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"Wer im Glashaus sitzt ..."

Die Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen gilt für alle. Dokumentation wichtiger Bestimmungen

Wenige Tage nach Beginn des Irakkriegs zeigten der arabische Sender Al Dschasira und das irakische Fernsehen am 23. März 2003 Bilder von getöteten und gefangen genommenen US-Soldaten. US-Präsident George W. Bush äußerte sich umgehend empört über diese Verletzung der Genfer Konvention. Dem US-Fernsehen gegenüber forderte er den Irak auf, Kriegsgefangene human zu behandeln.

"Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen schmeißen", heißt eine alte Volksweisheit. Sie trifft hier unbedingt zu. Die skandalöse Behandlung der gefangen genommenen Taliban- oder Al-Kaida-Kämpfer ist ein Beispiel für die Doppelbödigkeit, mit der sich die US-Regierung gegen die Rechtsverstöße der irakischen Seite entrüsten. Seit über einem Jahr sind Hunderte von Kämpfern auf Guantánamo zusammengepfercht, haben keinerlei Kontakt zur Außenwelt und keinen Rechtsbeistand. Wir dokumentieren im Folgenden eine Reihe von einschlägigen Artikeln aus dem Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1949, um auf die doppelten Standards aufmerksam zu machen, die hier von US-amerikanischer Seite angelegt werden. Der Trick der USA: Den Gefangenen auf Guantánamo wird einfach der Status von "Kriegsgefangenen" vorenthalten. Iraks Diktator Saddam Hussein macht es sich natürlich auch einfach, wenn er behauptet, die britischen und amerikanischen Kriegsgefangenen "fair" behandeln zu wollen: "Ihre Recht gemäß der Genfer Konvention werden respektiert werden, obwohl die US-Regierung grausame Verbrechen gegen unser Volk und die Menschlichkeit begangen hat." (Zit. nach Frankfurter Rundschau, 24.03.2003) Letzteres stimmt zwar, stellt doch schon der Angriffskrieg eines der schwersten Verstöße gegen das Völkerrecht dar. Und die Verstöße gegen das 1. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen, in dem z.B. der Schutz der Zivilbevölkerung und das Verbot von zerstörerischen Waffen vorgeschrieben sind, sind im Jugoslawienkrieg (vgl. z.B. "Varvarin-Klage"), im Afghanistankrieg (vgl. z.B. "Zivile Opfer") und nun auch in den ersten Tagen des Irakkriegs Legion.
Die nun folgenden Artikel aus dem Genfer Abkommen beziehen sich ausschließlich auf den Aspekt der Behandlung von Kriegsgefangenen.
Pst

Genfer Abkommen (GA) über die Behandlung von Kriegsgefangenen

Nach einem Text des Deutschen Roten Kreuzes

Die gefangengenommenen Soldaten stehen unter dem Gewahrsam des feindlichen Landes, das alles dafür tun muss, um den Soldaten trotz ihrer Gefangenschaft ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen (Art. 3 GA I-IV; Art. 12 I GA III). Sie dürfen nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit, Hautfarbe, Rasse, Religion, ihres Vermögens oder Geschlechts o. ä. benachteiligt werden. (Art. 3 GA III). Nur Gesundheitszustand, Geschlecht, Alter, Dienstgrad oder berufliche Eignung können eine Vorzugsbehandlung einzelner rechtfertigen (Art. 16 GA III). Sie dürfen nicht mißhandelt oder verstümmelt werden; medizinische oder wissenschaftliche Versuche irgendwelcher Art, falls diese nicht ärztlich gerechtfertigt sind und wenn sie den Gesundheitszustand des Soldaten beeinträchtigen, sind verboten. Verboten sind ferner Einschüchterungen und Beleidigungen sowie Vergeltungsmaßnahmen. Auch sind die Gefangenen vor öffentlicher Neugier, z. B. "Zurschaustellen", zu schützen. (Art. 13 GA III).

Zentrale Bestimmungen im Wortlaut:

Art. 13

Die Kriegsgefangenen sind jederzeit mit Menschlichkeit zu behandeln. Jede unerlaubte Handlung oder Unterlassung seitens des Gewahrsamsstaates, die den Tod oder eine schwere Gefährdung der Gesundheit eines in ihrem Gewahrsam befindlichen Kriegsgefangenen zur Folge hat, ist verboten und als schwere Verletzung des vorliegenden Abkommens zu betrachten. Insbesondere dürfen an den Kriegsgefangenen keine Körperverstümmelungen oder medizinische oder wissenschaftliche Versuche irgendwelcher Art vorgenommen werden, die nicht durch die ärztliche Behandlung des betreffenden Kriegsgefangenen gerechtfertigt sind und nicht in seinem Interesse liegen.

Die Kriegsgefangenen müssen ferner jederzeit geschützt werden, namentlich auch vor Gewalttätigkeit oder Einschüchterung, Beleidigungen und der öffentlichen Neugier.

Vergeltungsmassnahmen gegen Kriegsgefangene sind verboten.

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Art. 14

Die Kriegsgefangenen haben unter allen Umständen Anspruch auf Achtung ihrer Person und ihrer Ehre.

Frauen sind mit aller ihrem Geschlecht geschuldeten Rücksicht zu behandeln und müssen auf jeden Fall die gleich günstige Behandlung erfahren wie die Männer.

Die Kriegsgefangenen behalten ihre volle bürgerliche Rechtsfähigkeit, wie sie im Augenblick ihrer Gefangennahme bestand. Der Gewahrsamsstaat darf deren Ausübung innerhalb oder ausserhalb seines Gebietes nur insofern einschränken, als es die Gefangenschaft erfordert.

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Art. 17

Jeder Kriegsgefangene ist auf Befragen hin nur zur Nennung seines Namens, Vornamens und Grades, seines Geburtsdatums und der Matrikelnummer oder, wenn diese fehlt, einer andern gleichwertigen Angabe verpflichtet.

Handelt er wissentlich gegen diese Vorschrift, so setzt er sich einer Beschränkung der Vergünstigungen, die den Kriegsgefangenen seines Grades oder seiner Stellung zustehen, aus.

Jede der am Konflikt beteiligten Parteien ist verpflichtet, allen Personen, die unter ihrer Hoheit stehen und die in Kriegsgefangenschaft geraten könnten, eine Identitätskarte auszuhändigen, auf der Name, Vornamen und Grad, Matrikelnummer oder eine gleichwertige Angabe und das Geburtsdatum verzeichnet sind. Diese Identitätskarte kann ausserdem mit der Unterschrift oder den Fingerabdrücken oder mit beidem sowie mit allen andern den am Konflikt beteiligten Parteien für die Angehörigen ihrer bewaffneten Kräfte als wünschenswert erscheinenden Angaben versehen sein. Soweit möglich soll diese Karte 6,5 × 10 cm messen und in zwei Exemplaren ausgestellt werden. Der Kriegsgefangene hat diese Identitätskarte auf jedes Verlangen hin vorzuweisen; sie darf ihm jedoch keinesfalls abgenommen werden.

Zur Erlangung irgendwelcher Auskünfte dürfen die Kriegsgefangenen weder körperlichen noch seelischen Folterungen ausgesetzt, noch darf irgendein Zwang auf sie ausgeübt werden. Die Kriegsgefangenen, die eine Auskunft verweigern, dürfen weder bedroht noch beleidigt noch Unannehmlichkeiten oder Nachteilen irgendwelcher Art ausgesetzt werden.

Kriegsgefangene, die infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes sich über ihre Person nicht auszuweisen vermögen, sind dem Sanitätsdienst anzuvertrauen. Die Identität dieser Kriegsgefangenen soll, vorbehaltlich der Bestimmungen des vorhergehenden Absatzes, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln festgestellt werden.

Die Kriegsgefangenen sollen in einer für sie verständlichen Sprache einvernommen werden.

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Art. 25

Die Unterkunftsbedingungen der Kriegsgefangenen sollen ebenso günstig sein wie diejenigen der im gleichen Gebiete untergebrachten Truppen des Gewahrsamsstaates. Diese Bedingungen haben den Sitten und Gebräuchen der Gefangenen Rechnung zu tragen und dürfen ihrer Gesundheit keinesfalls abträglich sein.

Die vorstehenden Bestimmungen beziehen sich namentlich auf die Schlafräume der Kriegsgefangenen, und zwar sowohl hinsichtlich des gesamten Belegraumes und des Mindestluftraumes als auch hinsichtlich der Einrichtung und des Bettzeuges mit Einschluss der Decken.

Die sowohl für die persönliche wie für die gemeinschaftliche Benützung durch die Kriegsgefangenen dienenden Räume sollen vollkommen vor Feuchtigkeit geschützt und, namentlich zwischen dem Einbruch der Dunkelheit und dem Beginn der Nachtruhe, genügend geheizt und beleuchtet sein. Gegen Feuersgefahr sind alle Vorsichtsmassnahmen zu treffen.

In allen Lagern, in denen gleichzeitig weibliche und männliche Gefangene untergebracht sind, muss für getrennte Schlafräume gesorgt sein.

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Art. 38

Der Gewahrsamsstaat soll unter Achtung der persönlichen Vorliebe der einzelnen Gefangenen die geistige, erzieherische, sportliche und die der Erholung geltende Tätigkeit der Kriegsgefangenen fördern; er soll die nötigen Massnahmen ergreifen, um deren Ausübung zu gewährleisten, indem er ihnen passende Räume sowie die nötige Ausrüstung zur Verfügung stellt.

Den Kriegsgefangenen soll die Möglichkeit zu körperlichen Übungen, inbegriffen Sport und Spiele, und zum Aufenthalt im Freien geboten werden. Zu diesem Zwecke sind in allen Lagern ausreichende offene Plätze zur Verfügung zu stellen.

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Art. 70

Jedem Kriegsgefangenen soll unmittelbar nach seiner Gefangennahme oder spätestens eine Woche nach seiner Ankunft in einem Lager die Gelegenheit eingeräumt werden, direkt an seine Familie und an die in Artikel 123 vorgesehene Zentralstelle für Kriegsgefangene eine Karte zu senden, die möglichst dem diesem Abkommen beigefügten Muster entspricht und die Empfänger von seiner Gefangenschaft, seiner Adresse und seinem Gesundheitszustand in Kenntnis setzt; dies gilt auch, wenn sich der Gefangene in einem Übergangslager befindet, sowie in allen Fällen von Krankheit oder Überführung in ein Lazarett oder ein anderes Lager. Die Beförderung dieser Karten soll so rasch als möglich erfolgen und darf in keiner Weise verzögert werden.

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Art. 82

Die Kriegsgefangenen unterstehen den für die bewaffneten Kräfte des Gewahrsamsstaates geltenden Gesetzen, Vorschriften und allgemeinen Befehlen. Der Gewahrsamsstaat ist ermächtigt, gegen jeden Kriegsgefangenen, der sich eine Übertretung dieser Gesetze, Vorschriften und allgemeinen Dienstbefehle zuschulden kommen lässt, gerichtliche oder disziplinarische Massnahmen zu treffen. Hingegen ist keine Strafverfolgung oder Bestrafung, die den Bestimmungen dieses Kapitels entgegensteht, erlaubt.

Quelle: Homepage der Confederatio Helvetica - Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft (www.admin.ch)


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