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Anti-NATO-Proteste in München geplant

Leiter der sogenannten Sicherheitskonferenz wegen Verhöhnung von Kriegsopfern zum Rücktritt aufgefordert

Von Claudia Wangerin *

Tausende von Kriegsgegnern werden auch im kommenden Februar zu den Protesten gegen die »Münchner Sicherheitskonferenz« erwartet. Mitte Dezember hatten bereits mehr als 50 Organisationen aus dem gesamten Bundesgebiet den Aufruf »Kein Frieden mit der NATO-Kriegspolitik!« unterzeichnet. Traditionell findet die jährliche Konferenz auf Einladung eines privaten Schirmherren im Münchner Nobelhotel Bayerischer Hof statt. Geladene Gäste sind Militärs, ausgewählte Politiker und Rüstungslobbyisten.

Im Gespräch mit jW rechnete Claus Schreer vom Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus am Freitag mit einer starken Beteiligung an den Gegenaktionen, da sie Auftakt zu den internationalen Protesten gegen den NATO-Jubiläumsgipfel Anfang April seien. Die Großdemonstration am Samstag, dem 7. Februar, soll vom Marienplatz aus über Glockenbachviertel und Altstadtring zum Odeonsplatz führen.

Der neue Leiter der Konferenz, Wolfgang Ischinger, sorgte schon im Vorfeld für einen Skandal, als er in einem Gastkommentar für die Süddeutschen Zeitung vom 15. Dezember schrieb: »Auch in der Politik sind viele Errungenschaften ohne vorangegangene Krise kaum denkbar: Die Europäi­sche Union von heute wäre ohne die große Krise Europas, die zwei Weltkriege hervorgerufen hatte, nie zustande gekommen.« So schaffe die Krise auch etwas Gutes.

Diese Geisteshaltung verurteilten sämtliche Sprecher des Aktionsbündnisses gegen die NATO-Sicherheitskonferenz am Donnerstag vor Medienvertretern scharf. Gerta Stählin vom Münchner Friedensbündnis verlas eine Stellungnahme des ehemaligen KZ-Häftlings Martin Löwenberg. Dieser nannte Ischingers Worte »geschmacklos, zynisch und eine unerträgliche Verhöhnung der Millionen Verfolgten und Ermordeten des Nationalsozialismus«. Löwenberg forderte Ischinger auf, von seinen Ämtern zurückzutreten und sich öffentlich für seine Ausführungen zu entschuldigen.

* Aus: junge Welt, 20. Dezember 2008


Global Player

Die Münchner Sicherheitskonferenz wird im Jahr 2009 einen neuen Chef haben: Auf Horst Teltschik, der den Militaristenauftrieb seit 1999 leitete, folgt Wolfgang Ischinger.

Der Wechsel hat durchaus programmatische Bedeutung: Teltschik war ein Mann der Kohl-Ära und bahnte mit dem Pfälzer den Weg zur Deutschen Einheit. In den letzten Jahren überraschte er mit einigen verständnisvollen Äußerungen Richtung Moskau. Gegenüber dem nationalen Biedermeier steht Ischinger eher für Machiavellismus und Globalismus. Folgerichtig wird unter seiner Ägide erstmals Englisch die Hauptsprache der Munich Security Conference sein.

Der parteilose Schwabe trat nach einer zweijährigen Tätigkeit bei UN-Generalsekretär Kurt Waldheim 1975 in den Auswärtigen Dienst ein und wurde als Botschafter unter anderem nach Paris und Washington geschickt. Von 1993 bis 1998 war er unter Minister Kinkel Politischer Direktor im Auswärtigen Amt, in den folgenden drei Jahren unter Fischer Staatssekretär. Pünktlich zum 11. September 2001 wurde er erneut Botschafter in den USA und wechselte 2006 in derselben Funktion nach Großbritannien. Obwohl er im Mai 2008 in die Privatwirtschaft ging – als »Global Head of Governmental Affairs« des Allianz-Konzerns –, wird er auf der Website der Sicherheitskonferenz weiter als Botschafter geführt.

Deutschen Einfluss sicherte der Diplomat vor allem auf dem Balkan: Er handelte 1995 den Siegfrieden über die bosnischen Serben mit aus und sorgte während der NATO-Aggression 1999 dafür, dass Russland Jugoslawien zur Kapitulation drängte. Dabei war Betrug im Spiel: Moskau wurde suggeriert, Kosovo würde künftig von einer UN-Blauhelmtruppe kontrolliert. Stattdessen rückte die NATO ein. 2007 gehörte er zur internationalen Verhandlungstroika, die mit Zuckerbrot und Peitsche die Abspaltung der Krisenprovinz von Serbien vorbereitete.

Der 62-Jährige, der gegenüber US-Präsident Bush das deutsche Nein zum Irak-Krieg vertreten musste, erhofft sich von dessen Amtsnachfolger Obama mehr Multilateralismus. Ob dieser oder andere Promis vom 6. bis zum 8. Februar nach München kommen, ist indes noch offen.

Jürgen Elsässer

* Aus: Neues Deutschland, 30. Dezember 2008


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