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Vor dem Angriff auf Iran?

Friedensbewegung: Gefährliche Eskalation am Persischen Golf / Sanktionspolitik des Westens in der Kritik

Von Christian Klemm *

Der Westen hat Sanktionen gegen Iran beschlossen. Der Auslöser ist das iranische Atomprogramm. Eine militärische Auseinandersetzung wird immer wahrscheinlicher.

Die Situation am Persischen Golf spitzt sich zu. Das jedenfalls meinen Vertreter der deutschen Friedensbewegung, die gestern den Aufruf »Friedens- statt Kriegspolitik im Irankonflikt - Sanktionen und Kriegsdrohungen sofort beenden« vorgestellt haben. Ihrer Meinung nach hat der Konflikt zwischen Iran, Israel, der EU und den USA eine Stufe erreicht, die einen Angriff auf die Islamische Republik immer wahrscheinlicher werden lässt. Deshalb wird in dem Aufruf unter anderem ein Nichtangriffspakt zwischen Israel, USA und Iran sowie ein Ende der »riskanten Sanktionseskalation« gefordert.

Befeuert wird der Konflikt von neuen Sanktionen des Westens gegen die Islamische Republik. Die Europäische Union hat kürzlich beschlossen, ab Juli kein Erdöl mehr von Iran zu kaufen. Außerdem werden Guthaben der iranischen Zentralbank eingefroren. Auch Washington blockiert Vermögenswerte des Finanzinstituts.

Die Iraner sehen sich durch die Sanktionspolitik zum Handeln genötigt, meint der Politikwissenschaftler Mohssen Massarrat, einer der Initiatoren des Aufrufes. Und Iran hat gehandelt: Vor wenigen Tagen entschied die Regierung in Teheran, kein Öl mehr nach Frankreich und Großbritannien auszuliefern.

Hintergrund der Auseinandersetzung ist das iranische Atomprogramm. Israel, die Vereinigten Staaten und die Mehrheit der europäischen Staaten behaupten steif und fest, Iran würde heimlich an der Entwicklung von Atomwaffen arbeiten. Das jedoch konnte bisher nicht bewiesen werden. Nach Auffassung von Reiner Braun von den Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen könne Iran rechtlich nichts vorgeworfen werden. So sehr man die Kernenergie auch ablehne, sagt Braun, ihre friedliche Nutzung sei durch internationale Verträge garantiert. »Dagegen ist jeder Angriff auf Iran ein Bruch des Völkerrecht.«

Doch geht es wirklich um das Atomprogramm. Oder steckt nicht eigentlich was ganz anderes hinter dem Konflikt, wie Massarrat vermutet. Wahrscheinlicher ist, dass Israel sein Atommonopol in der Region bewahren will, so der gebürtige Iraner. In der Tat: Israel scheint die treibende Kraft gegen Iran zu sein; das Land fühlt sich durch die regierenden Mullahs in seiner Existenz bedroht.

Der Konflikt ist festgefahren, beide Parteien beharren auf ihrem Standpunkt. Ist eine militärische Eskalation also programmiert? »Die friedlichen Mittel zur Lösung der Krise am Golf sind längst nicht ausgeschöpft«, meint die Schriftstellerin Daniela Dahn. Die Staatskunst bestehe darin, diese Mittel zu finden. Dazu sind beide Seiten aufgefordert, sagt Dahn, die Iraner wie auch der Westen.

* Aus: neues deutschland, 24. Februar 2012


Nein zu Iran-Sanktionen

Von Florian Möllendorf **

Vertreter aus Friedensbewegung und Friedensforschung in Deutschland fordern ein Ende der Sanktionen und Angriffsdrohungen gegen den Iran. »Die Sanktionseskalation ist auf dem besten Wege, in einen Krieg einzumünden. Er würde nicht nur für die Menschen im Iran katastrophale Folgen haben, sondern auch die gesamte Region auf weitere Jahrzehnte destabilisieren«, warnt ein am Donnerstag verbreiteter Aufruf. »Das vom Westen geplante Ölembargo und der Boykott der iranischen Zentralbank sind gefährliche Interventionen, die vor allem die Menschen im Iran treffen«, heißt es in dem Papier, das unter Mitwirkung von rund 60 Friedensorganisationen entstand und im Hauptstadtbüro der »International Association of Lawyers against Nuclear Arms« (IALANA) in Berlin vorgestellt wurde. Neben den Initiatoren Christoph Krämer, stellvertretender Vorsitzender der deutschen Sektion der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges), und Politikwissenschaftler Mohssen Massarat warben Reiner Braun, ehemaliger Sprecher der »Kooperation für den Frieden« und die Publizistin Daniela Dahn für den Antikriegsappell.

Die Unterzeichner sind sich sicher: Israels Atomarsenal und die militärische Einkreisung Irans durch die USA seien wichtige Ursachen für die Rüstungsanstrengungen Irans. Und weiter: »Wer das Ziel verfolgt, die Islamische Republik durch Intervention von außen zu beseitigen, wird realistische Lösungen für den Atomkonflikt ignorieren.

Die Behauptung, die Nuklearmacht Iran könne nur durch Krieg verhindert werden, bezeichnen die Friedensaktivisten als irreführend. Von US-Präsident Barack Obama fordern sie, das geplante Ölembargo und den Boykott der iranischen Zentralbank zu stoppen. Statt dessen sollen die USA dem Land als Gegenleistung für das kontrollierte Beschränken seines Nuklearprogramms entsprechend den Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrages einen gegenseitigen Nichtangriffspakt anbieten.

Die Bundesregierung müsse jede Beteiligung Deutschlands an einem Krieg ausschließen und gemeinsam mit anderen europäischen Ländern die von den Vereinten Nationen beschlossene Konferenz für eine Zone im Mittleren und Nahen Osten frei von Massenvernichtungswaffen unterstützen, die noch in diesem Jahr beginnen soll. »Nur eine Politik, die alle Staaten der Region, Israel eingeschlossen, zur atomaren Abrüstung und Enthaltsamkeit verpflichtet«, könne das gegenseitige Mißtrauen beseitigen und dem Wettrüsten den Boden entziehen.

»Es liegt in der Logik von Sanktionen, daß sie unweigerlich zu Krieg führen«, warnte Mohssen Massarrat. Aus Sicht des emeritierten Professors geht es dem Westen nicht um die Sicherheit Israels, sondern um das atomare Monopol des Landes in der Region. Das Bestreben, Israel durch einen Krieg gegen den Iran zu schützen, bezeichnete Massarrat als aberwitzig.

Der Friedensaktivist Reiner Braun machte darauf aufmerksam, daß der Iran laut Nichtverbreitungsvertrag (NPT) ein Recht auf Anreicherung von Uran und die zivile Nutzung von Atomenergie habe. »Bislang hat das Land in keiner Weise gegen Bestimmungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag verstoßen. Es verhält sich umgekehrt: Die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten verletzen in gravierendem Maße fortlaufend den NPT und machen sich schwerwiegender Völkerrechtsverstöße schuldig.«

** Aus: junge Welt, 24. Februar 2012


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