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"Ein Codex der gegenseitigen Anerkennung und Annäherung" - "Werden sich öffentliche Schulen mittags in Moscheen verwandeln?"

Berichte und Pressekommentare zu den Ergebnissen der Islamkonferenz

Im Folgenden dokumentieren wir einen Bericht über die Islamkonferenz, die am 13. März 2008 in Berlin stattfand. Im Anschluss daran eine Reihe von Pressekommentaren dazu.
Die "Zwischenergebnisse" der Konferenz, die bereits vorab formuliert worden waren, haben wir hier dokumentiert: "Integration verlangt Zuwanderern ein höheres Maß an Anpassung ab".



Schäuble will Islamunterricht

Dritte Deutsche Islamkonferenz in Berlin ohne konkretes Ergebnis

Von Fabian Lambeck *


Zum dritten Mal trafen Politiker und Vertreter der in Deutschland lebenden Muslime zur sogenannten Islamkonferenz zusammen. An ihr nahmen auch religiöse Hardliner teil.

Kurz vor Beginn der Konferenz überraschte Innenminister Schäuble (CDU) mit seinem Vorstoß, es könne an deutschen Schulen zukünftig einen Islamunterricht geben. Wörtlich sagte der Minister gegenüber der Online-Zeitung sueddeutsche.de: »Wir gehen gegen Hassprediger mit allen Mitteln vor. Mit islamischem Religionsunterricht machen wir ihnen sozusagen Konkurrenz«. Nicht ohne Grund kam dieser Vorschlag so unmittelbar vor Beginn der Konferenz.

Der Bundesinnenminister steht unter Erfolgsdruck, denn die Islamkonferenz geht auf eine Idee Schäubles zurück. Bislang endeten die Treffen ohne konkrete Ergebnisse. Ein großes Problem ist die Zusammensetzung der Islamkonferenz. Die 30 Teilnehmer setzen sich paritätisch aus Vertretern der deutschen Politik und muslimischen Teilnehmern zusammen. Ein Großteil dieser Muslime vertritt gemäßigte Ansichten, einige stehen dem Islam sogar kritisch gegenüber. Nur vier Vertreter werden von islamischen Organisationen entsandt. Unter ihnen ist beispielsweise auch Mehmet Yilmaz, der Präsident des Verbandes der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). Dieser Verein betrieb Schülerwohnheime, in denen laut einer Studie des hessischen Sozialministeriums Jugendliche mit einem »strengstens Scharia-orientierten Islam« doktriniert wurden.

Kritiker der Islamkonferenz beklagen deshalb auch, dass die Bundesregierung reaktionären Kräften eine Bühne biete. Die umstrittenen Vereine strebten den Status einer Religionsgemeinschaft an.

Bislang sind Muslime in Deutschland keine anerkannte Religionsgemeinschaft, da es ihnen an einer übergeordneten Instanz fehlt. Die Teilnahme an der Konferenz bedeutet für die beteiligten Vereine eine enorme Aufwertung. Obwohl sie nur etwa zehn Prozent der in Deutschland lebenden Muslime repräsentieren, nimmt die deutsche Öffentlichkeit sie als Sprachrohr der Muslime wahr. Die Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek, als Repräsentantin der nicht-organisierten Muslime, kritisierte die »Starrköpfigkeit« der konservativen Vereine. Sie zitierte deren Vertreter Ali Kizilkaya mit den Worten: »Unsere Werteordnung ist nicht kompatibel«. Kizilkaya vertritt auch die Interessen von Milli Görüs, einem Verein, der in den 90er Jahren durch antisemitische Hetze für Debatten sorgte.

Der Grünen-Abgeordnete Josef Winkler kritisierte, dass die Islamkonferenz in der »zentralen Grundfrage« der Anerkennung islamischer Religionsgemeinschaften noch nicht weiter gekommen sei. Sevim Dagdelen (LINKE) nannte dessen Forderung nach islamischem Religionsunterricht falsch: »Statt sich für gleiche Rechte und soziale Gleichberechtigung einzusetzen, bricht Schäuble das Prinzip der staatlichen Nichteinmischung in Fragen von Religion und Weltanschauung.«

Die gestrige Konferenz ging ohne konkretes Ergebnis zuende. Zwar sprachen sich die Teilnehmer für den von Schäuble ins Spiel gebrachten Islamunterricht aus, allerdings gibt es den teilweise bereits. Die die saarländische Bildungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer betonte, dass im Rahmen eines Pilotprojektes bereits in neun Bundesländern ein entsprechendes Fach unterrichtet würde.

* Aus: Neues Deutschland, 14. März 2008

K o m m e n t a r e

Vera Graserow kommentiert in der Frankfurter Rundschau

(...) Jetzt hat die Runde mit ihrem "Zwischenresümee" sogar ein bemerkenswertes Dokument erstellt. Es besteht aus vielen Allgemeinplätzen, Formelkompromissen und Selbstverständlichkeiten - und liest sich doch wie ein Codex der gegenseitigen Anerkennung und Annäherung. Als eine nicht mehr wegzuleugnende Tatsache rückt der Islam aus der Schmuddel- und Angstecke auf Augenhöhe. Er hat die gleichen Rechte wie andere Religionen, sofern er sich an die deutsche Rechts- und die Werteordnung hält, wie sie im Grundgesetz steht. Erstmals werden klärende Leitlinien für den Islamunterricht an Schulen unter staatliche Aufsicht aufgestellt und fast noch bemerkenswerter: der Bau von Moscheen wird als "wichtiger Schritt zur Integration" ausdrücklich begrüßt. Grundlage für den Bau von Moscheen, so heißt es, ist allein das ortsübliche Bau- und Planungsrecht. Punkt. Was nach Selbstverständlichkeit klingt, rückt viele ideologisch überfrachtete Konflikte um neue Moscheen mit wohltuender Sachlichkeit auf eine nüchterne Basis namens Gleichberechtigung zurück.
Die deutsche Aufnahmegesellschaft mag diesen Codex auf Augenhöhe als Zumutung empfinden. Zugleich verlangt die Islamkonferenz, geschickt verpackt, aber deutlich genug, den Muslimen ein deutlich höheres Maß an Anpasssung ab. Nicht nur an die Gesetze Deutschlands, sondern auch an seine kulturellen und geschichtlichen Prägungen. Die klare Ansage heißt: Staat und Religion sind Grenzen gesetzt. Wer für seine Religion mit staatlichen Mitteln einen Machtanspruch will, hat den Codex verlassen. Ungewöhnlich klar auch haben sich die Vertreter der Muslime zu Sicherheitspartnerschaften mit deutschen Behörden und zum Kampf gegen Terrorismus verpflichtet und dabei auch eingestanden, dass es eine Gefahr durch hier aufgewachsene Terroristen auf islamischem Ticket gibt.

Fabian Lambeck (Neues Deutschland) geht mit dem Schulfach "Islam" ins Gericht und klagt eine Verbesserung des Bildungswesens für Migrantenkinder ein:

Bislang kannte man Wolfgang Schäuble nur als einen konsequenten Verfechter innerer Sicherheit. Jetzt wagt sich der Innenminister auf bildungspolitisches Glatteis. Schäuble fordert die Aufnahme des Fachs Islam in den Stundenplan deutscher Schulen. Nur so könne man, glaubt Schäuble, den islamistischen Hasspredigern etwas entgegensetzen. Seine Analyse greift zu kurz.
Das deutsche Bildungssystem ist ein zutiefst ungerechtes. Es bevorzugt die Kinder wohlhabender Eltern. Nirgendwo in Europa ist der Bildungsgrad so abhängig vom Einkommen der Eltern wie in Deutschland. Migranten gehören selten zur Gruppe der Großverdiener. Ihre Kinder verfügen oft über mangelhafte Sprachkenntnisse und enden in der schulischen Drittklassigkeit. Inzwischen verlassen zehn Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund die Schule ohne Abschluss. Hier liegt das eigentliche Problem. Unwissen ist ein fruchtbarer Nährboden für Gewalt und menschenverachtende Ideologien. Dies gilt für junge Rechtsradikale in Cottbus genauso wie für militante Islamisten. Unser gesamtes Schulsystem bedarf einer grundlegenden Reform, denn es produziert in letzter Konsequenz Unwissen, weil es Schüler aussortiert und abstempelt. Wer Extremismus bekämpfen will, muss bereit sein, dieses System zu reformieren. Gute Bildung ist der beste Schutz vor religiösem Terrorismus, das sollte auch Schäuble klar sein. Mit einem neuen Schulfach ist es nicht getan.

Zur Empfehlung, an deutschen Schulen Islamunterricht einzuführen, schreibt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG u.a.:

"Dass sich die Islamkonferenz auf einen Unterricht in deutscher Sprache und mit einer Lehrerausbildung in staatlicher Verantwortung geeinigt hat, ist nach den Diskussionen der vergangenen Jahre ein Fortschritt. Es liegt nun an den Muslimen, sich auf eine wie auch immer geartete Vertretung gegenüber den Kultus- und Innenministerien zu verständigen. Dass dies gelingen kann, zeigen Beispiele aus Niedersachsen und Baden-Württemberg, wo schon Islamunterricht erteilt wird. Indoktrination auf Hinterhöfen lässt sich vermutlich nicht verhindern, aber durch einen grundgesetzkonformen Unterricht neutralisieren".

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ergänzt:

"Spätestens die Woge der Emotionen rund um Ludwigshafen hat gezeigt: Freundliches Schweigen und oberflächliche Begegnungen bringen nichts. Sie verkleistern nur die Probleme, die immer größer werden - bis dahin, dass auch deutsche Frauen auf der Straße von arabischen Halbwüchsigen bedroht werden, weil sie kein Kopftuch tragen. Deshalb muss man richtig froh über das sein, was gerade in Berlin passiert: Da streiten sich Deutsche und Türken, Christen, strenggläubige und weltliche Muslime. Da wird nicht mehr darüber hinweggesehen, dass einer zwar sagt, Mann und Frau seien laut Grundgesetz gleichberechtigt, aber trotzdem Probleme damit hat, dass türkische Mädchen Schwimmunterricht erhalten sollen. Den Vorwurf, sein Ja zum Grundgesetz sei nur ein 'Lippenbekenntnis', muss er sich von einer Muslima anhören".

Die SCHWERINER VOLKSZEITUNG findet es bedenklich

"dass es der eher konservative Koordinationsrat der Muslime zu sein scheint, der beim Religionsunterricht künftig das Heft des Handelns in der Hand hat. Sein Sprecher Bekir Alboga kündigte an, mit eigenen Landesverbänden bei der Einführung des Unterrichts als Partner der Bundesländer fungieren zu wollen. Das aber wäre fatal. Denn einst wurde es auch von Schäuble als Erfolg gefeiert, dass in der Islamkonferenz die Vertreter der religiösen Dachverbände zusammen mit eher aufgeklärten, säkularen Muslimen an ein und demselben Tisch verhandelten. Hätte Alboga mit seinem Ansinnen Erfolg, blieben die Liberalen am Ende auf der Strecke".

Die HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG kritisiert:

"Allein die Vorstellung ist absurd, dass die deutschen Kultusbehörden den Richtungsstreit im Islam lösen sollen. Vielmehr kommt die Neutralitätspflicht des Staates wieder ins Spiel. Sie verwandelt sich freilich just in dem Augenblick in die Pflicht zum Eingreifen, in dem im Islamunterricht Inhalte vermittelt werden, die der Verfassung dieses Landes widersprechen. Das klingt selbstverständlich. Aber kann diese Regel wirklich eingehalten werden, wenn es um die Scharia geht, das islamische Recht, oder um die Stellung der Frau in der Gesellschaft? Solche Fragen müssen beantwortet werden, sonst wächst an den Schulen die Unruhe - nicht die Toleranz".

Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm geht auf den baden-württembergischen Modellversuch ein. Dort lernen die Kinder

"einen Islam kennen, der Bezug nimmt auf ihre deutsche Lebenswelt - nicht nur, weil Deutsch Unterrichtssprache ist. So kann der Islamunterricht, unter staatlicher Aufsicht, in deutscher Sprache und in Zusammenarbeit mit Muslimen erarbeitet, einen wichtigen Beitrag zur Integration leisten. Islamkunde als reines Informationsfach ohne Erziehung zum Glauben könnte dies nicht. Ein solches Angebot würde schlicht nicht akzeptiert. Wie groß das Bedürfnis islamischer Eltern nach religiöser Erziehung ihrer Kinder ist, zeigt der Zulauf zu den Koranschulen".

Auch im Berliner "Tagesspiegel" befasst sich die Kommentatorin vor allem mit dem Islamunterricht in Schulen:

Die meisten Deutschen sind froh, dass ihre Kinder in der Schule nicht mehr die Hände zum Gebet falten müssen. Nun kommen muslimische Jugendliche und wollen genau dies – in der Schule beten. Es zeigt sich einmal mehr, dass die hier lebenden Muslime ein Phänomen wiederbeleben, das viele für gestrig und tot gehalten haben: öffentlich gelebter Glaube. Was, wenn 400 Schüler auf einmal auf dem Gebetsteppich niederknien? Werden sich öffentliche Schulen mittags in Moscheen verwandeln? Die einen sorgen sich um die säkulare Verfasstheit der Gesellschaft, andere sehen schon Dschihadisten im Klassenraum stehen. Die Aufregung ist groß, wie immer, wenn es um Muslime in Deutschland geht. (...)
Und doch geht es voran. So sind sich alle einig, dass es islamischen Religionsunterricht auf Deutsch an den Schulen geben soll. Bis zur Umsetzung werden Jahre vergehen, aber wer hätte eine solche Ankündigung vor fünf Jahren für möglich gehalten? Auch, dass Schäuble noch nie mit dem Ausstieg gedroht hat, ist ein Erfolg. Immer wieder weist er darauf hin, dass nicht nur konkrete Ergebnisse wichtig sind, sondern bereits die Tatsache, dass man miteinander spricht. Recht hat er. Gut möglich, dass Schäubles Zurückhaltung während des hessischen Wahlkampfs und seine wohltuenden Beschwichtigungsversuche nach der Rede des türkischen Premiers Erdogan eine Folge dieser Gespräche waren. Schäuble lässt sich trotz großer Kritik nicht davon abbringen, auch jene Verbände einzuladen, vor denen seine eigenen Verfassungsschützer warnen. Beten? Warum nicht, sagen die Kinder, deren Klassenkameraden mittags das Haupt gen Mekka wenden wollen. Miteinander reden kann helfen gegen die Angst. Es kann auch helfen, Radikalismen abzuschleifen. Es hilft nicht immer. Aber eine Alternative gibt es nicht.

Alle Kommentare aus den Tageszeitungen vom 14. März 2008.
Quellen: Die Websites der Zeitungen sowie der Pressespiegel des Deutschlandradios. (www.dradio.de)



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