"Dann können die Proteste wieder aufbranden ..."
Antikriegsmarkt soll am Samstag an den Beginn des Zweiten Weltkrieges vor 73 Jahren erinnern. Ein Gespräch mit Lühr Henken
Lühr Henken ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und Mitglied der Berliner Friedenskoordination.
Seit dem Überfall der faschistischen Wehrmacht auf Polen werden am 1. September 73 Jahre vergangen sein. Was plant die Berliner Friedensbewegung für den diesjährigen Antikriegstag?
Wir werden am Samstag auf dem Potsdamer Platz von 14 bis 17 Uhr einen Antikriegsmarkt veranstalten, mit Bühnenprogramm, Reden, Gesprächsrunden und Infoständen. 20 Gruppen werden über ihre jeweiligen Themenschwerpunkte informieren. Wir wollen uns nicht nur an Friedensaktivisten wenden, sondern auch an Einkaufsbummler und Touristen, die ihren Nachmittag am Potsdamer Platz verbringen.
Die Friedensbewegung ist nicht mehr in der Lage, viele Menschen zu mobilisieren. Selbst auf den traditionellen Ostermärschen, die es seit Jahrzehnten gibt, gelingt es nicht, neues Publikum anzulocken.
Unsere Hochzeiten erleben wir immer dann, wenn es darum geht, einen Krieg zu verhindern. Also wenn die Bundeswehr ins Ausland geschickt werden soll oder das Thema bereits in den Medien diskutiert wird. Das hat sich besonders vor dem Irak-Krieg im Jahre 2003 gezeigt.
Der Irak-Krieg wurde ohne deutsche Beteiligung geführt und in Berlin ging eine halbe Million Menschen auf die Straße. Als zuvor die Bundeswehr in Afghanistan einmarschiert ist, hat sich aber kaum Widerstand geregt.
Beim Irak-Krieg von 2003 war für die Menschen klar ersichtlich, daß es vorwiegend um Bodenschätze ging. Das empfanden sie als ungerecht. In Afghanistan und auch beim Luftkrieg gegen Jugoslawien hatte die Bundesregierung den Eindruck vermittelt, als sei so die Befriedung eines gewaltsamen Konflikts möglich: Terrorbekämpfung in Afghanistan und die Verhinderung von Vertreibungen und Massenmorden in Jugoslawien. Obwohl die Motivation natürlich eine andere war, hat diese Argumentation bei der Bevölkerung verfangen. Die Menschen waren nicht mehr mobilisierbar.
Also entscheidet die Regierung, welchen Krieg sie unterstützt und welchen nicht – und entsprechend verhält sich das Volk? Schließlich hatte sich SPD-Kanzler Gerhard Schröder gegen einen Einmarsch im Irak entschieden.
Nicht nur Schröder war gegen den Irak-Krieg. Vielmehr hat er im Wahlkampf eine Stimmung der Bevölkerung aufgegriffen, die er dann verstärkt hat. Anders war das bei den Angriffen auf Jugoslawien und Afghanistan, damals war nicht nur die rechte Opposition für einen Militärschlag, sondern auch die Regierungskoalition.
Zugespitzt formuliert: Die Regierung mobilisiert die Massen und nicht die Friedensbewegung?
Es ist Aufgabe der Friedensbewegung, gleichbleibend die Situation zu analysieren, die Interessenlage aufzudecken und Vorschläge zu machen, wie man die jeweiligen Konflikte ohne militärische Mittel lösen kann. Das machen wir nicht davon abhängig, wie sich die Bundesregierung gerade positioniert.
Es fehlt doch auch an den eigenen Leuten. Nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima hat die Friedensbewegung die Ostermärsche 2011 kurzerhand auf die Anti-AKW-Demos verlagert. Das war mit vielen Antiatomaktivisten gar nicht abgesprochen.
Es gibt aber einen klaren Zusammenhang zwischen der zivilen Nutzung der Atomkraft und der Produktion von Atomwaffen. Außerdem gab es vielerorts ein gemeinsames Herangehen.
Zumindest die Atomblockierer von X-tausend-Mal-quer waren damit nicht glücklich (jW berichtete). Sind die Strukturen aus den 80erJahren für die heutige Friedensbewegung noch tragfähig?
Eine ähnliche Situation wie heute hatten wir bereits Mitte der 90er Jahre, als der Krieg in Bosnien tobte. Damals war die Bevölkerung nicht auf die Straße zu bringen, und die Impulse von unserer Seite aus waren schwach. Wer damals aktiv war, fühlte sich allein gelassen. Nur bei den Angriffen der USA auf den Irak Anfang der 90er Jahre und 2003 erhob sich eine Welle des Protests.
Dennoch schwelgen viele Friedensbewegte in Erinnerungen an die Proteste gegen die Atomrüstung in den 80er Jahren ...
Mir selbst geht das nicht so. Die Zeiten sind vorbei, weil sich die Welt grundlegend verändert hat. Und sie ist sehr komplex geworden, weshalb viele Menschen die Orientierung verlieren. In einer zugespitzten Situation können die Proteste aber wieder aufbranden.
Interview: Mirko Knoche
* Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. August 2012
Zurück zur Antikriegstag-Seite (1. September)
Zur Friedensbewegungs-Seite
Zurück zur Homepage