Es hat sich gelohnt: „Dresden nazifrei“ treibt Nazis zur Verzweiflung
Von Peter Strutynski
Den 13. Februar 2010 wird Dresden so schnell nicht vergessen. Ist es doch erstmals überzeugend gelungen, den alljährlichen Aufmarsch der Alt- und Neonazis in der sächsischen Landeshauptstadt zu verhindern. Das Blockadekonzept des bundesweiten Bündnisses „Dresden nazifrei“ ging ebenso auf wie das Konzept der Stadt, mit einer Menschenkette um die Altstadt der Opfer der alliierten Luftangriffe von 1945 in Würde zu gedenken und zugleich Anschluss an die antifaschistische Bewegung zu finden.
Dabei war der Erfolg der Antifaschisten und Demokraten, der Gewerkschafter/innen und Friedensbewegten, der Christen und Menschenrechtsaktivisten nicht vorhersehbar. Zwar war im Vorfeld bereits sichtbar, dass sich die Teilnehmerzahlen gegenüber dem Vorjahr (damals gingen rund 7.000 Menschen gegen Rechts auf die Straße) spürbar erhöhen würden. Doch das Oberverwaltungsgericht in Bautzen hatte nur wenige Tage vor dem Termin das von der Stadt verhängte Demonstrationsverbot für die Nazis aufgehoben und in skandalöser Weise die Demonstrationen der Nazigegner in der Dresdner Neustadt untersagt. Alles sah also danach aus, als würde sich das bekannte Muster wiederholen: Die braune Pest darf – grundgesetzwidrig – ihre menschenverachtende Ideologie auf den Straßen verbreiten, während die Antifaschisten an ihrem berechtigten Protest gehindert werden sollten.
Diese Grundkonstellation, die bei unzähligen größeren oder kleineren Naziaufmärschen in diesem Land zu unerträglichen Polizeischutzmaßnahmen für die Nazis, den Verfassungsgegnern, und zur Kriminalisierung und Verfolgung der Nazi-Gegner, den eigentlichen Verteidigern der Verfassung, führte, verhieß wenig Gutes, schon gar keinen leichten Erfolg der Demokraten. Es gibt nur wenige prominente Beispiele, wo dieses unwürdige Spiel durchbrochen und die Nazis erfolgreich aus der Stadt vertrieben werden konnten: in Jena, dessen Oberbürgermeister jüngst eine Initiative „Kommunen gegen Rechts“ ins Leben gerufen hat und der es sich selbstverständlich nicht nehmen ließ, bei einer Blockade-Kundgebung in Dresden zu sprechen, und in Köln, als mehrere Zehntausend Menschen aus der Stadt und überregional eine europäische antimuslimische „Konferenz“ der rechstsradikale Initiative „Pro Köln“ verhinderten.
Daran wollten beide Initiativen, die vor Monaten gebildete breite Allianz „Dresden nazifrei“, und die erst wenige Tage vor dem 13. Februar von Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) angekündigte Menschenkette „Erinnern und Handeln. Für mein Dresden“ anknüpfen. Auch die Ziele beider Initiativen schienen ähnlich zu sein. Für „Dresden nazifrei“ hieß das, mit allen Mitteln gewaltfreien Protestes (von der Kundgebung bis zur Sitzblockade) den Gewaltmarsch der Nazis zu verhindern, für die Oberbürgermeisterin ging es darum, den Missbrauch des 13. Februar durch die „Rechtsextremisten“ „nicht tatenlos hin(zu)nehmen“. In ihrer Ansprache anlässlich des Gedenkens auf dem Heidefriedhof am Vormittag des 13. Februar wies Helma Orosz den Versuch von Neonazis zurück, den Gedenktag zu vereinnahmen: „Diese Ewiggestrigen wollen wir hier nicht sehen, nicht an dieser Stätte stiller Trauer, nicht in unserem wieder erstandenen Dresden.“ Und weiter: „Wir Dresdner wehren uns gegen Revanchismus, gegen Hass- und Gewalt-Propaganda.“
Doch die mitgedachte Reichweite beider Bekenntnisse war dann doch sehr unterschiedlich. Der Protest der „Anständigen“ – um an diesen missglückten Begriff früherer Protest-Versuche des „hilflosen Antifaschismus“ anzuknüpfen – erschöpfte sich leider weitgehend in wohlfeilen Lippenbekenntnissen. Die Presseerklärungen des Oberbürgeramts der Stadt Dresden erwähnten vor und nach dem 13. Februar die Blockadeaktionen des Antifa-Bündnisses mit keinem Sterbenswörtchen. Und mit keinem Wort wurde die Tatsache kommentiert, dass die Menschenkette in der historischen Altstadt Dresdens stattfand, während die Nazis in der Dresdner Neustadt sich zusammen rotteten – ohne den Versuch der „Anständigen“, sich diesem Aufzug in den Weg zu stellen.
Dies blieb im Wesentlichen den einheimischen und von überall her angereisten Antifaschistinnen und Antifaschisten des Bündnisses „Dresden nazifrei“ überlassen. Mit rund 12.000 gewaltfrei agierenden Menschen und mit einer logistischen Meisterleistung gelang es, den Naziaufmarsch von Beginn an zu verhindern. Die Anti-Nazi-Demonstranten, bereits in den Morgenstunden mit rund 300 Bussen aus allen Landesteilen angereist, besetzten die fünf wichtigen Kreuzungen, welche von den Nazis für ihren „Trauermarsch“ hätten benutzt werden können. Die Polizei, die angetreten war, den justiziell genehmigten „Marsch“ der Nazis zu ermöglichen, reagierten zwar mit dem „bewährten“ Konzept der Einkesselung der Antifaschisten. Doch im Ergebnis geriet diese Praxis nolens volens zur Unterstützung der Blockierer: Denn ihre Einkesselung verstärkte den Wall gegen die Nazis, die in ihrem „Kundgebungsplatz“ am Neustädter Bahnhof eingeschnürt waren. Ausbruchsversuche der Nazis hätten nur dann erfolgreich sein können, wenn die Polizei zuerst die Gegendemonstranten aus dem Weg geräumt hätte. Dazu wurden die Ordnungskräfte – insgesamt waren fast 7.000 Polizistinnen und Polizisten aus dem ganzen Bundesgebiet im Einsatz – aber nicht angewiesen. Die „Sicherheitslage“, so die offizielle Begründung der Einsatzleitung, ließ einen Marsch der Nazis nicht zu. Zu dieser Sicherheitslage haben die tausenden Antifaschistinnen und Antifaschisten beigetragen, indem sie acht Stunden lang bei nicht ganz gemütlichen Temperaturen an ihren Blockadeorten aushielten und nicht von der Stelle wichen. So sieht unter diesen Umständen antifaschistische Wachsamkeit aus, oder, wie bei den Blockaden immer wieder skandiert wurde: „alerta antifascista“.
Die Zurückhaltung der Polizei hatte aber noch zwei weitere Gründe. Einmal war die Zahl der Nazis, die nach Dresden gekommen waren, wesentlich geringer als erwartet und auch geringer als im Vorjahr. Dem standen diesmal viel mehr Nazigegner gegenüber als je zuvor in Dresden – Ergebnis einer monatelangen bundesweit vernetzten Vorbereitung, die hunderte von Organisationen und Initiativen einbezog. Zum anderen machte die Initiative der Oberbürgermeisterin – ob gewollt oder ungewollt, ist nebensächlich und von hier aus nicht zu entscheiden – die Blockadeaktion der Öffentlichkeit gegenüber hoffähig. Auch wenn die Blockaden von der Stadt nicht erwähnt wurden, war klar, dass sie zum gemeinsamen Ziel, die Nazis aus der Stadt zu vertreiben, beitragen würden. Zum ersten Mal gingen Dresdner Bürger/innen zu Tausenden auf die Straße, um nicht nur ihrer Toten des 13. Februar zu gedenken, sondern um auch politisch Stellung zu beziehen gegen die falsche „Trauer“ der Nazis. Die Oberbürgermeisterin wollte nämlich „zugleich auch an das Verbrechen des von Deutschland ausgegangen Krieges“ erinnern.
Was lehrt uns das alles? Zunächst natürlich, dass es sich lohnt, breiteste Bündnisse gegen Rechts zu schmieden und an diesen Bündnissen auch dann festzuhalten, wenn sie von der offiziellen Politik nicht oder nur widerwillig akzeptiert werden. Zweitens ist zur Kenntnis zu nehmen, dass die Dialektik des Protestes auch darin bestehen kann, dass die Zögerlichen durch den Schwung der Bewegung gezwungen werden, Flagge zu zeigen und dass dies dem Anliegen der Bewegung selbst wieder neuen Schwung verleiht – etwa auch durch die breitere Anerkennung ihres Ziels in der Öffentlichkeit und in den Medien. Drittens verbietet sich jegliche Arroganz des einen Teils der Bewegung gegenüber dem anderen. Wer nach dem Motto verfährt: „Demonstrieren ist gut – Blockieren ist besser“, desavouiert den ehrlichen Protest gegen die Nazis, auch wenn er (noch) vor der letzten Konsequenz zurückschreckt, also in diesem Fall der aktiven Beteiligung an der Blockade. Man kann aber sicher sein, dass viele Dresdnerinnen und Dresdner, die diesmal sich wenigstens das Herz fassten, dem Aufruf ihrer Oberbürgermeisterin zur Menschenkette zu folgen, angesichts des erfahrenen Gemeinschaftserlebnisses und des Erfolgs der Blockade manche Vorbehalte gegenüber dieser Aktionsforum aufgegeben haben.
Und die Staatsmacht? Vielleicht kam sie im Verlauf der Proteste gegen den versuchten Aufmarsch der Nazis zu der Einsicht, dass die Nazigegner doch nur das gemacht haben, wozu die Staatsorgane eigentlich selbst verpflichtet gewesen wären: Sich mit allen Mitteln dem Faschismus und Neonazismus in den Weg zu stellen. Dies verlangt die Lehre aus der deutschen Geschichte, dies verlangt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Nachdem der Versuch der Nazihorden, Dresden ein weiteres Mal ihren „Trauermarsch“ aufzudrücken, gründlich misslang, aus dem „Trauermarsch“ ein Sauermarsch geworden war, schlugen sie nach achtstündigem Herumstehen vollkommen frustriert um sich, griffen die Polizei mit Pflastersteinen an und randalierten später in Pirna und Gera weiter. Damit haben sie aufs Neue bestätigt, dass sie sich von vornherein außerhalb des demokratischen Konsenses stellen. Faschismus ist eben keine tolerierbare „Meinung“, sondern ein Verbrechen. In einem
Aufruf der Friedensbewegung zum 13. Februar heißt es: „Die faschistische Ideologie war rassistisch, menschenverachtend und kriegerisch. Die Nazis gingen buchstäblich über Leichen - durch Gewaltexzesse gegen Juden, Demokraten, Sozialisten und Kommunisten im Inneren und durch Raub-, Eroberungs- und Vernichtungskriege nach außen. Die Neonazis von heute stehen in dieser unheilvollen Tradition. Deswegen müssen wir uns ihnen in den Weg stellen.“ Dies sollten Politik, Polizei und Justiz im Gedächtnis behalten, wenn es im nächsten Jahr wieder heißt: Keinen Millimeter den Faschisten! Dresden nazifrei!
Siehe auch die Reportage:
Eine Busreise nach Sachsen
Über 10 000 Menschen blockieren in Dresden erstmals den größten Naziaufmarsch Europas
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