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"Grundlegende Prinzipien der Bundeswehr werden ausgehebelt bzw. umgeworfen"

Bundesregierung will ein Sondergericht für Soldaten im Ausland einrichten - Dietrich-Bonhoeffer-Vereins protestiert


DOKUMENTIERT:

Erklärung des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins (dbv) zur angestrebten Gesetzesänderung, um eine Bundesstaatsanwaltschaft für die Bundeswehr einzurichten.


Auf der Jahresmitgliederversammlung des dbv am 23. März 2012 in Eisenach wurde die folgende Erklärung verabschiedet:
  • in Sorge, der Weg für eine juristische Sonderbehandlung des Militärs werde eingeschlagen;
  • in der Befürchtung, die Abkapselung von Bundeswehr und Gesellschaft werde befördert, und
  • in dem Bemühen, die Grundlagen der Inneren Führung vor Schaden zu bewahren:
Die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland plant eine Novellierung des Strafgesetzbuches, um Straftaten von Bundeswehrangehörigen im Ausland „effektiver und zügiger“ ermitteln und verfolgen zu können. Ein „zentrale Staatsanwaltschaft“ und ein zentrales Gericht sollen eingerichtet und beauftragt werden, mit fachlicher Kompetenz und „Zuständigkeitskonzentration“ die Taten von Soldaten und Soldatinnen „unabhängig vom Recht des Tatorts“ juristisch zu bewerten. Eine „Stärkung der Rechtssicherheit“, so lautet die Begründung, werde angestrebt.

Die Begründungen für den Gesetzentwurf im engeren sind sachfremd. Beispielsweise wird der „aufklärungsbedürftige Sachverhalt“ durch die angestrebte Konzentration der Kompetenz bei einer Staatsanwaltschaft kaum erreicht. Denn die Ermittlungserfordernisse – wie angegeben: Tatumstände, berufliche Abläufe und Strukturen, dienstrechtliche Besonderheiten – gelten für jede fallrelevante Lageanalyse, gerade auch bei zivilen Straftaten. Darüber hinaus sind Tatumstände der Bundeswehr-Einsatzbedingungen in Somalia, in Afghanistan oder im Kosovo derart unterschiedlich zu erfassen, dass das notwendige Wissen nicht einfach bei den Staatsanwälten vorgehalten werden kann, sondern es ist jeweils einzelfallgemäß zu erarbeiten.

Gravierender fallen die angeführten Begründungen des Gesetzentwurfes im Allgemeinen ins Gewicht. Die „Armee im Einsatz“ ist „weltweit in Krisenregionen im Einsatz“. Das kann tatsächlich als Rahmen des offiziellen Auftrags angesehen werden. Doch das ist nur halb zutreffend. Der zentrale Aspekt der „Risiken und Bedrohungen“ hat seine Ursachen in den, nach den Worten von Minister de Maizière bei der Erläuterung seine Politik der „Neuausrichtung“ der Bundeswehr, „internationalen politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen des Landes sowie unserer Ressourcenabhängigkeit als Hochtechnologiestandort und rohstoffarme Exportnation“. Also ökonomische Interessen bestimmen im Wesentlichen die anvisierte „Kriegsführungsfähigkeit“ der Bundeswehr, die als „unentbehrliches Instrument der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“ dienen soll. „Wohlstand und Verantwortung“ sind Leitmotive der militärisch gestützten Außenpolitik. Es scheint kein Zufall, dass parallel zur Ausweitung des Einsatzauftrages mit dem Schwerpunkt der ökonomischen Interessen, deren Bedrohung Militäreinsätze legitimiert, den Weg zu ein Sonderjustiz beschritten wird.

Schließlich – und hier liegen die gravierenden Bedenken – war es kein historischer Zufall oder eine leichte Lehre aus der Geschichte, alle Bedingungen für eine juristische Sonderregelung für die Bundeswehr abzuschaffen. Militärjustiz war ein konstituierendes Element der militaristischen Abkapselung von der Gesellschaft. Die Beseitigung der Militärjustiz war ein Kernelement der Militärreform der Nachkriegszeit und der Einführung der Inneren Führung. In großer Entschiedenheit hat Wolf Graf von Baudissin dafür im Parlament gestritten und Gutachten für das Nicht-Wiederaufleben der juristischen Sondereinrichtungen verfassst. Die berühmte Wehrgesetzgebung (1954-56) hat er mit gestaltet, damit das Militär der Bundesrepublik Deutschland ohne Sonderrechte und Einschränkungen dem Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz unterliegt. Es war und ist also ein grundlegendes Anliegen des Konzepts vom „Staatsbürger in Uniform“, Soldaten und Zivilisten uneingeschränkt gleichartig vor die verbundenen Augen der Justitia zu bringen. Haben zudem nicht auch Soldaten und Soldatinnen einen Anspruch auf einen „gesetzlichen Richter“ nach Art. 101 Abs. 1 Grundgesetz?

Die Begründung für die jetzige Novellierung, wenn vorgeblich nur praktische Verbesserungen angestrebt werden, ist nicht überzeugend. Die Reichweite des politischen Projekts hingegen ist immens. Sie rührt an die Fundamente der bisher gültigen Verfassungsnorm, das die Bundeswehr allen grundrechtlichen, also auch zivilen Bedingungen unterliegt. Insofern ist die vorgelegte Begründung schwach, irreführend und fragwürdig. Sie wirkt manipulativ. Ein Tor wird geöffnet, dessen Konsequenzen unabsehbar sind. Besondere juristische Verfahren für die Bundeswehr erwecken den Eindruck, eine juristisch verbrämte Schutzfunktion für materielle und personelle Kriegs- und Einsatzfolgen aufzubauen. Tatsächlich werden auf diese Weise grundlegende Prinzipien der Bundeswehr ausgehebelt bzw. umgeworfen: eine Säule der Inneren Führung wird herausgebrochen.

* Dietrich-Bonhoeffer-Verein zur Förderung christlicher Verantwortung in Kirche und Gesellschaft e.V. (dbv)

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