Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Rüstungsexporte als Mittel der Außenpolitik

Die Bundesregierung legt ihren Rüstungsexportbericht 2011 vor

Von Lühr Henken und Peter Strutynski *

Aus Anlass der Vorlage des Rüstungsexportberichts 2011 [externer Link] der Bundesregierung am 14. November 2012 gaben die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag eine Stellungnahme ab, die wir im Folgenden dokumentieren.

Wenn es aus friedenspolitischer Sicht überhaupt eine positive Meldung gibt, dann bezieht sie sich auf die Halbierung der tatsächlich erfolgten Ausfuhr von Kriegswaffen im Jahr 2011 gegenüber dem Vorjahr (vom Rekordwert 2,12 Mrd. auf 1,29 Mrd. Euro, siehe Rüstungsexportbericht 2011, S. 6). Dieser Rückgang stellt indessen keine Trendwende bei den Waffenexporten dar. Deren Entwicklung ist stets starken Schwankungen ausgesetzt. Schon 2012 könnten die Zahlen wieder in die Höhe schießen, wenn man etwa den Verkauf von Radpanzern und Fregatten an Algerien, von U-Booten an Israel und Ägypten oder von Patrouillenbooten an Angola berücksichtigt. Aufschlussreicher sind die im Berichtszeitraum erteilten Exportgenehmigungen. Und hier ergibt sich ein anderes Bild: Die Summe aller Einzel- und Sammelausfuhrgenehmigungen (S. 18 und S. 20) für die Ausfuhr von Rüstungsgütern war 2011 mit 10,8 Mrd. Euro doppelt so hoch wie das Jahr zuvor (2010: 5,5 Mrd. Euro). Aus Exportgenehmigungen werden spätere reale Exporte. Man kann also davon ausgehen, dass die Bundesrepublik Deutschland ihren dritten Platz unter den weltgrößten Rüstungsexporteuren in den kommenden Jahren verteidigen wird. Mehr Waffen und Rüstungsgüter exportieren lediglich die USA und Russland.

Dass die Bundesregierung ihren Rüstungsexportbericht 2011 wenige Tage vor dem Volkstrauertag vorlegt, ist ein merkwürdiger Zufall. Der Volkstrauertag wurde von dem Kabarettisten Pelzig treffend als „Erntedankfest der Rüstungsindustrie“ bezeichnet: Waffenproduzenten und ihre Händler ermöglichen erst die Kriege, um deren Opfer dann heuchlerisch getrauert wird.

Die Zahlen, die der neue Exportbericht nennt, bestätigen die Kritik, die sich die Bundesregierung seit geraumer Zeit gefallen lassen muss: Deutsche Waffen und Rüstungsgüter werden in fast alle Länder der Welt geliefert (1); die Bundesregierung verstößt gegen zentrale Maßstäbe und Kriterien, welche sie selbst und die Europäische Union aufgestellt haben und die sie zu einer „restriktiven“ Rüstungsexportpolitik zwingen (2); der deutsche Waffenhandel folgt offenbar der vor kurzem verkündeten „Merkel-Doktrin“ (3).
  1. Wieder einmal beruhigt uns der Rüstungsexportbericht mit dem Hinweis darauf, dass der Großteil der Ausfuhr von Kriegswaffen an Staaten der EU, der NATO oder „ihnen gleichgestellter Staaten“ geht. Sieht man genauer hin, so ist das nicht einmal die halbe Wahrheit, sondern eine dreiste Lüge: Zwei Drittel aller realen Kriegswaffenausfuhren (von insgesamt 1,29 Mrd. Euro) landeten nämlich 2011 in „Drittländern“. In absoluten Zahlen sieht das so aus: Kriegswaffen im Wert von 842,8 Mio. Euro gingen in Länder außerhalb von NATO und EU, die ihrerseits Waffen im Wert von 447 Mio. Euro erhielten (S. 32). Nie zuvor wurden so viele Kriegswaffen in Drittländer exportiert wie 2011.
  2. Die Doppelbödigkeit der deutschen Exportpolitik ist kaum noch zu überbieten: Auf der einen Seite wird auf die Kriterien der deutschen „Rüstungsexportrichtlinien“ (Januar 2000) und der Europäischen Union (2008) hingewiesen. Die deutschen Richtlinien formulierten: „Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen.“ Und im „Gemeinsamen Standpunkt“ der EU heißt es beispielsweise: „Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch das Endbestimmungsland“ (Kriterium 2). „Restriktiv“ soll die “Rüstungsexportpolitik“ auch gegenüber Staaten sein, die in Spannungsgebieten liegen. So heißt es in den deutschen Rüstungsexportrichtlinien, dass „Exporte in Länder, in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden“ nicht erfolgen sollten. Und im EU-Standpunkt wird betont, dass die „innere Lage im Endbestimmungsland als Ergebnis von Spannungen oder bewaffneten Konflikten“ berücksichtigt werden müsse.

    Wie sieht demgegenüber die Genehmigungspraxis aus? Ein großer Teil der Ausfuhren von Kriegswaffen gingen 2011 in Länder wie Brunei, Singapur und Irak (S. 33) – Länder, die autoritär regiert werden und/oder in denen Menschenrechte nicht allzu viel gelten. Noch deutlicher wird die Scheinheiligkeit der deutschen Exportpolitik bei Betrachtung des Kleinwaffenhandels. Im Jahr 2011 war der Wert für die Erteilung von Exportgenehmigungen von Kleinwaffen in Drittländer so hoch wie nie: 17,92 Millionen Euro (S. 27ff). Hauptempfängerland ist Saudi-Arabien, dem Genehmigungen für 9,4 Millionen Euro erteilt wurden. Weitere Empfängerländer sind u.a. Bahrain, Brunei, Indien, Indonesien, Irak, Süd-Korea, Libanon, Malaysia, Oman, Philippinen, Taiwan und die Vereinigten Arabischen Emirate. Alles Länder, die entweder in Spannungsgebieten liegen oder die repressiv im Inneren vorgehen oder beides.
  3. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer bemerkenswerten Rede auf der Bundeswehrtagung am 22. Oktober 2012 in Strausberg eine neue außenpolitische Doktrin verkündet: „Wer sich der Friedenssicherung verpflichtet fühlt, aber nicht überall auf der Welt eine aktive Rolle in der Friedenssicherung übernehmen kann, der ist auch dazu aufgerufen, vertrauenswürdigen Partnern zu helfen, damit sie entsprechende Aufgaben übernehmen.“ Das könnten die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Katar und Kuwait sein, die sich gegen den Iran in Stellung bringen, das dürfte die bewaffnete Opposition in Syrien sein, die den Westen händeringend um Waffen bittet, das dürften die afrikanischen Anrainerstatten von Mali sein, die sich auf eine Intervention zu Gunsten der an die Macht geputschten Regierung in Mali vorbereitet, und das werden mit Sicherheit alle „verbündeten“ Armeen dieser Welt sein, um deren Ausbildung sich die Bundeswehr heute schon bemüht (Afghanistan, Uganda) oder künftig bemühen wird.
„Der Schutz der Menschenrechte ist ein Kernanliegen deutscher Außenpolitik“, heißt es in offiziellen Regierungsverlautbarungen. Voller Stolz wurde vor wenigen Tagen die Wahl Deutschlands in den UN-Menschenrechtsrat bekannt gegeben. Nun ist dieses Gremium nicht unbedingt ein Hort von Staaten, die Vorbildcharakter für die Achtung von Menschenrechten haben. Gewählt wird nach strengen regionalen Proporzregeln. Immerhin befindet sich Berlin in der Gesellschaft von Staaten, die es mit den Menschenrechten nicht so genau nehmen, mit denen aber auch bisher schon gute Waffengeschäfte abgewickelt wurden, z.B. Indonesien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Äthiopien, Indien und Pakistan.

Rüstungsexporte in alle Welt, insbesondere in Staaten wie Saudi-Arabien, Indonesien, Algerien oder Katar sind in der Öffentlichkeit zunehmend in die Kritik geraten. Die Friedensbewegung fordert einen Stopp der Waffenexporte – aus sicherheitspolitischen Gründen, aber auch aus Gründen der politischen und ethischen Glaubwürdigkeit. Die Aktionen der Friedensbewegung gegen beabsichtigte Exporte von Kampfpanzern, Atom-U-Booten, Korvetten, Schützenpanzern oder „Kleinwaffen“ werden weiter gehen.

Auf dem nächsten Friedenspolitischen Ratschlag (1./2. Dezember in Kassel) wird die Friedensbewegung nicht nur ihre weiteren Aktivitäten gegen die Rüstungsexporte beraten, sondern die Rüstungsproduktion selbst wird ins Visier genommen. Diskutiert werden z.B. industriepolitische Maßnahmen zugunsten eines Beschäftigung sichernden Konversionsprogramms für monostrukturierte Rüstungsunternehmen und zur Entmilitarisierung regionaler Rüstungszentren.

Dies dürfte gesamtwirtschaftlich keine unlösbare Aufgabe sein, denn die Rüstungsproduktion stellt mit einem Anteil von 0,6 Prozent am deutschen Bruttoinlandsprodukt eine marginale Größe dar. Ihr ethisch gebotener Verzicht kann gesellschaftlich leicht aufgefangen werden. Wir fordern einen Konversionsfonds auf Bundes- und Länderebene, aus denen betriebliche Projekte gefördert werden, die zivile Produktinnovationen zu Lasten von Rüstungsgütern fördern.

Der Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für 2010 erschien im Dezember 2011. Der Bericht 2011 erscheint nun im November 2012. Es gibt keinen Grund, die jährlichen Berichte so spät zu veröffentlichen. Zur Förderung der öffentlichen Diskussion wären neben den zeitnah erscheinenden Jahresberichten vierteljährliche Übersichten über die Genehmigungspraxis, die erfolgten und die vorgesehenen Exporte wünschenswert.

Die deutsche Rüstungsexportpolitik ist einer wirksamen parlamentarischen und erst recht öffentlichen Kontrolle weitgehend entzogen. Die Entscheidungen über den Export todbringender Waffen und Technologie liegen allein bei der Regierung bzw. beim geheim tagenden Regierungsausschuss, dem sog. Bundessicherheitsrat.

Es kann nicht angehen, dass dieser Bundessicherheitsrat in hermetisch abgeriegelten Räumen weitreichende Entscheidungen über Leben und Tod anderer fällt. Wir fordern Transparenz. Ein Schritt dazu ist die Auflösung des Bundessicherheitsrats.

* Die Autoren:
  • Lühr Henken, Berlin, Abrüstungsexperte und Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag;FRIKO Berlin, DFG-VK und Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI e.V.)
  • Dr. Peter Strutynski, Kassel, Friedensforscher (www.ag-friedensforschung.de) und Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.

Der Link zum Rüstungsexportbericht:

Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2011. Rüstungsexportbericht 2010
Herausgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), 11019 Berlin; 2012
www.bmwi.de




Stellungnahme der Aktion "Aufschrei"

Mitteilung an die Medien vom 14.11.2012 anlässlich der heutigen Vorstellung des Rüstungsexportberichts 2011 im Bundeskabinett

„Blendwerk auf Zeit: Jede exportierte Kriegswaffe bleibt eine zuviel“

„Bundesregierung macht sich mitschuldig am Einsatz deutscher Waffen“ Forderung nach Umkehr und Grundgesetzergänzung Art. 26 (2)

„Mit dem neuen Rüstungsexportbericht wird der falsche Eindruck erweckt, das Blatt wende sich zum Besseren. Trotz geringerer Kriegswaffenexporte bleibt jede Kriegswaffe, die geliefert wird, eine zuviel“, sagt Jürgen Grässlin, Sprecher der Aufschrei-Kampagne und der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). „Der schöne Schein trügt. Denn der letzte Rüstungsexportbericht vor der Bundestagswahl 2013 ist angesichts stark gestiegener Einzelausfuhrgenehmigungen, exorbitant hoher Kriegswaffenlieferungen an menschenrechtsverletzende Staaten und in Diktaturen sowie neuer milliardenschwerer Vertragsabschlüsse im Jahr 2012 allenfalls ein Blendwerk auf Zeit.“ Kampagnensprecher Grässlin verweist darauf, dass in diesem Jahr allein mit Algerien Vereinbarungen für neue Kriegswaffenlieferungen in Höhe von rund 10 Milliarden Euro getroffen worden sind.

„Wer in gewaltigem Umfang Kriegswaffen in die Kriegs- und Krisenregion des Nahen und Mittleren Osten liefert, macht sich mitschuldig am Einsatz dieser Waffen“, bewertet Paul Russmann, Sprecher der Kampagne und der ökumenischen Aktion Ohne Rüstung Leben (ORL), die umfangreichen Kriegswaffenlieferungen an Staaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. „Beide Länder zählen mit Exportgenehmigungen in Höhe von 139,5 und 357 Millionen Euro erneut zu den wichtigsten Abnehmern deutscher Kriegswaffen“, erklärt Russmann. „Gerade Gewehre und Kampfpanzer werden zur weiteren Unterdrückung der Demokratiebewegungen und religiöser Minderheiten eingesetzt. Auch deshalb muss die Bundesregierung die geplanten Exporte von Kampf- bzw. Spürpanzern an Saudi-Arabien, Katar, Algerien und Indonesien unbedingt unterbinden.“

„Wenn es stimmt, dass 42 Prozent der Ausfuhrgenehmigungen für Exporte in Drittstaaten gingen, dann hat Deutschland 2011 zehn Prozent häufiger als 2010 entscheiden, Krisenherde in der Welt militärisch aufzurüsten. Ist das die neue außenpolitische Linie?“, fragt Christine Hoffmann, Kampagnensprecherin und pax christi-Generalsekretärin. „Auch die massive Steigerung der Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern von 4,75 Milliarden Euro 2010 auf 5,41 Milliarden Euro 2011 weist in eine falsche Richtung“, kritisiert Hoffmann. „Wir fordern mit unserer Kampagne eine grundlegende Umkehr in der Rüstungsexportpolitik. Artikel 26 (2) des Grundgesetzes muss ergänzt werden: ‚Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter werden grundsätzlich nicht exportiert.’“ Dies sei laut Hoffmann ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum angestrebten Stopp des Waffenhandels.

Weitere Stellungneahmen auf der Website der Kampagne "Aufschrei": www.aufschrei-waffenhandel.de


Zurück zur Rüstungsexport-Seite

Zur Friedensbewegungs-Seite

Zur Presse-Seite

Zur Friedensratschlags-Seite

Zurück zur Homepage