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Frauen, Krieg und Frieden

Kriegsgegnerinnen aus den USA und aus Irak fordern ein Ende der Gewalt im Zweistromland - Frauenorganisationen fordern mehr Mitsprache

Von Wolfgang Kötter*

Der Krieg ist männlich. Sagt man.

Auf der Welt von heute sterben in etwa vierzig Kriegen und bewaffneten Kämpfen Hunderttausende Menschen. Zu den opferreichsten Konflikten gehört der Irakkrieg. Selbst in den USA weicht die anfängliche Kriegsunterstützung von Zweidritteln der Bevölkerung allmählich der öffentlichen Kritik, vor allem seitdem die Zahl der Toten im vergangenen Jahr 2.000 überschritt. Weitere 300 sind seither hinzugekommen. Vom Sitzprotest der Soldatenmutter Cindy Sheehan vor Bush‘s Ranch in Texas bis zu immer dringlicheren Rückzugsforderungen aus dem Capitol wächst der Widerstand. Tote mussten auch die andere Teilnehmer der Kriegsallianz beklagen, und die Regierungen registrieren ihre gefallenen Kämpfer. Dass jedoch bis zu 100.000 Zivilisten im Irak ihr Leben verloren haben, wie das Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien berechnete, findet weniger Beachtung. Auf noch einmal so groß wird die Zahl der Vermissten geschätzt, viele der Opfer sind unschuldige Frauen und Kinder. Frauen aus den USA, Irak und weltweit haben deshalb einen eigenen Friedensplan entwickelt, um die Besatzung und die Gewalttätigkeiten im Irak zu beenden. Kriegsgegnerinnen aus den USA und Irak haben deshalb einen eigenen Friedensplan entwickelt, um Besatzung und Gewalt in Irak zu beenden. Gemeinsam mit Helferinnen in anderen Ländern sammelten sie dafür Unterschriften. Heute, am Internationalen Frauentag, wird der Aufruf "Women's Call for Peace" mit mehr als 100.000 Namenszügen in Washington und an den USA-Botschaften überall auf der Welt übergeben. Darin verlangen die Frauen „eine politische Lösung im Irak und das Umsteuern der Ressourcen der Welt zugunsten unserer globalen Familie und unseres unersetzbaren Planeten“.


Krieg ist der Versuch so zu tun, als sei eine Autonomie, also eine Unabhängigkeit gegenüber dem Leben, der Kultur, Frauen und Kindern, Pflanzen und Tieren überhaupt möglich. Der Krieg lässt den Alltag, seine Regeln und Gesetze hinter sich. Er ist eine Art vorweggenommene Utopie davon, dass es möglich sein soll, im Gegensatz zu und in Distanz von allem zu existieren, was man sonst als Lebensgrundlagen betrachtet.
Claudia von Werlhof, Universität Innsbruck



Kriege werden, so glaubt man gemeinhin zu wissen, von Männern wie Cäsar, Alexander dem Großen, Hitler und Saddam Hussein, aber eben auch von Bush und Blair gemacht. Ob als Feldherr, Bomberpilot oder Soldat – zu töten und zu zerstören, ist in der öffentlichen Wahrnehmung vornehmlich ein männliches Kriegshandwerk. Natürlich ist bekannt, dass Frauen wie Katharina die Große, Golda Meir, Indira Ghandi, Chandrika Kumaratunga und Margaret Thatcher ebenfalls Kriege und Bürgerkriege geführt haben. In der Bundeswehr und auch in den Armeen anderer Länder dienen Frauen an der Waffe. Das Bild von Folterungen im irakischen Militärgefängnis Abu Ghraib verbindet sich vor allem mit dem Namen der Soldatin Lynndie England. Dennoch erscheint die Rolle des Weiblichen im Krieg generell eher als Opfer und wird enger mit Friedenssehnsucht und Abschaffung der Waffen verbunden.

Frauen tragen des anderen Last

In der Tat tragen Frauen während des Krieges zu Hause die größte Last und wenn der Mann „im Feld“ ist, schultern sie den Alltag allein. Zu Haushalt und Pflege von Kindern, Alten und Kranken kommen oft Dienstverpflichtungen, Angst vor Angriffen, Bombardierungen, Vergewaltigung und Tod. Frauen zu vergewaltigen ist zu einem strategischen Mittel der psychologischen Kriegsführung geworden. Der Feind soll gedemütigt, die Opfer und ihre Familien nicht nur physisch, sondern auch moralisch erniedrigt werden. Unter dem Motto "Überleben: Frauensache" stellt darum die internationale Hilfsorganisation Welthungerhilfe das Schicksal von Frauen im Krieg - ob Gewaltopfer, Überlebenskämpferinnen oder Friedensaktivistinnen - in den Mittelpunkt ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Auch nach dem Ende der Kämpfe spielen die Trümmerfrauen beim Wiederaufbau eine entscheidende Rolle. Doch müssen sie, sobald die Männer wieder da sind, gewöhnlich ins zweite Glied der Hierarchie zurücktreten und sich den Heimkehrern fügen. Aber selbst wenn die Ehemänner, Brüder oder Väter nicht aus dem Krieg zurückkommen, ziehen Frauen gewöhnlich das schwerere Los. Um die Familien zu versorgen müssen sie wegen unzureichender Ausbildung oft die schlechter bezahlten Jobs übernehmen. Geht es dagegen um die Wahrung ihrer Interessen in der Nachkriegsordnung, bleiben Frauen häufig außen vor. Nur selten sind sie dabei, wenn es um die Aushandlung von Friedensabkommen und die Neuverteilung von Führungsposten in der Gesellschaft geht. Untersuchungen der Interparlamentarischen Union IPU zufolge ist der Frauenanteil in den nationalen Parlamenten zwar gestiegen, beträgt aber weltweit trotzdem nur 16,4 Prozent. Um das Ziel einer wirkungsvollen Geschlechtergleichheit in der Politik zu erreichen, müssen Quoten von einer Reihe anderer Maßnahmen begleitet werden", heiß es in dem IPU-Bericht. Dazu zählten Trainingsprogramme für Frauen, sozio-ökonomische und kulturelle Entwicklung sowie die Unterstützung durch internationale Organisationen.


Frauen sind am Verhandlungstisch, am Kabinettstisch und am Konferenztisch immer noch nicht angemessen vertreten.
Louise Fréchette, stellvertretende UN-Generalsekretärin



Hilfsorganisationen sehen hier eine wichtige Aufgabe. Sie kümmern sich um diejenigen, die keine lautstarke Lobby besitzen und versorgen rückkehrende Flüchtlinge mit dem Lebensnotwendigen. Nach Kriegsende unterstützen sie beispielsweise Frauen dabei, einen neuen Anfang zu finden - genügend zu essen, ein Dach über dem Kopf und die Möglichkeit, Geld zu verdienen. So erhalten Ex-Kämpferinnen der Guerillabewegung UNITA und Minenopfer in Angola von der Welthungerhilfe Lebensmittel und eine landwirtschaftliche Grundausstattung für einen Neubeginn. Kriegswaisen in Ruanda bekommen dringend benötige landwirtschaftliche Grundkenntnisse vermittelt, um genügend Produkte für ihre Familie anbauen zu können. Hilfe zum Weiterleben wird auch den Bürgerkriegswitwen in Sri Lanka gewährt, die durch den Tod ihrer Ehemänner zu gesellschaftlichen Außenseiterinnen wurden.

So wie Kriege in den Köpfen der Menschen beginnen, leben ihre Grausamkeiten im Bewusstsein der Menschen nach Kriegsende weiter. Untersuchungen zufolge erleiden Frauen durch die Erinnerung an seelische und körperliche Verletzungen häufig psychische Krankheiten, während Männer durchlebte Gewalt direkt an ihre Umwelt weitergeben. „Zu oft werden Männer in unserer Kultur in die Gewalt als Mittel der Konfliktlösung hineinsozialisiert”, kritisiert die amerikanische Feministin und Anthropologin Diane Bell vom Worcester College of the Holy Cross in Massachusetts. Um diese Gewaltspirale zu durchbrechen und langfristige Friedenssicherung zu betreiben, fordern Friedensorganisationen deshalb, neues Vertrauen zwischen den verfeindeten Gruppen aufzubauen und Kriegsverbrecher zu verurteilten. Soldatinnen müssten zukünftig an internationalen Friedenstruppen teilnehmen und mehr Frauen sollten beim Wiederaufbau politische Verantwortung übertragen bekommen.


Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.
Verfassung der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur UNESCO



Frauenpower als Friedensmacht

Frauenorganisationen stellen ganz bewusst eine Verbindung zwischen weiblichem Geschlecht und dem Streben nach Frieden und Abrüstung her. An der Spitze steht die 1915 mitten im 1. Weltkrieg in Den Haag gegründete Women's International League for Peace and Freedom (WILPF). Die internationalen Frauen-Friedensorganisation, die sich gegen alle Formen von Krieg und Gewalt wendet, besteht gegenwärtig aus 40.000 Mitgliedern, die sich in 43 nationalen Sektionen organisiert haben. Das besondere Augenmerk gilt den Interdependenzen globaler Strukturen als Ursachen für Gewalt, Diskriminierung und Ungleichheit gegenüber Frauen. Nach dieser Auffassung bedeutet Frieden nicht einen statischen Zustand, sondern vielmehr einen fortlaufenden Prozess, der alle Formen von Gewalt überwindet. Das schließt Gewalt im privaten Bereich ebenso ein wie strukturelle oder staatliche Gewalt und nicht zuletzt die Gewalt des Krieges. Dieser Vielschichtigkeit ist nur durch ein komplexes Vorgehen beizukommen. Es muss den Aufbau von Vertrauen ebenso wie Gleichberechtigung und gegenseitiges Verständnis einschließen. Darüber hinaus werden aber auch Abrüstung, Antimilitarismus und die Bekämpfung von Kriegsursachen als unverzichtbare Bausteine eines positiven und dauerhaften Friedens angesehen.


Wenn Frauen vorwärtskommen und wenn die Abrüstung vorankommt, dann bewegt sich auch die Welt nach vorn. Leider stimmt es ebenso umgekehrt: Rückschläge in diesen Bereichen gehen zu Lasten aller.
Jayantha Dhanapala, ehemaliger UN-Untergeneralsekretär für Abrüstung



Zur Erreichung dieser Ziele arbeitet die Organisation eng mit den Vereinten Nationen zusammen und besitzt dort den Beraterstatus einer Nichtregierungsorganisation. Sie ist also einerseits unabhängig, kann aber gleichzeitig ihren Standpunkt auf internationalen Staatentreffen vertreten.

Auch der UNO-Sicherheitsrat hat sich bereits mehrfach mit diesem Thema beschäftigt. Im Jahre 2000 beschloss er erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen völkerrechtlich bindend, dass Frauen an Entscheidungen über Krieg und Frieden beteiligt und die Geschlechterperspektive berücksichtigt werden müssen. Doch fällt die Bilanz der Resolution 1325 über "Frauen, Frieden und Sicherheit" bestenfalls gemischt aus. Das Bild von Frauen habe sich zwar grundlegend gewandelt, sagte die UN-Frauenbeauftragte Rachel Mayanja in New York. „Sie werden nicht mehr ausschließlich als Kriegsopfer gesehen, sondern als aktive Partner in der Friedensbildung.“ Aber es klafften noch tiefe Gräben, und es seien große Anstrengungen notwendig, um Frauen stärker einzubinden. Zwar konnte auch auf Fortschritte verwiesen werden. So hätten etwa Wahlen und Verfassungsreferenden in Afghanistan und Burundi zu einer Stärkung der Frauenrechte beigetragen. Aus eigener erschreckender Beobachtung beklagt Mayanja jedoch, dass die Körper von Frauen und Mädchen bei bewaffneten Konflikten regelrecht zu „Schlachtfeldern“ werden. Im Sudan, den sie kurz zuvor besuchte habe, seien Frauen noch immer die häufigsten Opfer. Mehr als 200.000 Menschen verloren dort ihr Leben, 2 Millionen zumeist Frauen und Kinder sind vor Tod und Misshandlungen auf der Flucht. Der Chef für friedenserhaltende UN-Einsätze, Jean-Marie Guehenno, brandmarkte die fortdauernde sexuelle Ausnutzung von Frauen und Mädchen. Dass ausgerechnet UN-Mitarbeiter und Blauhelmsoldaten daran beteiligt waren, sei „beschämend und verabscheuenswürdig“. Vor einem Jahr hatte die Menschenrechtsorganisation Refugees International einen Bericht vorgelegt, demzufolge UN-Friedenstruppen die ihnen anvertrauten Frauen missbraucht haben sollen. Der Sicherheitsrat hat die Missbrauchsfälle des UN-Personals inzwischen scharf verurteilt. Alle an Konflikten beteiligten Parteien sind aufgerufen, den vollen Schutz von Frauen zu gewährleisten und die für sexuelle Gewalt Verantwortlichen zu bestrafen. Für die nächsten zwei Jahre gibt es nun einen Aktionsplan, um die Frauenresolution besser umzusetzen. Darin werden verstärkte Maßnahmen in den Mitgliedsstaaten und wirksamere Strategien innerhalb der Vereinten Nationen angemahnt.


Der Sicherheitsrat...

fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass Frauen in den nationalen, regionalen und internationalen Institutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Beilegung von Konflikten auf allen Entscheidungsebenen stärker vertreten sind;

... fordert den Generalsekretär nachdrücklich auf, mehr Frauen zu Sonderbeauftragten und Sonderbotschafterinnen zu ernennen, die in seinem Namen Gute Dienste leisten, und fordert die Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang auf, dem Generalsekretär Kandidatinnen zur Aufnahme in eine regelmäßig aktualisierte zentrale Liste vorzuschlagen;

fordert den Generalsekretär ferner nachdrücklich auf, die Ausweitung der Rolle und des Beitrags von Frauen bei den Feldmissionen der Vereinten Nationen anzustreben, insbesondere bei den Militärbeobachtern, der Zivilpolizei, bei Menschenrechts- und humanitärem Personal;

... fordert alle Parteien bewaffneter Konflikte auf, spezielle Maßnahmen zum Schutz von Frauen und Mädchen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu ergreifen, insbesondere vor Vergewaltigung und anderen Formen des sexuellen Missbrauchs und allen anderen Formen der Gewalt in Situationen bewaffneter Konflikte;

... fordert alle beteiligten Akteure auf, bei der Aushandlung und Umsetzung von Friedensübereinkünften eine Geschlechterperspektive zu berücksichtigen, die unter anderem auf Folgendes abstellt: a) die besonderen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen während der Rückführung und Neuansiedlung sowie bei der Normalisierung, der Wiedereingliederung und dem Wiederaufbau nach Konflikten; b) Maßnahmen zur Unterstützung lokaler Friedensinitiativen von Frauen und autochthoner Konfliktbeilegungsprozesse sowie zur Beteiligung von Frauen an allen Mechanismen zur Umsetzung der Friedensübereinkünfte; c) Maßnahmen zur Gewährleistung des Schutzes und der Achtung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen, insbesondere im Zusammenhang mit der Verfassung, dem Wahlsystem, der Polizei und der rechtsprechenden Gewalt ...


Aus der Resolution 1325, einstimmig verabschiedet vom UNO-Sicherheitsrat am 31. Oktober 2000 (siehe die ganze Resolution im Wortlaut).



Die drei „Ps“ – Partizipation, Prävention und Protektion

Auch die im "Frauensicherheitsrat" zusammengeschlossenen rund 50 Frauen-und Friedensorganisationen schätzen ein, dass die in der UNO-Resolution geforderten drei „Ps“ längst noch nicht eingelöst sind: Die Partizipation von Frauen in allen Prozessen und Ebenen der Konfliktbearbeitung, die Prävention vor gewaltsamen Auseinandersetzungen unter Beteiligung der Frauen sowie die Protektion der besonders betroffenen Frauen im Krieg, bei Flucht und Vertreibung. „Frauen an die Verhandlungstische!“ Mit dieser Losung nahmen Vertreterinnen zahlreicher frauen- und friedenspolitischen Initiativen deshalb am fünften Jahrestag der Beschlussfassung im vergangenen Oktober vor und in europäischen Außenministerien symbolisch ihren Platz an (Verhandlungs-) Tischen ein. Mit dieser Aktion forderten sie generell die, Resolution 1325 konsequent und rasch umzusetzen. Konkret verlangten sie die Teilnahme von Frauen an den Wiener Verhandlungen über die Zukunft des spannungsgeladenen Kosovo, wo es immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt. Dabei besteht die Absicht nicht darin, Frauen und Männer gegeneinander auszuspielen, denn die wirkliche Herausforderung ist eine ganz andere. „Sich vorzustellen, wie wir den Unterschied zwischen den Geschlechtern in eine politische Kraft umwandeln können, ist schwierig, solange Frauen in der Weltordnung am Rande stehen“, meint Diane Bell. “Das Persönliche in das Politische hineinzunehmen und die Kluft zwischen den Geschlechtern zu schließen, hat nichts damit zu tun, dass Frauen mehr wie Männer werden müssten, sondern es bedeutet, eine neue Weltordnung zu schaffen, in der das Leben und unser Planet geachtet werden und in der Krieg nicht gerechtfertigt und mystifiziert wird als etwas, das `uns schützt`.“

* Der Autor hat uns diesen Beitrag freundlicherweise zum Internationalen Frauentag zur Verfügung gestellt. Eine stark gekürzte Fassung erschien am 8. März 2006 im "Neuen Deutschland" unter dem Titel "Der feminine Ruf nach Frieden".


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