Rechter Katzenjammer
Nach Blockade des Dresdner "Trauermarschs": Chemnitzer Politologe kritisiert Antifa-Bündnis. Neonazis kündigen neue Aktion an
Von Markus Bernhardt *
Die Reaktionen auf die Verhinderung des Neonaziaufmarsches am vergangenen Sonnabend in Dresden sind erwartungsgemäß geteilt. Etwa 12000 Antifaschisten hatten mit Massenblockaden dafür gesorgt, daß die rund 6000 Neofaschisten nicht wie ursprünglich geplant durch die Dresdner Neustadt marschieren und den 65. Jahrestag der Bombardierung der Stadt für ihre Zwecke mißbrauchen konnten.
Während Nazigegner den Erfolg von Dresden bundesweit bejubeln, übte der Chemnitzer Politologe Eckhard Jesse harsche Kritik an den Massenblockaden, die er als »eine Niederlage für den Rechtsstaat« bezeichnete, da sich die Antifaschisten »über Recht und Gesetz hinweggesetzt« hätten. Der Politikwissenschaftler, dem die Süddeutsche Zeitung in der Vergangenheit attestierte, durch die »Bagatellisierung von Rechtsextremismus aufgefallen« zu sein, geht jedoch noch weiter. Zumindest indirekt wirft er den Blockierern vor, durch die »vermeintliche Schmach«, die diese den Neofaschisten durch die Verhinderung des Aufmarsches beigebracht hätten, zu einem Gemeinschaftserlebnis der Rechten beigetragen zu haben. Daher sei zu erwarten, daß die Rechtsextremen in den kommenden Jahren »erst recht« in Dresdner aufmarschieren wollen würden, so Jesse. Folgt man der Logik des Politologen, hätten die Neonazis offenbar künftig auf Aufmärsche in Dresden verzichtet, wenn man ihre Hetze diesmal widerstandslos zugelassen hätte. Bereits seit Jahren fällt Jesse mit Attacken gegen Linke auf. So behauptete er in der Vergangenheit, daß die Gefahr von rechts hochgespielt würde, während man den Kampf gegen »Linksextremismus« vernachlässige. Die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit behauptete in ähnlichem Duktus, daß bezüglich der Verhinderung des Naziaufmarsches die Gewalt über Recht gesiegt habe.
Bei den Neonazis folgt auf die großspurigen Ankündigungen im Vorfeld ihres »Trauermarsches« nun der große Katzenjammer. »Es war ein Tag des Unrechts und des Einknickens der Polizeiführung vor der Macht der Politik«, konstatiert beispielsweise der Neonazibarde Frank Rennicke. Empört gab sich erwartungsgemäß auch Udo Pastörs. Der NPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern halluzinierte von »einer Zusammenarbeit von Links-Chaoten, Polizei, Medien und Blockparteien«. Nach altem Muster sei »der zum Teil auch mit Geld und Sachleistungen versorgte schwerstkriminelle linke Abschaum aus der gesamten BRD herangekarrt und von der Kette gelassen, um die Drecksarbeit des Systems zu erledigen« zu lassen, so der NPD-Mann in einer Pressemitteilung.
Auch ein Teil der Medien hat anscheindend Probleme mit der erfolgreichen Blockadeaktion. So wurde das Bündnis »Dresden stellt sich quer!« entweder zu linksradikalen Schmuddelkindern degradiert, oder erst gar nicht erwähnt. Statt dessen wurde die von der Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) initiierte Menschenkette als Ursache für die Verhinderung des Naziaufmarsches dargestellt. So titelte das Magazin Focus bereits am Samstag nachmittag »Menschenkette – Dresden bietet Neonazis die Stirn«. Die Internetseite »Endstation Rechts« wies der ARD-Tagesschau unterdessen eine falsche Berichterstattung nach. So sei unter tagesschau.de zu lesen gewesen, daß mehr als zehntausend Dresdner mit einer Menschenkette gegen Fremdenfeindlichkeit und Krieg demonstriert und einen Aufmarsch von Neonazis verhindert hätten. Erst später sei die Meldung laut »Endstation Rechts« korrigiert worden. So hieße es dort jetzt: »Mit einer Menschenkette haben mehr als zehntausend Dresdner gegen Fremdenfeindlichkeit und Krieg demonstriert. Durch Blockaden verhinderten Gegendemonstranten einen Aufmarsch von Neonazis.« Die Neofaschisten wollen sich mit der Niederlage in Dresden nicht abfinden. Am 5. März wollen sie ein »Nationales Gedenken an alliierten Bombenterror« in Chemnitz abhalten.
* Aus: junge Welt, 17. Februar 2010
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