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Afghanistan, Iran, Syrien: "Krieg darf keine 'Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln' sein"

Friedensbewegung in schwerem Gewässer. Interview mit Peter Strutynski in der Internetzeitung "Die Freiheitsliebe" *


Die Freiheitsliebe: In den letzten Jahren hat die Beteiligung an den Ostermärschen und an anderen Demonstrationen der Friedensbewegung abgenommen, woran liegt die sinkende Beteiligung?

Zunächst einmal: Die Behauptung von den stetig sinkenden Teilnehmerzahlen bei den Ostermärschen lässt sich nicht durchgängig aufrechterhalten. Beispielsweise erlebten die Ostermärsche 2011 einen beachtlichen Aufschwung, sowohl was die Zahl der Demonstrationen als auch was die Zahl der Teilnehmer/innen betrifft. Dies war zum großen Teil darauf zurückzuführen, dass es wegen des Fukushima-Unfalls zu gemeinsamen Aktionen von Friedens- und Anti-Atombewegung gekommen war. Die Friedensbewegung profitierte von dem Schwung der Anti-Atomproteste, die Umweltbewegung lernte ihrerseits die besondere Gefährdung der Welt durch die Existenz der Atomwaffen. Zweitens hat das Bild von den sinkenden Teilnahmezahlen bei Ostermärschen nie so richtig gestimmt. Wir haben es historisch eher mit einer sich immer wiederholenden Auf- und Ab-Bewegung zu tun. Der Beginn der Ostermärsche in Deutschland zu Beginn der 60er Jahre lockte nicht Tausende, sondern allenfalls Hunderte auf die Straße – oder man muss besser sagen: auf die Wiesen und in die Wälder, denn vielerorts gab es tagelange Märsche abseits der großen Städte. Nach den breiten Anti-Vietnamkriegs-Demonstrationen Ende der 60-er, Anfang der 70er Jahre und dem kurzem Aufschwung der Ostermärsche in dieser Zeit zur Unterstützung der neuen Ostpolitik schlief die Bewegung in der zweiten Hälfte der 70er Jahre beinahe ein. Dies änderte sich mit der legendären Phase der Anti-Raketen-Bewegung Anfang der 80er Jahre, als in Spitzenjahren (z.B. 1983) über Hunderttausend Menschen an Ostern auf die Straßen gingen, um gegen die Stationierung neuer Atomraketen in der Bundesrepublik zu demonstrieren. Ende der 80er Jahre schrumpften die Ostermärsche wieder auf ein Maß, das wir auch in den letzten Jahren zu verzeichnen hatten. Vergessen wir aber nicht, dass es dazwischen – so 1991 im Gefolge des 2. Golfkriegs, 1998 vor dem Hintergrund des Kosovo-Krieges, 2002 nach dem Beginn des Bush-Krieges „gegen den Terror“, 2003 nach Beginn des Irak-Krieges – immer wieder enorme Aufschwünge bei den Ostermärschen gegeben hat. Damit will ich nichts schön reden. Nur sollte man die historische Dimension nicht aus dem Auge verlieren.

Die Freiheitsliebe: Die deutsche Friedensbewegung scheint geschwächt, ob nun in der Politik oder ihre mediale Wirkung, welche Möglichkeiten gibt es, um sie zu stärken?

In der Politik hatte die Friedensbewegung immer einen schweren Stand. In den frühen 80er Jahren haben Millionen Menschen den „Krefelder Appell“ gegen die neuen Atomraketen unterschrieben, haben sich über 80 Prozent der Bevölkerung in Umfragen (leider nicht bei Wahlen) gegen die Atomwaffen ausgesprochen. Die Regierung (zunächst noch die sozialliberale Koalition unter Kanzler Schmidt, dann die CDU-FDP-Koalition unter Kanzler Kohl) hat sich aber nicht darum geschert, sondern ihren aggressiven außenpolitischen Kurs durchgezogen. Der Afghanistankrieg ab 2001 wurde von Rot-Grün ebenfalls gegen eine breite Meinungsmehrheit der Bevölkerung begonnen und bis zuletzt durchgehalten und wurde bruchlos erst von der Merkel-Steinmeier- und dann von der Merkel-Westerwelle-Regierung fortgesetzt. Immerhin hatte die Friedensbewegung in den 80er Jahren mit den Grünen im Bundestag einen engagierten Partner (das änderte sich abrupt mit deren Eintritt in die Regierung Schröder 1998), eine Rolle, die heute die Linksfraktion eingenommen hat, wobei wir natürlich hoffen, dass diese Unterstützung dauerhafter sein wird. Die Mainstream-Medien – und wir sprechen jetzt nur von ihnen, weil die linken Nischen wie „neues deutschland“ oder „junge Welt“ und „unsere zeit“ oder allenfalls noch der „Freitag“ mit den „Großen“ eh nicht mithalten können - sind ein eigenes Problem: Sie waren, soweit ich mich erinnern kann, immer ein Sprachrohr der herrschenden Außen- und Sicherheitspolitik. Selbst in den 80er Jahren haben sie mehrheitlich den Atom-Kurs der NATO unterstützt, 1999 geiferten sie geradezu gegen alles, was sich dem angeblich „humanitären“ Krieg gegen Jugoslawien entgegenstellte; ähnlich war es im letzten Jahr, als der „Hordenjournalismus“ - um Günter Grass zu zitieren - über Westerwelle herfiel, nur weil der ausnahmsweise in der Libyen-Frage nicht auf den Kriegskurs der NATO aufgesprungen war. A propos Grass: Welchen Aufschrei der Medien hat es gegeben, als Grass sich erlaubte, Iran gegen Israel in Schutz zu nehmen!? Wir in der Friedensbewegung sind abgehärtet im Umgang mit den Medien. Während jeder geistige Rülpser eines beliebigen Hinterbänklers im Bundestag in den Tageszeitungen und den Öffentlich-Rechtlichen berichtet wird, müssen wir schon Tausende Demonstranten auf die Straße bringen, um vielleicht einmal in der Frankfurter Rundschau oder, wenn’s hoch kommt, in der FAZ oder der Süddeutschen erwähnt zu werden. Da kommt einem immer wieder zu Bewusstsein, wem die „freie“ Presse hier zu Lande gehört und wem sie zu Diensten zu sein hat. Eine Ausnahme stellt gewiss das Internet dar. Doch auch hier gibt es Konzentrationsprozesse und gelenkte Öffentlichkeiten.

Die Freiheitsliebe: Die meisten Menschen in Deutschland wünschen sich Frieden, weltweit. Wieso gibt es trotzdem so relativ wenig Proteste gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete?

Die meisten Menschen wünschen sich nicht nur Frieden weltweit. Aus Umfragen wissen wir, dass auch die meisten Menschen Waffenlieferungen in Spannungsgebiete und in Staaten, in denen Menschenrechte mit Füßen getreten werden, ablehnen. Ein gutes Beispiel ist die öffentliche Kritik (in diesem Fall sogar von einigen Mainstream-Medien mitgetragen) gegen die drohende Lieferung von Leopard-Kampfpanzern nach Saudi-Arabien oder Indonesien. Es gilt aber auch für die Kritik an den Rüstungsexporten in den Nahen Osten, so etwa an den U-Boot-Lieferungen nach Israel oder die Schützenpanzer in die Vereinigten Arabischen Emirate. Ich denke, da haben auch die Umbrüche im arabischen Raum im vergangenen Jahr ein beträchtliches Umdenken bewirkt, nachdem einer breiteren Öffentlichkeit klar geworden ist, dass solche autokratische Menschrechtsverächter wie Ben Ali in Tunesien oder Mubarak in Ägypten jahrelang Waffen und Militärhilfe aus dem Westen erhalten hatte. Das waren eben die Garanten einer auf Gewalt gestützten „Stabilität“ – so wie heute die erzreaktionären saudischen oder katarischen Machthaber immer noch zu unseren „Stabilitätspartnern“ gehören. Und auch bewegungsmäßig ist die Friedensbewegung m.E auf einem guten Weg, die Frage der Rüstungsexporte stärker zu betonen und in Aktionen umzusetzen.

Die Freiheitsliebe: Weltweit wächst die Angst vor einem Krieg zwischen Israel und dem Iran, wird diese Sorge vom Friedensratschlag geteilt?

Ich teile selbstverständlich die Sorge um den Frieden in der Nahost-Region. Vor allem lässt sich nicht ausschließen, dass die rechtsextreme israelische Regierung einen Angriff auf iranische Atomanlage befiehlt und damit möglicherweise einen verheerenden Flächenbrand auslöst. Um auch das deutlich zu sagen: Unabhängig von meiner kritischen Beurteilung des Mullah-Regimes in Iran bin ich der Auffassung, dass Iran nicht die Absicht hat, Israel mit Krieg zu überziehen oder gar „von der Landkarte auszuradieren“ – das ist ja so eine gängige Unterstellung, die der Westen dem iranischen Präsidenten macht. Es ist nicht einmal ausgemacht, dass Ahmadinedschad tatsächlich nach der Atombombe strebt. Viele seriöse internationale Experten machen geltend, dass die Entscheidung über eine atomare Option in den höchsten Kreisen des Landes noch gar nicht gefallen sei. Und selbst wenn wir unterstellen, dass Iran sich in den Besitz der Bombe bringen wollte: Könnte er damit Israel angreifen? Ja, aber nur zum Preis des eigenen Untergangs. Denn Israel verfügt schon heute über 200 bis 400 Atomwaffen samt den dazu gehörigen Trägermitteln, um Iran mehrmals auslöschen und für immer atomar verstrahlen zu können. Rechnen können die Herrschenden in Teheran doch wohl auch!

Die Freiheitsliebe: Welche Ursachen haben die gegenseitigen Drohungen und welche Akteure fördern sie?

Das ist in der Tat die entscheidende Frage! Es geht Israel, den USA und – allgemein gesprochen – dem Westen nicht um das iranische Atomprogramm. Es geht in Wirklichkeit um die Verfolgung lang gehegter hegemonialer Interessen im Nahen und Mittleren Osten. Iran besitzt die drittgrößten Erdgas- und Erdölfördermengen der Welt und stellt außerdem das letzte Verbindungsglied zwischen dem ölreichen Nahen-Mittleren Osten und dem ebenso energiereichen Zentralasien dar, das noch nicht vom Westen kontrolliert wird. Irak wurde 2003 ja auch aus diesem Grund angegriffen und nicht weil dort Massenvernichtungswaffen vermutet wurden. (Die USA wussten genau, dass dies gelogen war; denn hätte Saddam Hussein ABC-Waffen gehabt, wäre er wohl auch nicht angegriffen worden.) Um es einfach zu sagen: Aus Sicht der USA – und mit ihnen der NATO – befinden sich die reichen Länder des Nordens und Westens im 21. Jahrhundert vor der Frage, wie sie ihren Hunger nach Energie stillen kann und dabei in der Konkurrenz mit den aufkommenden weltpolitischen Rivalen China und vielleicht Indien bestehen können. Da braucht man verlässliche Verbündete, so wie Saudi-Arabien oder wie jetzt – so meint man jedenfalls bisher – Libyen. Das Regime in Teheran muss weg nicht weil es ein islamischer Gottesstaat ist, sondern weil es sich unbotmäßig verhält. Alles andere sind vorgeschobene „Argumente“ und „Begründungen“.

Die Freiheitsliebe: Als mögliche Grundlage für den Krieg wird immer wieder die atomare Bedrohung Israels durch den Iran genannt, ist diese Begründung nachvollziehbar?

Ich habe diese Frage im Wesentlichen schon weiter oben beantwortet. Um es noch einmal klar zu sagen: Im Nahen Osten gibt es seit Jahrzehnten ein Atomwaffenmonopol durch Israel. Der Aufbau der israelischen Atomstreitmacht wurde mit südafrikanischer (das Südafrika der Apartheid!) und US-amerikanischer Hilfe bewerkstelligt. Von einer iranischen „Bedrohung“ kann also wirklich keine Rede sein. Eher muss sich der Iran von Israel bedroht fühlen – zumal Israel nicht eben zimperlich mit Militäraktionen. Meines Wissens hat der Iran in den letzten Jahrzehnten – wie auch immer seine Innenpolitik verfasst war – eine rationale und eher zurückhaltende Außenpolitik betrieben. Der Golfkrieg der 80er Jahre ging vom Irak aus und hat ein tiefes Trauma im Iran hinterlassen. Regionale Hegemonialinteressen verfolgt Teheran eher über wirtschaftliche und politische Kooperationen, nicht aber mit kriegerischen Mitteln.

Die Freiheitsliebe: Sowohl auf iranischer als auch auf israelischer Seite wächst der Widerstand gegen den Krieg, können die Menschen ein Umdenken bei den Politikern bewirken?

Es gibt kleine, aber wichtige Beispiele für Versöhnungsgesten von unten. Eine grenzüberschreitende E-mail-Aktion mit gegenseitigen Freundschaftsbekundungen von Israelis und Iranern hat in der jüngsten Zeit Aufsehen erregt und berechtigt zur Hoffnung, dass die daran beteiligten, überwiegend jungen Menschen für einen größeren Teil ihrer Gesellschaften stehen. Auf der anderen Seite müssen wir sehen, dass die israelische Gesellschaft – historisch vielleicht sogar nachvollziehbar – sehr stark militarisiert und sozusagen bis an die Zähne bewaffnet ist. So lange Tel Aviv an seiner unnachgiebigen Haltung gegenüber den Palästinensern festhält, weiter Siedlungen baut und eine Zwei-Staaten-Lösung damit faktisch immer weiter untergräbt, wird eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts unmöglich sein. Und solange werden radikale und gewaltbereite Strömungen auf der palästinensischen Seite am Leben gehalten und gefördert. So gesehen werden Hamas im Gazastreifen und die Hisbollah in Libanon nicht nur vom Iran aus unterstützt, sondern ganz gehörig auch von der israelischen Politik. Es hat wirklich den Anschein, als brauche Israel den ständigen Konflikt mit seiner arabischen Umwelt, um seine aggressiven Besiedlungspläne im Westjordanland weiter betreiben zu können – hoch gerüstet und vom Westen politisch und militärisch großzügig unterstützt. Solange übrigens größere Teile der israelischen Gesellschaft an den ökonomischen Vorteilen dieser Politik teilhaben, werden sie diese Politik vorbehaltlos unterstützen. Ob die zunehmenden sozialen Verwerfungen in Israel, die im vergangenen Jahr zu erheblichen Sozialprotesten geführt haben, ein politisches Umdenken bewirken, kann von hier aus heute nur schwer beurteilt werden. Noch schwieriger ist eine Prognose über die Entwicklung in der iranischen Gesellschaft. Immer mehr Menschen leiden bereits unter den Folgen der westlichen Sanktionen, insbesondere des totalen Ölembargos. Über eines müssen wir uns aber klar sein: Der außenpolitische Kurs Teherans einschließlich der israelfeindlichen Rhetorik Ahmadinedschads ist weitgehend Konsens – genauso wie das iranische Atomprogramm. Hier würde sich auch unter anderen politischen Vorzeichen – Ahmadinedschads Stellung ist seit den letzten Parlamentswahlen ohnehin bereits stark geschwächt – nichts Grundsätzliches ändern.

Die Freiheitsliebe: Welche Möglichkeiten haben wir, die Friedensbewegung in beiden Ländern zu stärken?

Da sind unsere Möglichkeiten natürlich sehr beschränkt. Das hat einmal zu tun mit den unterschiedlichen Voraussetzungen für die Entwicklung von dem, was wir hier bei uns „Friedensbewegung“ nennen, in Israel und im Iran. Es gibt in Israel eine entwickelte Friedensbewegung, die auch auf eine langjährige Tradition zurückblicken kann. Nüchtern betrachtet ist sie heute aber nicht mehr besonders einflussreich und haben bedeutende Teile, etwa die einstmals große „Peace Now“-Bewegung, dem Kriegskurs der Regierung nicht mehr viel entgegenzusetzen. Umso höher schätzen wir das Wirken etwa von „Gush Shalom“ sowie von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen, die sich für die Rechte der arabischen Bevölkerung in Israel und die Rechte der Palästinenser in den besetzten Gebieten einsetzen. Von einer „Friedensbewegung“ im Iran zu sprechen, ist kaum möglich, weil es sie nach unserem Verständnis nicht gibt. Opposition im Iran ist weniger gegen die Außen- und Sicherheitspolitik des Regimes gerichtet, sondern berührt andere fundamentale Fragen (Arbeitsplätze, soziale Sicherheit, Meinungs- und Pressefreiheit usw.). Was wir bei uns tun können, ist zweierlei: Erstens sollten sich Friedensgruppen und –organisationen hier zu Lande bemühen, Kontakte mit Menschen der betroffenen Länder aufzunehmen – einfach um ins Gespräch zu kommen, nicht aber um diese Menschen mit unseren „Ratschlägen“ zu beglücken. Zweitens müssen wir in unserem eigenen Land, gegenüber der eigenen Regierung friedenspolitisch aktiver werden, um bei uns ein Umdenken zu bewirken. Deutsche Außenpolitik muss entmilitarisiert werden, Rüstungsgüter dürfen nicht ins Ausland exportiert werden – schon gar nicht in Spannungsgebiete –, Regime dürfen nicht dämonisiert werden und kriegerische Optionen als „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ müssen kategorisch ausgeschlossen werden. Wir haben also im eigenen Land genug zu tun.

* Peter Strutynski, Dr. phil, Kassel, Politikwissenschaftler und Friedensforscher; Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag; Herausgeber der Website www.ag-friedensforschung.de

Quelle: Internetzeitung „Die Freiheitsliebe“, 10. August 2012; http://diefreiheitsliebe.de



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