"Abrüstung ist das Gebot der Stunde"
Interview über die Vorbereitung des 10. Friedensratschlags in Kassel
Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das die Wochenzeitung UZ-unsere zeit mit Peter Strutynski, einem der Organisatoren des Friedenspolitischen Ratschlags, geführt hat. Die Fragen stellte Wera Richter.
UZ: "Verteidigungs"minister Struck hat nach Günzels Beifall für Hohmanns "Täter-Volk-Rede" schnell reagiert und seinen Brigadegeneral abgesetzt. Warum reicht Ihnen das nicht?
Peter Strutynski: Peter Struck hat mit seinem Wort vom "verirrten General" wieder in die
Trickkiste vom politischen "Einzeltäter" gegriffen. Allgemeine
Lebenserfahrung sagt uns, dass der Fisch vom Kopf her stinkt. Ein wenig
Kenntnis von den Gepflogenheiten und Befehlsstrukturen in einer Armee
und ein Blick auf die lange Geschichte sich wiederholender
Ausschreitungen mit rechtsradikalem Hintergrund in der Bundeswehr
reichen doch aus, um die Einzelgängerthese zu verwerfen. Hinzu kommt der
bewusst gezüchtete Korpsgeist in einer solchen "Eliteeinheit" wie dem
Kommando Spezialkräfte.
UZ: Meistens wird behauptet, dass Neonazis von außen in die Truppe kommen. Dass rechtes Gedankengut aber auch in der Truppe wächst, wird gerne ausgeblendet. Ist ein Zusammenhang zwischen Auslandseinsätzen der Bundeswehr und rassistischem Denken
in der Truppe zu weit hergeholt?
Peter Strutynski: Im Fall der KSK-Truppe mit dem besonderen Kick liegt die Vermutung nahe,
dass die Soldaten von der besonderen Qualität ihrer Truppe derart
überzeugt sind, dass Überlegenheitsgefühle dem "Rest der Welt" gegenüber
eine fast natürliche Folge sind. Das ist dann der Boden, auf dem
rassistisches Denken gedeihen kann. Generell kann man sagen: In dem
Augenblick, wo Auslandseinsätze der Bundeswehr die Regel werden, ändern
sich auch das Berufsbild und die Einstellung der Soldaten.
UZ: Auch die Friedensbewegung hatte ihren Anteil am Erfolg der Großdemonstration gegen Sozialabbau am 1. November in Berlin. Sie ist dort insbesondere mit ihrem Appell "Abrüstung statt Sozialabbau" aufgetreten. Wie läuft die Arbeit insgesamt mit dem Appell?
Peter Strutynski: Unseren Anteil an der großen Demo gegen Sozialabbau in Berlin würde ich
eher gering einschätzen. Es ist zwar richtig, dass wir einen Appell
kreiert haben, der den Nagel auf den Kopf trifft: Abrüstung statt
Sozialabbau ist in der Tat das Gebot der Stunde. Nie waren Rüstung und
Militär so teuer wie heute, nie war es dringender, Finanzquellen zu
erschließen, um das soziale Sicherungssystem unbeschadet zu erhalten.
Die Friedensbewegung hat sich bei der Demo in Berlin aber im
Erscheinungsbild sehr stark zurückgehalten. Das muss demnächst besser
werden. Was den Appell selbst betrifft: Da wo er auftaucht, wird er von
den meisten Menschen auch unterschrieben.
UZ: Der Friedensratschlag wollte auch auf den zurückliegenden
Gewerkschaftstagen von ver.di und der IG Metall für den Appell werben und dort auch die Unterstützung der Gewerkschaftsvorstände gewinnen. Wie war die Resonanz?
Peter Strutynski: Es war generell nicht leicht, das Abrüstungs- und Friedensthema auf den
Gewerkschaftstagen zu diskutieren. Sowohl die IG Metall als auch ver.di
haben zur Zeit andere Sorgen. Die Nachwirkungen der Führungs- und
Streikdebatte haben der IG Metall andere Themen aufgezwungen und bei
ver.di spielt nach wie vor eine Rolle, dass die Bundeswehr aus
Arbeitsplatzgründen (über 100.000 Zivilbeschäftigte) nur mit der
Kneifzange angefasst wird. Die von beiden Gewerkschaftskongressen
verabschiedeten Entschließungen bieten aber eine gute Basis zur weiteren
Zusammenarbeit.
UZ: Am 6./7. Dezember wird in Kassel der 10. Kasseler Friedensratschlag
stattfinden. Dort stehen eine Vielzahl von Referaten und Arbeitsgruppen auf der
Tagesordnung. Können Sie die wichtigsten Schwerpunkte benennen?
Peter Strutynski: "Abrüstung statt Sozialabbau" wird einer der Schwerpunkte sein. Dazu
wird übrigens die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft, Eva-Maria Stange, eins der einleitenden Plenumsvorträge
halten. Ein zweiter Schwerpunkt wird Europa sein. Die Friedensbewegung
muss sich noch eine Menge einfallen lassen, um den Prozess der
Militarisierung der Europäischen Union umzukehren. Wir werden uns
eindeutig gegen die Verabschiedung des jetzigen Verfassungsentwurfs
positionieren, der Aufrüstung zur Pflicht und Militärinterventionen zum
selbstverständlichen Bestandteil der EU-Außenpolitik macht. Zum dritten
wollen wir über den gegenwärtigen Stand und die künftige Entwicklung der
Weltpolitik diskutieren. Wie kann dem hegemonialen Anspruch der USA
begegnet werden, ohne auf eine europäische Militärkonkurrenz zu setzen?
Was kann dem vorherrschenden weltweiten Wirtschaftsmodell des
Neoliberalismus entgegengesetzt werden, ohne in eine selbstgenügsame
Abschottungspolitik gegenüber dem Weltmarkt zu verfallen. Wie können
schließlich das Völkerrecht und die UN-Charta vor der völligen Erosion
bewahrt werden, ohne auf den Anspruch einer Reformierung und
Demokratisierung der Vereinten Nationen und ihres Sicherheitsrats zu
verzichten. Man sieht: Wir haben uns - wie immer - viel vorgenommen.
Aber ich bin sicher, dass wir die hohen Erwartungen der Friedensbewegung
in diesen Kongress nicht enttäuschen werden.
UZ: Wird es neben den inhaltlichen Beiträgen und Diskussionen auch Raum
für die Debatte und Verabredungen über die praktische Arbeit der Friedensbewegung und
ihre strategische Ausrichtung geben?
Peter Strutynski: Das ist ja das Attraktive an den "Ratschlägen", dass in ihnen versucht wird, wissenschaftlich gestützte Analyse mit politischen Orientierungen der Friedensbewegung zu verbinden. Wer die Europäische Verfassung in der jetzigen Form ablehnt, muss sich gleichzeitig Gedanken darüber machen, welche Möglichkeiten des praktisch-politischen Eingreifens gegeben sind. Wer Bundeswehreinsätze im Rahmen von Enduring Freedom oder die US-Besatzung im Irak für verfehlt hält, muss Alternativen jenseits militärischer "Lösungen" anbieten. Ich denke im Übrigen auch, dass Verabredungen hinsichtlich eines gemeinsamen europäischen Aktionstages im Frühjahr nächsten Jahres getroffen werden sollten. Das Europäische Sozialforum in Paris wird dazu sicher eine Vorgabe beschließen, die von der Friedensbewegung mit einem spezifischen Inhalt angefüllt werden sollte. Und je breiter und vielfältiger der Friedensratschlag im Dezember zusammengesetzt sein wird, wobei es vor allem auf die Repräsentanz von Basisfriedensbewegungen ankommt, desto mehr Akzeptanz werden die Signale haben, die von Kassel ausgehen.
Aus UZ-unsere zeit, 14. November 2003
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