Köhler gibt nach Kritik Amt auf
Bundesrepublik ohne Bundespräsident
Bundespräsident Horst Köhler ist nach der Empörung über seine
Äußerungen zu Bundeswehr-Einsätzen überraschend zurückgetreten. Die Kritik an seinen Worten entbehre jeder Rechtfertigung, sagte Köhler am Montag (31. Mai) in Berlin. Ein Nachfolger muss nun binnen 30 Tagen gewählt werden, die Amtsbefugnisse übernimmt zunächst Bundesratspräsident Jens Böhrnsen (SPD). Köhler hatte mit der Interview-Aussage für Empörung gesorgt, militärische Einsätze könnten auch den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands dienen.
Köhler erklärte seinen Rücktritt mit sofortiger Wirkung auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. Die Kritik an seinen Äußerungen lasse den »notwendigen Respekt« vor dem höchsten Amt im Staate vermissen. Er hob erneut hervor, er habe sich keineswegs für Bundeswehreinsätze ausgesprochen, die nicht vom Grundgesetz gedeckt seien. Er bedauere allerdings, dass seine Äußerungen zu Missverständnissen hätten führen können.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie bedaure den Rücktritt »auf das Allerhärteste«. Köhler habe sie selbst erst um 12.00 Uhr darüber informiert, dass er zwei Stunden später zurücktreten wolle. Merkel versuchte nach eigenen Angaben ebenso wie FDP-Chef Guido Westerwelle vergeblich, Köhler von seinem Rücktritt abzuhalten. Er bedauere den Schritt »aus vollem Herzen«, habe ihn aber zu respektieren, sagte der Außenminister und Vizekanzler.
Nach Ansicht von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hat auch der fehlende Rückhalt in der schwarz-gelben Koalition Bundespräsident Horst Köhler zum Amtsverzicht bewogen. »Horst Köhler war kein bequemer Bundespräsident, und das wollte er erklärtermaßen auch nicht sein«, sagte Gabriel am Montag in Berlin. Für die Entscheidung über einen SPD-Kandidaten für das höchste Amt im Staat sei es noch zu früh. Die SPD könne »nicht aus dem Hut einen Kandidaten zaubern«.
* Aus: Neues Deutschland, 1. Juni 2010
Es trifft den richtigen, aber leider nicht alle
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
Kassel, 31. Mai 2010 - Zum überraschenden Rücktritt des
Bundespräsidenten Horst Köhler erklärte der Sprecher des
Bundesausschusses Friedensratschlag in Kassel:
Wenn Bundespräsident Köhler wegen seiner umstrittenen Äußerungen über
die Bundeswehreinsätze sein Amt niederlegt, dann hat das eine gewisse
Konsequenz. Seine Interviewäußerung vor gut einer Woche, wonach es
deutschen Interessen entspräche, wenn die Bundeswehr zum Schutz von
Handelswegen in Auslandseinsätze geschickt werden könne, war vielleicht
ein zu offenes Wort zur falschen Zeit. Die Kritiker aus den etablierten
Parteien, die ihm das Wort übel genommen haben, müssten aber wissen,
dass der Sachverhalt selbst längst zum Kernbestand der offiziellen
Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik gehört. Die Rohstoffsicherung
und das Freihalten von internationalen Handelswegen waren bereits in den
Verteidigungspolitischen Richtlinien vom November 1992 (ähnlich
wiederholt in den VPR vom Mai 2003) sowie in den
Verteidigungs-Weißbüchern 1994 und 2006 als Aufgabe der Bundeswehr
zugewiesen worden. Köhler plapperte auf seine unnachahmliche schlichte
Art nur aus, was andere eleganter formuliert hatten - und was die
Bundeswehr seit langem praktiziert, auch wenn die Kriege gegen
Jugoslawien oder in Afghanistan anders begründet werden.
Der Rücktritt trifft also den richtigen, aber eben leider nicht alle
potenziellen Kandidaten. Bundeskanzlerin Merkel (aber auch schon ihr
Vorgänger Schröder), Verteidigungsminister zu Guttenberg (aber
selbstverständlich schon die Amtsvorgänger Scharping, Struck und Jung)
müssten ihren Hut bzw. ihr Barett nehmen. Denn was sie an
Militäreinsätzen befohlen haben und immer noch befehlen, ist weder vom
Völkerrecht noch vom Grundgesetz gedeckt. Wer daran denkt, einen Krieg
aus wirtschaftlichen Gründen zu führen, verstößt gegen das allgemeine
Kriegsverbot. Im Grundgesetz heißt es hierzu: "Handlungen, die geeignet
sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben
der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges
vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu
stellen." (GG Art. 26,1)
Der Rücktritt Köhlers nährt den Verdacht, als sollte sich jemand, der
sich nur ungeschickt ausgedrückt hat, selbst aus dem Verkehr ziehen,
damit die anderen ungestört ihre Kriege weiter betreiben können. Etwa
nach dem Muster: So etwas sagt man nicht, so etwas tut man.
Horst Köhler weint die Friedensbewegung keine Träne nach. Ihr kommen
vielmehr die Tränen, wenn sie an diejenigen denkt, die noch in ihren
Ämtern verbleiben.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
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