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Den Krieg in Afghanistan stoppen - Den Krieg gegen Irak verhindern - Krieg ist keine Lösung

Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag zum ersten Jahrestag des Beginns des Afghanistan-Krieges

Im Folgenden dokumentieren wir eine Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag anlässlich des Jahrestags des Beginns des "Anti-Terror-Krieges"

Ein Jahr nach Beginn der Bombenangriffe auf Afghanistan appelliert die Friedensbewegung an die USA, Großbritannien sowie andere am Krieg beteiligte Staaten einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, den "Krieg gegen den Terror" einzustellen und sich endlich jener Mittel zu bedienen, die rechtsstaatlich geboten und politisch verantwortbar sind.

Über 20.000 Tote in Afghanistan

Bis heute hat die US-Regierung keine eigenen Daten über die Kriegstoten und die durch den Krieg verursachten sonstigen Schäden herausgegeben. Unabhängige Experten haben gleichwohl errechnet, dass allein die Zahl der getöteten Zivilpersonen mehrere Tausend betragen muss. Marc Herold, Professor für Wirtschaftswissenschaften, hat in einem akribischen Verfahren bereits nach zwei Monaten Krieg im Dezember 2001 herausgefunden, dass damals rund 5.000 Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder bei Bomben- und Raketenangriffen ums Leben gekommen sind. Sie starben durch Streubomben (Cluster Bombs), neuartige "thermobarische" Bomben, "Daisy Cutter"-Bomben, durch B-52-Flächenbombardements, Marschflugkörper mit Schrapnell-Gefechtsköpfen oder Bomben mit DU-Munition. Zählt man die Taliban-Soldaten oder Al-Qaida-Kämpfer hinzu, die bis zum heutigen Tag bei Kampfhandlungen oder in Gefangenschaft getötet wurden, so steigt die Zahl der Toten dieses Krieges auf über 20.000. Darunter befinden sich auch jene bis zu 3.000 Kämpfer, die bei Mazar-i-Sharrif gefangen genommen worden waren und anschließend spurlos verschwanden. Der britische Journalist Jamie Doran hat Beweise gesammelt, wonach diese 3.000 Männer einem Massaker zum Opfer gefallen sind, verübt von Soldaten der Nordallianz unter den Augen von US-Armeeangehörigen. (Le Monde diplomatique, 9/2002).

Elend in Afghanistan: heute wie vor einem Jahr

Vor einem Jahr, am 24. September 2001 gaben die UN-Kinderhilfsorganisation UNICEF, das Welternährungsprogramm WFP, die UN-Flüchtlingshilfsorganisation UNHCR, das UN-Entwicklungsprogramms UNDP, das Büro für Koordination humanitärer Angelegenheiten OCHA und die UN-Menschenrechtshochkommission UNHCHR eine gemeinsame Erklärung zur humanitären Krise in Afghanistan heraus, wonach sich "in Afghanistan .. eine humanitäre Krise von unfassbarem Ausmaß" ausbreite. Darin hieß es z.B., dass bis 1. November 2001 5,5 Millionen Menschen von internationalen Nahrungsmittellieferungen abhängig sein würden. Fast 20 Prozent der Hilfsbedürftigen waren Kinder unter fünf Jahren, sagte UNICEF. Viele Kinder kämpfen bereits um ihr Überleben.

Ein Jahr später, am 4. Oktober 2002, dem "Tag des Flüchtlings", rufen UNICEF und UNHCR, das Kinder- und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, wiederum zu mehr Hilfe und einem besseren Flüchtlingsschutz für Afghanistan auf. 1,25 Millionen Kinder seien zur Zeit auf Spenden angewiesen. Etwa die Hälfte der Kinder sei chronisch mangelernährt. Es fehle auch an Winterkleidung und Schutzmaterialien.

Diese Zahlen besagen: Kein Problem in Afghanistan ist durch den Krieg gelöst worden. Die geringen Fortschritte im Land beschränken sich fast ausschließlich auf die Hauptstadt Kabul, eine Art UNOtop, das der Welt zu beweisen versucht, dass die militärische Intervention zur Befriedung einer Region beitragen könne.

Den Krieg stoppen - deutsche Truppen abziehen

Und es wird weiter gestorben in Afghanistan. Es fallen weiter Bomben - manchmal auf friedliche Hochzeitsgesellschaften - und es wird weiter Jagd auf "Terroristen" gemacht. Deutschland ist seit dem Entsendebeschluss vom 16. November 2001 mit einer nicht exakt bekannt gegebenen Zahl von KSK-Soldaten (KSK: Kommando Spezialkräfte) mit von der Partie. Sämtliche Fragen nach Auftrag, Art, Umfang und Ergebnis der Einsätze der KSK-Einheiten sind bisher vom Bundesverteidigungsminister unbeantwortet geblieben. Auch die Frage, wie viele Gefangenen bisher gemacht und wie viele davon den US-Streitkräften zur weiteren "Behandlung" übergeben wurden, bedarf einer Antwort.

Die Friedensbewegung fordert ein sofortiges Ende des Krieges in Afghanistan. Sie fordert ein Stopp des "Krieges gegen den Terror" und eine Beendigung des Feldzuges "Enduring Freedom". Die deutschen KSK-Truppen sind genauso aus Afghanistan abzuziehen, wie die Spürpanzer Fuchs mit Besatzung aus Kuwait zurückgerufen werden müssen. Nichts zu suchen haben auch die Marineverbände im Golf von Aden und vor den Küsten Ostafrikas. Das für ein Jahr ausgestellte Bundestagsmandat für diese Einsätze läuft spätestens am 16. November aus. Es darf um keinen Tag verlängert werden.

Den nächsten Krieg verhindern

Trotz der offensichtlichen Erfolglosigkeit des bisherigen Anti-Terror-Krieges bereiten die USA mit aller Energie den nächsten Krieg vor. Ob mit oder ohne UN-Mandat: In den USA scheint der Krieg gegen den Irak beschlossene Sache. Noch eindeutiger als im Falle Afghanistans sind die Gründe für einen solchen Krieg lediglich vorgeschoben: Dass der Irak mit seinen Resten an Massenvernichtungswaffen, über die er vielleicht noch verfügt, den USA in irgend einer Weise gefährlich werden könnte, glaubt heute kein Mensch mehr. Völlig ausgeschlossen scheint zu sein, dass Saddam Hussein mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 etwas zu tun hat. Dennoch müssen beide Gründe dafür herhalten, einen Präventivkrieg gegen den Irak vorzubereiten.

Die Bundesregierung ist gut beraten, wenn sie ihre ablehnende Haltung gegenüber diesem Krieg auch nach der Wahl aufrecht erhält. Dabei geht es nicht darum, einen besonderen "deutschen Weg" zu reklamieren, sondern eine friedensorientierte Politik der internationalen Beziehungen zu formulieren und im europäischen Kontext gegen die imperiale Kriegspolitik der Vereinigten Staaten geltend zu machen. Ein Krieg gegen Irak wird noch weniger "glimpflich" verlaufen als der Krieg in Afghanistan. Letztlich wird hier ein kalkulierter Massenmord vorbereitet um strategischer und wirtschaftlicher (Öl-)Interessen Willen. In Kauf genommen wird außerdem die Gefahr eines unkalkulierbaren Ausbruchs neuer Gewalt in der arabischen Welt. Wer sich für all das hergibt oder ein solches Treiben unterstützt, macht sich mitschuldig und wird zum potenziellen Kandidaten für die Anklagebank beim Internationalen Strafgerichtshof.

Für die Bundesregierung heißt dies:
  • keine finanzielle Unterstützung für einen Krieg gegen Irak;
  • keine logistische Hilfe etwa in Form der Überlassung der Nutzungsrechte deutschen Luftraums für US-Kampfflugzeuge;
  • Verweigerung der Nutzung von US-Stützpunkten in Deutschland für diesen Krieg;
  • keine indirekte Unterstützung des Krieges etwa dadurch, dass deutsche Truppen auf dem Balkan und in Afghanistan verstärkt werden, um dadurch die USA für ihren Truppenaufmarsch gegen Irak zu entlasten.
Wer den Irak-Krieg für falsch und gefährlich hält, muss ihn zu verhindern versuchen. Dies gebieten außerdem das Völkerrecht und das deutsche Grundgesetz, wonach Angriffskriege verboten sind.

Krieg ist keine Lösung

Die Friedensbewegung sieht sich in ihrer Anti-Kriegs-Haltung einig mit einer großen Mehrheit der Bevölkerung hier zu Lande und in anderen europäischen Staaten. Auch in den USA wächst der Widerstand gegen den Kriegskurs der Bush-Regierung, wie die breite Resonanz auf den Aufruf "Nicht in unserem Namen" zeigt.

Ein Aufruf gleichen Namens ist soeben auch von 120 Künstlern, Wissenschaftlern und anderen Intellektuellen in Deutschland veröffentlicht worden. Die Friedensbewegung begrüßt diese Initiative und begreift sie zugleich als Angebot für ein gemeinsames Engagement gegen den drohenden Krieg - in Theater- und Konzertsälen, in Universitäten und Kunsthochschulen und auf der Straße.

Dass Krieg keine Lösung ist im Kampf gegen den Terrorismus, ist die wichtigste Erkenntnis aus dem bisherigen Verlauf von "Enduring Freedom". In dem Aufruf "Nicht in unserem Namen" heißt es dazu:
"Wer den Terrorismus wirksam bekämpfen will, muss die Vereinten Nationen stärken, damit sie dem Recht überall auf der Welt Geltung verschaffen können. Wer den Terrorismus wirksam bekämpfen will, darf nicht auf eigene Faust Rache üben, sondern muss dafür sorgen, dass ein internationales Gewaltmonopol unter dem Dach der Vereinten Nationen durchgesetzt wird, das den Frieden weltweit sichern kann. Wer den Terrorismus wirksam bekämpfen will, muss auch seine sozialen Ursachen ins Auge fassen, vor allem die ungerechte Verteilung der Reichtümer der Erde und die Demütigung fremder Kulturen durch die Arroganz einiger Führer des Westens."

Kassel, den 6. Oktober 2002
Bundesausschuss Friedensratschlag


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