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Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate - Hemmschuh für eine moderne Bundeswehr?

Ein Beitrag aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien"

Von Andreas Flocken *

Ab Oktober sollen die Wehrpflichtigen statt neun Monate nur noch sechs Monate zur Bundeswehr. Damit versucht das Verteidigungsministerium, mit dem Thema Wehrpflicht aus der Defensive herauszukommen. Denn von den mehr als 400.000 wehrpflichtigen Männern eines Jahrgangs wird jedes Jahr nur rund ein Zehntel zum Grundwehrdienst eingezogen. Nach der Verkürzung auf sechs Monate werden es 50.000 sein. Einige Tausend mehr als bisher - nicht gerade ein fulminanter Beitrag zu mehr Wehrgerechtigkeit. Verteidigungsminister zu Guttenberg ist aber trotzdem hoch zufrieden:

O-Ton zu Guttenberg
"Ich bin überzeugt davon, dass wir eine Diskussionsgrundlage geschaffen haben, die eine ist, die einen attraktiven Wehrdienst gestalten lässt, die sechs bestens genutzte Monate für junge Menschen bedeutet."

Ein ehrgeiziges Ziel. Letztlich geht es mittlerweile gar nicht so sehr um Wehr-gerechtigkeit. Die Wehrpflicht ist vor allem ein Instrument zur Nachwuchsge-winnung für die Streitkräfte. Denn aus den Wehrpflichtigen rekrutiert die Bun-deswehr rund 40 Prozent ihrer Zeit- und Berufssoldaten. Und vor allem deswegen wollen die Unionsparteien an der Wehrpflicht festhalten. Denn die 250.000 Soldaten starke Bundeswehr besteht in erster Linie aus Freiwilligen - in Wirklichkeit ist sie schon längst keine Wehrpflichtarmee mehr.

Dass die jungen Männer innerhalb von sechs Monaten eine sinnvolle militäri-sche Ausbildung erhalten können, wird inzwischen auch von vielen Wehrpflicht-Befürwortern bezweifelt. Neun Monate sind bisher immer als das absolute Minimum bezeichnet worden - etwa vom langjährigen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan.

Die Euphorie des Verteidigungsministers über W6 wird in der Truppe nicht geteilt. Die Skepsis ist groß, nicht zuletzt wegen des Zeitdrucks. Denn bei Luft-waffe, Marine und Streitkräftebasis soll die allgemeine Grundausbildung reduziert werden - von drei auf künftig zwei Monate. Doch von welchen Ausbildungsteilen soll man sich trennen? Welche werden dringend gebraucht? Wie sollen die Wehrpflichtigen in den restlichen vier Monaten anschließend eingesetzt werden? Viele offene Fragen, die schnell einer Antwort bedürfen.

Dabei fühlen sich schon jetzt einige Truppenteile überfordert, nachdem der damalige Verteidigungsminister Jung entschieden hatte, jährlich rund sechs-tausend Grundwehrdienstleistende mehr einzuberufen. Es gibt bis heute Probleme, Wehrpflichtige angemessen unterzubringen. Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe nennt in seinem in diesem Monat vorgelegten Jahresbericht gleich mehrere Beispiele:

Zitat Jahresbericht
"Ein Kommandeur sprach von einer maximalen Kapazität seiner beiden Ausbildungskompanien von je 160 Rekruten. Zugewiesen wurden ihm jedoch jeweils 190. Schon bei 160 Rekruten müsse - so führte er aus - die Hälfte in Stuben mit sieben oder acht Mann untergebracht werden. Dies erhöhe keineswegs die Attraktivität des Dienstes.
Ein anderer Bataillonskommandeur trug vor, dass er bis zum letzten Tag vor dem Einberufungstermin keine genaue Kenntnis gehabt habe, wie viele Rekruten seiner Ausbildungskompanie tatsächlich zugewiesen würden. Zudem würden die Rekruten seit zehn Jahren ,vorübergehend' in sanierungsbedürftigen Gebäudeteilen untergebracht."


Keine Einzelfälle. Das gilt insbesondere für die Unterkünfte in den alten Bun-desländern. Der Wehrbeauftragte moniert, die Erhöhung der Zahl von Einberufungen habe angesichts der beschränkten Ressourcen viele Verbände vor erhebliche Probleme gestellt.

Zitat Jahresbericht
"Zu viele Rekruten, zu wenig Ausbilder und Schwierigkeiten bei der Unterbringung und Ausbildung kennzeichneten vielerorts nach wie vor das Bild."

Mit der Verkürzung des Wehrdienstes werden weitere Ausbilder benötigt. Da-bei sind diese bereits jetzt überfordert. Im Jahresbericht des Wehrbeauftragten heißt es:

Zitat Jahresbericht
"Immer wieder werden mir aus allen Bereichen der Bundeswehr diese nahezu querschnittlich anzutreffenden Probleme in Ausbildungseinheiten geschildert. Ausbilder sind über Jahre hinweg Quartal für Quartal ohne Unterbrechungen weit über die normalen Dienstzeiten hinaus in der Ausbildung gefordert. Zeit zu einer systematischen Vorbereitung der Ausbildung bleibt ihnen kaum. Viele verfügen nicht einmal über Diensträume, in denen sie die Ausbildung ungestört vorbereiten und sich innerhalb des Zuges zu Besprechungen treffen können."

Dass die Wehrpflichtigen künftig nicht mehr quartalsweise einberufen werden sollen, sondern alle zwei Monate, wird die Situation noch weiter verschärfen.

Ob der verkürzte Wehrdienst wirklich wie angekündigt attraktiver wird, ist daher mehr als fraglich. Aber auch wenn die Rechnung aufgehen sollte und sich junge Wehrpflichtige nach ihrer sechsmonatigen Dienstzeit länger verpflichten, dann kann das jetzt für die Bundeswehr teuer werden. Denn diese Freiwilligen werden dann bereits ab dem siebten Monat mehr Geld erhalten - etwas über 1.000 Euro. Beim neumonatigen Wehrdienst wird diese Summe erst ab dem zehnten Monat gezahlt.

Durch die Verkürzung des Wehrdienstes werden also keineswegs Mittel eingespart, wie man meinen könnte. Im Gegenteil. Über die anfallenden Kosten schweigt sich das Verteidigungsministerium allerdings aus. Der Vorsitzendes des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch:

O-Ton Kirsch
"Das Preisschild hat noch keiner beschrieben. Das wird interessant sein. Auch diese Frage haben wir gestellt, welche zusätzlichen Kosten für den Verteidigungshaushalt entstehen werden beim sechsmonatigen Grundwehrdienst. Eins ist klar nach meiner Einschätzung: Das wird teurer."

Geld fehlt der Bundeswehr aber schon jetzt an allen Ecken und Enden. Der Verteidigungsetat wurde erst in diesem Monat - sehr zur Überraschung von zu Guttenberg - von den Regierungsparteien zusammengestrichen. Die Truppe hat bereits zahlreiche Probleme. Mit der Verkürzung des Wehrdienstes hat sie eins mehr.

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 27. März 2010; www.ndrinfo.de


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