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"Sie sind bereit, das Höchste, Ihr Leben, für unsere Werte, für Frieden, Recht und Freiheit einzusetzen"

Rede von Bundespräsident Horst Köhler vor deutschen Soldaten in Maza-e-Sharif / Köhler im Deutschlandfunk: Deutsche Interessen mit "militärischen Mitteln" wahren

Im Folgenden dokumentieren wir eine sehr patriotische Ansprache des deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler, die er am 21. Mai 2010 vor deutschen Soldaten im Feldlager Mazar-e-Sharif (Afghanistan) gehalten hat. Der Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten gebietet uns die Rede unkommentiert zu lassen.

Weiter unten dokumentieren wir außerdem eine Nachrichtenmeldung des Deutschlandfunks (Deutschlandradio) vom 22. Mai 2010, 12 Uhr, die sich auf die Köhler-Rede in Mazar-e-Sharif sowie auf ein Interview mit ihm bezieht. Diese Radiomeldung hatte es in sich. Der Deutschlandfunk meldete unter Bezugnahme auf das mit ihm gefpührte Interview: "Deutschland (müsse) mit seiner Außenhandelsabhängigkeit zur Wahrung seiner Interessen im Zweifel auch zu militärischen Mitteln greifen. Als Beispiel für diese Interessen nannte Köhler 'freie Handelswege'." Sonderbar nur, dass der Mitschnitt des Interviews (den wir unten ebenfalls dokumentieren) diese Äußerungen nicht (mehr) enthält. Wir liefern den Mitschnitt! [Der Sender hatte es sich einige Tage später doch noch einmal anders überlegt. Ab dem 27. Mai befindet sich das vollständige Transkript des Interviews auf der Website; hier der Link: externer Link, zuletzt abgefragt am 30. Mai 2010)]

Die Meldung aber war Anlass für das Bremer Friedensforum zu einer ebenfalls unten dokumentierten Pressemitteilung.


Ansprache von Bundespräsident Horst Köhler vor Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und zivilen Aufbauhelfern im deutschen Feldlager Mazar-e-Sharif

21.05.2010, Mazar-e-Sharif, Afghanistan

Soldatinnen und Soldaten,
meine Damen und Herren,

ich freue mich, heute bei Ihnen in Mazar-e-Sharif zu sein. Im August 2009 habe ich das Gefechtsübungszentrum in der Altmark in Sachsen-Anhalt besucht. Ich habe dort gesehen, wie Sie sich auf den Einsatz vorbereiten. Heute will ich hier am Einsatzort mit Ihnen sprechen.

Zuerst: Ich möchte Ihnen für Ihren schweren Dienst, den Sie in Afghanistan leisten, danken. Sie sind getrennt von Ihren Familien, Partnern und Freunden. Ihr Einsatz ist gefährlich. Sie haben meinen tiefsten Respekt. Und unser aller Gedanken sind jetzt auch bei den Gefallenen und ihren Familien und bei denen, die Verwundungen erlitten haben.

Die Soldaten unter Ihnen haben gelobt, unserem Land treu und tapfer zu dienen. Genau das tun Sie hier in Afghanistan. Sie sind bereit, das Höchste, Ihr Leben, für unsere Werte, für Frieden, Recht und Freiheit einzusetzen. Ihr Einsatz stellt Sie vor schwierige und schwierigste Entscheidungen. Ich habe volles Vertrauen in Ihre Professionalität und Gewissenhaftigkeit. Unser Land kann stolz auf Sie sein.

Und ich freue mich darüber, dass in Deutschland inzwischen intensiv über den Einsatz in Afghanistan diskutiert wird. Das war zu lange ein Thema hauptsächlich nur für Experten und für die Bundeswehr selber. Es wird Ihnen nicht alles gefallen, was Sie in dieser Diskussion hören, aber ich kann Ihnen versichern: Regierung und Parlament nehmen die Verantwortung für jede und jeden Einzelnen von Ihnen sehr ernst. Und auch Ihre Landsleute stehen Ihrem Einsatz und Ihren Leistungen alles andere als gleichgültig gegenüber. Das weiß ich aus meinen vielen Begegnungen mit den Menschen in Deutschland. Sie haben Rückhalt und Unterstützung. Aber wir können noch mehr tun, um das Interesse und die Anteilnahme an Ihrem Einsatz zu vertiefen. Auch Ihre Familien brauchen Aufmerksamkeit und Unterstützung.

Ihr Einsatz ist schwer und gefährlich. Aber er ist richtig und legitim. Ich wünsche mir, dass die in London mit Afghanistan und den Verbündeten vereinbarte, neue Strategie entschlossen umgesetzt wird. Wir müssen Sie an konkreten Zwischenzielen messen. Die Soldatinnen und Soldaten und die zivilen Aufbauhelfer müssen die Zuversicht haben, dass ihr Kampf und ihre Arbeit zum Erfolg führen können.

Wir alle wissen: Ohne Sicherheit kann es keine Entwicklung geben, aber ohne Entwicklung langfristig auch keine Sicherheit. Letztlich geht es darum, den Menschen in Afghanistan zur Seite zu stehen, damit Sie den Weg zu Frieden, Menschenrechten und Entwicklung Schritt für Schritt selber gehen können.

Ich verspreche Ihnen: Ich werde alles tun, was ich kann, damit in Deutschland gewürdigt wird, was Sie in Afghanistan leisten - für unser Vaterland, für die Menschen hier und für mehr Sicherheit in der Welt.

Danke für Ihren Dienst. Und meine Hochachtung!

Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie gesund nach Hause kommen. Gott schütze Sie.

Quelle: Website des Bundespräsidenten; www.bundespraesident.de

Wahrung deutscher Interessen

1. Die Meldung

Samstag, 22. Mai 2010 12:00 Uhr

Köhler fordert mehr Respekt für deutsche Soldaten in Afghanistan

Den deutschen Soldaten in Afghanistan sollte nach den Worten von Bundespräsident Köhler mit mehr Respekt begegnet werden. Die Bundeswehr leiste dort Großartiges unter schwierigsten Bedingungen, sagte Köhler im Deutschlandradio Kultur nach einem Besuch im Feldlager Masar-i-Scharif. Es sei in Ordnung, wenn kritisch über den Einsatz diskutiert werde. Allerdings müsse Deutschland mit seiner Außenhandelsabhängigkeit zur Wahrung seiner Interessen im Zweifel auch zu militärischen Mitteln greifen. Als Beispiel für diese Interessen nannte Köhler 'freie Handelswege'. Es gelte, Zitat 'ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auf unsere Chancen zurückschlagen' und sich somit negativ auf Handel und Arbeitsplätze auswirkten. Köhler hatte auf der Rückreise von China einen Zwischenstopp in Afghanistan eingelegt.

Deutschlandfunk, www.dradio.de


2. Das Interview

Köhler: Mehr Respekt für deutsche Soldaten in Afghanistan

Bundespräsident fordert Diskurs in der Gesellschaft. Horst Köhler im Gespräch mit Christopher Ricke

Die Bundeswehr leiste in Afghanistan Großartiges unter schwierigsten Bedingungen, sagt Bundespräsident Horst Köhler nach einem Besuch im Feldlager Masar-i-Scharif.

Christopher Ricke: Herr Bundespräsident, Sie haben heute in Masar-i-Scharif von großem Respekt und tiefem Vertrauen in die Professionalität und Gewissenhaftigkeit der Soldaten gesprochen, Sie haben aber diesen Termin der Reise auch sehr bewusst gewählt, weil Sie gesagt haben, man soll besser hinsehen in Afghanistan. Warum dieser Zeitpunkt?

Horst Köhler: Nun, ich habe im letzten Sommer 2009 besucht in Sachsen-Anhalt ein Trainingszentrum der Bundeswehr, Trainingszentrum für den Einsatz in Afghanistan, habe mich also sozusagen dort in der Theorie mit den Soldaten kundig gemacht über ihre Ausbildung, über ihre Ausrüstung, und ich wollte das bei geeigneter Gelegenheit dann auch in der Praxis erkunden. Und jetzt auf dem Rückflug von Schanghai ist das leicht möglich gewesen, und deshalb habe ich die Gelegenheit genutzt, Masar-i-Scharif aufzusuchen, weil es mir wichtig ist, dass wir genauer wissen, was unsere Soldaten beschwert, was sie erreichen können nach ihrer eigenen Einschätzung, was sie erreichen sollen nach dem Mandat der Zielsetzung, der politischen Zielsetzung dieses Mandats und wie das in der Realität aussieht. Ich glaube, dass die Soldaten eines in jedem Fall verdient haben: Dass man sie ernst nimmt in der Schwierigkeit ihrer Aufgabe, dass man ihnen Respekt und Anerkennung zollt für das, was sie leisten, weil sie leisten wirklich Großartiges unter schwierigsten Bedingungen - und das wollte ich hauptsächlich mit meinem Besuch dann auch zum Ausdruck bringen.

Ricke: Die Zustimmung in der deutschen Bevölkerung ist in den vergangenen Monaten zu diesem Afghanistan-Einsatz allerdings gesunken. Haben Sie dafür Verständnis?

Köhler: Ja, die Bevölkerung hat Informationen: Wir haben erlebt die Tatsache, dass in kurzer Folge Soldaten gefallen sind. Das ist eine Art Schock und der Schock löst natürlich dann auch die Frage aus: Muss das denn überhaupt sein? Ich sehe aber nicht, dass in der Bevölkerung nun eine totale Ablehnung herrschen würde. Wir haben diese Trauerfälle, das ist ein Weckruf, zu wissen, hier geht es auch um Leben und Tod im Einsatz, aber wir haben auch eine große - finde ich jedenfalls - Diskussion gehabt im Parlament, das Mandat wurde verlängert. Ich glaube, wir haben jetzt, auch aufgrund der kritischen Diskussionen, durch die Londoner Konferenz, auch durch die neuen Ideen des amerikanischen Generals McChrystal eine Strategie gefunden, die - und das habe ich in Masar-i-Scharif von den Soldaten bestätigt bekommen - auch von denen als Erfolg versprechend eingeschätzt wird. Und jetzt müssen wir halt schauen, dass wir aus dieser Möglichkeit wirklich Realität machen. Aber das löst sich nicht am grünen Tisch, sondern meine Vorstellung ist: Man muss jetzt doch noch genauer Zwischenetappen prüfen, sowohl im militärischen als auch im zivilen Teil dieser Strategie, wo man Fortschritte hat, wo man Stagnation hat oder wo man sogar auch teilweise Rückschritte hat. Alles das ist gleichzeitig im Augenblick vorhanden. Aber mein Eindruck nach den Gesprächen in Masar-i-Scharif ist: Von dem leitenden General bis zu den Soldaten aller Dienstgrade - man ist insgesamt zuversichtlich, und das war dann doch auch ein gutes Ergebnis.

Ricke: In der politischen Debatte wird auch darüber nachgedacht, ob das Mandat, das die Bundeswehr in Afghanistan hat, ausreicht, weil wir uns inzwischen in einem Krieg befinden. Brauchen wir ein klares Bekenntnis zu dieser kriegerischen Auseinandersetzung?

Köhler: Nein, wir brauchen einen politischen Diskurs in der Gesellschaft, wie es kommt, dass Respekt und Anerkennung zum Teil doch zu vermissen sind, obwohl die Soldaten so eine gute Arbeit machen. Wir brauchen den Diskurs weiter, wie wir sozusagen in Afghanistan das hinkriegen, dass auf der einen Seite riesige Aufgaben da sind des zivilen Aufbaus, gleichzeitig das Militär aber nicht alles selber machen kann, wie wir das vereinbaren mit der Erwartung der Bevölkerung auf einen raschen Abzug der Truppen. Ich glaube, dieser Diskurs ist notwendig, um einfach noch einmal in unserer Gesellschaft sich darüber auszutauschen, was eigentlich die Ziele dieses Einsatzes sind.

Quelle: Deutschlandfunk, 22. Mai 2010, 8.10 Uhr; www.dradio.de

Die Passage, die im Transkript des Interviews fehlte:

Köhler: "Ich finde es in Ordnung, wenn in Deutschland darüber immer wieder auch skeptisch, mit Fragezeichen diskutiert wird. Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt, wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe, mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit, auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall, auch militärischer Einsatz notwendig ist um unsere Interessen zu wahren. Zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen, negativ, durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube wir sind auf einem nicht so schlechten Weg."


3. Die Pressemitteilung des Bremer Friedensforums

BREMEN. Bundespräsident Horst Köhler hat am 22. Mai zum Krieg in Afghanistan folgende Äußerung abgegeben, zitiert nach dradio.de, Meldung 12 Uhr: "Allerdings müsse Deutschland mit seiner Außenhandelsabhängigkeit zur Wahrung seiner Interessen im Zweifel auch zu militärischen Mitteln greifen. Als Beispiel für diese Interessen nannte Köhler 'freie Handelswege'. Es gelte, Zitat 'ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auf unsere Chancen zurückschlagen' und sich somit negativ auf Handel und Arbeitsplätze auswirkten."

Dazu erklären Jost Beilken von der Fraktion DIE LINKE in der Bremischen Bürgerschaft und Ekkehard Lentz vom Bremer Friedensforum: "Wir sind entsetzt über die heutige offensichtliche Missachtung des Völkerrechts durch Herrn Köhler, der dadurch gleichzeitig sein Amt und das Ansehen der Bundesrepublik nachhaltig geschädigt hat. Der Bundespräsident propagiert damit Krieg als bundesdeutsches Mittel zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen. Alle bisherigen Begründungen für den Krieg in Afghanistan, wie Landesverteidigung oder die Absicherung humanitärer Aufbauhilfe, werden damit ad absurdum geführt. Die deutsche Kriegführung in Afghanistan muss sofort beendet werden. Wir fordern den Bundespräsidenten auf, seine Äußerung zu überdenken und umgehend zurück zu nehmen. Wir bitten alle politischen Parteien und gesellschaftlichen Kräfte sowie alle friedliebenden Menschen in Bremen, ihren Beitrag dazu zu leisten, der Kriegstreiberei und der forcierten Militarisierung der deutschen Außenpolitik Einhalt zu gebieten."

Quelle: Newsletter des Bremer Friedensforums, 23. Mai 2010




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