Rundschau, 12. Februar 2002


Rainer Rupp:
CIA stellt Bagdad Persilschein aus


"Die CIA hat keinerlei Beweise dafür, dass Irak seit nunmehr fast einem Jahrzehnt irgendwelche terroristische Operationen gegen die Vereinigten Staaten unternommen hat. Nach Aussage mehrerer, in dem amerikanischen Nachrichtendienst tätigen Beamten ist die Agency (CIA) außerdem zu der Überzeugung gelangt, dass Präsident Saddam Hussein weder chemische noch biologische Waffen an die Al-Kaida oder an sonst eine terroristische Gruppierung weiter gegeben hat." Mit dieser, für die USA erstaulichen Feststellung begann Mittwoch letzter Woche ein Leitartikel in der New York Times (NYT). George J. Tenet, Direktor der CIA, war am selben Mittwoch vor den Geheimdienstausschuss des Senats zur Berichterstattung über globale Gefahren für die USA geladen.

Offensichtlich hatten hohe Beamte aus dem US-Geheimdienstapparat mit dieser gezielten Indiskretion gegenüber der New York Times ihren Chef Tenet von einer Aussage vor dem Kongressausschuss, die vom derzeitigen Erkenntnissstand über den Irak abweicht, abhalten wollen. Über die Motive lässt sich nur spekulieren. Da aber die Darlegungen der CIA-Mitarbeiter ganz auf der bis zu diesem Zeitpunkt vertretenen politischen Linie des US-Außenministers Powell lagen, liegt die Annahme einer Absprache zwischen CIA und Außenministerium nahe. Allerdings schien niemand der NYT-Informanten geahnt zu haben, dass ausgerechnet an diesen Mittwoch der US-Außenminister Powell eine totale Kehrtwende machte. Ganz auf der Linie von Präsident Bush und des Pentagon verlangte Powell vor dem Auswärtigen Ausschuss des US-Kongress nun auch den gewaltsamen "Regimewechsel" im Irak, den die Vereinigten Staaten "womöglich alleine tun müssten", d.h. auch ohne die Zustimmung der Verbündeten in Europa.

Dem gegenüber stand nun die Aussage der CIA-Mitarbeiter in der New York Times, wonach seit fast einem Jahrzehnt der Irak in keinerlei terroristische Aktivitäten gegen die USA verwickelt gewesen sei. Auch auf die heißen Spekulationen über eine mögliche Spur der Anschläge vom 11. September in den Irak gossen die CIA-Informanten der NYT kaltes Wasser. Diese Spekulationen basierten weitgehend auf Berichten über ein angebliches Treffen des World Trade Center Attentäters Mohammed Atta mit dem irakischen Geheimdienstoffizier Ahmed Khalil Ibrahim Samir al-Ani in Prag. Diese Berichte hätten lange im Zentrum intensivster Nachforschungen der amerikanischen Dienste gestanden. Die Meinungen über die Bedeutung des Treffen und ob es überhaupt im Zusammenhang mit dem Anschlag auf das WTC stand, gingen jedoch stark auseinander. Etliche der von der NYT zitierten CIA-Agenten bezweifelten sogar, ob das Treffen überhaupt statt gefunden hat. Aber selbst wenn das Treffen stattgefunden hätte, - so die Überlegungen - sei es unwahrscheinlich, dass Saddam Hussein eine solch hochbrisante Operation wie den Anschlag auf das WTC einem Geheimdienstoffizier von solch niedrigem Rang wie Samir al-Ani in Prag anvertraut hätte.

Unter normalen Bedingungen hätte man davon ausgehen können, dass der detaillierte Artikel in der NYT den Schießwütigen in der Bush-Regierung, die lieber heute denn morgen ganze "Staaten beenden" möchten, wie das der stellv. US-Verteidugungsminister Wolfowitz unlängst formuliert hatte, die Grundlage zur Rechtfertigung von Militärschlägen gegen Irak entzogen hätte. Aber von der Normalität sind die nur noch in "gut-böse" Kategorien denkenden, gewaltbesessenen Fundamentalisten in der Bush-Regierung weiter weg denn je. Ganz dem Größenwahn der "Hypermacht" - wie der französische Ministerpräsident kürzlich die USA kritisierte - verfallen, akzeptieren sie keine Beschränkungen mehr, weder politische noch völkerrechtliche.

Nun ist auch US-Außenminister Powell auf diese Linie eingeschwenkt indem er vor dem Kongress deutlich machte, dass nichts mehr Saddam Hussein retten könnte, egal was er auch tun würde. Dabei bezog sich Powell auf das jüngste Angebot Saddam Husseins an die UNO zur Wiederaufnahme des Dialogs ohne Vorbedingungen. Vor dem US-Kongress reagierte Powell kühl auf dieses Angebot und forderte statt dessen ultimativ die Rückkehr der UN-Waffeninspektoren in den Irak, die Washington 1998 selbst aus dem Irak hinaus beordert hatte, um mit seinen Bombardements zu beginnen. Während Powell dem UN-Generalsekretär Annan nun die Weisung erteilte, dass die Diskussion mit dem Irak "sehr kurz" sein müsste, sprach ominös von "den schlimmsten Optionen, die man sich vorstellen kann", ohne jedoch nähere Details der amerikanischen Kriegspläne gegen Irak preiszugeben. Präsident Bush ziehe nur alle Möglichkeiten in Betracht.

Unterdessen berichtete CIA-Chef Tenet vor dem Kongresses, dass man in über 60 Ländern fast 1.000 Al Kaida Mitglieder fest genommen habe. Zugleich warnte er, dass das Terror-Netzwerk weiterhin dazu fähig sei, tödliche Großangriffe gegen die Vereinigten Staaten zu planen und durchzuführen. "Ich kann nur unterstreichen, Al Kaida ist noch nicht vernichtet", so Tenet. Damit ließen sich jedoch nicht alle Senatoren ins Bockshorn jagen. Wegen der schlechten Aufklärungsarbeit der CIA im Vorfeld der Anschläge kam Tenet unter heftigen Beschuss, so z.B. vom stellv. Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, Senator Richard. Auch Sen. Pat Roberts wunderte sich, wieso es dem "amerikanischen Taliban" John Walker Lindh, der zur Zeit vor einem amerikanischen Gericht steht, gelungen war, in Afghanistan von den Taliban ausgebildet zu werden und sogar bin Laden persönlich zu treffen, während die CIA offensichtlich nicht im Stande gewesen sei, die Terrororganisation zu infiltrieren. Auf diese Weise in die Enge getrieben deutetet CIA-Chef Tenet zur großen Überraschung an, dass es der CIA sehr wohl gelungen sei, in das Al-Kaida Netzwerk einzudringen, was anschließend nochmals von einem Mitarbeiter Tenets bestätigt wurde.

Am Rande des zur gleichen Zeit statt findenden Weltwirtschaftsforums in New York ging NATO-Generalsekretär Robertson auf Distanz und erklärte, dass das Bündnis die USA bei der Ausweitung des Krieges gegen Irak nicht automatisch unterstützen würde. Er forderte die USA dazu auf, "überzeugende Beweise" dafür vorzulegen, dass "es eine Verbindung zwischen diesen Ländern (der Achse des Bösen, Irak, Iran und Nord Korea) und dem Angriff (auf das World Trade Center) gibt". Deutlicher als der NATO-Generalsekretär drückte sich der russische Premierminister Michail Kasjanow aus. Zum Abschluss seiner Unterredungen mit dem US-Präsidenten forderte er Montag letzte Woche bei einer Pressekonferenz vor dem Weißen Haus in Washington George Bush auf, keinen "eingebildeten Gefahren" nachzujagen".

Saarburg, den 6. Februar 2002


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