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"... erweist sich der Einsatz der EU-Kampftruppe insgesamt als überflüssig"

Vor dem Kongo-Einsatz: Schreiben aus der Friedensbewegung an die Fraktionen im Deutschen Bundestag (Wortlaut)

Vor der am 19. Mai 2006 stattfindenden Bundestagsdebatte über eine deutsche Beteiligung am EU-Einsatz im Kongo hat sich der Bundesausschuss Friedensratschlag mit einem Schreiben an die Fraktionen gewandt. Darin wird ausführlich dargelegt, warum das Militärunternehmen im Kongo "überflüssig" sei. Beide von Regierungsseite vorgebrachten Einsatzziele (Wahlen zu sichern und evtl. Evakuierungen vornehmen zu können) seien mit der EU-Mission entweder nicht oder aber anders zu erreichen.
Wir dokumentieren im Folgenden das ausführliche Schreiben. Zwei Antworten (von der SPD-Fraktion und der Fraktion von Bü90/Grüne) haben wir an anderer Stelle dokumentiert: "Natürlich sind wir uns bewusst, dass ein Kongoeinsatz ein brisantes Feld darstellt".



Schreiben des Bundesausschusses Friedensratschlag

An die
Fraktionen im Deutschen Bundestag

Hamburg/Kassel, 18. Mai 2006

Sehr geehrte Damen und Herren,

Die Bundesregierung hat beschlossen, erstmalig in einem eigenständigen militärischen Kampfeinsatz (EUFOR DR Congo) der Europäischen Union die Führung zu übernehmen. Ab Anfang Juli soll ein im wesentlichen aus deutschen und französischen Infanterietruppen bestehender Verband vor allem in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa einen reibungslosen Ablauf der ersten Präsidenten- und Parlamentswahlen des Landes nach 45 Jahren gewährleisten, dessen erster Wahlgang auf den 30. Juli festgelegt ist.

Der Einsatz basiert auf einem Beschluss des UN-Sicherheitsrats und des Europäischen Rates. Durchgeführt werden kann der Kampfeinsatz jedoch nur, wenn der Deutsche Bundestag ihm ausdrücklich zustimmt.

Wir appellieren an Sie, dem Antrag der Bundesregierung nicht zuzustimmen, weil der Einsatz unserer Überzeugung nach Einsatzziele vorgibt, die mit dem Truppenaufgebot nicht umgesetzt werden können, bzw. ebenso durch die vorhandenen UN-Einheiten gewährleistet werden können.

Unser Urteil basiert auf der Analyse der Einsatzziele:

Das erste Einsatzziel besteht darin „abschreckend“ auf frustrierte Wahlverlierer einzuwirken. Die einzigen in Kinshasa aufbietbaren kongolesischen militärischen Kontrahenten sind nach Angaben von Fachleuten die Privatgarde des Übergangspräsidenten Kabila (15.000 bis 16.000 Soldaten) und die eines der Vizepräsidenten Jean-Pierre Bembas (bis zu 6.000 Soldaten). Würden die beiden ehemaligen Kriegsgegner über das Wahlergebnis militärisch aneinandergeraten, wären die EU-Truppen im Kongo und die im nahen Ausland stationierte Nachhut angesichts der kongolesischen Übermacht überfordert. Da es darüber hinaus gehende militärische Planungen der UNO und der EU zur Eindämmung dieses Worst-Case-Szenarios nicht gibt, würde die EU-Truppe im Ernstfall entweder abziehen müssen und wäre damit von vornherein überflüssig. Oder, falls sie in einem solchen Fall nicht abziehen sollte, sie wäre die Vorhut für nachrückende Truppen im großen Stil – also die Vortruppe für einen europäischen Kongo-Krieg. Falls so etwas nicht ausgeschlossen ist, sollte das offen angesprochen werden. Wir halten in jedem Fall das Einsatzziel für falsch.

Das zweite Einsatzziel ist die Notevakuierung von bis zu 200 europäischen Wahlbeobachtern, wofür insbesondere ein deutsches Fallschirmjägerbataillon zuständig sein soll, das in Gabun stationiert werden soll. Dieses Einsatzziel ist überflüssig, weil aufgeblasen. MONUC verfügt in der DR Kongo über ein landesweites Netz von 60 Flughäfen und Flugfeldern sowie 150 Hubschrauberlandeplätzen, die von 24 Flugzeugen (darunter zwei Boeing 727 und drei Ilyushin-76) bzw. 62 Hubschraubern angeflogen werden (www.monuc.org). Falls eine Evakuierung von Wahlbeobachtern überhaupt notwendig werden sollte, reicht diese Fluginfrastruktur und die Hilfe der MONUC-Soldaten der vorhandenen zehn Panzergrenadierbataillone und zehn Panzergrenadierkompanien völlig aus.

Da weitere Einsatzoptionen offiziell nicht geplant sind, erweist sich der Einsatz der EU-Kampftruppe insgesamt als überflüssig.

Es stellt sich die Frage, weshalb trotz öffentlich beklagter knapper Kassen so vehement für diesen Einsatz getrommelt wird.

Wir beantworten die Frage in zwei Richtungen:
  1. Die EU sucht ein möglichst anspruchsvolles Einsatzgebiet zur Erprobung ihrer im Aufbau befindlichen Schnellen Eingreiftruppe, dessen Speerspitze 12 bis 12 Battle-Groups bilden sollen, zu denen auch die beteiligten deutschen Eingreifkräfte gehören. Die bisherigen Stabstrockenübungen sollen sich nun im "multinationalen" Praxistest bewähren. Damit kommt die EU ihrem erklärten Ziel, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch zu einem globalen Akteur zu werden, einen weiteren Schritt näher. Die Bevölkerungen der EU-Staaten sollen auf diese Weise an die Militarisierung der EU gewöhnt werden.
  2. Dies geschieht nicht zum Selbstzweck. Es geht auch um die Verfolgung wirtschaftlicher Interessen. So ist Frankreich besonders stark im frankophonen DR Kongo engagiert. Militärisch neben den Bodensoldaten und dem lokalen Hauptquartier der EUFOR DR Congo in der Polizeiausbildung EUPOL Kinshasa und sie stellt den Kommandeur der EUSEC DR Congo, welche die kongolesische Armee aufbaut. Die französische Consultingfirma Sofreco ist Übergangsverwalterin des größten kongolesischen Betriebs, der staatlichen Minengesellschaft Gécamines, um diese weiter zu privatisieren. Die DR Kongo ist reich an Diamanten, Kupfer, Kobalt und Gold, aber auch an seltenen Metallen wie Germanium und Coltan (Niob und Tantal). Zudem könnte Uran gefördert werden. Bis auf den Diamantenabbau darbt der Rohstoffexport seit längerem. International tätige Minengesellschaften vor allem aus Südafrika, den USA, Kanada und Europa haben bereits Milliarden investiert oder beabsichtigen es, um endlich die kostbaren Rohstoffe preiswert ausbeuten zu können. Allein der Wert des kongolesischen Kupfers wird angesichts des derzeitigen Kupferhausse auf 450 bis 500 Milliarden US-Dollar geschätzt. Die Firma Siemens, größter deutscher Investor in der DR Kongo, bemüht sich um einen Milliardenauftrag zum Ausbau von Wasserkraftwerken am Kongo. Langfristiges Ziel ist ein gesamtafrikanischer Stromverbund, dessen Investitionsvolumen auf 30 Milliarden US-Dollar geschätzt wird. Da will man das Feld nicht nur den anderen überlassen.
Bedenken Sie bitte, dass der EU-Militäreinsatz vor allem die guten Wahlaussichten des Übergangspräsidenten Joseph Kabila stützt, eines Übergangspräsidenten und Warlords der, ebenso wie seine Vizepräsidenten, in seiner Amtszeit den Ausverkauf kongolesischen Reichtums („für ‘nen Appel und ’n Ei“) an internationale Minengesellschaften vorangetrieben hat und seinen Vorgängern Kabila und Mobutu auch in punkto Selbstbereicherung in nichts nachsteht. Mit der Wahl ist die Fortsetzung dieser Politik garantiert, während die demokratische und unbewaffnete Opposition, die zuvor im Widerstandskampf gegen das diktatorische Mobutu-Regime stand, aus Protest gegen diese Machenschaften nicht an den Wahlen teilnimmt.

Wir fordern Sie auf, dem Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung an diesem EU-Kampfeinsatz nicht zuzustimmen. Setzen auch Sie sich dafür ein, dass die 56 Mio. Euro, die der Einsatz mindestens verschlingen soll, für den zivilen Aufbau und die Nothilfe im Kongo eingesetzt werden. Die UNO beklagt, dass für ihren diesjährigen Aktionsplan zur Nahrungs- und Gesundheitsversorgung im Kongo in Höhe von 682 Mio. US-Dollar erst 13 Prozent eingezahlt wurden. (taz 15.05.2006) Der darin enthaltene deutsche Beitrag in Höhe von 2,2 Millionen für die UN-Nothilfe im Kongo nimmt sich darin mehr als bescheiden aus. Helfen Sie mit, das Militär als Instrument der deutschen Außenpolitik zurückzudrängen.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg
Peter Strutynski, Kassel


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