Der inszenierte Kulturkampf und seine Funktion
Verbaler Dauerbeschuss gegen die Antikriegsstimmung in Deutschland
Von Sabine Schiffer *
Spots
Die Mehrheit der Deutschen wäre vermutlich auch gegen die Umfunktionierung der NATO und gegen die Verpflichtung der EU auf weitere Militarisierung -- wenn unsere Medien sie darüber informieren würden
Die letzten Wahlergebnisse (Hessen, Bayern...) haben gezeigt, dass die Mehrzahl der Menschen in Deutschland nach wie vor nicht die ausländerfeindlichen und antiislamischen Auswürfe einiger Wahlkampfstrategen honorieren
Abstract
Über die letzten 15 Jahre ist es gelungen, dass allgemeingültige Themen zunehmend als "islamisch" wahrgenommen werden: Terrorismus, Frauenunterdrückung, sogar Integrationsprobleme und neuerdings Jugendkriminalität. Die Islamfokussierung relevanter Debatten lenkt von den eigentlichen Zusammenhängen ab -- und verschleiert unsere Mitverantwortung an den Entwicklungen in der Welt.
Offiziell soll die Deutsche Islamkonferenz (DIK), die Innenminister Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen hat, dazu beitragen, dass Islam und Muslime als selbstverständlicher Bestandteil der deutschen Gesellschaft angesehen werden.
Offiziell! Ihre Agenda konstruiert jedoch einen Gegensatz zwischen dem Muslimsein
und der Demokratischen Grundordnung, den es in der Realität so gar nicht gibt bzw.
der auf den Katholizismus ebenso zutreffen würde -- etwa die Relevanz des religiösen
Votums aus Rom und die Notwendigkeit, Gottes- und Menschengesetz in Einklang
bringen zu müssen.
Von Anfang an waren die öffentlichen Hauptsitzungen der DIK von Skandalen
begleitet, die für Aufregung sorgten. Diese überschatteten jeweils termingerecht die
Konferenz und schürten Angst vor und Argwohn gegen Muslime, auf die nun
besondere Aufmerksamkeit gelenkt war. Wer für die Inszenierungen verantwortlich
zeichnet, ist nicht genau auszumachen: Jedenfalls hat kein Muslim die Absetzung der
Idomeneo-Oper in einer Inszenierung, in der u.a. Mohammed geköpft wurde, verlangt.
Innensenator Körting hatte einen ungeprüften Verdacht an die Intendantin des
Theaters weitergegeben. Kurze Zeit darauf räumte er ein, dass es keine konkreten
Verdachtsmomente gab. Der Ruch der Absetzung als Reaktion auf Protest von
Muslimen, blieb bestehen.
Für die Aufregung um die
zweite DIK-Sitzung war das Innenministerium
verantwortlich, das erst knapp vor dem öffentlichen Termin das Sitzungsprotokoll
verschickt hatte, so dass die muslimischen Vertreter dann nur noch öffentlich auf
einige missverständliche Formulierungen darin reagieren konnten. Da weiterhin über
das Verfahren innerhalb der Arbeitsgruppensitzungen der DIK nichts nach außen
dringt (z.B. Festlegung der Agenda ausschließlich durch das BMI, Sicherheitsfragen
nur für Nichtmuslime, nicht für Muslime uvm.) verwundert auch die Aufregung um eine
weitere öffentliche Sitzung Mitte März nicht. Nun ist der Innenminister selbst dafür
bekannt, in Bezug auf unsere muslimischen Bürger -- aber nicht nur in Bezug auf sie --
einen Wechselkurs zu fahren: Erst setzt er eine Verdächtigung in die Welt, dann
dementiert oder beschwichtigt er. Das entstandene Misstrauen bleibt aber hängen --
an der markierten und inzwischen misstrauisch beäugten Gruppe der Muslime. Was
aber auch wiederum kein Spezifikum darstellt, sondern weit verbreitet zum politischen
und gesellschaftlichen Alltag geworden ist. Erst wird laut denunziert und verleumdet,
die Dementi folgen bereits wesentlich leiser.
Durch immer neuen Sand in das gleiche Getriebe wird der Reaktionsmechanismus
des Misstrauens gut eintrainiert. Kurz vor Weihnachten 2007 zitierte Wolfgang
Schäuble aus einer Studie des Ministeriums, dass 40 Prozent der Muslime in
Deutschland "fundamental orientiert" und 6 Prozent gewaltbereit seien -- nachdem er
das Vorwort zur Studie mit folgender Behauptung eingeleitet hat: "der weltweit
operierende islamistische Terrorismus ist heute eine der größten Gefahren für unsere
Sicherheit". Später wiegelte er mit dem lapidaren Hinweis ab, die Medien hätten seine
Aussagen einfach übertrieben.
In der Tat gab es einen antiislamischen Medienhype, der vorhersehbar war. So titelte
der Spiegel: "Schäubles Muslim-Studie: 500 Seiten politischer Sprengstoff"
(20.12.2007) oder die Welt: "Plötzlicher Zuwachs bei den deutschen Islamisten."
(26.12.2007) Man übersah in der Aufregung, dass die an sich sehr gute Studie nicht
nur differenzierte, sondern auch komplizierte Ergebnisse hervorbrachte. In Bezug auf
die Studierendenbefragung ergab jedoch ein gravierender Fehler -- ein
Kategorienwechsel in der Befragung -- ein falsches Ergebnis. Daraus resultierte der
hohe Wert bei der "fundamentalen Orientierung". So und so ähnlich geht es seit einigen Jahren. Der Innenminister verkündet regelmäßig "islamistische"
Terrorwarnungen, um dann anschließend darauf zu verweisen, wie sicher wir doch in
Deutschland wären. Um die "Sicherheit" hingegen zu steigern, müsse er allerdings ein
paar Grundrechte einschränken. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
Er verblieb in der gleichen Logik, als er am 27. Februar 2008 in Berlin auf seiner
Fachtagung zum "Islambild in Deutschland" die Medien für deren aufbauschende
Berichterstattung kritisierte -- und gleichzeitig außerhalb der Tagung forderte, alle
deutschen Zeitungen sollten aus Protest gegen die Morddrohungen gegen den
dänischen Zeichner Westergaard die so genannten Mohammed-Karikaturen
nachdrucken. Dies alles ist kein Zufall, sondern es hat System.
Unsere Medien sind dabei anvisiert, als Vehikel eines gewollten Kulturkampfes diesen
anzuheizen. Und es funktioniert -- aber so subtil, dass wir es nicht einmal bewusst
wahrnehmen müssen, wie sich der antiislamische Spin überall einschleicht. Ein
aktuelles Beispiel liefert wiederum Wolfgang Schäuble in einem "Streitgespräch" mit
Ralf Giordano, das in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 02.03.2008
abgedruckt wurde: Schäuble tritt als "Verteidiger" (des Angeklagten "Islam") auf und
dabei sieht es so aus, als müsse er zugeben, dass es "Probleme mit der Integration"
gebe -- obwohl die Arbeitsgruppensitzungen der Islamkonferenz (die Autorin ist
Mitglied der Arbeitsgruppe 3) unter anderem zu der Erkenntnis führten, dass diese
Probleme nicht islamspezifisch, sondern anderen sozialen Faktoren zuzurechnen
sind. Jedoch sagt Schäuble in dem besagten Interview nicht explizit, dass die ganze
Diskussion eine Schieflage hat und von falschen Prämissen ausgeht, sondern setzt
ans Ende seiner Äußerungen gar den Satz: "Wir sollten jedenfalls klar unterscheiden
zwischen den Integrationsproblemen, die wir haben, und den Bedrohungen durch den
islamistischen Terrorismus." So faktiziert man also en passant "islamische
Integrationsprobleme". Warum immer wieder diese stereotype Verstärkung eines
falschen Zusammenhangs? Warum immer wieder aufs Neue die Dämonisierung des
Islams -- mal im Kleinen, mal im Großen?
80 Prozent der Deutschen sind gegen den "Krieg gegen den Terror", gegen
Kampfeinsätze in Afghanistan und gegen die Ausweitung des Krieges allgemein sowie gegen die Beteiligung deutscher Soldaten. Sie wären vermutlich auch gegen die Umfunktionierung der NATO und gegen die Verpflichtung der EU auf weitere
Militarisierung -- wenn unsere Medien sie darüber informieren würden. Unsere regierenden Politiker verfolgen hingegen eine andere Politik und darum wird massiv Kriegspropaganda betrieben -- u.a. mithilfe eines antiislamischen Feindbilds. Wenn keine realen "islamistischen" Aktivitäten zu befürchten sind, dann werden fiktive
Warnungen und Bedrohungsszenarien in die Welt gesetzt, indem man unkritisch
ungeprüfte "Nachrichten" aufgreift. Sogar "Informationen" des libanesischen
Geheimdienstes erreichen dann Glaubwürdigkeit, so dass die so genannten
"Kofferbombenattentäter" libanesischer Nationalität nicht etwa wegen des
Libanonkrieges im Sommer 2006 einen Anschlagsversuch auf die Deutsche Bahn
unternommen hätten -- sondern angeblich wegen der dänischen Mohammed-
Karikaturen. Wieder eine Verschiebung in Richtung "Der Islam ist Schuld!" Dabei
sollte sowieso jede Art von Anschlag als gleich verabscheuenswürdig eingestuft
werden, egal aus welchen Motiven und von wem verübt.
Die Bevölkerung wird durch immer neue Hiobsbotschaften vor allem aus der
Islam(isti)schen Welt in Atem gehalten. Das Islambild ist inzwischen extrem verzerrt
und spricht viele an: Entweder, es wächst die Bereitschaft, den "gefährlichen Feind"
zu bekämpfen und sich zu "verteidigen" oder aber man fühlt sich verpflichtet, die
"arme, unterdrückte muslimische Frau" oder gar alle Muslime vom Islam zu befreien.
Über Jahrzehnte wurde das "Feind"bild Islam und auch der Mythos von der
ausnahmslos unterdrückten muslimischen Frau durch gezielte Propaganda, unzählige
Missverständnisse und wohlmeinende Feministinnen und Pseudo-Feministen
aufgebaut -- so dass inzwischen etliche Ereignisse vorschnell in die "islam(ist)ische
Verschwörungstheorie" eingeordnet werden. Dies ist nicht eindeutig steuerbar, aber
auch kein Zufall. Und für diejenigen durchschaubar, die sich mit der Arbeit von Think-
Tanks, PR-Agenturen und Lobbying-Gruppen befassen.
Das Konzept des "Clash of Civilizations" hat Bernard Lewis entworfen und 1990 in einer Rede vorgestellt, die im Atlantic Monthly (in: The Roots of Muslim Rage) veröffentlicht wurde. Obwohl als Analyse getarnt, ist das ausgeklügelte Programm offensichtlich: Allen Muslimen wird ein Hass auf die "freiheitliche Moderne" unterstellt sowie bestimmte (unabänderliche und sonderbare) Eigenschaften. Eine "archaische Islamische Welt" wird als Gegenüber und Gegner eines (US-geführten) "modernen Westens" aufgebaut. Um die Vormachtstellung der USA über den Zerfall der Sowjetunion hinaus zu sichern, wird ein Kulturkampf inszeniert und über das Feindbild Islam werden zunächst Ölressourcen gesichert, um schließlich Asien und China als Zielpunkte der Machtkontrolle zu dominieren. Zbignew Brzezinski, ehemaliger Sicherheitsberater unter Carter, Robert Dreyfuss, Autor von The Devil's Game, F. William Engdahl, der über die wirtschaftlichen Interessen im Nahen Osten aufklärt, und das PNAC-Paper (Project of a New American Century) bestätigen diese Strategie. Wer also heute meint, wir müssten Koran und Islam studieren, um die Welt zu verstehen, ist reingefallen. Die Islamfokussierung relevanter Debatten lenkt von den eigentlichen Zusammenhängen ab. Erst langsam sickern bereits lange vorliegende Erkenntnisse durch, etwa dass sich Muslime allenfalls gegen den empfundenen Ausschluss von der Moderne zur Wehr setzen (Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit; Frankfurter Rundschau 28.2.2008).
Und auch Deutschland soll aktiv an Kulturkampf und realem Krieg beteiligt werden -- wie Europa insgesamt (s. Interview mit Henry Kissinger im Spiegel vom 18.2.2008). Wie man durch das Säen von Misstrauen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen diese Politik bedient, führt nicht nur Wolfgang Schäuble erfolgreich durch und vor.
Während er in seiner Rede vom 27. Februar 2008 viele wohlmeinende Dinge sagt, verwirrt er gleichzeitig mit einem Zitat aus Goethes West-Östlichem Divan. Es bleibt vage, ob die Textstelle an die Medien oder die Muslime gerichtet ist:
"Guten Ruf musst Du Dir machen,
Unterscheiden wohl die Sachen;
Wer was weiter will, verdirbt."
Auch hier und in jedem Fall: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Sollen Medien nicht zu viel wollen -- und etwa ihrer Rolle als Vierter Gewalt nachkommen? Oder sollen Muslime ihren Ruf selbst verbessern, indem alle ausnahmslos vorbildliche Menschen werden, und nicht zu viel fordern. Ja, das Zitat enthielte dann sogar die Warnung, dass derjenige, der zu viel fordert, verderbe. Eine Drohung? Und was ist jeweils zuviel und wie soll er verderben? Wir sollten das sehr ernst nehmen, weil es zum bisher beobachteten Schlingerkurs passt.
Die letzten Wahlergebnisse (Hessen, Bayern...) haben gezeigt, dass die Mehrzahl der Menschen in Deutschland nach wie vor nicht die ausländerfeindlichen und antiislamischen Auswürfe einiger Wahlkampfstrategen honorieren. Angesichts der Pläne unserer Politiker, Legitimation und Bereitschaft für weitere Kriegseinsätze in der Welt zu erreichen und auf ein expansionistisches und militärisches Wirtschaftswachstum zu setzen, ist mit einem weiteren Anheizen des Kulturkampfthemas zu rechnen. Immer atemloser werden die Indizien für eine "islamische Weltverschwörung" eingestreut -- teils inszeniert, teils realiter und lediglich vorschnell und verallgemeinernd interpretiert, teils übersehend, dass es auch Reaktionen auf die gespürte und geschürte Ablehnung sind.
Wir Bürger müssen uns überlegen, ob wir nicht lauter gegen die Kriegstreiberei Stellung nehmen und unsere Grundwerte wirklich verteidigen, statt sie stellvertretend in Bezug auf andere zu diskutieren. Denn der Verdacht liegt nahe, dass es unserer politischen Klasse immer weniger um das Gemeinwohl und schon gar nicht um den Volkswillen geht. Für unsere Medien steht ebenso eine wichtige Entscheidung an: Wollen sie in ihrer Mehrheit die Rolle als Vehikel des Konfliktschürens und der Kriegspropaganda mitspielen oder nehmen sie Partei für die weltweit wachsende Friedensbewegung?!
* Dr. Sabine Schiffer, Medienwissenschaftlerin; Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen; http://www.medienverantwortung.de/
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