"Blockieren wie in Dresden"
Neonazis gerieren sich mit "Nationalem Antikriegstag" als braune Friedensengel. Antifaschisten wollen rechten Aufmarsch in Dortmund am Sonnabend stoppen. Ein Gespräch mit Johannes Reyersbach
Johannes Reyersbach ist Mitglied der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) und engagiert sich seit mehreren Jahren in der antifaschistischen Bewegung der Stadt.
Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) ruft dazu auf, sich an den Blockaden des von den sogenannten Autonomen Nationalisten ausgerufenen »Nationalen Antikriegstages« am 4. September in Dortmund zu beteiligen. Was unterscheidet besagten Aufmarsch von denen, die nahezu jedes Wochenende im gesamten Bundesgebiet stattfinden, warum soll man also von Berlin, Hamburg oder München nach Nordrhein-Westfalen fahren?
Die Situation in Dortmund unterscheidet sich qualitativ vollkommen von der in anderen Städten. Polizei, Justiz und etablierte Politik haben den Nazis eine Art Freifahrtschein ausgestellt. Die starke rechte Szene vor Ort hat keine ernsthaften Konsequenzen zu fürchten. Das haben auch die Nazis zur Kenntnis genommen und so erklärt sich, daß sie seit Jahren in der politischen Offensive sind, Angriffe auf Andersdenkende und Migranten und Anschläge auf Privatwohnungen von Antifaschisten, alternative Buchläden und Parteibüros verüben. Dortmund gilt als regionale Neonazihochburg. Tatsächlich verlegten zahlreiche Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet ihren Wohnort in den Stadtteil Dorstfeld.
Hinzu kommt, daß die Rechtsextremen in Dortmund zunehmend ursprünglich linke Themen besetzen. Sie machen Veranstaltungen und Aktionen zur sozialen Frage, gerieren sich als Friedensengel, organisieren kulturelle Events und haben sich dadurch im Stadtteil Dorstfeld bereits ihre eigenen »Freiräume« geschaffen.
Welche Rolle spielt die Frage von Krieg und Frieden bezüglich der Stärke der Dortmunder Neonazis?
Daß die »Autonomen Nationalisten« sich als eine Art braune Friedensengel inszenieren, spielt natürlich eine Rolle. Auch in dieser Frage haben sie ein ursprünglich linkes Thema für sich besetzt.
Ihr »Nationaler Antikriegstag« findet bereits zum sechsten Mal in Folge statt. Nach dem sogenannten Trauermarsch der Nazis in Dresden ist dies der zweite Aufmarsch der militanten Neonaziszene mit bundesweiter Bedeutung. Es ist daher unabdingbar, im Rahmen einer antifaschistischen Mobilisierung eine klare Antikriegsposition zu artikulieren.
Dies ist beim Bündnis »Dortmund stellt sich quer!«, an dem wir uns beteiligen, der Fall. So kritisiert das Bündnis die aggressive Kriegspolitik von Deutschland, NATO und USA und fordert einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Mit eben dieser klaren Antikriegsposition hat das Bündnis bei vielen Antifagruppen bundesweit gepunktet. Außerdem ruft »Dortmund stellt sich quer!« zur Blockade der Neonazis auf. Also zu einem Konzept, mit dem wir im Februar dieses Jahres in Dresden auch sehr erfolgreich waren.
Die Dortmunder »Autonomen Nationalisten« gelten mittlerweile als die am kontinuierlichsten arbeitende und mobilisierungsfähigste Gruppierung im ganzen Ruhrgebiet. Wie konnte es überhaupt zu einer solchen Entwicklung kommen?
Dafür gibt es sicherlich viele Faktoren. Einer davon ist der Unwille von Stadt und Polizei, überhaupt gegen Neonazis vorzugehen. Wenn man sich überlegt, daß die Liste der von den Rechtsextremen in den vergangenen Jahren verübten Anschläge nahezu unendlich ist und in den vergangenen zehn Jahren in Dortmund vier Menschen von Rechten ermordet wurden, spricht das eine ganz eigene Sprache.
Ganz im Gegensatz zum Verhalten der Polizei in Dortmund hätte man übrigens selbst in der sächsischen Provinz schon lange nach Paragraph 129 StGB (»Bildung einer kriminellen Vereinigung«) gegen die »Autonomen Nationalisten« ermittelt. Daß dies bisher nicht passiert, zeigt den nicht vorhandenen Verfolgungswillen der Beamten in Dortmund in bezug auf Straftaten mit neofaschistischem Hintergrund.
Ein weiterer Grund für die Stärke der Rechten ist jedoch sicherlich auch die Schwäche der politischen Linken in Dortmund. Damit meine ich nicht einmal zwangsläufig die personelle Aufstellung. Ich glaube vielmehr, daß selbst viele Gutwillige die Ernsthaftigkeit des Naziproblems in Dortmund noch immer nicht zur Kenntnis genommen haben. Manche wollen es offenbar auch ganz bewußt nicht, weil sie sonst Konsequenzen aus ihrem Nichtstun und ihrer Symbolpolitik ziehen müßten.
In der Vergangenheit hat sich außerdem ein weiter Teil der Dortmunder Antifagruppen bewußt von der politischen Linken isoliert, indem er sich maßgeblich der Solidarität mit Israel und den USA verschrieben hat und Gewerkschaften und Linken unterstellt, Teil einer Art deutscher Volksgemeinschaft zu sein. Diese Gruppen tragen maßgeblich die politische Verantwortung für die Stärke der Nazis, weil sich aufgrund ihres Verhaltens Migrantenorganisationen, progressive Gewerkschafter und Friedensbewegte nicht mehr an autonomen Antifademos und Aktionen beteiligt haben.
Haben die Diskussionen um sogenannte Antideutsche die Antifabewegung auch bundesweit geschwächt?
In früheren Jahren sicherlich. Heute spielt dieses Problem in Berlin jedoch keine Rolle mehr. Hingegen sind »Antideutsche« in Nordrhein-Westfalen und in Teilen Ostdeutschlands noch in der Überzahl. Umso wichtiger ist es, sich dort als antifaschistische Gruppe klar gegen islamophobe Stimmungsmache und Krieg zu positionieren. Ich sehe jedoch seit dem letzten Jahr auch deutlich positive Entwicklungen– selbst in NRW, wo Gruppen, die sich klar gegen Krieg positionieren, zunehmend an politischem Einfluß gewinnen.
Im Februar 2010 verhinderten bis zu 15000 Antifaschistinnen und Antifaschisten den jährlichen Neonaziaufmarsch in Dresden. Die ALB hat angekündigt, auch im nächsten Jahr gegen den Aufmarsch zu protestieren. Ist dies überhaupt möglich?
Auf jeden Fall. Möglich ist es. Als wir vor zwei Jahren das Bündnis »No Pasarán« gründeten und gegen die Neonazis in Dresden aktiv wurden, haben uns viele für verrückt erklärt. Dresden sei anders und wir müßten damit rechnen, den Aufmarsch nicht vor 2012 oder 2013 verhindern zu können. Und natürlich ist Dresden anders, doch mit dem Konzept der Massenblockaden erhielten wir bundesweit Unterstützung. Auch viele autonome Antifaschistinnen und Antifaschisten beteiligten sich daran, weil sie der Vorjahresaktionen überdrüssig geworden waren. Sogenannte antideutsche Kräfte hatten teilweise mehr gegen das bürgerliche Gedenken protestiert als gegen die Neonazis. Das war bei bis zu 7000 Neonazis in der Stadt nicht nur fahrlässig, sondern nahezu absurd.
Im Herbst beginnen unsere Vorbereitungen für die Proteste in Dresden 2011. Mit den unzähligen positiven Rückmeldungen aus dem gesamten Bundesgebiet haben wir ein breites Netz von Aktiven. Uns ist bewußt, daß wir so einfach sicher nicht noch einmal den Aufmarsch der Neonazis blockieren können. Doch es gibt bereits Pläne, daß wir wieder einen oder vielleicht sogar zwei Schritte schneller sind als die Polizei. Denn wenn sich die Nazis im zweiten Jahr in Folge auf einem eisig kalten Bahnhofsvorplatz die Beine in den Bauch stehen, sind wir zuversichtlich, daß sich der Aufmarsch in Dresden irgendwann von selbst erledigt.
Die ALB ist wiederholt Attacken des Berliner SPD-Innensenators Ehrhardt Körting ausgesetzt …
Körting ging bereits mehrfach soweit, Teile der linken Szene öffentlich als »rotlackierte Faschisten« zu bezeichnen. Zudem versuchen der Innensenator, bestimmte Medien und der Berliner Verfassungsschutz, Gruppen wie die ALB samt ihrer Bündnispartner in Gewaltdebatten zu verstricken. Dabei wird vor allem davon abgelenkt, daß es Deutschland ist, das wieder mörderische Kriege führt. Es wird abgelenkt davon, daß die Verhältnisse, in denen wir leben, gewalttätig sind: daß die Polizei brutal auf Demonstranten einprügelt und private Sicherheitsfirmen, Ordnungsamt und Polizisten gesellschaftlich Marginalisierte im Zweifelsfall mittels Gewalt verdrängen.
Man sollte hier also Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Ich sehe auch überhaupt keinen Grund, daß wir uns von den gegen uns gerichteten Medienkampagnen und politischen Inszenierungen irritieren lassen, unterschätzen dürfen wir sie jedoch ebensowenig.
Daß vor allem die ALB oder auch die »Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin« (ARAB) immer wieder Ziel von Diffamierungen und Hetzkampagnen sind, liegt meines Erachtens auch darin begründet, daß wir gut vernetzt sind und bei Gewerkschaften, Bürgerinitiativen und anderen als ernst zu nehmende und verläßliche politische Bündnispartner gelten.
Im übrigen: nach den Diffamierungsversuchen des Innensenators haben wir auch viele positive Rückmeldungen erhalten. Zahlreiche Aktive aus der Linken-Basis, aber auch aus Gewerkschaften, der DKP, von Jugendverbänden wie Solid oder den Jusos kamen auf uns zu und äußerten Solidarität mit uns.
Interview: Markus Bernhardt
* Aus: junge Welt, 2. September 2010
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