"Der sog. 'Krieg gegen den Terror' durchzieht alle Kontinente mit einer Blutspur / "The war has nothing to do with fighting terrorism"
Statements aus der deutschen und britischen Friedensbewegung zum zehnten Jahrestag vom 11. September 2001
Im Folgenden dokumentieren wir aus einer Vielzahl von Erklärungen zum zehnten Jahrestag von 9/11 vier Stellungnahmen aus der Friedensbewegung:
Zehn Jahre 9/11 – zehn Jahre „Antiterror“-Kriege:
Eine desaströse Bilanz
Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag zum zehnten Jahrestag von 9/11-
Oslo 2011 als Gegenentwurf zu Washington 2001
- Welthistorische Wende bereits 1990/91
- Sog. Antiterrorkrieg forderte ein Vielfaches der Opfer von 9/11
- Kriege in Afghanistan und Irak bedrohen Weltfrieden und Weltordnung
- Demokratieabbau und Rechtsentwicklung im Schatten des „Terrors“
- Bundeswehr raus aus Afghanistan - sofort und bedingungslos
Kassel, Frankfurt a.M., 8. September 2011 – In einer Stellungnahme zum zehnten Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September 2001 bilanzierten Horst Trapp und Peter Strutynski vom Bundesausschuss Friedensratschlag die desaströse Bilanz des damals von US-Präsident Bush eingeleiteten sog. „Kriegs gegen den Terror“ („war on terror“).
Der Krieg ist kein Gesetz der Natur und der Friede ist kein Geschenk.
(Bert Brecht)
Vor zehn Jahren, am 11. September 2001, fanden in den USA in dieser Größenordnung bis dahin nicht bekannte Terroranschläge statt. Deren Urheber waren Männer saudi-arabischer Herkunft, die rund 3.000 Opfer waren zumeist Angestellte im World-Trade-Center New York und Passagiere von vier zivilen Flugzeugen, die zuvor in die Gewalt der Attentäter gebracht wurden. Auch zehn Jahre nach den Anschlägen liegen die Hintergründe dafür zum großen Teil im Dunkeln; die amtlichen Untersuchungsberichte der US-Regierung enthalten viele Ungereimtheiten und werfen mehr Fragen auf, als dass sie den Tathergang zufriedenstellend aufklären würden.
Die Reaktion der Friedensbewegung auf die Terroranschläge vor zehn Jahren scheint uns heute noch richtig zu sein: „Eine Politik, die den Terrorismus wirksam bekämpfen und eindämmen will, muss ihm den sozialen, politischen und ideologischen Nährboden entziehen, in dem er gedeiht. Ein Klima des Hasses und der Intoleranz und eine Politik, die Gewalt mit Gegengewalt und Gegengewalt mit neuer Gewalt beantwortet, bereitet auch den Boden für Terrorakte, deren Grausamkeit sich jeder menschlichen Vorstellungkraft entziehen.“ (
Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag, 12.09.2001) Die norwegische Regierung hat auf das rassistisch und rechtsradikal motivierte Attentat vom 22. Juli 2011 ähnlich besonnen reagiert. Regierungschef Jens Stoltenberg versprach als Antwort auf das Massaker „mehr Offenheit und mehr Demokratie“. Es ist zu hoffen, dass damit andere Maßstäbe für den „Kampf gegen den Terror“ in die internationale Politik einziehen.
Für die US-Administration leitete 9/11 eine neue Phase der Festigung ihrer einzigartigen Vormachtstellung in der Welt und der Kontrollen der globalen Rohstoff- und Energiereserven ein. Der Epochenwandel selbst war bereits 10 Jahre zuvor mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des übrigen realsozialistischen (Halb-)Weltsystems vollzogen worden. Nach dem Ende der Ost-West-Blockkonfrontation war der Krieg als Mittel zur Durchsetzung politischer und wirtschaftlicher Interessen zurückgekehrt. Der zweite Golfkrieg 1991, die Interventionen in die Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien, die Invasion in Somalia, der NATO-Krieg gegen Rest-Jugoslawien 1999 waren äußere Anzeichen einer veränderten Weltordnung, in der die „einzige Weltmacht“ USA die Richtung vorgab und die anderen Staaten entweder mitspielten oder sich der Gefahr aussetzten, ins Visier der USA zu geraten. Der 11. September 2001 erschien nur insofern als eine weitere Zäsur der Weltgeschichte, als US-Präsident George W. Bush darauf mit seinem „Krieg gegen den Terror“ antwortete und das große US-amerikanische Projekt zur „Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens“ proklamierte.
Prompt wurde z.B. der Krieg gegen Afghanistan beschlossen, obwohl er bereits vielleicht schon vorher beschlossene Sache war. "Ich weiß nicht, was sie getan hätten, wenn der 11. September nicht da gewesen wäre. Man hätte entweder nichts getan oder man hätte einen anderen Anlass gefunden", sagte John C. Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, über die Anschläge von New York 2001 und den Irak-Krieg im Gespräch mit dem Fernsehsender Phoenix (Ausstrahlung am 11. September). Die Vorgeschichte zum Afghanistan-Krieg, die mit den gescheiterten Verhandlungen zwischen US- und Taliban-Regierung im Sommer 2011, also vor 9/11 begann, und solche Äußerungen „unverdächtiger“ Zeitgenossen nähren die seither nicht mehr verstummenden Verschwörungstheorien unterschiedlicher Provenienz .
Da wir weder die offizielle Version der Attentate noch die alternativen „Erklärungen“ überprüfen können, halten wir uns an die Tatsachen: Der „Krieg gegen den Terror“, beispielhaft praktiziert in Afghanistan seit 2001 und in Irak seit 2003, wurde selbst zum Terror. Er durchzieht mittlerweile alle Kontinente mit einer breiten Blutspur und wird nur zur besseren propagandistischen Durchsetzung als Kampf für „Menschenrechte und Demokratie“ bemäntelt. Zwar verbietet sich aus ethischen Gründen eine gegenseitige Aufrechnung der Opfer: Es ist aber nützlich, daran zu denken, dass die von den USA und ihren jeweiligen Verbündeten angezettelten „Antiterrorkriege“ ein Vielfaches der Opfer vom 11. September 2001 gefordert haben.
Was als „Erhalt unserer Werteordnung und des politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Systems“ daherkommt, verkommt immer mehr zur alten Politik der Erpressung, Unterdrückung und des Krieges mit überlegenen und inzwischen immer bedrohlicheren Waffen. Die „westliche Wertegemeinschaft“ regelt Konflikte zunehmen militärisch und mit Gewalt auch dort, wo politische Lösungen möglich wären. Sie ist von Streben nach Ressourcen, Profit sowie Ausbeutung von Mensch und Natur geprägt.
Der „Krieg gegen den Terror“ hatte aber nicht nur tausende Tote, Mord, Folter, Hinrichtungen, Hunger, Drogenhandel und Zerstörung zur Folge. Auch die Prinzipien des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen werden mit Füßen getreten. Das neue Feindbild „islamistischer Terror“ wurde zum Hintergrund für die Ausweitung der Überwachung und dem Abbau demokratischer Grundrechte. Neonazismus, Rassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus weiten sich aus und überziehen Europa wie ein schleimiger Vorbote kommenden Unheils. Rechtspopulistische und rassistische Parteien erhalten Zulauf und Zuspruch nicht nur von den rechten Rändern, sondern auch aus der Mitte der Gesellschaft; in einigen Ländern sind sie bereits an der Macht (Ungarn) oder stehen auf dem Sprung dazu (Finnland, Litauen, Niederlande).
Auf der anderen Seite ist nicht mehr zu übersehen, dass die seit mehr als 20 Jahren scheinbar siegreiche westliche Ordnung zunehmend mit den von ihr selbst produzierten Widersprüchen in Konflikt gerät. Dadurch werden sich z.B. die Rivalitäten in der Europäischen Union, zwischen Europa und den USA, vor allem aber zwischen der reichen Welt des Nordens und der armen Welt des Südens verschärfen. Die arabischen Revolten könnten Vorbote dafür sein, dass die Völker nicht mehr bereit sind, sich von kleptokratischen Mächten gängeln und vom Westen Vorschriften machen zu lassen.
Die Bundesregierung hält sich aus dem gegenwärtigen kriegerischen Geschehen zwar von Fall zu Fall heraus. Im Wesentlichen ist Deutschland aber Kriegspartei in zahlreichen bewaffneten Konflikten, worunter der Afghanistankrieg eine bevorzugte Rolle spielt. Aber auch die Kriege, an denen Deutschland offiziell nicht beteiligt war bzw. ist (Irak, Libyen), werden in Wahrheit nur durch die deutsche logistische Unterstützung ermöglicht. Die Bundesrepublik Deutschland ist Drehscheibe und Kommandozentrale; von hier aus operieren US-amerikanische Truppen; auf deutschem Boden befinden sich strategisch wichtige Stützpunkte der USA und anderer NATO-Staaten. Daher ist die Bundesregierung der wichtigste politische Adressat der Friedensbewegung.
Wir trauerten 2001 um die Toten der Terroranschläge vom 11. September. Wir trauern aber genauso um die Hunderttausenden Opfer des „Antiterrorkrieges“. Mit diesem untauglichen Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus muss endlich Schluss gemacht werden. Die Bundeswehr muss sofort und bedingungslos aus dem Afghanistankrieg abgezogen werden. Unabhängige internationale Kommissionen müssen 9/11 und das offenkundige Kriegsverbrechen von Kundus vom 4. September 2009 untersuchen.
Wir wollen Waffenstillstände und Frieden an allen Fronten. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sind sofort zu beenden. Waffenhandel ist zu verbieten. Die annähernd 30 „Antiterrorgesetze“ – vor kurzem aufs Neue verlängert - müssen zurückgenommen werden.
Wer den Opfern des 11. September im nachhinein Gerechtigkeit widerfahren lassen will, muss dafür eintreten, dass dem terroristischen und staatsterroristischen Treiben ein Ende gesetzt wird. Vor zehn Jahren haben wir in der oben erwähnten Stellungnahme geschrieben:
„Wann endlich begreifen die Politiker, die jetzt wieder nach mehr Rüstungsausgaben, Waffen und Militär verlangen, dass Sicherheit erst dann gegeben ist, wenn die Sicherheit des Anderen gewährleistet ist? Dass Sicherheit heute nicht mehr nur militärisch, sondern vor allem sozial, kulturell, ökonomisch und politisch begriffen werden muss? Dass Sicherheit letztlich eine Frage der Gerechtigkeit ist?“
Auch das ist bis heute unverändert richtig.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski, Kassel (Sprecher)
Horst Trapp, Frankfurt a.M.
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10 Jahre Terroranschläge vom 11. September:
Terror mit Terror vergolten
Zum zehnten Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September erklärt der IPPNW-Vorsitzende Matthias Jochheim:
Die terroristischen Anschläge des 11. September waren nicht der Grund, sondern der Auslöser einer desaströsen Kaskade kriegerischer Gewalt. Der Tod von etwa 3.000 Menschen in den USA hat die ganze Welt erschüttert und war der Ausgangspunkt eines "Kriegs gegen den Terror", der ganze Länder wie Afghanistan und Irak mit Tod und Zerstörung überzog. Das internationale Recht ebenso wie die individuellen Menschenrechte wurden zunehmend zur Makulatur. Abu Ghraib und Guantanamo sind Orte, in denen Macht-Willkür und grausame Missachtung jeder Menschenwürde vor der Weltöffentlichkeit offenbar wurden.
Terroristische Anschläge erfordern eine adäquate polizeiliche Untersuchung und Aufklärung sowie die Anwendung internationalen wie nationalen Rechts, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Gegen einen Hauptverdächtigen, Osama Bin Laden, lag zum Zeitpunkt seiner Exekution aber nicht einmal eine Anklageschrift vor. Dies verstärkt die in den Medien diskutierten Zweifel an den Ergebnissen des regierungsoffiziellen "9/11 Commission Report".
Der "Krieg gegen den Terrorismus" hat in allen Bereichen unseres Lebens tiefe Spuren hinterlassen. Dazu gehören nicht nur die teilweise mit deutscher Beteiligung - fortgesetzten militärischen Interventionen in Afghanistan, im Irak und am Horn von Afrika, sondern auch die Entführungen und dauerhafte Gefangennahme von angeblichen Terroristen außerhalb jeglicher völkerrechtlicher Norm bis hin zum "extralegalen Töten". Auch innenpolitisch erlebten wir mit der Rechtfertigung, es gehe um den Schutz der Inneren Sicherheit, umfangreiche Maßnahmen der Überwachung und Kontrolle aller Lebensbereiche der Bevölkerung.
Nicht zuletzt nehmen wir eine zunehmende Militarisierung der Gesellschaft wahr. Sie wird zum Beispiel sichtbar, wenn die Bundeswehr Erlaubnis für ihre Präsenz an Schulen und Job-Centern erhält.
Krieg mit all seinen massiven und tödlichen Folgen für unbeteiligte Zivilisten kann und darf kein geeignetes Mittel der Verbrechensbekämpfung sein, sondern bedeutet seinerseits nichts anderes als Terror. Eine sinnvolle humane Perspektive für unser gemeinsames Überleben auf dieser Erde kann nur gefunden werden im Einsatz für die Ächtung jeglichen Krieges, für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen und für die gerechte, solidarische Verteilung der globalen Ressourcen.
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Die Gewaltspirale durchbrechen!
Presseerklärung der Friedenskooperative
Bonn, 10. September 2011
Das Netzwerk Friedenskooperative erinnert zum Jahrestag der Terroranschläge
vom 11. September 2001 an eine damals von vielen Friedensorganisationen und
zehntausenden Menschen in Deutschland unterzeichnete Erklärung, die Solidarität
mit den Opfern und Angehörigen ausdrückte, aber auch dringlich vor den zu
erwartenden militärischen Reaktionen und einer "Eskalation der Gewaltspirale"
warnte.
Die damaligen Befürchtungen, resümiert Netzwerk-Geschäftsführer Manfred Stenner,
wurden leider bestätigt: Stenner weiter:
"Terror wurde mit staatlichem Terror beantwortet.
Auf die Anschläge folgten Kriege mit vielen zivilen Opfern, extralegale Hinrichtungen,
Entführungen und CIA-Transfers von Verdächtigen in Folterstaaten (u.a. Libyen),
eigene Foltergefängnisse wie Abu Graibh und Guantanamo.
Und es folgte eine vorher unvorstellbare Beschneidung von Bürger- und Freiheitsrechten
im Namen der Terrorbekämpfung in den westlichen Staaten, auch der Bundesrepublik.
Das Scheitern des "Kriegs gegen den Terror", die anhaltenden Desaster in Afghanistan
und Irak, die weiteren seitdem begangenen und versuchten Anschläge wie die größer
gewordenen Gräben zwischen der islamischen und arabischen Welt und "dem Westen"
haben die in der Erklärung von Friedensorganisationen damals geäußerten Befürchtungen
bestätigt.
Seither bemühen sich Friedensorganisationen mit umfangreichen Vorschlägen für
Zivile Konfliktbearbeitung Friedenslösungen für die Gesamtregion Naher und Mittlerer
Osten und für Afghanistan zu propagieren und die Militäreinsätze zu beenden.
Gemeinsam mit vielen Bürger- und Menschenrechtsgruppen fordern wir das Ende der
vielen "Sicherheitspakete" und Priorität für eine freiheitliche Gesellschaft, die auf
Kriminalität - auch Terrorismus - mit rechtstaatlichen Mitteln und der Orientierung am
Grundgesetz reagiert."
Die Kernaussage der folgend
dokumentierten Erklärung, dass der Terrorismus nicht militärisch, sondern nur mit der Überwindung der sozialen und politischen Ursachen bekämpft werden kann,
wird nach Einschätzung der Friedenskooperative inzwischen breiter geteilt als noch vor zehn Jahren.
Manfred Stenner
Geschäftsführer des Netzwerks Friedenskooperative
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Dialog und Kooperation besiegen den Terror
Erklärung des Präsidiums zum 10. Jahrestag des 11. September 2011
Berlin, den 02.09.2011
Am 11. September jährt sich zum 10. Mal der Anschlag auf das World Trade Center in New York. Die
Bilder von den brennenden und einstürzenden Zwillingstürmen des Welthandelszentrums haben die
Wahrnehmung der Welt verändert. Flugzeuge wurden als Waffen, Passagiere als Geiseln genommen.
Zeitgleich raste ein Passagierflugzeug in gleicher Absicht in ein Gebäudeteil des Pentagons; ein
weiteres Flugzeug stürzte vor Erreichen seines unbekannten Ziels in Washington ab. Mit einem Mal
trat die abgründige Gewalt des Terrors in ihrer ganzen menschenverachtenden Härte vor Augen. Etwa
3000 Menschen haben bei diesen Anschlägen ihr Leben verloren.
Wir gedenken an diesem Tag der Opfer dieser verbrecherischen Tat und wissen um die Verletzungen,
die diese Anschläge besonders in der amerikanischen Bevölkerung hinterlassen haben. Diese Tat war
für viele Menschen unfassbar und führte zu der bis jetzt nicht beantworteten Frage: Warum hassen sie
uns so? Der Anschlag wurde als Angriff interpretiert. Die Antwort war „Krieg gegen den Terrorismus“.
Zehn Jahre nach den Anschlägen aber ist deutlich, dass die Kriegsstrategie als Antwort auf den Terror
gescheitert ist.
Krieg als Antwort: Furchtbare Folgen für Afghanistan
Der proklamierte „Krieg gegen den Terror“ galt zunächst der Zerschlagung der Al Quaida und der
Ergreifung Osama Bin Ladens als vermutetem Anstifter. Darüber hinaus wurden der Sturz des
damaligen Taliban-Regimes sowie die Sicherheit und Demokratisierung Afghanistans zu Kriegszielen
erklärt. An der massiven militärischen Intervention, für die die US-Regierung wenige Wochen nach
9/11 breite internationale Unterstützung fand, beteiligt sich auch die Bundeswehr seit nunmehr zehn
Jahren. Während in Amerika von Beginn an öffentlich Kriegsstrategien erklärt wurden, wird dieser
Krieg in Deutschland erst seit einem Jahr auch offiziell als Krieg benannt. Seine Bilanz ist verheerend:
Sicherheit vor den Angriffen bewaffneter Gruppen und partizipatives Gesellschaftsleben sind für die
afghanische Bevölkerung nicht erreicht worden. Stattdessen forderte die enorme Eskalation der
Gewalt unzählige Opfer unter der afghanischen Zivilbevölkerung. Heute sind auch Militär und Politik
zunehmend überzeugt, dass dieser Krieg nicht gewonnen werden kann. Doch es mangelt an der
Umsetzung dieser Einsicht in politische Strategie. Der gewaltige Militärapparat tritt weiterhin offensiv
auf, produziert massenhaften Tod in der Zivilbevölkerung, während gleichzeitig die Aussicht auf die so
genannte militärische Befriedung gleich Null ist. Die Zahlen sind zwar im Einzelnen umstritten,
offensichtlich ist aber, dass in den zehn Jahren durch den Krieg in Afghanistan ein Vielfaches der
Opfer der Anschläge in New York zu Tode gekommen ist. Die Herausforderung bleibt bestehen, den
Militäreinsatz rasch zu beenden und an Stelle des Krieges den Frieden zu riskieren. Das bedeutet
auch eine Umwidmung der Mittel für den internationalen Militäreinsatz zugunsten der zivilen
Entwicklung. Waffenstillstand ist der erste notwendige Schritt dazu.
Folgen in den westlichen Gesellschaften
Der bis heute nicht endgültig aufgeklärte Anschlag auf das architektonische Symbol amerikanischen
Nationalgefühls, die Zwillingstürme des World Trade Center, führte neben seinen schrecklichen
Folgen für die Opfer vor allem in der inneren Befindlichkeit westlicher Gesellschaften zu Verwerfungen
bei der Fremd- und Selbstwahrnehmung. Nach dem Schock von 9/11 brach sich eine militante
Rhetorik des Kampfes gegen den Terrorismus als dämonisiertem Erzfeind Bahn. Da die Täter in ihrem
eigenen Bekenntnis zur Tat einen Bezug zum Islam hergestellt hatten, wurde diese
Religionszugehörigkeit als Hauptmotiv interpretiert. Der Islam und ein von der islamisch-theologischen
Tradition so nicht gedecktes Verständnis von Djihad, als angebliche Verpflichtung zur Gewalt gegen
die Ungläubigen, bildete die Matrix für die Außenwahrnehmung des Islam als Gefahr, Bedrohung und
Sicherheitsrisiko. Dies korrespondiert einerseits mit dem modernen christlichen Fundamentalismus in
den USA, andererseits mit einem wachsenden Nicht-Verstehen von Religion in einer westlichsäkularen
Gesellschaft. Unverständnis, Unkenntnis und Bedrohungsgefühle verbinden sich darüber
hinaus oft mit ökonomischen oder sozialen Existenzängsten. In der bundesdeutschen Politik konnte
die Vorstellung vom Islamismus als akut staatsgefährdende Macht an die schon fast traditionellen
Ängste vor politischem Extremismus von links oder rechts anschließen. Diffuse Ängste vor dem
islamistischen „Schläfer“ schürten den Generalverdacht gegen Muslime. Dabei erwiesen sich die
Initiativen für interreligiösen Dialog vor Ort insgesamt als tragfähig. Der merkliche, öffentliche
Zuspruch zu Thesen und Parteien, die muslimische Einwanderer als Problemfokus für bestehende
soziale Problemlagen darstellen, weist aber daraufhin, dass der Dialog und die christliche
Solidarisierung mit den Muslimen auch in den kommenden Jahren eine wichtige Aufgabe bleibt.
Diese innere Befindlichkeit vereinfacht dann auch die Bewertung der Kriege im „greater middle East“
wie im Irak und Afghanistan, deren vielschichtige innere Konfliktlagen allein im Licht der
Auseinandersetzung mit dem Islamismus gedeutet werden. Autoritäre und unsichere Staaten wie Iran
und Pakistan sind neben ihren realen Problemen auch Projektionsflächen der westlichen Welt
geworden, so dass die islamische Welt insgesamt als globales Sicherheitsrisiko erscheint. In diesem
Sinne hat der 11.September 2001 „die Welt“ verändert, zumindest aus westlicher Sicht, weil er die
westliche Perspektive verändert hat. Die Armut, der Hunger, die kriegerische Rohstoffausbeutung, die
ungerechten Handelswege, fehlende Bildungschancen und andere Formen struktureller Gewalt im
südlichen Teil der Erde haben sich nicht verändert, sie sind geblieben!
Folgen für das Sicherheitsverständnis
Die in den zehn Jahren nach 9/11 erfolgte Weiterentwicklung deutscher Sicherheitskonzepte bezieht
neben allgemeiner äußerer Sicherheit auch wirtschaftliche Ziele wie die Sicherung des Zugangs zu
Rohstoffen und die Aufrechterhaltung freier Handelswege als nationales Interesse der Bundesrepublik
ein und benennt diese in den Verteidigungspolitischen Richtlinien sowie im militärischen Weißbuch
auch als Aufgaben der Bundeswehr. Diese Sichtweise durchdringt die Rechtfertigungsrhetorik der
deutschen Beteiligung am Krieg in Afghanistan und stellt einen gefährlichen Zusammenhang
zwischen Sicherheit und Wirtschaftsinteressen als legitime militärische Handlungsziele als gegeben
dar.
Das Gefühl globalen Bedrohtseins macht „Sicherheit“ zu einem umfassenden Leitmotiv politischen
Handels und verschiebt das innere Koordinatensystem demokratischer Gesellschaften. Dem
Sicherheitsdiskurs wird vieles untergeordnet und eine ständig erweiterte Rechtslage durch
Antiterrorgesetze geschaffen. Hier ist auch zu fragen, wieweit demokratische Gesellschaften
westlicher Prägung nicht nur ihr Verständnis von Freiheit beschränken, sondern auch unkontrollierten
Sicherheitssystemen und – aktuell – auch deren privatwirtschaftlicher Verwertung Vorschub leisten.
Der Privatisierung der Gewalt von Kriegen scheint eine Privatisierung und Ökonomisierung bzw.
Entstaatlichung der Gewaltkontrolle zu folgen. Dann ist die Gefahr gegeben, dass sogenannte
Sicherheitsorgane jeder rechtlichen Bindung oder ethischer Reflexion letztlich entzogen sind. Das
Instrument des Rechts statt des Krieges hat sich an diesem Problem zu bewähren, seine moralische
Glaubwürdigkeit jenseits des Interessenausgleichs ist gefordert.
Forderungen von pax christi
Der zehnte Jahrestag dieses so folgenschweren Terroranschlages ist für die katholische
Friedensbewegung pax christi in Deutschland Anlass, Herausforderungen zu benennen und
politisches Umsteuern anzumahnen.
Die Bundesregierung ist gefordert:
- Die deutsche Außenpolitik konsequent als Friedenspolitik zu gestalten. Das heißt z.B.:
Instrumente für die zivile Konfliktlösung ideell und finanziell vorrangig auszustatten;
den Einsatz militärischer Mittel im Zusammenhang mit der Realisierung wirtschaftlicher
Interessen gänzlich zu unterlassen;
sich in der NATO und international für die Entwicklung von Konzepten und Strategien
gemeinsamer Sicherheit auf der Basis von Recht und Dialog einzusetzen.
- In ihrem Verantwortungsbereich in Afghanistan Waffenstillstandsvereinbarungen zu initiieren
und durchzusetzen. Dies sowohl um ein Beispiel für Waffenstillstandsabkommen in weiteren
Provinzen zu schaffen, als auch um mit dem Ende der Kämpfe die Voraussetzung für
innerafghanische Versöhnungsprozesse und den sofortigen Beginn des Abzugs der
Bundeswehr zu schaffen.
- Der Diskriminierung und Kriminalisierung muslimischer Mitbürger/innen entgegen zu treten.
- Unabhängige Untersuchungen der Vorgänge und Hintergründe um 9/11 zu fördern.
Die Zivilgesellschaft ist gefordert:
- Den kritischen Dialog mit muslimischen Mitbürger/innen zu verstärken und jeder
Rechtfertigung von Gewalt mit religiösen Begründungen von welcher Seite auch immer
entgegen zu treten.
- Kritik und Zweifel an der Richtigkeit der militärisch dominierten Afghanistanpolitik verstärkt in
die öffentliche Debatte einzubringen.
- Sich einzumischen, in die konzeptionelle Weiterentwicklung des Sicherheitsverständnisses,
das der deutschen Außenpolitik zugrunde gelegt wird.
Die Kirchen sind gefordert:
- immer wieder Zeichen der Solidarität mit Menschen anderer Glaubensformen zu setzen.
- den interreligiösen Dialog auf allen Ebenen zu verstärken und alle öffentlichen Äußerungen
daraufhin zu überprüfen, ob sie den aufrichtigen Glauben der Nichtchristen verletzen könnten.
- Den Weg zum Gerechten Frieden zu einer wirksamen Maxime des christlichen Zeugnisses zu
machen.
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9/11 and Ten Years of the "War on Terror"
Statement by Stop the War Coalition
September 2011
Ten years ago terrorists used hijacked aeroplanes to destroy the Twin Towers in New York City, killing nearly three thousand people. This was a crime which Stop the War Coalition condemned at the time, and it reaffirms that condemnation today.
It was a terrible crime for which there can be no justification. It was not, however, an act of war. That has been the view of the anti-war movement from the outset. It is an opinion which even a former head of MI5 has recently gone on record as endorsing.
For the US administration of the time, with the British government of Tony Blair in close support, it was however the signal to initiate a war which continues to this day and has cost hundreds of thousands if not millions of lives without justification or gain.
This war has laid waste to Iraq at immense human costs in an aggression without lawful sanction conducted on a basis – to secure non-existent “weapons of mass destruction” – at best specious and at worst mendacious. It imposed on the Iraqi people an illegitimate, bloody and ineptly-administered occupation, which has entrenched sectarianism and failed to produce a functioning government, and which continues to this day.
It has also consumed Afghanistan in a war which has continued long after its initial objective – the removal of al-Qaeda's infrastructure in the country – had been achieved. The occupation seeks to maintain a corrupt and dysfunctional client regime which is an affront to the Afghan people.
The war in Afghanistan has spread to Pakistan, destabilising the state there and raising the dangers of a wider regional conflict involving nuclear-armed powers. And thousands of Libyans have died as a result of a NATO attack ostensibly about protecting civilians but really designed to impose a pro-western goverment on the country.
The “war on terror” has also undermined civil liberties and human rights across the world, from the scandal of state-sanctioned torture to the outrage of Guantanamo Bay. And far from reducing the danger of terrorism worldwide, the war has reinforced all those discontents which can lead to such a response.
Our view, from 2001 onwards, that the war has nothing to do with fighting terrorism but was about projecting US power around the world and in particular extending its control over the resources and peoples of the Middle east and South Asia has been abundantly confirmed.
In all of this the British government has been deeply complicit. The war in Iraq was imposed on the British people by Tony Blair against the wishes of the majority. The government broke international law, ignored the United Nations, connived at torture and other crimes and sent the British Army into two illegitimate and futile wars in which hundreds of soldiers have lost their lives and thousands have been physically or psychologically maimed.
The British people have paid a price for this. Civil liberties and community relations have been placed under great strain. Billions of pounds have been wasted on war. Trust in the honesty and integrity of politicians and our democratic process has been deeply damaged. This is the bill for Tony Blair’s determination to subordinate this country to the foreign policy of the USA.
The Stop the War Coalition takes pride in the movement is has developed against the war since 2001, a movement which has articulated the views of the majority of the British people.
We are proud of our alliance with the Muslim community in Britain, in particular with the British Muslim Initiative (and earlier the Muslim Association of Britain), which has been a source of immense strength and has broadened our political perspectives. Stop the War will continue to stand alongside the Muslim community in resisting the Islamophobia which has been stoked up by the war.
We also salute the brave families of British soldiers who formed Military Families Against the War, an unprecedented political development. Stop the War pays tribute to the school students and trade unionists who walked out against the Iraq war, to our alliance with our sister organisation CND, and to all the hundreds of thousands of people who have campaigned against the war and Britain’s involvement in it.
They have all been the real voice of our country, and have helped redeem its standing in the eyes of the world, so damaged by the actions of Tony Blair and his successors.
On this tenth anniversary of 9/11, Stop the War renews its commitment to continue to oppose the war until it is ended. We demand in particular:
-
The full and immediate withdrawal of all British troops from Afghanistan, and support for a political process to end the conflict there.
- An end to NATO bombing in Libya and an end to all interference there.
- The withdrawal of all US troops from Iraq by the end of 2011, as previously agreed.
- No extension of the war through attacks on Iran, military intervention in Syria or elsewhere.
- An unconditional commitment by the British government to abide by international law and the decisions of the United Nations
- An end to the subordination of British foreign policy to that of the USA
- The rejection of Islamophobia and all racist attitudes stoked by the war
- The full defence of civil liberties.
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