Alles Terror?
Die Antiterrordatei zeigt, wie wenig das Trennungsgebot zwischen Geheimdienst und Polizei noch wert ist
Von Ines Wallrodt *
Die Antiterrordatei soll Anschläge
verhindern und führt dazu Informationen
aus höchst unterschiedlichen
Quellen zusammen. Ob damit der Unterschied
zwischen Polizei und Geheimdienst
noch besteht, ist eine der
spannendsten Fragen, die Karlsruhe
beantworten muss.
»Wer dort drin steht, wird als Terrorist
gelten.« Auf diesen Punkt
brachte der Grünen-Politiker
Wolfgang Wieland die Kritik der
Opposition an der zentralen Antiterrordatei
von Polizei und Geheimdiensten,
als Union und SPD
2006 ihre Einrichtung beschlossen.
Vielleicht landet nicht gleich
der Gemüsehändler eines Verdächtigen
auf der Liste, aber sein
unbescholtener Onkel könnte
durchaus ins Visier geraten und
somit bei Nachrichtendiensten genauso
aktenkundig sein wie bei der
örtlichen Polizei. Denn anders als
der Name nahelegt, erfasst die Antiterrordatei
weit mehr als aktive
Unterstützer terroristischer Vereinigungen.
Der Kreis der Betroffenen
ist um ein Vielfaches größer.
Hinein gelangen Personen, die
Gewalt welcher Art befürwortet
haben sollen, was nicht nur den
Bezug zu Terrorismus offen, sondern
auch den Unterschied zwischen
Gesinnung und Tat verschwinden
lässt. Die Datei enthält
Informationen, die das Bundeskriminalamt
über vermutete Störer des G8-Gipfels in Heiligendamm
zusammengestellt hat genauso wie
seine Einträge erkennungsdienstlich
behandelter Personen. Unüberschaubar
wird es schließlich, weil Menschen gespeichert werden,
die selbst weder Anschlagspläne
hegen, noch Gewalt predigen,
noch etwas von solchen Bestrebungen
in ihrem Umfeld wissen. Es genügt, dass sie mit Personen
in Kontakt stehen, bei denen es
Anhaltspunkte für terroristische
Ziele oder »Gewaltbefürwortung«
gibt. Kriterien für diese Einstufungen
liefert das Gesetz nicht. Nach
Auskunft der Bundesregierung
sind fast 18 000 Personen in der
Datenbank gespeichert, die Mehrzahl
sollen ausländische Staatsbürger
sein. Eingespeist werden
ihre Daten von Zoll und Polizei, von
allen Verfassungsschutzbehörden,
vom Bundesnachrichtendienst bis
hin zum Militärischen Abschirmdienst.
Ihnen allen ist auch der Zugriff
erlaubt.
Die Antiterrordatenbank ist eines
von vielen Instrumenten, mit
denen der Staat seine Sicherheitsorgane
seit den Anschlägen vom
11. September 2001 aufgerüstet
hat. Sie lässt sich im Grunde nicht
isoliert betrachten. Die Reichweite
von Verfassungsbeschwerden gegen
einzelne Sicherheitsgesetze ist
daher begrenzt. Nötig wäre eine
Gesamtschau, die allerdings weniger
Karlsruhe zu liefern hätte, als
die Politik. Doch die Regierungen
der letzten zehn Jahre haben darauf
verzichtet, ihre Hyperaktivität
in diesem Bereich zu hinterfragen.
Auch die nun erstmals geplante
Evaluierung der Sicherheitsgesetze
ändert daran nichts. Die Ergebnisse
der dafür eingesetzten Kommission
werden zu spät vorliegen,
als dass davon vor der Bundestagswahl
noch politische Konsequenzen
zu erwarten sind.
Gleichwohl kommt der im März
2007 gestarteten Antiterrordatei
eine besondere Bedeutung zu. Zum
einen schreibt sie die Entwicklung
fort, dass fast alle Gesetze zur Terrorabwehr
den Unterschied zwischen
Polizei und Geheimdiensten
durch überlappende Zuständigkeiten
und gemeinsame Abwehrzentren verwischen. Zugleich markiert sie
einen qualitativen Sprung. Erstmals dürfen die für Strafverfolgung
zuständigen Behörden
die gleichen Datenbestände nutzen
wie die Stellen, deren Geschäft
verdeckte Operationen, Mutmaßungen,
Verdächtigungen sind. In
der Datei vermischen sich somit
polizeilich ermittelte Fakten mit
ungesicherten und unüberprüfbaren
Annahmen der Geheimdienste
über terroristische Bestrebungen.
Dass die deutschen Geheimdienste
Informationen über bevorstehende
Straftaten an die Polizei
weitergeben, stellt das Trennungsgebot
noch nicht in Frage.
Sie sind dazu bei Gefahr für Leib
und Leben verpflichtet. Im Zusammenhang
mit den Morden des rechtsextremen NSU-Netzwerks ist
gerade das Ausbleiben dieser Mitteilung
der Skandal. So hat der Verfassungsschutz nachweislich
V-Männer vor geplanten Festnahmen
gewarnt. Die Antiterrordatei
ist dafür das perfekte Werkzeug,
befand der Chaos Computer Club in
seiner Stellungnahme für das
Bundesverfassungsgericht. Geheimdienste
könnten damit die Anfragen der Polizeien nach verdeckten
Daten sehen und entsprechend
Maßnahmen ergreifen.
Unproblematisch ist der Informationsaustausch,
wie ihn die zentrale Verbunddatei ermöglicht,
deshalb nicht. Je mehr sich die Ermittlungsarbeit
digitalisiert, desto
mehr entscheidet sich hier, was die
geforderte Unterscheidung zwischen
Geheimdienst und Polizei
praktisch noch wert ist. »Wenn die
gemeinsame Nutzung der gewonnen
Daten zur Dauererscheinung
wird, wird das Trennungsgebot
unterlaufen«, betont die LINKEInnenexpertin
Ulla Jelpke.
Die meisten Anfragen in dem
System startet die Polizei. Auf diesem
Wege fließen Informationen in
ihre Arbeit ein, die sie selbst nicht
hätte erheben dürfen, weil kein
Richter dafür seine Zustimmung gegeben hätte.
Was spielt es da noch für eine Rolle,
dass der Polizei selbst geheimdienstliche
Methoden verboten sind? Personell
und räumlich sind die Behörden
noch getrennt, dafür sind die Informationskanäle
vereint.
Zwischen den Sicherheitsbehörden
fließen die Informationen
leichter, für Bürger stellt sich die
Antiterrordatei hingegen als digitaler
Hochsicherheitstrakt dar. In
der Regel erfährt der Betroffene
nichts von seiner Verdatung oder
erst, wenn er am Flughafen verhört
wird. Wer herausfinden will, ob
sein Name in der Datenbank auftaucht,
muss sich an die Stelle
wenden, die ihn eingespeist hat –
wofür derzeit 60 Behörden in Frage
kommen. Es steht also nicht eine
einzelne Auseinandersetzung an,
sondern viele. Selbst wer die Löschung
oder Berichtigung bei einer
Behörde erreicht, gewinnt die Hoheit
über seine Daten nicht zurück.
Denn andere Behörden verarbeiten
die alten Daten möglicherweise
längst weiter. Es ist diese Machtverschiebung
zwischen Staat und
Bürger, die nun ein weiteres Sicherheitsgesetz
vor Gericht gebracht
hat.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 24. April 2013
Von Erfolg zu Erfolg
Friedrichs Bundesinnenministerium legt Bilanz über die vergangenen vier Jahre vor
Von René Heilig **
Im Herbst werden die politischen Kräfteverhältnisse neu gemischt. Da will die Regierung ihre Leistungen beizeiten ins rechte Licht stellen. Das Innenministerium, so bestätigt Hausherr Friedrich mit seiner Unterschrift, habe »in der gesamten Breite des Aufgabenspektrums ... viele wichtige Vorhaben erfolgreich umgesetzt«.
Innenpolitisches Handeln, so stellt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in der zu Wochenbeginn veröffentlichten Bilanz voran, sei »oft geprägt durch das Abwägen zwischen Sicherheit und Freiheit. Sicherheit bietet die Grundlage, auf der sich die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger entfalten kann«.
Damit niemand die angedeutete Dialektik zu sehr in Richtung Bürgerrechte interpretieren kann, fügt Friedrich an: »Die Abwägung darf nicht einseitig zu Lasten der Freiheit gehen.«
Die Antiterrordatei soll Anschläge verhindern und führt dazu Informationen aus höchst unterschiedlichen Quellen zusammen. Ob damit der Unterschied zwischen Polizei und Geheimdienst noch besteht, ist eine der spannendsten Fragen, die Karlsruhe beantworten muss. Mehr
Zahlen und Fakten Antiterrordatei
Und so betont Friedrich denn auch zuerst, dass man die unter Rot-Grün installierten Antiterrorgesetze 2011 um weitere vier Jahre verlängert hat. Vermutlich bestehe weiterer gesetzgeberischer Bedarf, weshalb bereits im Januar 2013 eine gemeinsame Regierungskommission von Bundesinnen- und Bundesjustizministerium die Arbeit aufgenommen hat.
Lobend hebt Friedrich diverse Abwehrzentren und Verbunddateien hervor. Nach dem Vorbild des »seit acht Jahren erfolgreich operierenden Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ), in dem sich die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern zwecks Bekämpfung des islamistischen Terrorismus austauschen«, entstand im November 2012 das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums (GETZ).
Damit steht den Experten von Geheimdiensten, Polizei, Zoll und Justiz eine zusätzliche Kommunikationsplattform zur Verfügung, mit der sie in Echtzeit über »Informationen und Erkenntnisse aus den Phänomenbereichen Ausländerextremismus/Ausländerterrorismus, Linksextremismus/Linksterrorismus und Spionage/Proliferation austauschen können«.
Nachdem die Rede ist von rund 4500 zumeist gefährlichen Salafisten und sich das Ministerium ob der Erstellung einer Visawarndatei sowie angeblich verbesserter Luftfrachtsicherheit gelobt hat, widmet man sich der »Bekämpfung von rechtsextremistischer Gewalt und Rechtsterrorismus«.
Etwas verwundern muss schon, dass das Ministerium von der »Aufdeckung« der rechtsextremistischen NSU-Terrorzelle spricht. Zur Bilanz der vergangenen vier Jahre gehört vor allem, dass die Aufklärung der zehn rassistisch motivierten Morde und mehrerer Anschläge ausblieb. Wichtig ist dem Innenminister, dass man einen Maßnahmenkatalog vorgelegt hat, »dessen Schwerpunkt auf einer künftig besseren Koordinierung der Arbeit von Polizeien und Verfassungsschutzbehörden liegt«. Herausgestellt wird »die Inbetriebnahme der Verbunddatei Rechtsextremismus (RED)«.
Das nach dem Auffliegen des NSU Ende 2011 eingerichtete Gemeinsame Abwehrzentrum Rechts (GAR) wurde inzwischen in das GETZ integriert. Erwähnt wird die 1000-seitige Materialsammlung zu dem bislang nur vom Bundesrat angestrebten NPD-Verbot. Über die mangelnde Qualität des Materials findet sich kein Wort. Friedrich hebt weiter hervor, dass Bund und Länder 39 rechtsextremistische Vereine verboten haben.
Fast doppelt so lang wie das Kapitel Rechtsextremismus ist das über die »Bekämpfung linksextremistischer Gewalt«. Es ist relativ inhaltsleer, doch gelangen die Autoren des Berichts dennoch zur Wertung, dass - obwohl die Fallzahlen politisch motivierter Kriminalität sinken - die »gegen Leib und Leben gerichteten linksextremistischen Gewalttaten« zunehmen.
Thema in der Lobesbilanz sind natürlich die angebliche Notwendigkeit einer Onlinedurchsuchungsmöglichkeit sowie Mindestspeicherfristen von Telekommunikationsverbindungsdaten.
Nicht fehlen kann die »Reform« des Verfassungsschutzes. Dass eine notwendig wurde, liegt - siehe Bericht - nicht etwa am grandiosen Versagen gegenüber den rechtsextremen Feinden der Demokratie. Nein, man will nur »den Modernisierungsprozess weiter vorantreiben«.
** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 24. April 2013
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