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Fortsetzung von "Enduring Freedom": Kampf gegen den Terrorismus "mit militärischen Mitteln"

Antrag der noch amtierenden Bundesregierung an den Bundestag - Erklärung von Norman Paech (Linksfraktion) - Stellungnnahme aus der Friedensbewegung

Am 8. November wird der Deutsche Bundestag über die Verlängerung des Kriegseinsatzes der Bundeswehr im Rahmen von "Enduring Freedom" abstimmen. Über die Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung gibt es keinen Zweifel. Interessant wird höchstens sein, wie viele Gegenstimmen und Enthaltungen aus den Fraktionen von Grünen, FDP, SPD und CDU/CSU kommen werden. Die Linkspartei.PDS dürfte sich geschlossen gegen den Antrag aussprechen.
Im Folgenden dokumentieren wir die Meldung über den Antrag der noch amtierenden Bundesregierung von deren Homepage, eine Pressemitteilung von Norman Paech für die Fraktion der Linkspartei sowie eine Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag.





O-Ton der Bundesregierung:

Kampf gegen den Terrorismus fortsetzen

Mi, 02.11.2005

Die Bundeswehr wird weiterhin den internationalen Terrorismus bekämpfen. Die Bundesregierung hat die Beteiligung der Bundeswehr bei der Operation "Enduring Freedom" über den 15. November hinaus für weitere zwölf Monate beschlossen. Die Operation "Enduring Freedom" startete im November 2001 als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September.
Die Entscheidung des Kabinetts steht noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Deutschen Bundestages, der voraussichtlich in seiner Sitzung am 8. November 2005 darüber entscheiden wird.
Der Beschluss der Bundesregierung schreibt das bisherige Mandat im Wesentlichen unverändert fort. Allerdings kann der Einsatz der bislang genutzten Seeraumüberwachungsflugzeuge am Horn von Afrika bis auf weiteres nicht fortgeführt werden, da der Flugzeugtyp "Atlantic Breguet" auf "P3 Orion" umgerüstet wird.
Der personelle Umfang der bereitgestellten Kräfte wird entsprechend reduziert und die Obergrenze auf 2.800 Soldaten - bisher 3.100 - angepasst.
Der Einsatz hilft maßgeblich bei der Beseitigung von terroristischen Rückzugsgebieten und hat stabilisierenden Einfluss auf die Länder am Horn von Afrika. Im Kampf gegen den Terrorismus setzt die Bundesregierung neben militärischen Mitteln auch politische, entwicklungspolitische und polizeiliche Instrumente ein.

Die Operation "Enduring Freedom"

Einen Tag nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 verurteilte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diese als bewaffnete Angriffe auf die Vereinigten Staaten sowie als Bedrohung für den internationalen Frieden. Die Resolution bekräftigt das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung. Der NATO-Rat beschloss daraufhin, dass der Angriff auf die Vereinigten Staaten unter Artikel 5 des Washingtoner Vertrages fällt. Dieser stellt fest, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere der Bündnispartner in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen alle angesehen wird. Der Deutsche Bundestag hat am 16. November 2001 beschlossen, dass deutsche Streitkräfte mit den USA und den anderen Staaten der Anti-Terror-Koalition bei der militärischen Bekämpfung des internationalen Terrorismus zusammenarbeiten.
Die Bundeswehr ist an der Operation Enduring Freedom mit der Marine beteiligt. Aufträge des deutschen Einsatzverbandes sind die Seeraumüberwachung und der Schutz der Seeverbindungslinien in den Gebieten um das Horn von Afrika. Ziel ist es, den Transport von Personen und Gütern (zum Beispiel Waffen, Munition und Drogen) zu unterbinden, die der Unterstützung des internationalen Terrorismus dienen können.

Quelle: Website der Bundesregierung: www.bundesregierung.de



02. November 2005

Verlängerung der Kampfeinsätze der Bundeswehr ablehnen

Zum Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des Mandats für Kampfeinsatz der Bundswehr im so genannten "Krieg gegen den Terror", erklärte der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Prof. Dr. Norman Paech, MdB:

Zum vierten Mal hat das rot-grüne Bundeskabinett heute einen Antrag zur Verlängerung des Kampfeinsatzes der Bundeswehr im Rahmen des so genannten "Krieges gegen den Terror" beschlossen. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE lehnt die nun zur jährlichen Routine gewordene Verlängerung dieses Kampfeinsatzes strikt ab.

Die Bundesregierung stützt sich zur Rechtfertigung der Operationen "Enduring Freedom" und "Active Endavour" weiterhin auf das Selbstverteidigungsrecht unter Artikel 51 der UNO-Charta und auf den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrages. Vier Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist es aber unzulässig, ganz unabhängig von der damaligen Einschätzung der Lage, daraus ein Recht auf militärische Selbstverteidigung abzuleiten. Heute liegt ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere Nato-Mitglieder, der "als Angriff gegen sie alle angesehen werden muss", eindeutig nicht vor.

Das beantragte Mandat missachtet zudem die Rechte des Deutschen Bundestages, da es sich faktisch um einen Vorratsbeschluss ohne klar definiertes Einsatzgebiet handelt. Die Bundesregierung beantragt den Einsatz der Bundeswehr in einem Gebiet, das von Nord-Ost-Afrika über die Arabische Halbinsel bis nach Mittel- und Zentralasien reicht. Tatsächlich ist etwa die Deutsche Marine mit Berufung auf dieses Anti-Terror-Mandat seit vier Jahren ständig am Horn von Afrika im Einsatz. Zudem verlangt die Bundesregierung faktisch einen Freibrief für den deutlichen Ausbau des Einsatzes. Der beim Parlament beantragte Umfang liegt erneut deutlich über dem bislang ausgeschöpften Kontingent.

Vor allem aber würde es der Bundesregierung bei einer Zustimmung durch das Parlament ein weiteres Jahr ermöglicht, die verdeckt agierenden Einheiten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) einzusetzen. Die Aktivitäten des unter dem Kommando der US-Streitkräfte kämpfenden KSK entziehen sich jedoch weitgehend der parlamentarischen Kenntnis und Kontrolle. Die Abgeordneten werden beispielsweise nicht darüber unterrichtet, ob und inwieweit die KSK am Anti-Drogen-Kampf sowie an der Festnahme von Personen beteiligt ist, die in Guantanamo und anderen US-Gefangenenlager unter eindeutig völkerrechtswidrigen und menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten werden. Einem Mandat für einen solchen Einsatz kann ein demokratisches Parlament nicht zustimmen.

Die Bundestagsfraktion DIE LINKE erinnert an die Warnung von UN-Generalsekretär Kofi Annan, dass die Gefahr besteht, durch den militärischen Kampf gegen den Terror "genau die Werte zu untergraben, die Terroristen ins Visier nehmen: die Menschenrechte und die Rechtstaatlichkeit". DIE LINKE wird deshalb bei der Abstimmung im Bundestag gegen den Antrag der Bundesregierung stimmen.

Quelle: Website der Bundestagsfraktion der Linkspartei: www.linksfraktion.de


Bundesregierung faustdicker Lügen bezichtigt

Pressemitteilung
des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • Drei Lügen und eine verheerende Bilanz
  • Friedensbewegung lehnt Kriegseinsatz der Bundeswehr im Rahmen von "Enduring Freedom" ab
  • Terrorismus ist mit Militär und Krieg nicht zu bekämpfen
  • Bundestag soll Antrag der alten Regierung ablehnen
Kassel, 3. November 2005 - Am kommenden Dienstag (8. November) soll der Bundestag den seit vier Jahren andauernden Kriegseinsatz der Bundeswehr um ein weiteres Jahr verlängern. Dies beantragt die noch amtierende alte Regierung vom neu gewählten Bundestag. Dabei bemüht sie zum wiederholten Mal faustdicke Lügen. Ein Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag stellt hierzu fest:

1) Lüge Nr. 1: Kriegseinsatz im Einklang mit Sicherheitsrats-Resolutionen

Der Verlängerungsantrag der Bundesregierung gründet auf einer faustdicken Lüge, wenn es dort heißt: "Einen Tag nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 verurteilte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diese als bewaffnete Angriffe auf die Vereinigten Staaten sowie als Bedrohung für den internationalen Frieden. Die Resolution bekräftigt das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung." In den entsprechenden Resolutionen des UN-Sicherheitsrats (Res. 1368 und 1373) ist an keiner Stelle von einem "bewaffneten Angriff" auf die USA die Rede, sondern von "grauenhaften Terroranschlägen". Und die Gegenmaßnahmen gegen den Terrorismus, zu denen der Sicherheitsrat auffordert, sind demnach auch nicht militärischer Art, sondern beziehen sich auf internationale Kooperation bei der strafrechtlichen Verfolgung von Terroristen sowie auf die Trockenlegung der Finanzen für mutmaßliche Terrornetzwerke.

Der UN-Sicherheitsrat ruft die Staatengemeinschaft an keiner Stelle dazu auf, militärische Maßnahmen nach Art. 42 UN-Charta zu ergreifen. Genau das haben die USA, die NATO und mit ihnen eine Reihe weiterer Staaten im Rahmen des Kriegseinsatzes "Enduring Freedom" getan. Seit der Zustimmung des Bundestags zum US-geführten "Krieg gegen den Terror" im November 2001 befindet sich die Bundesrepublik Deutschland streng genommen im Kriegszustand. Dafür gibt es keinerlei völkerrechtliche Grundlage. Dieser Kriegseinsatz ist illegal.

2) Lüge Nr. 2: Kriegseinsatz ein Akt "kollektiver Selbstverteidigung"

Die UN-Resolution 1373 vom 28. September 2001 spricht ausdrücklich davon, dass die Antiterror-Maßnahmen der Staaten in ihrem "eigenen Hoheitsgebiet" stattzufinden hätten. Von militärischen Aktionen in Drittländern ist an keiner Stelle die Rede.

Außerdem werden die Staaten verpflichtet, "terroristische Handlungen namentlich durch verstärkte Zusammenarbeit und durch die volle Durchführung der einschlägigen internationalen Übereinkünfte betreffend den Terrorismus zu verhüten und zu bekämpfen". Alle bis dato ratifizierten zwölf Antiterror-Konventionen beschränken sich auf zivile Maßnahmen.

Auch wenn die NATO im Oktober 2001 den "Bündnisfall" ausgerufen (und ihn seither nicht widerrufen) hat, ist das kein Argument für die Rechtmäßigkeit des Kriegseinsatzes.

3) Lüge Nr. 3: KSK-Einsatz wird verschwiegen

Die Bundesregierung teilt auf ihrer Homepage zu "Enduring Freedom" mit: "Die Bundeswehr ist an der Operation Enduring Freedom mit der Marine beteiligt. Aufträge des deutschen Einsatzverbandes sind die Seeraumüberwachung und der Schutz der Seeverbindungslinien in den Gebieten um das Horn von Afrika."

Das ist richtig, aber nicht vollständig und wird somit auch zur Lüge. Die Bundesregierung verschweigt nämlich, dass seit November 2001 auch eine nicht genau zu beziffernde Anzahl von KSK-Verbänden (Kommando Spezialkräfte) in Afghanistan im Kriegseinsatz an der Seite der US-Truppen sind. Niemand weiß, was sie dort tun, wie viele Gefangene sie gemacht und - widerrechtlich - den US-Truppen überstellt haben, wie viele "Feinde" bisher durch ihre Aktionen umgekommen sind und wie viele Todesopfer sie in den eigenen Reihen haben.

4) Bilanz des Antiterror-Krieges: Fehlanzeige

Die UN-Resolution 1368 vom 12. September 2001, also einen Tag nach den Terroranschlägen von New York und Washington, "fordert alle Staaten dringend zur Zusammenarbeit auf, um die Täter, Organisatoren und Förderer dieser Terroranschläge vor Gericht zu stellen". Weder der Einsatz der Elitekampftruppe KSK noch die Marinepräsenz am Horn von Afrika haben bisher auch nur einen einzigen Fall vorweisen können, wo mutmaßliche Terroristen inhaftiert und einem ordnungsgemäßen Gerichtsverfahren zugeführt worden wären. Der vierjährige Einsatz der Bundeswehr, der mehrere Milliarden Euro verschlang, war demnach ein völliger Fehlschlag.

5) Alternativen zum andauernden Krieg

Der Krieg "Enduring Freedom" ist also nicht nur völkerrechtswidrig, sondern hat auch unter reinen Effektivitätsgesichtspunkten versagt. Die Kritik der Friedensbewegung am sog. Antiterrorkrieg bestätigt sich vielfach. Die vielen zivilen (z.B. strafrechtlichen, polizeilichen) Instrumente zur Verfolgung terroristischer Straftäter haben sich auch empirisch als erfolgreicher erwiesen als jeder Militäreinsatz. Eine große Zahl von Staaten arbeitet im Rahmen des vom UN-Sicherheitsrat mit Resolution 1373 (2001) ins Leben gerufenen "Counter-Terrorism-Committee" zusammen. Durch unilaterale, bilaterale und multilaterale Strafverfolgungsanstrengungen in Dutzenden von Ländern wurden allein bis zum Jahr 2003 mehr als 4.000 Terrorverdächtige inklusive vieler hochrangiger Al-Kaida-Funktionäre in Gewahrsam genommen. Die "Kriege gegen den Terror" von Afghanistan bis zum Irak dürften dagegen eine noch größere Zahl von Terroristen erst hervorgebracht haben.

6) Forderung

Die Friedensbewegung appelliert aus all iesen Gründen an den Bundestag, den Antrag der abgewählten, aber noch amtierenden Regierung auf Verlängerung des Kriegseinsatzes "Enduring Freedom" abzulehnen, die Truppen nach Deutschland zurückzurufen und die dadurch frei werdenden Mittel für zivile Bereiche umzuwidmen.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)


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