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Zukunft der Wehrpflicht offen

Verkürzung nur noch eine Frage der Zeit / Merkel offenbar für Aussetzung

Von Christian Klemm *

Schwarz-Gelb peitscht die Verkürzung von Wehr- und Zivildienst im Eiltempo durch das Parlament. Dabei verdichten sich Anzeichen, dass diese nur einige Monate bestehen wird.

Gestern Morgen (11. Juni) debattierte der Bundestag vor dürftiger Kulisse die Zukunft des Wehr- und Zivildienstes. In erster Lesung wurde über ein von Union und FDP ausgehandeltes Gesetz beraten. Das besagt, dass ab Anfang Juli der Zwangsdienst von bisher neun auf künftig sechs Monate verkürzt werden soll. Für die Zivildienstleistenden gibt es die Möglichkeit, die Dienstzeit um drei bis sechs Monate zu verlängern. Eine Option, die vor allem von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden begrüßt wurde.

Der oberste Dienstherr der Bundeswehr, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), trommelte im Parlament für eine zügige Verabschiedung der verkürzten Wehrpflicht. Zwar sei er ein grundsätzlicher Befürworter der Wehrpflicht, die »weitestgehend eine Erfolgsgeschichte« sei, so der Minister. Dennoch müssten die Streitkräfte strukturell reformiert werden. In der Debatte über ihre Zukunft dürfe es keine »Tabus und keine Denkverbote« geben. Zu Guttenberg hatte mit Blick auf die angespannte Haushaltslage kürzlich eine Aussetzung der Wehrpflicht ins Gespräch gebracht. Und betonte gestern, finanzpolitische Zwänge machten auch vor der Bundeswehr nicht Halt.

Die FDP unterstützt zu Guttenberg bei seinen Kürzungsplänen. Doch die Liberalen wollen mehr. Immer wieder ist aus der Partei zu hören, die Wehrpflicht müsse ausgesetzt werden.

Ist das Gesetz also nur eine Übergangslösung, wie die Opposition gestern unterstellte? Der Verteidigungsminister räumte ein, er wisse nicht, wie lange die sechsmonatige Dienstzeit gelten werde. Die Diskussion über eine mögliche Aussetzung ändere aber nichts daran, dass die jungen Männer, die ab Juli eingezogen würden, Planungssicherheit bräuchten.

Im September sollen die Ergebnisse der Strukturkommission der Bundeswehr auf dem Tisch liegen. Dann hätte der schwarz-gelbe Kompromiss keinen Bestand mehr, sagte Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Er forderte die Koalition auf, dass Gesetz zu kippen, statt es »im Schweinsgalopp« durch den Bundestag zu bringen. Die Sozialdemokraten halten nach wie vor an der Wehrpflicht fest; plädieren aber dafür, nur noch Männer einzuziehen, die den Grundwehrdienst freiwillig ableisten wollen.

Dagegen haben sich Linkspartei und Grüne für die Abschaffung der Wehrpflicht ausgesprochen. Sie sei ein »konservativer Ladenhüter«, sagte Agnes Malczak, Sprecherin für Abrüstungspolitik der Grünen-Fraktion. Sie kritisiere das Durcheinander in der Koalition, die eine »Hüh- und Hott«-Politik mache. Paul Schäfer von der LINKEN hielt die Wehrpflicht für sicherheitspolitisch überflüssig. Er forderte die Regierenden auf, den Militärtransporter A400M abzubestellen und die Kampftruppen aus Afghanistan abzuziehen.

Gegen eine Aussetzung der Wehrpflicht gibt es aus der Union erste Vorbehalte. Der Generalsekretär der CDU im Saarland, Roland Theis, sprach sich gegen solche Überlegungen aus. »Wer die Wehrpflicht aussetzen will, um damit kurzfristige Spareffekte zu erzielen, riskiert viel«, sagte er laut Mitteilung. Faktisch bedeute dies »die Abschaffung der Wehrpflicht mit all ihren Konsequenzen«.

Angela Merkel dagegen schließt das nicht mehr aus. Sie halte einen »zukunftsweisenden Strukturwandel« der Bundeswehr für nötig, der auch zu einem Aussetzen der Wehrpflicht führen könnte, so die Kanzlerin zur »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juni 2010



Wehrpflicht hin oder her

Von Christian Klemm **

Die Koalition hat es eilig: Die Verkürzung der Wehrpflicht kommt zum 1. Juli. Wahrscheinlich wird diese nicht lange Bestand haben, und Schwarz-Gelb beschließt die Aussetzung des Zwangsdienstes. Schließlich hält auch Angela Merkel eine Aussetzung inzwischen für möglich. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, ein klares Bekenntnis zur Abschaffung der Wehrpflicht wäre aber konsequenter. Denn die Wehrpflicht hat sich längst überholt: Weniger als die Hälfte der als wehrtüchtig gemusterten Männer eines Jahrgangs reißt seine Zeit noch beim Bund ab.

Doch die Diskussion um die Verkürzung oder Abschaffung der Wehrpflicht geht am eigentlichen Problem vorbei. Ob es Wehrpflichtige oder Berufssoldaten sind, die in Afghanistan, auf dem Balkan oder auf anderen Kriegsschauplätzen dieser Welt töten und sterben, ändert an dem Problem nichts – das lautet: dass sie überhaupt zu den Waffen greifen.

Die Bundeswehr ist seit Ende der Ost-West-Konfrontation zu einer Interventionsarmee umgerüstet worden. Diese Armee, das hat Ex-Bundespräsident Horst Köhler treffend festgestellt, hat auch zum Ziel, Handelswege für die Wirtschaft freizuschießen. Sie wird als ein Instrument der Herrschenden im Wettlauf um Öl und andere kostbare Rohstoffe eingesetzt. Deshalb wäre es an der Zeit, die Truppe in einem ersten Schritt hinter die bundesdeutschen Grenzen zurückzuholen. Anschließend muss abgerüstet werden – und zwar radikal. Wehrpflicht hin oder her.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juni 2010

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