"Die Menschen in der ganzen Welt leiden unter der Zuspitzung einer grundlegenden Krise des Kapitalismus"
Die Abschlusserklärung des Weltsozialforums 2012 von Porto Alegre (im Wortlaut, deutsche Übersetzung)
DOKUMENTIERT:
Erklärung der Versammlung der Sozialen Bewegungen
Porto Alegre (RS), Brasilien, 31. Januar 2012
Wir, Menschen aus allen Kontinenten, hier in der Versammlung der Sozialen Bewegungen beim
Sozialforum zum Thema „Kapitalistische Krise, soziale und ökologische Gerechtigkeit“
zusammengekommen, kämpfen gegen die Ursachen einer Systemkrise, die als ökonomische,
finanzielle, politische, Nahrungsmittel- und Umweltkrise bezeichnet wird und das Überleben der
Menschheit gefährdet. Unterdrückte Völker zu entkolonialisieren und dem Imperialismus
entgegenzutreten - das ist die wichtigste Herausforderung der sozialen Bewegungen überall in der
Welt.
In diesem Rahmen treffen wir uns, die wir in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen wurzeln,
um gemeinsame Ziele und Aktionen gegen Kapitalismus, Formen des Patriarchats, Rassismus und
jede Form von Unterdrückung und Diskriminierung gemeinsam zu verabreden. Deshalb
bestätigen wir unsere gemeinsamen Ziele, die wir 2011 in Dakar angenommen haben:
- Kampf gegen die transnationalen Konzerne
- Kampf für Klimagerechtigkeit und Souveränität bei den Nahrungsmitteln
- Kampf gegen Gewalt gegen Frauen
- Kampf für Frieden und gegen Krieg, Kolonialismus, Besetzungen und Militarisierung unserer Territorien.
Die Menschen in der ganzen Welt leiden unter der Zuspitzung einer grundlegenden Krise des
Kapitalismus, in der ihre Akteure (Banken, transnationale Konzerne, Medienkonglomerate,
internationale Institutionen und willfährige Regierungen) versuchen, ihre Profite zu erhöhen,
indem sie interventionistische und neokoloniale Politikformen durchzusetzen versuchen. Krieg,
militärische Besetzungen, neoliberale Freihandelverträge und „Sparmaßnahmen“ in Form von
Wirtschaftspaketen, die Staatsunternehmen privatisieren, beschneiden Löhne und Rechte,
erhöhen die Arbeitslosigkeit und plündern die nationalen Ressourcen aus. Eine solche Politik trifft
die reicheren Nationen des Nordens härter und führt zu mehr Auswanderung, erzwungener
Umsiedlung, Ausweisung, Schulden und sozialer Schieflage.
Die diskriminierende Logik dieses Modells führt nur dazu, dass eine kleine Elite reicher wird - auf
Kosten der großen Mehrheit der Bevölkerung, sowohl im Norden als auch im Süden. Die
Verteidigung der Souveränität und der Selbstbestimmung des Volkes sowie der sozialen,
wirtschaftlichen, umweltpolitischen und geschlechtsbezogenen Gerechtigkeit ist der Schlüssel
dafür, aus der Krise herauszukommen, wobei die Rolle des Staates gegenüber den Konzernen und
zum Wohle des Volkes gestärkt werden muss.
Die globale Erwärmung ist das Ergebnis des kapitalistischen Systems der Produktion, der
Verteilung und des Verbrauchs. Transnationale Konzerne, Finanzinstitutionen, Regierungen und
internationale Institutionen, die dem System dienen, wollen die Treibhausgase nicht reduzieren.
Jetzt versuchen sie, die „grüne Ökonomie“ als Lösung für die Umwelt- und Lebensmittelkrise
durchzusetzen, was das Problem nicht nur verschärft, sondern auch zur weiteren Vermarktung,
Privatisierung und Kapitaldurchdringung des Lebens führt. Wir weisen all diese falschen
„Lösungen“ dieser Krisen zurück, einschließlich Biosprit, GMOs, Geoingeneering und
Kohlenstoffmärkten, weil sie alle nur neue Masken des Systems sind.
Rio +20 im nächsten Juni in Rio de Janeiro, 20 Jahre nach ECO 92, untermauert die Wichtigkeit
des Kampfes für Umweltgerechtigkeit statt des Modells der kapitalistischen Entwicklung. Der
Versuch, den Kapitalismus durch neue Instrumente einer „grünen Wirtschaft“ grün zu waschen
bedeutet für uns, die sozialen Bewegungen, eine Herausforderung, unseren Widerstand zu
verstärken und die führende Rolle dabei zu übernehmen, echte Alternativen zur Krise
aufzuzeigen.
Wir verurteilen die regelmäßige Gewalt gegen Frauen, um ihr Leben und ihre Körper zu
kontrollieren ebenso wie die erhöhte Ausbeutung ihrer Arbeit, um die Krisenauswirkungen
abzufedern und kontinuierliche Profitraten für die Konzerne zu gewährleisten. Wir kämpfen gegen
den Handel mit Frauen und Kindern und gegen Rassismus. Wir verteidigen sexuelle
Unterschiedlichkeit, das Recht geschlechtlicher Selbstbestimmung und wir kämpfen gegen
Fremdenfeindlichkeit und sexistische Gewalt.
Imperialistische Mächte nutzen im Ausland stationierte Militärbasen, um Konflikte anzuheizen,
nationale Ressourcen zu kontrollieren und an sich zu reißen und Diktaturen in verschiedenen
Ländern zu fördern. Wir verurteilen die falschen Reden über die Verteidigung von
Menschenrechten, die diese militärischen Besetzungen oft zu rechtfertigen versuchen. Wir sind
gegen die andauernden Verletzungen der Menschen- und demokratischen Rechte in Honduras,
besonders in Bajo Aguan, gegen die Attentate gegen Gewerkschaftsführer und Sozialaktivisten in
Honduras und gegen die kriminelle Blockade gegen Cuba, die nunmehr im 50. Jahr stattfindet.
Wir kämpfen für die Freilassung der fünf Cubaner, die gesetzwidrig in den USA eingesperrt sind,
gegen die illegale Besetzung der Malvinas Inseln durch Großbritannien, gegen die Folterungen
und die militärische Besetzung von Libyen und Afghanistan durch US- und NATO- Kräfte. Wir
klagen den Neokolonialismus und den Militarisierungsprozess an, den der afrikanische Kontinent
erlebt, ebenso wie das Wirken von Africom. Wir kämpfen ebenso für die Abschaffung aller
Kernwaffen und gegen die NATO.
Wir solidarisieren uns mit den Völkern der Welt, die gegen die räuberische und neokoloniale Logik
der Industrie zur Gewinnung von Naturprodukten und gegen die transnationale Bergbauindustrie
kämpfen, insbesondere mit den Menschen in Famatina in Argentinien und wir verurteilen die
Kriminalisierung der sozialen Bewegungen.
Der Kapitalismus zerstört das Leben der Menschen. Trotzdem entwickeln sich jeden Tag viele
Kämpfe für soziale Gerechtigkeit, um die Auswirkungen des Kolonialismus zu beseitigen und eine
würdige Lebensqualität für Alle zu ermöglichen. Jeder dieser Kämpfe beinhaltet einen Kampf der
Ideen, der Aktionen für die Demokratisierung der Medien, die zur Zeit durch große Konglomerate
kontrolliert werden, erfordert, ebenso wie Aktionen gegen die private Kontrolle des geistigen
Eigentums. Gleichzeitig verlangt dieser Kampf die Entwicklung unabhängiger
Kommunikationsmittel, die diese Prozesse begleiten.
Unseren historischen Kämpfen verpflichtet, verteidigen wir würdige Arbeit und Landreformen als
den einzigen Weg, familiäre, bäuerliche und indigene Landwirtschaft zu stärken und als den
entscheidenden Schritt, Souveränität über die Nahrungsmittel und Umweltgerechtigkeit zu
erreichen. Wir bestätigen unsere Unterstützung des Kampfes für Städtereformen als
fundamentales Mittel, faire Städte aufzubauen, die Räume für Mitbestimmung und Demokratie
ermöglichen. Wir verteidigen den Aufbau einer alternativen Integration, die auf Solidarität beruht
und Prozesse wie UNASUR und ALBA stärkt.
Der Kampf für die Stärkung der öffentlichen Bildung, der Wissenschaft und der Technologie zum
Wohle des Volkes, ebenso wie der Kampf um die Verteidigung traditionellen Wissens kann nicht
aufgeschoben werden, denn diese Bereiche werden zunehmend zur Ware gemacht und
privatisiert. Deshalb erklären wir unsere Solidarität mit den Studenten in Chile, Kolumbien, Puerto
Rico und weltweit, die weiterhin für die Verteidigung dieser Gemeinschaftsgüter demonstrieren.
Wir erklären, dass die Menschen nicht weiterhin für diese Systemkrise bezahlen müssen und dass
es keine Lösung innerhalb des kapitalistischen Systems gibt!
Auf der Tagesordnung stehen massive Herausforderungen, die von uns verlangen, unsere Kämpfe
und unsere Massenmobilisierungen zu vernetzen.
Inspiriert durch die Geschichte unserer Kämpfe und die Stärke von Bewegungen wie dem
Arabischen Frühling, Occupy Wall St., den „Empörten“ und den Kämpfen der chilenischen
Studenten, ruft die Versammlung der Sozialen Bewegungen die Volkskräfte und die Aktivisten
aller Länder auf, zu Aktionen zu mobilisieren, die weltweit koordiniert werden, um zur
Emanzipation und zur Selbstbestimmung der Menschen beizutragen und den Kampf gegen den
Kapitalismus zu verstärken.
Wir rufen zur Unterstützung des internationalen Menschenrechtstreffens der Solidarität mit
Honduras und für die Bildung eines freien palästinensischen Sozialforums auf, um die weltweite
Bewegung des Boykotts, der Zurückziehung von Investitionen und der Sanktionen gegen den
Staat Israel und gegen seine Apartheidpolitik gegen das palästinensische Volk zu stärken.
Wir fordern die Aktivisten der ganzen Welt auf, ab dem 5. Juni auf die Straßen zu gehen, um sich
an der weltweiten Aktion gegen den Kapitalismus zu beteiligen und den Gipfel der Völker für
Soziale- und Umweltgerechtigkeit, gegen die Vermarktung des Lebens und für die Verteidigung
der Gemeinschaftsgüter zu unterstützen, der im Rahmen von Rio+20 stattfinden wird.
Wenn wir heute kämpfen, gehört die Zukunft uns!
Porto Alegre, 28. Januar 2012
Versammlung der Sozialen Bewegungen
(Übersetzung aus dem Englischen: Jürgen Köster)
Quelle: isw-Website; http://www.isw-muenchen.de
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