Demoverbot im Flughafen grundgesetzwidrig
Bundesverfassungsgericht gab der Beschwerde einer Aktivistin gegen Abschiebungen statt *
Das
Bundesverfassungsgericht hat Demonstrationen in Flughäfen und Bahnhöfen erleichtert. Die Karlsruher Richter entschieden am Dienstag (22. Feb.), daß das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch im Frankfurter Flughafen gilt – und damit in einem privatisierten Unternehmen in Staatsbesitz. Ein umfassendes Verbot, in einer Abfertigungshalle des Flughafens zu demonstrieren und dort Flugblätter zu verteilen, sei unverhältnismäßig und verfassungswidrig.
Der Schutzbereich des Grundrechts der Versammlungsfreiheit sei nicht auf öffentliche Straßen beschränkt, heißt es im Urteil. Erlaubt seien Demonstrationen auch an Orten, an denen ein öffentliches Unternehmen einen »Kommunikationsraum« mit vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten nach Art eines »öffentlichen Forums« biete. Dies sei etwa in Terminals von Flughäfen der Fall.
Die Verfassungsbeschwerde einer Aktivistin, die sich gegen die Abschiebung von Ausländern unter Mitwirkung privater Fluggesellschaften wendet, hatte damit Erfolg. Sie hatte am 11. März 2003 zusammen mit fünf weiteren Personen in der Abflughalle des Frankfurter Flughafens an einem Abfertigungsschalter Flugblätter gegen die Zwangsabschiebung eines Ausländers verteilt. Das danach vom Flughafenbetreiber Fraport AG verhängte Hausverbot wurde in den Vorinstanzen bis hin zum Bundesgerichtshof bestätigt. Diese Urteile wurden jetzt aufgehoben.
Erstmals entschieden die Karlsruher Richter, daß eine private Gesellschaft wie die Fraport AG, deren Anteile mehrheitlich von der öffentlichen Hand gehalten werden, unmittelbar an die Grundrechte gebunden ist.
Nach Ansicht des Verfassungsrechtlers Günter Frankenberg ist das Urteil für Flughäfen, aber auch für Bahnhofshallen relevant. Künftig könne es selbst für große Shopping-Center, die »Stadtteilfunktion« haben, Bedeutung erlangen. Frankenberg hatte die Verfassungsbeschwerde der Abschiebungsgegnerin vertreten.
(dapd/jW)
* Aus: junge Welt, 23. Februar 2011
"Der Flughafen ist nicht das Wohnzimmer der Fraport"
Bürgerrechtler Rainer Deppe über Versammlungsfreiheit auf Flughäfen und Erwartungen an die Karlsruher Verfassungsrichter **
Das Bundesverfassungsgericht verkündet heute sein Urteil zum Streit um ein Demonstrationsverbot im Frankfurter Flughafen. Es könnte auch Auswirkungen haben auf andere Räume, wo Privatunternehmen in der öffentlichen Daseinsvorsorge tätig sind, wie etwa Bahnhöfe. Über die Bedeutung der anstehenden Entscheidung sprach Dirk Farke mit Rainer Deppe vom »Komitee für Grundrechte und Demokratie«.
ND: Die Fraport AG begründet ihr Versammlungsverbot damit, dass jemand, der in einem Flughafengebäude an Passanten Handzettel verteilt, den Betrieb stört. Warum ist das für Sie kein Argument?
Deppe: Für die Fraport ist jede Aktion am Flughafen, durch die eine Abschiebung verhindert werden soll, eine Betriebstörung. Das ist lächerlich. Nicht der Flughafenbetrieb, sondern der immer perfektere Abschiebungsbetrieb soll gestört werden. Die Aktivisten versuchen, den Piloten, die Crew und die Passagiere der betreffenden Maschine darüber zu informieren, dass eine Person an Bord ist, die abgeschoben werden soll. Sie versuchen, die Verantwortlichen davon zu überzeugen, den Flug unter diesen Umständen nicht durchzuführen, beziehungsweise die Fluggäste sich zu weigern, unter diesen Umständen mitzufliegen.
Die Polizei erklärt, eine Demonstration mit zwei Teilnehmern sei am Flughafen für sie ein »unbeherrschbares Sicherheitsrisiko«.
Der Vertreter der für die Abschiebungen am Flughafen verantwortlichen Bundespolizei präsentierte eine geradezu totalitär anmutende Sicherheitsauffassung. Jede noch so kleine Demonstration in einem der Terminals erklärte er zum unbeherrschbaren Sicherheitsrisiko. Dazu musste einmal mehr die »gewachsene terroristische Gefahr« herhalten. Terroristen könnten sich ja unerkannt unter die Demonstranten mischen. Oder eine Demonstration könnte die Aufmerksamkeit von anderen gefährdeten Plätzen ablenken. Die Verfassungsrichter zweifelten dieses exzessive polizeiliche Sicherheitsdenken an. Durch mehrfache Nachfrage versuchten sie auszuloten, welche Spielräume es für Demonstrationen in den Terminals geben könnte; letztendlich jedoch vergebens.
Vor Gericht spielt die Frage eine Rolle, ob der Frankfurter Flughafen ein »Einkaufszentrum mit Landebahn« oder Shopping nur Nebenzweck ist. Warum ist das wichtig im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit?
Angesichts der Privatisierung vieler öffentlicher Einrichtungen kommt dem heutigen Urteil eine große Bedeutung zu. Die Seite der Klägerin hat dargelegt, dass die Fraport den Flughafen als »Airport City« mit zahlreichen Veranstaltungen und Millionen von Besuchern versteht. Es handele sich um einen öffentlichen Raum, in dem der private Betreiber die Grundrechte der Bürger nicht einschränken dürfe und in dem die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zu gewährleisten ist. Wichtig wäre auch, dass das Gericht das Versammlungsrecht in den Terminals bestätigt. Dies ist der letzte Ort, an dem gegen Abschiebungen protestiert werden kann.
Welche Bedeutung hat die Tatsache, dass sich der Frankfurter Flughafen mehrheitlich in öffentlichem Besitz befindet?
Ein Richter argumentierte, dass der öffentliche Mehrheitsbesitz vermutlich kein Zufall sei, weil am Flughafen hoheitliche Aufgaben, wie die Abschiebung von Flüchtlingen, durchgeführt würden. Auch daraus ergibt sich eine Grundrechtsbindung des Flughafenbetreibers.
Glauben Sie, dass das Verteilen von Flugblättern an den Abschiebungen etwas ändert?
Etwa ein Drittel aller Abschiebungen in Deutschland erfolgte im Jahr 2009 über den Frankfurter Flughafen. Mehr als 3000 Menschen waren es in dem Jahr. Und es hat immer wieder Tote gegeben wie Kola Bankole 1994 und Amir Ageeb 1999, der im Flugzeug, als er sich wehrte, von Grenzschutzbeamten erstickt wurde. Der Flughafen ist nur die letzte Station eines vielstufigen Abschiebregimes. Am Flughafen geht es darum, wenigsten zu versuchen, in letzter Minute die Abschiebung eines Flüchtlings in eine ungewisse oder mörderische Zukunft zu verhindern. Das gelingt selten genug. Aber es geht auch darum, die Abschiebung vor Ort zum öffentlichen Skandal zu machen und die daran beteiligten Fluggesellschaften und Behörden beim Namen zu nennen.
** Aus: Neues Deutschland, 22. Februar 2011
Politik am Flughafen
Von Ines Wallrodt ***
Karlsruhe hat die Chance genutzt und grundsätzliche Kriterien für die Zulässigkeit von Demonstrationen in zwar privat betriebenen, aber öffentlichen Einrichtungen entwickelt. Sind sie allgemein zugänglich, und wenn dort, wie auf offener Straße auch, verschiedene Tätigkeiten und Anliegen verfolgt werden dürfen, dann müssen Bürger dort auch ihre Grundrechte ausleben können. Wo eingekauft, geredet, sich verabredet wird – also öffentliches Leben stattfindet –, sollen auch Protest, Debatte und politische Information erlaubt sein. Die Entscheidung erfasst vor allem Flughäfen, Bahnhöfe oder Hafenareale, die zwar mehrheitlich in öffentlicher Hand, aber eben von Privaten betrieben werden und die sich inzwischen zu umfassenden Erlebnisorten entwickelt haben. Ob man das nun schön findet oder nicht. Viel zu lange konnten dort Sicherheitsdienste die Wünsche eines privaten Hausherrn durchsetzen und streikende Mitarbeiter, kritische Stimmen und unerwünschte Personen vor die Tür werfen. Wie den Abschiebegegnern in Frankfurt ist es vielen ergangen. So hat etwa die Deutsche Bahn AG jahrelang versucht, jegliche Erinnerung an die Deportation tausender jüdischer Kinder durch ihrer Vorgängerin, die Reichsbahn, auf ihren Bahnhöfen zu verhindern. Auch wenn Karlsruhe eine Hintertür für Einschränkungen an bestimmten Stellen eröffnet hat: Allgemeinverfügungen nach dem Motto »Hier nie« sind künftig klar grundrechtswidrig. Eine offene Baustelle bleibt: Was ist mit den überdachten Einkaufsstraßen, den Schlossarkaden und Goethe-Centern? Dort spielt sich immer mehr des öffentlichen Lebens ab. Sie sind aber gänzlich privat. Auch hier besteht Klärungsbedarf.
*** Aus: Neues Deutschland, 23. Februar 2011 (Kommentar)
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