Gibt es Alternativen zur NATO?
Reiner Braun über die Proteste zum 60. Jahrestag des Militärpakts *
Wie groß war die Resonanz der europäischen Friedensbewegung auf den Aufruf zur Vorbereitung von Anti-NATO-Protesten?
Vertreter aus 16 EU-Staaten beteiligten sich am internationalen Vorbereitungstreffen in Stuttgart und
waren einstimmig der Meinung, dass man die Jubiläumsfeiern in Straßburg und Kehl im kommenden
April zu Protesten nutzen muss. Denn 60 Jahre NATO sind wahrlich kein Grund zum Feiern. Um das
zu unterstreichen, haben wir uns auf zwei Ziele geeinigt: Wir wollen versuchen, das kritische
Bewusstsein gegenüber der NATO in der Bevölkerung zu stärken, und mit großen Aktionen soll so
störend wie möglich auf die Feierlichkeiten eingewirkt werden.
Auf welche Aktionsformen haben Sie sich geeinigt?
Vier Elemente werden im Mittelpunkt stehen. Es wird sowohl ein internationales Widerstandscamp
als auch einen internationalen Kongress geben, auf dem die Strategie der NATO analysiert und
mögliche Alternativen aufgezeigt werden sollen. Aktionen des zivilen Ungehorsams an
verschiedenen Stellen in Straßburg und möglicherweise auch in Kehl und eine große internationale
Demonstration werden den Aktionsrahmen abrunden.
Wurde in Stuttgart auch über konkrete Alternativen zur NATO gesprochen?
Eine Möglichkeit für eine zukünftige Friedens- und Sicherheitsstruktur wäre die Wiederbelebung der
europäischen Sicherheitskonferenz KSZE. Auch sollten regionale Strukturen zur Konfliktbewältigung
in Krisengebieten aufgebaut werden, um die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen. Um aber
über alternative Strukturen zur NATO zu streiten, muss zunächst kritisches Bewusstsein entstehen.
Könnte der Krieg der NATO in Afghanistan einen Ansatzpunkt dafür bilden?
Langsam setzt sich selbst in konservativen Kreisen die Erkenntnis durch, dass der Krieg in
Afghanistan militärisch nicht zu gewinnen ist. Gleichzeitig verstärkt die NATO aber ihr Engagement.
Sie sitzt in der Zwickmühle. Einerseits ist Afghanistan der Prüfstein für die aggressive NATOStrategie,
andererseits aber auch ihr schwächstes Glied. Wozu brauchen wir eine NATO noch, wenn
sie den Krieg nicht gewinnen kann? Diese Frage wird die Debatte über die Zukunft der NATO sicher
beflügeln.
Wird die europäische Friedensbewegung stark genug sein, um die Proteste zu meistern?
Wir sollten die Friedensbewegung in Europa im Moment nicht überschätzen. Sie hat sicher nicht die
Ausmaße wie zu Zeiten der Proteste gegen den Irakkrieg 2003. Das hat objektive Gründe, denn
beispielsweise Sozialdemokraten und Grüne für die Auflösung der NATO zu gewinnen, ist mehr als
schwierig. Aber das ist auch nicht der entscheidende Punkt. Viel wichtiger ist, dass wir mit den
Protesten an einen diffusen Konsens in der Bevölkerung anknüpfen können, der besagt, dass die
NATO ein Kriegsbündnis ist und nichts mit Frieden zu tun hat. Das wird auch Auswirkungen auf die
Belebung der Zusammenarbeit innerhalb der europäischen Friedensbewegung haben. Denn erst die
Vielfalt der Aktionsformen und die gemeinsame Überzeugung, dass die NATO abgeschafft werden
muss, wird es ermöglichen, dass sich eine Vielzahl von Akteuren und Generationen angesprochen
fühlt und sich in die Proteste einbinden lässt. Das wird der Schlüssel zum Erfolg sein. Die
Friedensbewegung allein wird die Proteste nicht stemmen können, deshalb sind Bündnisse mit
anderen sozialen Bewegungen, wie den Gruppen aus dem Anti-G8-Spektrum oder Attac, besonders
wichtig.
Fragen: Patrick Widera
* Reiner Braun, IALANA, ist Mitorganisator der internationalen NATO-Konferenz in Stuttgart und des Vorbereitungskreises zum NATO-Gegengipfel 2009
Aus: Neues Deutschland, 16. Oktober 2008
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