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Parlamentsbeteiligungsgesetz ist in Wahrheit ein Parlamentsentmündigungsgesetz

Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag zum "Entsendegesetz" der Bundeswehr

Pressemitteilung

Heute (25. März 2004) wird im Bundestag in erster Lesung über den von den Regierungsfraktionen eingebrachten Gesetzentwurf über ein "Entsendegesetz" für die Bundeswehr beraten. In der Friedensbewegung stößt das Gesetz auf einhellige Ablehnung.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag erklären dessen Sprecher Lühr Henken und Peter Strutynski gegenüber der Presse:

(1) "Gefahr im Verzug"
Die jahrelange Debatte um ein Entsendegesetz zur Beschleunigung von Bundeswehreinsätzen hat mit Minister Strucks Besuch in Colorado Springs Anfang Oktober letzten Jahres erheblich an Fahrt gewonnen. Minister Rumsfeld hatte den NATO-Verteidigungsministern in einem Planspiel vorgeführt, wie schnell Einsatzentscheidungen getroffen werden müssen, wenn "Gefahr im Verzug" ist. Da die Bundesregierung sechstausend Mann zu den 21.000 Mann der von Rumsfeld vorgeschlagenen Schnellen Eingreiftruppe der NATO (innerhalb von fünf bis sieben Tagen einsatzfähig) beisteuern will, wäre zu viel Sand im Getriebe, wenn der Bundestag zunächst das Für und Wider eines solchen Einsatzes debattieren müsste. Wegen der hohen deutschen Beteiligung müsste die NATO-Truppe auf die Deutschen warten ehe sie losschlagen könnte. Eventuell würde der Bundestag dies sogar ablehnen.

(2) Rückholung durch das Parlament so gut wie ausgeschlossen
Ähnliches gilt für die im Aufbau befindliche super-schnelle Eingreiftruppe der EU, die innerhalb von 48 Stunden einsetzbar sein soll. § 5 des Entsendegesetz entmachtet nun den Bundestag im Falle von Gefahr im Verzug und bei Evakuierungsmaßnahmen (die übrigens schnell in Kampfhandlungen übergehen können). Zwar ist der Einsatz für den Fall zu beenden, dass der Bundestag nachträglich die Zustimmung verweigert. Eine Rückholung wird jedoch dadurch erheblich erschwert, dass bereits Fakten geschaffen wurden. Da im Gesetz eine Bindung an Mandate der UN oder der OSZE unterlassen wird, sind hierdurch Einstiege in Präventivkriegsabenteuer von NATO und EU vorprogrammiert.

(3) "Vereinfachtes Zustimmungsverfahren"
Für "Einsätze von geringer Bedeutung" soll ein "Vereinfachtes Zustimmungsverfahren" (§ 4) eingeführt werden. Für Erkundungskommandos, die auch Waffen zur Selbstverteidigung tragen, aber auch für einzelne Soldaten, die in NATO, UNO oder EU einen Auftrag erfüllen, ist kein förmlicher Bundestagsbeschluss notwendig. Er gilt als beschlossen, wenn nicht binnen sieben Tagen eine Fraktion oder fünf Prozent aller Abgeordneten widersprochen haben. So sind beispielsweise Einsätze von AWACS-Flugzeugen, die eine geringe Anzahl deutscher Soldaten an Bord haben, einer öffentlichen Debatte entzogen. Dieses Verfahren soll nach § 7 auch Anwendung finden bei der Verlängerung von Missionen, sodass der Sinn andauernder Auslandseinsätze einer öffentlichen Debatte entzogen wird. Das eingestandene Rückholrecht des Parlaments (§ 8) wird kaum zur Anwendung kommen, denn es setzt einen Regierungswechsel voraus, weil die Abgeordneten der Regierungspartei gegen die Regierung stimmen müssten, was ihrem Sturz gleichkäme.

Aus den genannten Gründen halten wir dieses Entsendegesetz oder Parlamentsbeteiligungsgesetz für falsch oder zumindest grob irreführend betitelt: Parlamentsentmündigungsgesetz träfe die Sache besser.

Das Gesetz beschleunigt den Einsatz der Bundeswehr. Weltweiten Interventionen der neu zu bildenden 35.000 Mann starken "Eingreifkräfte" im Rahmen von NATO und EU droht durch die Schaffung militärischer "Sachzwänge" die parlamentarische und damit die öffentliche Kontrolle zunehmend entzogen zu werden. Dieses Gesetz bildet die Grundlage für die Globalisierung der Bundeswehr, dessen weltweite Ambitionen möglichst geräuschlos umgesetzt werden sollen.

Nachdem der Bundestag bisher allen Anträgen der Regierung auf Auslandseinsätze der Bundeswehr jeweils mit überwältigenden Mehrheiten zugestimmt hat, fragt man sich, was das Verteidigungsministerium denn nun vorhat, dass es sich die Entsendung von Soldaten in Kriegsgebiete nun noch leichter machen will.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag lehnt das Entsendegesetz in Gänze ab.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken und Peter Strutynski (Sprecher)
Kassel/Hamburg 25. März 2004


Siehe auch:
Gesetz soll Auslandseinsätze der Bundeswehr erleichtern
Das "Parlamentsbeteiligungs-Gesetz" im Wortlaut (26. März 2004)
Entsendegesetz: Das Parlament wirft Ballast ab
Der Bundestag debattiert in erster Lesung über das Bundeswehr-Entsendegesetz ("Parlamentsbeteiligungsgesetz") - Berichte, Kommentare, Reden (26. März 2004)
Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen erleichtert werden
SPD-Parlamentarier legen brisanten Gesetzentwurf vor - Dokumentation und ein erster Kommentar (2. November 2003)




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