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"Natürlich sind wir uns bewusst, dass ein Kongoeinsatz ein brisantes Feld darstellt"

Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen antworten auf einen Brief aus der Friedensbewegung

Vor der am 19. Mai 2006 stattfindenden Bundestagsdebatte über eine deutsche Beteiligung am EU-Einsatz im Kongo hat sich der Bundesausschuss Friedensratschlag mit einem Schreiben an die Fraktionen gewandt. Darin wird ausführlich dargelegt, warum das Militärunternehmen im Kongo "überflüssig" sei. Beide von Regierungsseite vorgebrachten Einsatzziele (Wahlen zu sichern und evtl. Evakuierungen vornehmen zu können) seien mit der EU-Mission entweder nicht oder aber anders zu erreichen. Wir haben den Brief hier dokumentiert: "... erweist sich der Einsatz der EU-Kampftruppe insgesamt als überflüssig"
Die erste Lesung im Bundestag verlief ohne Überraschung. Die FDP machte Bedenken geltend, die Fraktion DIE LINKE lehnt den Kongo-Einsatz ab, die drei übrigen Fraktionen begründeten ihre grundsätzliche Zustimmung.
Auf den Brief aus der Friedensbewegung haben die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen geantwortet. Wir dokumentieren die Briefe im Folgenden.



SPD-Fraktion

Sehr geehrter Herr Strutynski,

Ihre Email an die Fraktionen im Deutschen Bundestag wurde an mich, den bei der SPD-Bundestagsfraktion für dieses Thema zuständigen Ansprechpartner, weitergeleitet. Gern möchte ich Ihnen Hintergrundinformationen zum Thema Kongo geben und Ihnen meine Position zu diesem Thema darlegen.

Ich habe größtes Verständnis für Ihre Vorbehalte gegen einen Einsatz im Kongo. Auch wir Abgeordneten tun uns mit dem Gedanken an einen möglichen Einsatz schwer.

Doch Europa und somit auch Deutschland können sich nicht Ihrer internationalen Verantwortung für Frieden und Demokratisierung verschließen. Ein gravierender Rückschlag bei den seit 1999 laufenden und von der EU und Deutschland – auch finanziell – massiv unterstützten Stabilisierungsbemühungen im Kongo – und das Scheitern der Wahlen wäre ein solcher Rückschritt – würde sich unmittelbar auf den afrikanischen Kontinent und die internationale Gemeinschaft auswirken. Die Investition in die Stabilität des Kongo hat schon erhebliche Erfolge gebracht und darf jetzt nicht gefährdet werden.

Ziel der internationalen Anstrengungen ist es, dass der Kongo in der Lage ist, sein Staatsgebiet zu kontrollieren. Dies ist notwendige Voraussetzung dafür, dass das Land z.B. nicht ideales Rückzugsgebiet für transnational agierende terroristische Gruppen und Kriminelle wird.

Nicht zuletzt stellt die Anfrage der Vereinen Nationen (VN) die Glaubwürdigkeit europäischer Politik auf die Probe. Europa und Deutschland können nicht auf der einen Seite immer wieder eine Verantwortung gegenüber Afrika als Nachbarkontinent betonen sowie effektives Handeln der VN fordern, u.a. damit nicht ein zweites Ruanda sich ereignet, und auf der anderen Seite im Ernstfall nicht bereit sein, ein gegenüber den Erfolgsaussichten abgewogenes und kalkulierbares Risiko mitzutragen. Dies bedeutet nicht, dass sich Europa zwangsläufig in jedem Konflikt in Afrika engagieren muss. Es wird Fälle geben, bei denen zu Recht ein europäisches Engagement verneint wird, weil europäische Interessen nicht wesentlich berührt sind.

Natürlich sind wir Parlamentarier uns bewusst, dass ein Kongoeinsatz ein brisantes Feld darstellt. Ein Einsatz der Bundeswehr im Rahmen einer EU-Mission im Kongo wird daher von uns an Voraussetzungen geknüpft:
  1. Zeitliche Begrenzung des Einsatzes auf vier Monate.
  2. Räumliche Begrenzung des Einsatzes auf den Raum Kinshasa.
  3. Zustimmung der kongolesischen Regierung.
  4. Ein robustes Mandat durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
  5. Breite europäische Verantwortung durch ausreichende Beteiligung.
Alle diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Entscheidend im Wahlprozess ist die Sicherung des politischen Umfeldes in Kinshasa. Nur dort wird sich entscheiden, ob der Wahlprozess und das Wahlergebnis akzeptiert werden. Die EU-Mission soll helfen sicherzustellen, dass die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen demokratisch und sicher ablaufen.

Die EU-Truppen sollen deshalb in Kinshasa, also räumlich begrenzt, für die Zeit des Wahlprozesses, d.h. auch zeitlich eng begrenzt, gegenüber möglichen Friedensgegnern abschreckend wirken. Und sie sollen zugleich der Bevölkerung und den kongolesischen Politikern demonstrieren, dass die internationale Gemeinschaft entschlossen ist, ihnen die Chance zu garantieren, endlich legitime demokratische Institutionen zu wählen. In diesem Zusammenhang dient der Einsatz der EU-Truppen auch dazu, den Wahlbeobachtern den Rücken zu stärken, sowie sie und das Personal der internationalen Gemeinschaft zu schützen. Zusammengefasst sind die Aufgaben der EU-Truppe also Wahlsicherung, Bürgerermutigung und Störerabschreckung.

Die Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen der SPD-Bundestagsfraktion hat zwei Abgeordnete nach Kinshasa entsandt, um sich vor Ort ein genaues und von der Presse „ungefärbtes“ Bild zu machen. Von allen Seiten, seien es Regierungsvertreter, Vertreter der Opposition, Bürger oder Vertreter von NGO’s, wurde verdeutlicht, dass eine kleine, gut sichtbare EU-Truppe eine große Wirkung entfalten würde. Der Respekt vor modernen, gut trainierten und ausgerüsteten Truppen ist immens. Die Abschreckungswirkung auf Milizen aber auch die psychologische Wirkung auf die Bevölkerung wäre sehr groß.
In den letzten 40 Jahren haben kongolesische Truppen nie europäische Einheiten angegriffen.

Die zeitlich befristete Unterstützung von MONUC durch EU-Truppen zur Sicherstellung erfolgreicher Wahlen ist ein wichtiger Beitrag im Rahmen der Bemühungen der internationalen Gemeinschaft, den Kongo zu stabilisieren, und die Voraussetzung zu schaffen, das Engagement der internationalen Gemeinschaft zu einem erfolgreichen Ende zu bringen.
Deutschland kann mit überschaubarem Aufwand und Risiko seinen Ruf in Afrika stärken. Deutschland ist unverdächtig, postkoloniale Sonderinteressen zu vertreten. Unser Ruf ist ausgezeichnet, wir sind als Führungsnation eines EU-Engagements von der Bevölkerung hoch willkommen.

Natürlich müssen die Risiken gegen die Erfolgsaussichten der Mission abgewogen werden. Ich möchte Ihnen nochmals versichern, dass wir sehr verantwortungsvoll mit unserem politischem Mandat umgehen und unsere Entscheidung sorgfältig nach Betrachtung aller Fakten treffen werden. Über den geplanten Einsatz wird das Parlament am 1. Juni entscheiden.

Ich hoffe ich konnte Ihnen meine Position näher bringen und verbleibe

mit freundlichen Grüßen
gez. Rainer Arnold
Verteidigungspolitischer Sprecher
der SPD-Bundestagsfraktion


Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Dr. Strutynski,

vielen Dank für Ihre Zuschrift zum geplanten Einsatz der Bundeswehr in der Demokratischen Republik Kongo. Wir möchten Ihnen gerne die Position der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen ausführlich darlegen.

Die aktuelle Debatte über einen Bundeswehreinsatz in der Demokratischen Republik Kongo würde zu kurz greifen, wenn man nicht den jahrelangen Bürgerkrieg und die enormen internationalen Anstrengungen einbezieht, die seither für den Friedensprozess in diesem Land unternommen wurden.

Nach Jahrzehnten der brutalen Mobutu-Diktatur kostete der anschließende fünfjährige Bürgerkrieg von 1998 bis 2003 mehr als 3,8 Millionen Menschen das Leben. Das ist bei einer Gesamtbevölkerung von 55 Millionen Kongolesen einer der opferreichsten jüngsten Konflikte auf der Welt. Die Bürgerkriegsparteien haben 2003 unter internationaler Vermittlung einen Friedensvertrag geschlossen. Seitdem bilden die verfeindeten Bügerkriegsmilizen eine gemeinsame Übergangsregierung, die das Land in eine friedlichere und demokratischere Zukunft führen soll. Für den 30. Juli sind nun die ersten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen seit 1960 geplant, die die Zeit der Übergangsregierung formell beenden sollen. Die Erwartungen der Bevölkerung und zivilgesellschaftlicher Organisationen an diese Wahlen sind sehr hoch. Unsere Fraktionsmitglieder Hans-Christian Ströbele und Winfried Nachtwei haben sich im April vor Ort von dieser großen Hoffnung in die Wahlen persönlich überzeugen können. Schon im Dezember 2005 wurde die neue Verfassung in einem Referendum von 84,3 Prozent der Wählerstimmen angenommen – ein überwältigendes Votum der kongolesischen Bevölkerung für Frieden und Demokratie, mit dem niemand gerechnet hatte.

Doch der Friedensprozess im Kongo ist weiterhin fragil. Die Demobilisierung der Milizen hat bisher kaum stattgefunden. Insbesondere in den östlichen Provinzen des Kongo agieren weiterhin Milizen wie die für den Völkermord in Ruanda verantwortlichen Hutu-Milizen und die Mai-Mai-Milizen, die in ihrem Kampf um politischen Einfluss und Bodenschätze die Zivilbevölkerung terrorisieren und ethnische Konflikte anheizen. Eine einheitliche kongolesische Armee und Polizei ist zwar im Aufbau, aber bisher viel zu schwach. Zudem haben sich die existierenden Armeeeinheiten jüngst selbst durch schwerste Menschenrechtsverletzungen hervorgetan. Staatliche Strukturen sind bisher kaum vorhanden und leiden unter einem hohen Maß an Korruption, an der vor allem die in der Übergangsregierung sitzenden Bürgerkriegsparteien verdienen. Vor allem - aber längst nicht nur - in der rohstoffreichen Provinz Katanga beuten dabei politische Eliten im Verbund mit internationalen Konzernen und Nachbarstaaten die wertvollen Bodenschätze des Landes aus. Die Bevölkerung profitiert davon nicht.

Der nichtsdestotrotz große Erfolg des bisherigen Friedensprozesses ist vor allem der Präsenz und der Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft zu verdanken. Die gegenwärtig größte Peacekeeping-Mission der Vereinten Nationen, die MONUC, wurde in den letzten Jahren auf 16.700 Personen erhöht und sorgt in großen Teilen des Landes für Sicherheit und die Demobilisierung von Milizionären. Mit ihren logistischen Kapazitäten hat die MONUC auch das Verfassungsreferendum im Dezember ermöglicht. Selbst diese große Mission steht jetzt allerdings vor einer Herkules-Aufgabe: angesichts der Größe des Landes (über sechsmal so groß wie die Bundesrepublik) und der Tatsache, dass es kaum eine Infrastruktur in diesem überwiegend aus Dschungel bestehenden Land gibt – kaum Straßen, keine Schienen, überwiegend keinen Strom, große Armut – ist es allein schon ein logistisches Problem, freie und faire Wahlen zu organisieren. Hinzu kommt die politische Instabilität. Wenn es also überhaupt eine Chance für erfolgreiche Wahlen gibt, dann nur indem die internationale Gemeinschaft den Wahlprozess über MONUC hinaus unterstützt.

Von entscheidender Bedeutung für den Fortgang des Friedensprozesses ist, ob nach den Wahlen die Wahlverlierer ihre Niederlage akzeptieren werden. Falls diese es aussichtsreicher finden, erneut ihre Milizen zu aktivieren und gewaltsam das Wahlergebnis in Frage zu stellen, dann sind die bisherigen Investitionen in den Friedensprozess gescheitert und die Hoffnungen der Kongolesen auf eine bessere Zukunft auf Jahre zerstört. Die Vereinten Nationen haben deswegen die Europäische Union Ende Dezember 2005 in einem Brief gebeten, sich an der militärischen Absicherung der Wahlen durch die vorübergehende Entsendung einer EU-Truppe zu beteiligen. Die EU hat daraufhin die Bereitstellung einer 1.500köpfigen Truppe beschlossen, die im April einstimmig vom UN-Sicherheitsrat mandatiert wurde, vom Wahltag an für vier Monate die UN-Truppe MONUC bei der Absicherung der Wahlen zu unterstützen. Alle Fraktionen der kongolesischen Übergangsregierung und die übergroße Mehrheit der Zivilgesellschaft begrüßen die EU-Truppe. Auch wenn sie im Vergleich zur Größe des Landes sehr klein ist: schon im Jahr 2003 hat die EU-Mission Artemis mit relativ wenig Soldaten marodierende Milizen in der Provinz Ituri sehr schnell und effektiv unter Kontrolle bringen können – dieser Einsatz hat einen sehr großen Eindruck hinterlassen und entsprechend groß ist die Abschreckungswirkung einer EU-Truppe. Zudem liegt die Hauptaufgabe bei der Stabilisierung der Sicherheitslage weiterhin und über den viermonatigen Einsatz der EU-Truppe hinaus bei der UN-Truppe MONUC. Diese besteht vorwiegend aus Soldaten aus Dritt-Welt-Staaten: Pakistan, Indien, Nepal, Uruguay und andere. (Es ist leider die traurige Realität vieler UN-Friedensmissionen: die reichen Nationen weigern sich, den UN ihre gut ausgebildeten und ausgerüsteten Soldaten für wichtige Friedensmissionen in Afrika zur Verfügung zu stellen.)

Für die Position von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag ist in der Diskussion über den Einsatz der Bundeswehr in der DR Kongo von entscheidender Bedeutung, dass diese Debatte nicht auf die militärische Komponente beschränkt wird. Es gibt einen schwierigen Friedensprozess in der DR Kongo, der in der kritischen Phase der Wahlen zusätzliche internationale Absicherung – auch militärische - benötigt. Dem stimmen wir zu, zumal die völkerrechtliche Legitimation durch den UN-Sicherheitsrat eindeutig gegeben ist. Darüber hinaus braucht das Land langfristige Hilfe bei der Entwaffnung der Milizen und beim Aufbau von funktionierenden staatlichen Institutionen und einer demokratischen Gesellschaft. Das werden wir immer wieder einfordern. Schließlich werden wir uns weiterhin auch für eine Stärkung der Vereinten Nationen und ihrer wichtigen Peacekeeping-Missionen einsetzen. Das gehört zu unserem Verständnis einer multilateralen Friedenspolitik. Und schließlich treten wir seit jeher für eine solidarische Partnerschaft Europas mit seinem Nachbarkontinent Afrika ein. Diese Partnerschaft darf nicht von Paternalismus und Gebermentalität geprägt sein. Wenn jedoch eine afrikanisches Land wie momentan die Demokratische Republik Kongo dringend Unterstützung braucht, dürfen sich die EU und mit ihr die BRD nicht verweigern.

Als Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen werden wir unsere Position zu den internationalen Stabilisierungsbemühungen in der Demokratischen Republik Kongo mit einem eigenen Entschließungsantrag im Bundestag deutlich machen.

Wir hoffen, dass wir damit auf Ihre Fragen und Kritikpunkte ausreichend eingegangen sind. Für weitere Informationen zur aktuellen Situation in der DR Kongo können wir Ihnen die Internet-Seite der UN-Mission MONUC (www.monoc.org) empfehlen.

Mit freundlichen Grüßen
Bündnis 90/Die Grünen
Bundestagsfraktion


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