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Entsendegesetz: Das Parlament wirft Ballast ab

Der Bundestag debattiert in erster Lesung über das Bundeswehr-Entsendegesetz ("Parlamentsbeteiligungsgesetz") - Berichte, Kommentare, Reden

Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und dem Berliner Tagesspiegel war es keine einzige Zeile Wert, die Frankfurter Rundschau begnügte sich mit einer knappen Meldung und die Süddeutsche Zeitung widmete dem "Ereignis" immerhin einen Kommentar, nachdem sie schon am Vortag über das Gesetz kurz informiert hat. Lediglich das linke Neue Deutschland würdigte das Thema mit einem längeren Artikel und mit einem kritischen Kommentar. Ähnliches ist von der jungen Welt zu vermelden, die zwar auf einen Kommentar verzichtete, die kritische Meinung aber in zwei ausführliche Artikel einflocht.

Worum es geht? Um das "Parlamentsbeteiligungsgesetz" - (Der Entwurf im Wortlaut), das diesen Namen nicht verdient, weil es eben nicht darum geht, das Parlament zu beteiligen, sondern die bislang gegebene Beteiligung des Parlaments zu beschneiden. (Vgl. die Kritik aus der Friedensbewegung: "Parlamentsbeteiligungsgesetz ist in Wahrheit ein Parlamentsentmündigungsgesetz".) Über die Auslandseinsätze der Bundeswehr entscheidet nämlich bisher der Bundestag - so wollte es ausdrücklich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1994, und so wurde es bisher auch gehandhabt.

Im Folgenden dokumentieren wir die entsprechenden Ausschnitte aus der Presse sowie die einzige Rede in der Bundestagsdebatte zum "Entsendegesetz", die grundsätzliche Einwände gegen das Gesetz erhob; es war die Rede der "fraktionslosen" Abgeordneten Gesine Lötzsch (PDS).


Frankfurter Rundschau:

Die rot-grüne Koalition hat ein Gesetz über die Beteiligung des Bundestages bei Entscheidungen über Auslandseinsätze bewaffneter Bundeswehrsoldaten ins Parlament eingebracht. Der Regierung soll damit mehr Handlungsspielraum gegeben werden. Nach dem Entwurf sollen Einsätze, die der Vorbereitung und Planung größerer Militäroperationen dienen, und humanitäre Hilfsdienste, bei denen die Soldaten Waffen nur zum Zweck der Selbstverteidigung bei sich tragen, nicht als "bewaffnete Unternehmungen" gelten und bedürfen nicht mehr der Zustimmung des Bundestags.

SPD-Fraktionsvize Gernot Erler sagte am Donnerstag im Bundestag, bei Entscheidungen über solche Auslandseinsätze habe das Parlament weiterhin das letzte Wort. Laut Entwurf hat der Bundestag das Recht, Soldaten aus Einsätzen zurückholen zu lassen.

Eckart von Klaeden (CDU) kritisierte, dass die Entscheidungsprozesse in Deutschland weiterhin zu langsam blieben. Bei Einsätzen, die kurzfristig nötig würden, zwinge dies die anderen Staaten zu Alleingängen. Die FDP legte einen Gesetzentwurf vor, nach dem ein geheimer Ausschuss über besondere Auslandseinsätze entscheiden soll.

Aus: Frankfurter Rundschau, 26.03.2004

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SPD lehnt Änderung des Grundgesetzes ab

rkl Berlin – Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt eine von der Union vorgeschlagene Grundgesetzänderung zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren im Falle terroristischer Bedrohungen kategorisch ab. „Was die Union als sicherheitspolitische Notwendigkeit darstellt“, heißt es in einem Papier der Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen der SPD, „ist in Wahrheit der Versuch, unser Grundgesetz so zu verändern, dass die politisch und verfassungsrechtlich gewollte Trennung zwischen Innerer und Äußerer Sicherheit aufgehoben wird.“ Die Soldaten der Bundeswehr würden zu Lückenbüßern von Polizei und Bundesgrenzschutz. Die Union hatte den Einsatz der Bundeswehr etwa zum Objektschutz vorgeschlagen. Das würde nach Einschätzung der SPD voraussetzen, den Soldaten die vollen Polizeibefugnisse zu gewähren. Dafür seien sie aber gar nicht ausgebildet. Die SPDParlamentarier räumten ein, dass das Zusammenwirken der Hilfs- und Sicherheitskräfte im Not- und Katastrophenfall verbessert werden müsse. Dafür sei aber keine Grundgesetzänderung nötig.

Süddeutsche Zeitung, 24.03.2004

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Ein guter Vorbehalt

Kaum vergehen zehn Jahre, schon ist das Gesetz da, das das Bundesverfassungsgericht 1994 zur Regelung der Auslandseinsätze der Bundeswehr verlangt hat. Seiter waren deutsche Soldaten nicht weniger als fünfzig Mal jenseits unserer Grenzen im Einsatz. Allein diese Zahl unterstreicht, wie sehr es zu begrüßen ist, dass sich die Koalition endlich zu einem Gesetz durchgerungen hat.

Aber auch dessen Inhalt verdient Lob. Es schreibt fest, dass Auslandseinsätze vom Bundestag genehmigt werden müssen: Die Bundeswehr ist ein Parlamentsheer und nicht der bewaffnete Arm des Bundeskanzlers. Ausnahmen werden nicht geduldet. Auch der Einsatz der deutschen Soldaten, die Teil der Schnellen Eingreiftruppe der Nato sind, unterliegt dem Parlamentsvorbehalt. Die Union will hier die Entscheidung über den Truppeneinsatz dem Nato-Rat überlassen. Dafür besteht kein Anlass. Deutschland bleibt verlässlicher Partner, auch wenn sich der Bundestag das Recht vorbehält, über jeden Einsatz zu befinden. Die Erfahrung zeigt, dass Militärmissionen nicht über Nacht beschlossen werden. Es bleibt genug Zeit, den Bundestag zu befassen. Entscheidungen womöglich über Leben und Tod bedürfen der öffentlichen Debatte und sollten nicht in einer Ministerrunde fallen.

Und das Gesetz trägt den Realitäten Rechnung: Kleinere Einsätze gelten auf Antrag der Bundesregierung als genehmigt, wenn nicht der Bundestag kurzfristig widerspricht. Das hebt den Parlamentsvorbehalt nicht auf, aber erleichtert den Einsatz einzelner Offiziere etwa in UN-Missionen. Bisher wurde der oft verweigert, weil man nicht für einen einzelnen Soldaten die ganze Bundestagsmaschinerie in Gang setzen wollte. rkl

Aus: Süddeutsche Zeitung, 26. März 2004

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Schneller Krieg führen

Bundesregierung legt »Parlamentsbeteiligungsgesetz« zur ersten Lesung vor

Von Frank Brendle

Ein Thema, das seit Jahren auf der Agenda der deutschen Militärpolitik steht, soll alsbald zum Abschluß gebracht werden: Am Donnerstag verhandelt der Bundestag in erster Lesung über das sogenannte »Parlamentsbeteiligungsgesetz«. Mit dessen Hilfe soll die Bundeswehr unkomplizierter und schneller in Kriege geschickt werden können.

Bedarf an diesem Gesetz haben – bis auf die PDS – sämtliche Parteien im Bundestag angemeldet. Am Donnerstag wird neben dem Regierungsantrag auch ein ähnliches Begehren der FDP diskutiert. Die Unterschiede sind nur im Detail zu finden.

Einigkeit besteht darin, daß der Bundestag nicht mehr über jeden Bundeswehreinsatz abstimmen soll. Wenn nicht zu erwarten ist, daß die Soldaten auf bewaffneten Widerstand stoßen, soll die Regierung freie Hand haben. Damit sollen angeblich Hilfseinsätze bei Naturkatastrophen rascher organisiert werden können. Der Wortlaut des Regierungsantrages läßt aber weitere Interpretationen zu: Wenn die Regierung sagt, der Bundeswehreinsatz sei kein bewaffneter, sondern eine Hilfsaktion, kann sie die Soldaten auf eigene Faust losschicken.

Nun hat der deutsche Imperialismus seit 1990 unermüdlich gelehrt, daß jede Bundeswehrgranate ein Beitrag für die Menschenrechte sei. Daß die helfenden Soldaten zum Zweck der Selbstverteidigung bewaffnet sein dürfen, versteht sich daher von selbst.

»Vorbereitende Maßnahmen und Planungen« für Kriegseinsätze sollen künftig ebenfalls der Zuständigkeit des Bundestages entzogen werden. Der Begriff der »Vorbereitung« ist nicht weiter definiert. Ob er selbst kriegerische Handlungen, womöglich in Feindesland, zuläßt, bleibt bewußt offen.

Mit den geplanten Änderungen können auf jeden Fall Fakten geschaffen werden, die dann die berühmten »Sachzwänge« nach sich ziehen. Zwar soll der Bundestag theoretisch auch in Zukunft über jeden Kriegseinsatz entscheiden, das Gesetz dient aber vorrangig dazu, Ausnahmen von dieser Regel zu ermöglichen. So soll es künftig Kriege »von geringer Bedeutung« geben, von denen der Gesetzesantrag nur sagt, die Regierung müsse darlegen, warum »der bevorstehende Einsatz von geringer Bedeutung ist«. Die wesentlichen Kriterien sind eine »geringe« Anzahl von Soldaten und eine nachrangige Bedeutung des Einsatzes. Erkundungskommandos, die künftige Einsatzgebiete inspizieren, dürfen zwar bewaffnet auftreten, sollen aber von dem Gesetz mit gemeint sein. Dieses darf getrost als Einladung betrachtet werden, es möglichst willkürlich zu interpretieren.

Ist also ein Einsatz als weniger wichtig definiert, soll der Bundestag gar nicht mehr darüber abstimmen. Statt dessen läßt die Regierung eine Drucksache an die Abgeordneten verteilen, und wenn nicht innerhalb einer Woche mindestens fünf Prozent der Abgeordneten Widerspruch einlegen, gilt der Einsatz als beschlossen. Damit bieten sich der Regierung völlig neue Druckmittel auf die Parlamentarier. Muß sie heute – zumindest theoretisch – bei geheimen Abstimmungen stets mit dem Widerstand einiger Abgeordneter rechnen, müssen sich künftig die fünf Prozent Kriegsgegner namentlich melden – und einen Karriereknick riskieren. Noch wichtiger dürfte das Kalkül sein, daß Kriegseinsätze, über die der Bundestag nicht debattiert, auch in der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen werden. Das Gesetz soll also auch dazu dienen, den gesellschaftlichen Widerstand gegen den Krieg möglichst klein zu halten.

Aus: junge Welt, 24.03.2004

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Schneller in den Krieg

Bundestag berät Senkung der Hürden für Auslandseinsätze der Bundeswehr


Von Frank Brendle

Der Bundestag marschiert voran: Das Vorhaben der Bundesregierung, Kriegseinsätze in Zukunft so unkompliziert wie möglich zu beschließen, ist am Donnerstag auf breite Zustimmung im Parlament gestoßen. Die Abgeordneten haben gegen ihre geplante Teilentmachtung keine Einwände.

Zur Debatte stand das sogenannte "Parlamentsbeteiligungsgesetz", das seit einigen Jahren - anfangs noch unter dem weniger irreführenden Namen "Entsendegesetz" - diskutiert wird. Die Bundesregierung ist unzufrieden damit, daß die bundesdeutsche Gesetzeslage noch immer dem Grundgesetz entspricht und davon ausgeht, die Bundeswehr habe im Ausland nichts zu suchen. Hier wird "Anpassungsbedarf" gesehen.

Einzige Grundlage für Auslandseinsätze der Bundeswehr ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994. Das legte fest, daß ein Bundeswehreinsatz die vorherige Zustimmung des Bundestages benötigt. Die Verfassungsrichter erklärten es für möglich, diese Zustimmungspflicht in einem speziellen Gesetz zu regeln.

Fast zehn Jahre lang lag das Projekt auf Eis, um im vergangenen Jahr vergleichsweise hektisch wieder aufgenommen zu werden. Kriegsminister Struck schreckte im Sommer die Gemüter auf, als er am Rande eines NATO-Treffens in den USA äußerte, die dauernden Debatten im Bundestag behinderten die deutsche Kriegsmaschinerie. Zumindest Einsätze der NATO-Eingreiftruppe, an der deutsche Soldaten beteiligt sind, sollten einem kleinen Ausschuß überlassen werden, der innerhalb eines Tages entscheiden solle. Strucks Pläne wurden zwar abgelehnt, sorgten aber für eine Beschleunigung der Debatte. Nacheinander legten sämtliche Fraktionen des Bundestages eigene Anträge vor. Wenn auch kein gemeinsamer interfraktioneller Antrag daraus wurde, so sind sich im Prinzip alle einig. Alle wollen eine angriffsfähige Bundeswehr, die einen mit, die anderen ohne Wehrpflichtige. Alle wollen die Bundeswehr im "Terrorfall" im Innern einsetzen, die einen mit, die andern ohne dazugehörige Grundgesetzänderung.

Die bisherige Rechtslage verpflichtet die Regierung, jeden Bundeswehreinsatz, auch jede Verlängerung eines Einsatzes, im Bundestag verhandeln zu lassen. Den aktuellen Bedürfnissen, die ja bekanntlich die Entsendung von Soldaten zum Normalfall gemacht haben, werde diese Rechtslage nicht gerecht, erläuterte SPD-Militärexperte Gernot Erler am Donnerstag im Bundestag.

Das neue Gesetz soll es möglich machen, den Bundestag bei künftigen Militäreinsätzen weiträumig zu umgehen. Dazu wird der Regierung zunächst das Recht zugestanden, selbst zu definieren, ob die Entsendung von Soldaten einem bewaffneten Unternehmen gleichkommt oder nur ein harmloser Hilfseinsatz ist - bei dem selbstredend Waffen zur "Selbstverteidigung" mitgeführt werden können. In letzterem Fall muß sie den Bundestag nicht mehr fragen. Wenn ein Einsatz "von geringer Bedeutung" ist, soll ein "vereinfachtes Zustimmungsverfahren" greifen. Das sieht so aus, daß der Bundestag nur mit der Angelegenheit befaßt wird, wenn es mindestens fünf Prozent der Abgeordneten ausdrücklich verlangen. Ansonsten gilt die Regel: Schweigen ist Zustimmung. Gernot Erler nannte als Beispiele für derlei Einsätze die Entsendung einer "geringen" Zahl von Soldaten, der Grünen-Militärpolitiker Winfried Nachtwei nannte die Abordnung "einzelner Soldaten mit Spezialfunktionen" etwa in die Stäbe der NATO oder in andere Organisationen.

Gebetsmühlenartig wiederholte Erler, von der "vereinfachten Zustimmung" werde nur dann Gebrauch gemacht, wenn es sich um einen "unstrittigen Einsatz" handle.

Dem CDU-Politiker Eckart von Klaeden geht das schon zu weit: Einsätze etwa in EU-Verbänden müßten ohne Bundestagsdebatte möglich sein, entscheidend sei das "Kriterium der Effektivität". Der FDP-Wehrpolitiker Jörg van Essen plädierte für seine Variante eines "kleinen Ausschusses", der stellvertretend für das Parlament und vor allem schneller als dieses entscheiden könne.

Nachtwei schloß sich dem allgemeinen Ansinnen an; es gelte, die "multinationale Einsatzfähigkeit der Bundeswehr" zu verbessern. Daß im Grünen-Wahlprogramm von 2002 die Worte standen: "Ein Entsendegesetz lehnen wir ab" und Bundeswehreinsätze an eine Zweidrittelmehrheit im Parlament geknüpft werden sollten, war ihm wohl entfallen.

Die PDS-Abgeordnete Gesine Lötzsch wandte sich als einzige Rednerin gegen das Gesetz und charakterisierte als dessen Ziel: "Die Bundeswehr führt Krieg, und keiner bekommt es mit." Dazu habe man "Bundeswehreinsätze geringer Intensität" erfunden, obwohl - wie es Grünen-Abgeordneter Hans-Christian Ströbele noch vor einem Jahr feststellte - zwei Generäle im Kriegseinsatz eine erhebliche Wirkung entfalten können.

Aus: junge Welt, 26.03.2004

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Bundeswehr: Parlament wird abgeschaltet

SPD und Grüne ändern Regeln zu Auslandseinsätzen


Kriegseinsätze der Bundeswehr sind im Bundestag immer noch umstritten. SPD und Grüne wollen die Entscheidung über eine große Anzahl solcher Einsätze dem Parlament entziehen.

Berlin (ND-Rex). Bei einem großen Teil von Auslandseinsätzen der Bundeswehr soll das Plenum des Bundestages künftig nicht mehr zustimmen. Das sieht ein so genanntes Parlamentsbeteiligungsgesetz der Regierungsfraktionen SPD und Bündnisgrüne vor. Ein Entwurf dazu wurde am Donnerstag im Bundestag beraten. Für die Nichtteilnahme des Parlaments werden in dem Gesetz eine Reihe von Ausnahmetatbeständen genannt.

Regeln über die Mitbestimmung des Parlaments bei Bundeswehreinsätzen waren bereits 1994 vom Bundesverfassungsgericht gefordert worden. Damals hatte das Gericht Bundeswehreinsätze außerhalb des NATO-Gebiets als vereinbar mit der Verfassung erklärt. Wie viele zum Teil auch Kriegseinsätze seither stattfanden, wussten gestern selbst die Fachleute der Parteien nicht zu sagen. Im Gesetzestext ist von rund 50 Einsätzen die Rede, denen der Bundestag mehrheitlich zustimmte. Der SPD-Abgeordnete Hans-Peter Bartels nannte gestern mehr als 30 Einsätze mit insgesamt 170000 Soldaten.

Der wichtigste Ausnahmepunkt ist wohl "Gefahr im Verzug". In solchen Fällen soll die Bundesregierung die Truppen ohne ein Ja des Bundestags zum Einsatz schicken können. Vorbereitende und planerische Maßnahmen fallen ebenfalls nicht mehr unter generellen Parlamentsvorbehalt. Dasselbe trifft auf humanitäre Einsätze auch mit bewaffneten Soldaten zu. Werde der Einsatz verlängert, genüge wie in allen anderen genannten Fällen die schriftliche Bekanntgabe an einzelne Fraktionsvertreter. Theoretisch wird dem Bundestag im Gesetzentwurf ein Rückholrecht eingeräumt. Für solche Fälle wiesen CDU-Abgeordnete bereits darauf hin, dass dies nicht möglich sei, ohne die Soldaten entsendende Regierung zu beschädigen.

PDS-Abgeordnete Gesine Lötzsch erklärte, das Agieren der Bundeswehr solle "geräuschärmer und ohne größeres Aufsehen erfolgen". Die Zustimmung werde künftig durch Schweigen abgewickelt. Sollten sich nicht innerhalb von sieben Tagen fünf Prozent der Abgeordneten (Fraktionsstärke) gegen den Bundeswehreinsatz aussprechen, gelte der als genehmigt. Auf diese Weise sei die PDS gleich mit ausgegrenzt worden, so die Abgeordnete. Auch der Bundesausschuss Friedensratschlag lehnte den Gesetzesvorschlag ab. Nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe sollte gestern im Bundestag noch über einen CDU-Antrag zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren beraten werden. Schon am Vormittag hatte Bundeskanzler Schröder erweiterte Bundeswehreinsätze im Inland abgelehnt.

Aus: Neues Deutschland, 26. 03. 2004

Freie Hand

Bundeswehr und Bundestag

Von Wolfgang Rex


Der Bundestag hat sich gestern mit einem Gesetz beschäftigt, das der Bundesregierung freie Hand bei Kriegseinsätzen der Bundeswehr einräumen soll. Für solche Fälle wurde eine ganze Reihe von Ausnahmetatbeständen erfunden, bei denen die Bundesregierung nicht mehr das Ja der Abgeordneten zu einem Auslandseinsatz deutscher Soldaten einholen muss. Das Gesetz steht damit im Gefolge der Doktrin des Bundesverteidigungsministers, der deutsche Interessen auch am Hindukusch verteidigen will.

Es stimmt natürlich, dass die 30 bis 50 Auslandseinsätze der Bundeswehr bisher im Bundestag eine übergroße Mehrheit fanden. Lediglich PDS und einige Abgeordnete von Grünen oder SPD stimmten gegen solche Einsätze. Trotzdem ist der Parlamentsvorbehalt eine gewichtige Schranke vor dem Marsch der Soldaten an die Fronten der Welt. Die Schranke soll in Zukunft durch ein Winkelement ersetzt werden. Einzelne exklusive Abgeordnete werden künftig das Verschicken von Soldaten gestatten.

Die Misere begann allerdings damit, dass sich erst die SPD und dann die Grünen von ihrem klaren Nein zu Kriegseinsätzen verabschiedeten und für bisher jeden behandelten Fall gemeinsam mit CDU/CSU die Mehrheiten stellten.

Aus: ND, 26.03.2004

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Heute ist es in unserem Land leichter eine Verlängerung eines Bundeswehreinsatzes zu bekommen als die Verlängerung einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme

Gesine Lötzsch (PDS) in der Debatte des Deutschen Bundestags am 25. März 2004


Sehr geehrte Damen und Herren, stellen Sie sich vor, die Bundeswehr führt Krieg und keiner bekommt es mit. Das ist das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfes der SPD und der Grünen. Das Agieren der Bundeswehr soll geräuschärmer und ohne großes Aufsehen erfolgen. Um das Gesetz harmlos erscheinen zu lassen, haben die Regierungsfraktionen Bundeswehreinsätze von geringer Intensität erfunden.

Das sind Erkundungskommandos oder Einsätze, von einzelnen Soldaten im Rahmen der UNO, der NATO, der EU. Nun hat Herr Ströbele noch vor einem Jahr richtig erkannt, dass wenn zwei deutsche Generäle im Kriegseinsatz sind und eine wichtige Führungsfunktion übernehmen, größere Wirkungen erzielen können als hundert Soldaten (Berliner Zeitung 17.4. 03) Es ist also völlig abwegig, einen Einsatz von geringer Intensität an der Zahl der Soldaten fest zu machen. Der grundlegende methodische Fehler ist hier, dass die Bedeutung eines Einsatzes von dessen quantitativem Umfang abhängig gemacht wird. Dieser Fehler scheint aber politisch gewollt.

Sie wollen Bundeswehreinsätze mit geringer Intensität und die Verlängerung von Bundeswehreinsätzen durch ein vereinfachtes Zustimmungsverfahren im Stillen abwickeln. Das Prinzip des Verfahrens ist einfach: Wer schweigt, stimmt zu. Sie wollen, dass die Zustimmung erteilt ist, wenn nicht innerhalb von sieben Tagen nach der Verteilung der Drucksache von einer Fraktion oder von 5% der Abgeordneten eine Befassung im Bundestag verlangt wird. Auf diese Weise haben Sie gleich die PDS ausgegrenzt. Schon jetzt wissen viele Abgeordnete kaum noch, worüber sie eigentlich abstimmen, ihr Verfahren wird dazu beitragen, dass ein großer Teil der Abgeordneten gar nicht mehr weiß, wo die Bundeswehr weltweit in Aktion ist. Hinzu kommt noch, dass in den Berichten der Bundesregierung geheimhaltungsbedürftige Tatsachen nicht enthalten sind und nur noch einzelne Abgeordnete über geheime Tatsachen informiert werden. D.h. wir haben dann Abgeordnete 1. und 2. Klasse.

Schon jetzt ist es so, dass die Verlängerung von Bundeswehreinsätzen zu einer reinen Routine verkommen ist. Es wird gar nicht mehr nachgefragt, ob die Mission erfüllt wurde oder ob eine Verlängerung zur Lösung des eigentlichen Problems beitragen könnte - es wird einfach verlängert.

Heute ist es in unserem Land leichter eine Verlängerung eines Bundeswehreinsatzes zu bekommen als die Verlängerung einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und das ist absurd.

Ich kann Ihnen schon jetzt versprechen, dass die PDS-Fraktion 2006 im Bundestag jeden Antrag auf Einsatz der Bundeswehr aus dem vereinfachten Zustimmungsverfahren rausholen und auf die Tagesordnung des Bundestages setzen wird. Egal wer dann regiert und die Bundeswehr in Einsätze geringer Intensität schicken will, Sie werden auf unsere Fragen und Anträge mit hoher Intensität rechnen müssen.


Siehe auch:
Gesetz soll Auslandseinsätze der Bundeswehr erleichtern
Das "Parlamentsbeteiliguns-Gesetz" im Wortlaut (26. März 2004)
"Parlamentsbeteiligungsgesetz ist in Wahrheit ein Parlamentsentmündigungsgesetz"
Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag zum "Entsendegesetz" der Bundeswehr (25. März 2004)
Auslandseinsätze der Bundeswehr sollen erleichtert werden
SPD-Parlamentarier legen brisanten Gesetzentwurf vor - Dokumentation und ein erster Kommentar (2. November 2003)




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