Zensor Geheimdienst
Zivilgesellschaftliche Verbände schlagen Alarm
Von Nick Brauns *
Zivilgesellschaftliche Verbände schlagen Alarm, weil der Verfassungsschutz nach dem Willen der Bundesregierung zukünftig über den Status der Gemeinnützigkeit von Vereinen bestimmen soll. Dies sieht der Gesetzentwurf für das Jahressteuergesetz 2013 vor. Die entsprechende Klausel versteckt sich in Paragraph 51 Absatz 3 der Abgabenordnung (AO).
Bürgerschaftliches Engagement und zivilgesellschaftliche Arbeit seien »konstitutiv für unsere demokratische Gesellschaft«, erklären 113 Vereinigungen in einem am Dienstag verbreiteten offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten. »Es gibt keinerlei Legitimation dafür, daß ein Inlandsgeheimdienst über die Grenzen der demokratischen Zivilgesellschaft bestimmen und einzelne zivilgesellschaftliche Organisationen ohne feste Kriterien und ohne Anhörung der Betroffenen oder Verfahren existentiell gefährden kann.«
Unter den Unterzeichnern befinden sich die Umweltschützer Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und Greenpeace, die Globalisierungskritiker von ATTAC, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), die Antikorruptionsvereinigung Lobbycontrol, Flüchtlings- und Drittweltinitiativen wie Pro Asyl und das Informationsbüro Nicaragua sowie Kulturvereine wie die in der Berliner Clubszene bekannten SO36 und RAW Tempel. Die Abgeordneten werden aufgefordert, der Verschärfung der Klausel nicht zuzustimmen und sich darüberhinaus für die Streichung des gesamten Absatzes einzusetzen. Schon nach der seit 2009 gültigen Regel verloren in den Verfassungsschutzberichten genannte Vereinigungen den steuerbegünstigten Gemeinnützigkeitsstatus. Allerdings konnten sie dagegen Widerspruch einlegen. Zukünftig bliebe nur noch eine für viele Vereine zu zeit- und geldaufwendige Klage vor einem Verwaltungsgericht gegen ihre Einstufung als »extremistisch«.
Daß eine solche Klage selbst im Falle eines Erfolges nicht zur dauerhaften Streichung aus Verfassungsschutzberichten führt, hat die von der Stadt München für ihre Recherchearbeit ausgezeichnete Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle A.i.D.A. erfahren, die vom Geheimdienst jedes Jahr erneut als »linksextremistisch« diffamiert wird. »Wie selbst der wissenschaftliche Dienst des Bundestages festgestellt hat, gibt es keine rechtsgültige Definition von Extremismus«, kommentierte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke. »Dieser zur Diffamierung politischer Gegner dienende Kampfbegriff hat in einem Gesetzestext nichts verloren.«
Die ebenfalls unterzeichnende Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) hatte bereits mit der gültigen Fassung der Abgabenordnung ihre Erfahrungen gemacht. Im Herbst vorigen Jahres wurde ihr aufgrund ihrer Nennung in drei Landesverfassungsschutzberichten die Gemeinnützigkeit entzogen. Doch nach Protesten knickte das Finanzamt Mainz ein halbes Jahr später ein. Mit der geänderten Abgabenordnung bestünde kein solcher Ermessensspielraum mehr.
Nach der ersten Lesung wurde der Gesetzentwurf am 28. Juni an den Finanzausschuß des Bundestages überwiesen. Dort steht die Beratung nach der parlamentarischen Sommerpause am 12. September an. Nicht nur von der Opposition kommt Kritik an der Neuregelung. Selbst der FDP-Obmann im Ausschuß, Daniel Volk, erklärte gegenüber der Agentur dapd: »Die alte Regelung hat sich bewährt. Es gibt im Moment keinen Handlungsbedarf.«
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 1. August 2012
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