Davos - Porto Alegre:
Für die Große Transformation. Neue Modelle schaffen.
Von Leo Mayer *
Unter dem Motto "Die große Transformation. Neue Modelle schaffen" hatten sich Ende Januar
Konzernbosse und SpitzenpolitikerInnen im schweizerischen Davos zum Weltwirtschaftsforum
versammelt. Der Kapitalismus könne nicht bleiben wie er ist, sagte Klaus Schwab, der Davos
Gründer. Zeitgleich schallte aus dem 12.000 km entfernten Porto Alegre die Antwort über den
Atlantik: "Wir sind die 99 Prozent des Planeten, gegen ein Prozent der Reichen". Das
Weltsozialforum tagte unter dem Motto "Kapitalistische Krise, soziale und ökologische
Gerechtigkeit - Eine andere Welt ist möglich" an dem Ort, an dem es vor elf Jahren begonnen
hatte.
Davos war früher ein Luftkurort für Lungenkranke und Schwindsüchtige. Jetzt kommen alljährlich
die "Eliten" der Weltwirtschaft und die SpitzenpolitikerInnen ins entlegene Graubündner Alpental,
um über den Kapitalismus zu diskutieren. 40 Staats- und Regierungschefs, 1.600 Unternehmer
und Minister aus 19 der G20-Länder waren es diesmal. Wurde bei den früheren Treffen die
neoliberale Globalisierung in Siegerlaune gefeiert, so standen diesmal der kranke Euro, die
Schwindsucht der Weltwirtschaft, die Krise des Kapitalismus und die Angst vor Rezession und
Depression auf der Tagesordnung. "Wir sind das Sanatorium der Welt", versuchte der Gründer
des Davoser Weltwirtschaftsforums (WEF), Klaus Schwab, bei der Eröffnung zu beruhigen.
Das System ist längst überholt
"Das System, das uns in die Krise geführt hat, ist längst überholt, aber wir verleugnen diese
Realität zu unserem eigenen Nachteil", hatte er allerdings in einem Interview mit der Financial
Times Deutschland in Vorbereitung des WEF noch geäußert. Kritische Diskussion seien durchaus
notwendig, meinte er mit Blick auf die Occupy-Bewegung, jedoch würden die "Proteste dann
gefährlich, wenn sie als Klassenkampf angesehen werden". Arthur Rubinstein, Mitbegründer des
US-Finanzinvestors Carlyle, war in Davos dann ebenfalls der Meinung: "Das Spiel ist bald aus für
die Art des Kapitalismus, die wir bisher erlebt haben. Wir haben dafür drei bis vier Jahre, um
unsere Probleme zu lösen."
Doch außer Reden über einen "grünen" und "nachhaltigen Kapitalismus" und eine bessere
Regulierung der Finanzmärkte blieb die Frage, wie die "neuen Modelle" des Kapitalismus denn
aussehen könnten, auf dem Davoser Treffen doch noch ziemlich im Allgemeinen und umstritten.
Zwar bekam jede TeilnehmerIn die Tagungsunterlagen in einer Tasche mit der Aufschrift
"Entschlossen, den Zustand der Welt zu verbessern", aber diesen liegt dann doch mehr am
Herzen, diese "drei bis vier Jahre" zu nutzen, um die Welt noch besser auszubeuten.
Gescheiterte Rezepte werden jetzt für Europa vorgeschlagen
Zeitgleich trafen sich in Porto Alegre, Brasilien, die HerausforderInnen dieser ungerechten
Weltwirtschaftsordnung. Im Jahr 2001 hatte hier das erste Weltsozialforum (WSF) stattgefunden.
In diesen elf Jahren hat sich die Welt gewandelt. So hat Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff die
Einladung zum Kapitalisten-Treffen in der Schweiz ausgeschlagen und war nach Porto Alegre
gereist.
"Unsere Länder opfern angesichts des Drucks von Finanzgruppen und Ratingagenturen nicht ihre
Souveränität", sagte sie dort und verwies darauf, dass in Lateinamerika "ein Pol von Entwicklung
und Demokratie" aufgebaut werde. Lateinamerika finde "progressive und demokratische
Antworten auf die internationalen Ungleichgewichte", während der Sparzwang zu Arbeitslosigkeit,
Ausländerfeindlichkeit, Autoritarismus und einer Lähmung des Kampfes gegen die
Klimakatastrophe führe. "Wir kennen diese Geschichte aus den 80er und 90er Jahren, als das
neoliberale Modell unser Land in die Stagnation geführt hat, zum Verlust demokratischen und
souveränen Raumes, als Armut, Arbeitslosigkeit und sozialer Ausschluss vertieft wurden. Heute
werden diese gescheiterten Rezepte in Europa vorgeschlagen", warnte sie und rief zum
Widerstand gegen die neoliberale Politik auf.
"Die große Transformation" stand auch in Porto Alegre auf der Tagesordnung. Der Chef der
Welternährungsorganisation FAO erklärte: "Der Kampf gegen den Hunger ist nicht ein Kampf
einer einzelnen Regierung. Es ist die Gesellschaft, die vereint entscheidet, dass der Hunger aufhört." Damit der Hunger aufhört, müsse der neoliberale Kapitalismus überwunden werden -
diese Einsicht einigt das vielfältige Volk des WSF.
Die ökologische Frage hatte bei diesem Treffen einen höheren Stellenwert. Geht es doch auch
darum, für den im Juni in Rio anstehenden UN-Umweltgipfel "Rio+20" ein Alternativprogramm zu
erarbeiten. Der portugiesische Soziologe Boaventura Sousa Santos warnte in Porto Alegre,
"Rio+20" werde lediglich den Kapitalismus bestätigen. Ein "grüner Kapitalismus" sei keine Lösung
für die Probleme der Armen, der Umwelt oder der Menschenrechte. "Wir müssen andere
ökologische, postkapitalistische Modelle finden."
Hugo Braun, Mitglied des Koordinierungskreises von Attac Deutschland und des Internationalen
Rates des Weltsozialforums, sagte in einem Interview mit dem ZDF: "Vergleichen wir die
Umweltsituation mit der vor 20 Jahren, so müssen wir konstatieren, dass es leider viel schlimmer
statt besser geworden ist. Wir strapazieren die Erde maßlos. Dabei zeigt sich, dass das
marktwirtschaftliche System offensichtlich nicht in der Lage ist, unsere größten Probleme zu
lösen. Das Streben nach Profiten und Gewinnmaximierung kann die Umwelt nicht retten." Und
weiter: "Es geht darum, welches Wachstum wir fördern und wofür wir unsere endlichen
Ressourcen einsetzen. Für die Rüstungsindustrie etwa werden riesige Milliardensummen völlig
unnütz verpulvert! Dazu kommen die Unsummen von Produkten, die kein Mensch wirklich
braucht, die nur ein oberflächliches Konsumbedürfnis befriedigen. Dagegen brauchen wir
Wachstum bei der Bildung, beim Ausbau des Gesundheitswesens und der ökologisch verträglichen
Landwirtschaft. Wir brauchen einen Systemwechsel! Wir müssen Alternativen zum
krisengebeutelten Kapitalismus entwickeln und uns fragen, welche Zukunft wir wollen. Wie wollen
wir zusammenleben? Wie wollen wir den Hunger beenden in einer an sich reichen Welt? Wie
wollen wir nachhaltig und fair miteinander wirtschaften? Wir wissen aber bereits, dass im
Mittelpunkt des neuen Systems eine solidarische, Ressourcen schützende Ökonomie stehen muss.
Jeder soll eine faire Lebenschance bekommen - unabhängig davon, wo er geboren wurde. Das
heißt: Es geht auch um die Verteidigung elementarer Menschenrechte. In dieser
Programmdiskussion befinden wir uns."
Grüner Kapitalismus keine Lösung
In der
Abschlusserklärung der Versammlung der sozialen Bewegungen (Anlage) wird die
Schlussfolgerung gezogen:
"Die globale Erwärmung ist das Ergebnis des kapitalistischen Systems der Produktion, der
Verteilung und des Verbrauchs. Transnationale Konzerne, Finanzinstitutionen, Regierungen und
internationale Institutionen, die dem System dienen, wollen die Treibhausgase nicht reduzieren.
Jetzt versuchen sie, die "grüne Ökonomie" als Lösung für die Umwelt- und Lebensmittelkrise
durchzusetzen, was das Problem nicht nur verschärft, sondern auch zur weiteren Vermarktung,
Privatisierung und Kapitaldurchdringung des Lebens führt. Wir weisen all diese falschen
'Lösungen' dieser Krisen zurück, einschließlich Biosprit, GMOs, Geoingeneering und
Kohlenstoffmärkten, weil sie alle nur neue Masken des Systems sind.
(...)
Wir erklären, dass die Menschen nicht weiterhin für diese Systemkrise bezahlen müssen und dass
es keine Lösung innerhalb des kapitalistischen Systems gibt!
Auf der Tagesordnung stehen massive Herausforderungen, die von uns verlangen, unsere Kämpfe
und unsere Massenmobilisierungen zu vernetzen.
Inspiriert durch die Geschichte unserer Kämpfe und die Stärke von Bewegungen wie dem
Arabischen Frühling, Occupy Wall St., den "Empörten" und den Kämpfen der chilenischen
Studenten, ruft die Versammlung der Sozialen Bewegungen die Volkskräfte und die Aktivisten
aller Länder auf, zu Aktionen zu mobilisieren, die weltweit koordiniert werden, um zur
Emanzipation und zur Selbstbestimmung der Menschen beizutragen und den Kampf gegen den
Kapitalismus zu verstärken."
* Quelle: Website des isw München, http://www.isw-muenchen.de
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