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Türkei zum Krieg bereit

Bundeswehr verschifft "Patriot"-Raketen – Ankara droht Syrien mit Militärschlag. Friedensgruppen warnen vor Ausweitung des Konflikts im Nahen Osten

Von Rüdiger Göbel *

Friedensgruppen protestieren an diesem Wochenende in Lübeck gegen die Entsendung von »Patriot«-Abwehrraketen und Soldaten der Bundeswehr in die Türkei. Das Kriegsgerät wird am Dienstag im Hafen Travemünde auf das Frachtschiff »Suecia Seaways« verladen. Wie die Bundeswehr am Freitag mitteilte, gehören zum Einsatzverband rund 300 Fahrzeuge und mehr als 130 Container. Rund zwei Dutzend deutsche Soldaten fliegen als Vorkommando ins NATO-Partnerland Türkei. Am 21. Januar soll das Schiff den türkischen Hafen Iskenderun erreichen. Ende des Monats sollen dann rund 350 Bundeswehrsoldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Kahramanmaras stationiert sein. Die niederländische Armee schickt »Patriot«-Verbände nach Adana, US-Soldaten sind in Gaziantep. Offiziell sollen sie die Türkei vor einem möglichen Raketenbeschuß aus Syrien schützen. Die NATO wird nicht müde, den rein defensiven Charakter des ganzen Einsatzes zu betonen.

Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan spricht dagegen Klartext. Bei einer Konferenz türkischer Botschafter in Ankara drohte der Regierungschef am späten Donnerstag abend dem Nachbarland Syrien: »Jederzeit sind wir mit allen unseren Möglichkeiten zum Krieg bereit.« Dies berichteten türkische Medien am Freitag. Gleichzeitig behauptete Erdogan, die Türkei habe bisher alle Anstrengungen für den Erhalt des Friedens unternommen und werde dies fortsetzen, obwohl die Bemühungen oft der schwerere Weg seien. Tatsächlich hat Ankara 2011 die aufständische »Freie Syrische Armee« mitgegründet und unterstützt zusammen mit den USA, Saudi-Arabien und Katar deren bewaffneten Kampf zum Sturz von Präsident Baschar Al-Assad – finanziell, logistisch, propagandistisch und mit Waffen. Der derart befeuerte Bürgerkrieg hat nach jüngsten UN-Angaben bislang mehr als 60000 Menschen das Leben gekostet.

Das Netzwerk Friedenskooperative forderte die Bunderregierung am Freitag auf, die Entsendung der deutschen »Patriot«-Einheiten in die Krisenregion zu stoppen. »Die erneute Drohung des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan mit einem Militärschlag gegen Syrien sollte der deutschen Regierung eindringliche Warnung vor der Verstrickung in einen Nahostkrieg sein«, erklärte Netzwerk-Geschäftsführer Manfred Stenner. Während die »Patriots« zur Abwehr der bisherigen Granaten-Irrläufer auf türkisches Territorium ungeeignet seien, wären sie bei einem Krieg zwischen Syrien und der Türkei eine wichtige militärische Unterstützung. Das ermuntere die türkische Regierung offenbar zu Kriegsgetrommel und baldigen Eintritt in den syrischen Bürgerkrieg auf seiten der Aufständischen. Dann, so Stenner, befände sich nahezu automatisch auch Deutschland im Krieg mit Syrien – »an der Seite der Türkei und der von Saudi-Arabien und Katar bewaffneten dschihadistischen Gotteskrieger«. Darüber hinaus bestehe die Gefahr, daß sich durch eine militärische Beteiligung des Westens der Krieg über Syrien hinaus ausweiten könnte: »Im Hintergrund geht es längst auch um ›Regime change‹ im Iran.«

Russischen Militärexperten zufolge können die US-Raketen in Gaziantep Ziele im Luftraum über der zweitgrößten syrischen Stadt Aleppo und über der syrischen Provinz Idlib orten. Die beiden in Kahramanmaras stationierten deutschen »Patriot«-Systeme hätten demnach vor allem die Aufgabe, den US-Staffeln Deckung zu geben. Die Niederländer sollen den Luftraum über dem östlichen Teil des Mittelmeeres kontrollieren.

* Aus: junge Welt, Samstag, 5. Januar 2013

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